historicum.net
ZEITENBLICKE
Navigation
1 (2002), Nr. 2: Inhalt
Anmerkungen
Zitierweise
PDF-Fassung

Manfred Groten

Die autobiographischen Aufzeichnungen des Kölner Bürgers Hermann Weinsberg (1518-1597).
Digitale Erfassung, historische Auswertung und sprachgeschichtliche Analyse

<1>
Der Kölner Bürger und Ratsherr Hermann Weinsberg (1518-1597) hat umfangreiche autobiographische Aufzeichnungen hinterlassen. [1] 1559 vollendete er das so genannte "Buch Weinsberg", eine über weite Strecken fiktive Familiengeschichte, die bis in die Römerzeit zurückreicht. In diesem Werk verfolgte Weinsberg das Ziel, Alter und Bedeutung seines Geschlechtes, das erst in der dritten Generation in Köln ratsfähig war, darzustellen. [2] 1560 begann er mit der Führung sogenannter Gedenkbücher, in die er chronologisch - zurückgreifend bis zum Zeitpunkt seiner Zeugung - denkwürdige Ereignisse seines Lebens und Nachrichten zur Zeitgeschichte eintrug. In einem Vorwort gibt er eingehend Auskunft zur intendierten Schreibsituation: Er versteht die im Ich-Stil gehaltenen Aufzeichnungen als vertrauliches Gespräch mit seinem Nachfolger in der Position des Hausvaters des Hauses Weinsberg. Eine Veröffentlichung des Textes lag also nicht in Weinsbergs Absicht. Erst die Berücksichtigung dieser intimen Kommunikationssituation erlaubt eine zutreffende Beurteilung der im Laufe der Jahre mehr und mehr ausufernden Berichte.

<2>

Die drei Gedenkbücher Weinsbergs (Liber iuventutis 1518-1577, Liber senectutis 1578-1587, Liber decrepitudinis 1588-1597, zusammen über 2500 Blatt) sind früh als wertvolle Quelle zur Geschichte Kölns im 16. Jahrhundert erkannt worden. In zwei Blöcken zu jeweils zwei Bänden publizierte die Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde 1886/87 und 1897/98 eine Auswahledition. Als zu trivial oder anstößig beurteilte Textpassagen wurden übergangen. 1926 erschien ein in erster Linie kulturgeschichtlich ausgerichteter Nachtragsband, der auch Auszüge aus dem "Buch Weinsberg" bekannt machte. [3]

<3>
Die Weinsberg-Edition, die noch nicht einmal die Hälfte der erhaltenen Texte erschließt, ist von Historikern verschiedener Forschungsrichtungen (vor allem auch Kultur-, Medizin-, Mentalitäts- und Alltagsgeschichte) intensiv genutzt worden. Dabei wurde zunehmend deutlich, dass die Auswahlpublikation vielen Anforderungen nicht gerecht werden kann. Die übergangenen Textpassagen beschäftigen sich überwiegend mit Themen wie körperliche Befindlichkeit, Familiennachrichten, Nachbarschaftsbeziehungen und Alltagsgeschehen. Erst in ihrer Gesamtheit lassen diese ein abgerundetes Bild der Lebensumstände des Chronisten entstehen und eröffnen zugleich die Möglichkeit, den Stellenwert der einzelnen Themen in den Erinnerungen Weinsbergs zu bestimmen. Im Hinblick auf das Phänomen des Erinnerns in all seinen Facetten ist auch die Berücksichtigung aller mehrfach berichteten Ereignisse von Interesse. Um derartige Forschungen zu ermöglichen, wurde wiederholt eine Volltextausgabe angeregt.

<4>
Diesem Wunsch will das von Historikern und Germanisten seit März 2002 durchgeführte interdisziplinäre DFG-Projekt des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Universität Bonn nachkommen. Projektleiter sind Prof. Dr. Manfred Groten (Rheinische Landesgeschichte) und Prof. Dr. Thomas Klein (Sprachforschung).

<5>
In einem ersten Arbeitsschritt werden die in der Edition übergangenen Passagen unter Berücksichtigung aller relevanten Merkmale der Vorlage transkribiert. Die Transkription setzt mit dem "Liber senectutis" ein. Die Art der Erfassung durch Kodierung möglichst vieler Merkmale der Vorlage ermöglicht intensive sprachgeschichtliche und paläographische Recherchen. Die Transkriptionen werden in eine retrodigitalisierte Version der alten Edition eingearbeitet, so dass ein digitaler Volltext verfügbar wird. Über die Form der Publikation wird die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, die das Projekt unterstützt, zu gegebener Zeit entscheiden. Der neu erstellte Text wird sukzessive mit sprachgeschichtlichen und historischen Auswertungsinstrumenten verknüpft. Gedacht ist hier einerseits an eine Datenbank, in der zusätzliche Informationen zu den bei Weinsberg genannten Personen gesammelt werden, andererseits an die Erstellung von Links zu schon bestehenden oder noch im Aufbau befindlichen digitalen Lexika, Findbüchern und so weiter.

Anmerkungen

1Vgl. zur Person Wolfgang Herborn: Hermann von Weinsberg (1518-1597), in: Wilhelm Janssen (Hg.): Rheinische Lebensbilder 11, Köln 1988, 59-76.
2Vgl. Gregor Rohmann: Der Lügner durchschaut die Wahrheit. Verwandtschaft, Status und historisches Wissen bei Hermann von Weinsberg, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 71 (2000), 43-76.
3Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, Bd. 1-2, bearb. v. Konstantin Höhlbaum, Bd. 3-4, bearb. v. Friedrich Lau, Bd. 5, bearb. v. Josef Stein (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 3; 4; 16), Leipzig 1886-1926.


Prof. Dr. Manfred Groten
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande
Am Hofgarten 22
53113 Bonn
m.groten@uni-bonn.de
http://www.igl.uni-bonn.de/personal/mitfr.htm

Empfohlene Zitierweise:

Manfred Groten: Die autobiographischen Aufzeichnungen des Kölner Bürgers Hermann Weinsberg (1518-1597). Digitale Erfassung, historische Auswertung und sprachgeschichtliche Analyse, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20.12.2002], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/groten/index.html>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse. Zum Zitieren einzelner Passagen nutzen Sie bitte die angegebene Absatznummerierung.



ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459
historicum.net Editorial Abonnement Archiv Richtlinien Impressum