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1 (2002), Nr. 1: Inhalt
Ein Pilotprojekt
Das Lexikon zur Geschichte der europäischen Hexenverfolgung
Das inhaltliche Spektrum der Artikel
Bild- und Quellendatenbank
Digitalisierte Traktate und digitale Editionen
Das Forum Hexenforschung des sfn
Kommentierte Linksammlung
Spezialbibliographien
Der Infoservice Hexenforschung
Rezensionen
Fazit
Anmerkungen
Zitierweise
PDF-Fassung

Gudrun Gersmann

Vom digitalen Lexikon zum Forum Hexenforschung - der Themenschwerpunkt "Geschichte der Hexenverfolgung" des Servers Frühe Neuzeit


http://www.sfn.uni-muenchen.de/hexenverfolgung/

Ein Pilotprojekt

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Das Portal "Geschichte der Hexenverfolgungen" gehört zu den Kernelementen des im Dezember 1999 ans Netz gegangenen Münchener Servers Frühe Neuzeit (http://www.sfn.uni-muenchen.de/),[1] der mittlerweile zu einem festen Bestandteil des historicum.net (http://www.historicum.net/), eines umfangreichen, epochenübergreifenden online-Angebots für Historiker und Kunsthistoriker geworden ist.


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Aus gutem Grund haben wir dem Thema "Hexenverfolgung" auf dem Server Frühe Neuzeit einen prominenten Platz eingeräumt, handelt es sich dabei doch nicht nur um ein für breite Leserkreise attraktives Sujet, sondern auch um ein ungemein fruchtbares Forschungsfeld mit einer äußerst lebendigen "Fachcommunity". In der täglich wachsenden Zahl an Tagungen und Vorträgen, Zeitschriftenartikeln, Monographien und Sammelbänden spiegelt sich eine Faszinationskraft des Magie- und Hexereikomplexes wider, die nach wie vor ungebrochen scheint. Längst ist die international und interdisziplinär orientierte Hexenforschung zu einem ebenso aktiven wie akzeptierten Zweig der Frühneuzeitforschung geworden, dem manche Beobachter sogar zentrale Bedeutung für das Fach zumessen.

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Seriöse Informationsvermittlung lautete jedoch von Anfang an die Devise: Allzu viele wohlfeile Klischees ranken sich aller Aufklärungsarbeit zum Trotz nach wie vor um die historischen Hexen, allzu sensationsheischend sind zahlreiche einschlägige Netzseiten aufgemacht, angefangen bei blinkenden Besenstielen bis hin zu animierten Kräutertöpfen. Um den populären, häufig so trivialen wie falschen Deutungs- und Aneignungsmustern entgegen zu wirken, musste es für den sfn darum gehen, in enger Kooperation mit Fachinstitutionen - wie dem Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH, http://www.uni-tuebingen.de/IfGL/akih/akih.htm), der Mailingliste Hexenforschung (http://www.listserv.dfn.de/cgi-bin/wa.exe?S1=hexenforschung) oder dem Trierer Sonderforschungsbereich (http://www.uni-trier.de/hexen) - eine wissenschaftliche Anlaufstelle im Netz zu schaffen, die allen Interessierten verlässliche Angaben und Hinweise liefert. Diesem Ziel haben wir uns mit der Konzipierung unterschiedlicher Module zu nähern versucht:

Das Lexikon zur Geschichte der europäischen Hexenverfolgung

http://www.sfn.uni-muenchen.de/hexenverfolgung/frame_lexikon.html

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Das Herzstück des Hexenschwerpunkts bildet das multimediale und interaktive Lexikon zur Geschichte der europäischen Hexenverfolgungen, das die Vorzüge des Mediums Internet exemplarisch veranschaulichen möchte. Während gedruckte Lexika stets einen langen Vorlauf erfordern, der manch einen Artikel schon im Moment seiner Veröffentlichung anachronistisch wirken lässt, kann das elektronische Publizieren in aller Regel sehr schnell vonstatten gehen und unmittelbar im Anschluß an die redaktionelle Prüfung und Bearbeitung der jeweiligen Texte erfolgen. Der zuletzt genannte Punkt sei bei dieser Gelegenheit noch einmal besonders betont, sollte sich doch ein Internetlexikon den gleichen Standards unterwerfen, wie sie auch für sonstige wissenschaftliche Publikationen gelten. Es ist die Aufgabe des Beirats - der sich derzeit aus Prof. Wolfgang Behringer, Prof. Sönke Lorenz und Prof. Wolfgang Schild zusammensetzt -, diesem Anspruch Rechnung zu tragen.

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Im Unterschied zu herkömmlichen gedruckten Nachschlagewerken mit naturgemäß begrenztem Aufnahmevolumen gibt es im ´Hexikon´ keine Begrenzung in bezug auf die Artikelzahl. Das weitere Plus eines interaktiven Lexikons besteht neben der problemlosen Aktualisierung und Anreicherung der Artikel mit Quellenauszügen und Illustrationen im Einbau einer "Feedback"-Funktion, die direkte Leserkommentare an die Adresse des Verfassers erlaubt.

Das inhaltliche Spektrum der Artikel

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Grundsätzlich weist das Lexikon zur Geschichte der europäischen Hexenverfolgungen zwei Typen von Artikeln auf. Einerseits finden sich hier kurze biographische Abrisse etwa zu prominenten zeitgenössischen Dämonologen wie Jean Bodin, die zunächst nur Basisinformationen liefern sollen und jederzeit ergänzt werden können. Sie sind in der Regel wenigstens mit digitalisierten Titelblättern, wenn nicht mit noch mehr Ilustrations- und Quellenmaterialien angereichert.

Andererseits enthält das Nachschlagewerk ausführliche, von ausgewiesenen Hexenforschern stammende Artikel zu einzelnen Akteuren, Sachbegriffen und Verfolgungsorten: Die breite Verlinkung der Beiträge untereinander verweist dabei auf inhaltliche Vernetzungen, die für den Betrachter sonst nicht unmittelbar auf der Hand liegen; - gerade dann zum Beispiel, wenn einerseits die historischen Ereigniszusammenhänge des 16. und 17. Jahrhunderts, andererseits aber Formen der nachträglichen Aneignung des Hexenthemas beleuchtet werden.

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Inhaltlich deckt das Lexikon ein umfangreiches Themenspektrum ab: Biographien einzelner Prozessopfer finden sich unmittelbar neben Artikeln zur Dynamik der Hexenverfolgungen in einzelnen Territorien oder zur Anwendung der Folter. Auch dem Nachleben des "Hexenwahns" kommt vor dem skizzierten Horizont eine wichtige Rolle zu. Erwähnt seien nur die Beiträge, die sich unter anderem auf ´einschlägige´ Museen wie das Lemgoer Hexenbürgermeisterhaus konzentrieren. Mit einem solchen mehrdimensionalen Zugriff sollen dem Leser die vielfältigen Annäherungsmöglichkeiten an den Gegenstand verdeutlicht werden. Die reiche interne Vernetzung der Artikel erlaubt es den Nutzern zudem in komfortabler Weise, von einem Punkt zum anderen ´springen´ und manche ihm dahin unbekannte Verbindungslinien dadurch überhaupt erst erkennen zu können.



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Die Nutzer können auf verschiedene Art und Weise auf das Lexikon zugreifen: über die alphabetische Liste aller Artikel, über eine Auflistung der Personennamen oder Verfolgungszentren. Einen weiteren Zugang eröffnet eine Karte des Alten Reichs in der Frühen Neuzeit, in der die bisher in Form von Artikeln bearbeiteten Gebiete farblich hervorgehoben erscheinen. Die inzwischen über 80 im Lexikon enthaltenen Artikel sind nicht allein mit Quellen- und Literaturangaben versehen, sondern vielfach auch mit Illustrationen verknüpft. So erschließen sich dem Leser ganz nebenbei die visuellen Dimension des historischen Phänomens, die sich vor allem dort als unerhört spannend erweisen, wo die Projektionen und Phantasien der Nachwelt ins Spiel kommen. Die Reproduktion jener berühmten Anzeige einer Zahnpastafirma, die mit einer auf einem Besen reitenden Kräuterhexe für ihre Produkte warb und den Gewinnern eines Preisrätsels einen Aufenthalt im alten "Hexennest" Lemgo in Aussicht stellte, veranschaulicht weit besser als jede lange Erklärung, mit welchen Klischees das Bild der (historischen) Hexe noch in der Gegenwart behaftet ist.

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Unser Lexikon versteht sich zugleich als eine Art virtuelle Klammer für die in den vergangenen Jahren zahlreich entstandenen Regionalstudien, die langfristig unter einem Dach zusammengeführt werden sollten. Eine für jeden Artikeltyp entwickelte und den Autoren vorgegebene Grundstruktur sichert dabei zumindest ein gewisses Maß an Vergleichbarkeit. Doch auch hier gilt: Ohne die Bereitschaft gerade jüngerer Autoren, ihre Ergebnisse in Form von Lexikonartikeln der Öffentlichkeit zu präsentieren, dürften die guten Absichten kaum zu realisieren sein.

Bild- und Quellendatenbank

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Ergänzend zum Lexikon wird im Rahmen des sfn in langfristiger Perspektive eine Bild- und Quellendatenbank aufgebaut, die inzwischen schon eine ganze Reihe von Abbildungen zur Geschichte der Hexenverfolgung - vorwiegend Druckgrafiken aus dem Altbestand der Bayerischen Staatsbibliothek - enthält. Sämtliche Abbildungen sind sowohl chronologisch abrufbar wie nach einer groben Systematik (Hexen- und Teufelsdarstellungen, Titelblätter, Personen, Rezeption, Justiz) geordnet.

Digitalisierte Traktate und digitale Editionen

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Zu den vom sfn ´aufbereiteten´ Quellen gehören ferner digitalisierte Titelblätter und Register frühneuzeitlicher Hexentraktate, die nicht nur dem Hexenforscher wichtige Aufschlüsse über Herkunft, Inhalt und Druckgeschichte der entsprechenden Schriften vermitteln, sondern auch dem Laien einen plastischen Eindruck vom ´Aussehen´ eines frühneuzeitlichen Druckwerkes verschaffen können. Als "work in progress" soll dieser Bereich in Zukunft noch intensiver ausgeweitet werden. Die digitale Edition der Erinnerungen des Rheinbacher Schöffen Hermann Löher - eines so wertvollen wie raren Augenzeugenberichts aus der Zeit der Hexenverfolgungen - dokumentiert schon jetzt den Wert eines solchen Unternehmens.

Das Forum Hexenforschung des sfn

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Im Gegensatz zum ´Hexikon´, das zugleich das Ziel einer experimentellen Erprobung neuer digitaler Editions- und Publikationsformen verfolgt, besitzt das Forum Hexenforschung des sfn den Charakter einer Informationsbörse im Netz, an deren Gestaltung die ´Besucher´ des sfn so aktiv wie möglich beteiligt werden sollen: Hinweise auf Veranstaltungen oder Forschungsprojekte nehmen wir gerne entgegen, Berichte über Forschungsvorhaben sind sehr willkommen.

Zur Dokumentation aktueller Diskussionen und Entwicklungen innerhalb der Hexenforschergemeinde weist das Forum Hexenverfolgung regelmäßig auf Tagungen, Vorträge oder Ausstellungen hin und ist zugleich um die Konstituierung einer kleinen elektronischen Hexenbibliothek bemüht: In Absprache mit den Autoren haben wir schon jetzt einige zentrale Aufsätze von Hexenforschern - so Wolfgang Behringers GWU-Beitrag "'Neun Millionen Hexen'. Entstehung, Tradition und Kritik eines populären Mythos" (zuerst in: GWU 49 (1998), S. 664-685) - im Volltext "zweitpubliziert", weitere Texte befinden sich derzeit im Stadium ihrer html-Umsetzung.

Kommentierte Linksammlung

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Mit einer speziellen kommentierten Linksammlung wollen wir allen am Thema Hexenverfolgung Interessierten ein Mittel zur Orientierung im Hexendschungel des WWW an die Hand geben. Dies scheint um so notwendiger, als die zum Thema bereits im Netz vorliegenden Seiten schlechterdings unüberschaubar sind. Wer einen Begriff wie ´Hexe´, ´Hexenverfolgung´ oder ´Folter´ in eine der gängigen Suchmaschinen einspeist, wird zwar immer mit einer erstaunlichen Trefferzahl belohnt werden - so meldet altavista zum Beispiel allein für das Suchwort witchcraft mehr als 250.000 Ergebnisse - , doch kann nur ein Bruchteil von Links überhaupt als verwertbar gelten. Neben den Homepages esoterischer Läden und den elektronischen Manifesten von Anhängern der wicca-Bewegung schrumpft der Anteil des fachwissenschaftlich Relevanten auf letztlich nur wenige seriöse Seiten zusammen, die auf dem sfn wiederum in übersichtlicher Form präsentiert werden sollen.

Spezialbibliographien

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Im Rahmen des Hexenschwerpunkts bietet der Server diverse kleinere Spezialbibliographien zu einzelnen Aspekten des Hexenthemas an. Für ein größeres Publikum erschlossen wurde beispielsweise die aus 125 Titeln bestehende sogenannte "Hexenbibliothek" des Bonner Professors Carl Binz aus dem späten 19. Jahrhundert, die bisher im "Giftschrank" des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, Abteilung für rheinische Volkskunde in Bonn, verborgen lag und nun zum ersten Mal überhaupt öffentlich zugänglich ist.

Eine zweite Literatursammlung ist Leben und Werk des berühmten frühen Verfolgungskritikers Johann Weyer gewidmet. Eine dritte Bibliographie streift verschiedene Aspekte von Hexerei und Zauberei in der ehemaligen Grafschaft Flandern.



Der Infoservice Hexenforschung

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Wer in bezug auf den Hexenteil des sfn stets auf dem Laufenden sein möchte, kann dies auf einfache und komfortable Weise tun: In Kooperation mit Dr. Klaus Graf wird einmal im Monat - jeweils etwa um die Monatsmitte - ein "Infoservice Hexenforschung" zusammengestellt, der - in übersichtlicher Zusammenfassung und kostenlosem Abonnement - über neue Lexikonartikel, e-Texte oder im Rahmen der Mailingliste besprochene Netzadressen und Publikationen unterrichtet.





Rezensionen

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Um die Besucher des sfn über Neuerscheinungen aus dem Bereich Hexenforschung auf dem Laufenden zu halten, verweisen wir im Forum Hexenforschung regelmäßig auf Rezensionen aktueller Buchtitel, die im elektronischen Rezensionsjournal "sehepunkte" erscheinen. Es wäre sicher wünschenswert, den Anteil an "Hexentiteln" in der monatlichen Ausgabe der "sehepunkte" in Zukunft noch zu steigern!











Fazit

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In der Startphase des Servers Frühe Neuzeit waren gelegentlich kritische Stimmen zu hören, die den Wert eines Themenportals zur Geschichte der Hexenverfolgungen gerne mit dem Argument in frage zu stellen pflegten, selbiges sei von vornherein viel zu eng angelegt und werde allenfalls eine kleine Gruppe von Spezialisten interessieren. Die hohen Zugriffszahlen gerade in diesem Bereich sprechen jedoch eine deutliche Sprache und sind uns Ermutigung genug, einen weiteren Ausbau gezielt in Angriff zu nehmen.

Anmerkungen

[1]Publikationen zum Server Frühe Neuzeit: Gudrun Gersmann: Ein elektronisches Informationssystem für die Geschichtswissenschaft - Bericht über ein Pilotprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (zus. mit Margarete Wittke), in: Wilfried Reininghaus/ Frank Bischoff (Hg.), Die Rolle der Archive in Online-Informationssystemen, Münster 1999; dies.: Der Server Frühe Neuzeit: Ein Internetprojekt für Historiker, in: Bibliotheksforum Bayern, Jg. 28, Heft 2 (2000), 178 - 186; dies.: Neue Wege zu alten Zeiten? Der Server Frühe Neuzeit als Prototyp eines Fachinformationssystems für Geisteswissenschaftler, in: Hochschulforschung in Bayern 4 (2000), 355 - 365; dies.: Wie man findet, was man ohnehin schon kennt. Kritische Anmerkungen zur Geschichtsvermittlung in den Neuen Medien, in: Harald Krämer/ Claudia Gemmeke: Euphorie digital? Aspekte der Wissensvermittlung in Kunst, Kultur und Technologie. Transcript-Verlag 2001.

Empfohlene Zitierweise:

Gudrun Gersmann: Vom digitalen Lexikon zum Forum Hexenforschung - der Themenschwerpunkt "Geschichte der Hexenverfolgung" des Servers Frühe Neuzeit, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 1 [08.07.2002], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/01/gersmann/gersmann.html>

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ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459
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