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2 (2003), Nr. 3: Inhalt
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Zu dieser Ausgabe

 

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Die Beiträge, die hier publiziert werden, sind aus einem am 11. und 12. Mai 2001 vom Deutschen Studienzentrum in Venedig (Centro Tedesco di Studi Veneziani) veranstalteten Symposium hervorgegangen. Für die Organisation dieser Veranstaltung gebührt mein Dank Frau Dr. Susanne Winter als Leiterin des Studienzentrums und Frau Giovanna Dettin. Der äußere Anlass der Tagung war eine später auch in Dresden gezeigte Ausstellung über Anton Raphael Mengs in der Fondazione Palazzo Zabarella in Padua, die zur Finanzierung des Kolloquiums einen wichtigen Beitrag leistete, für den dem Präsidenten der Fondazione, Herrn Federico Bano, gedankt sei.

 
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Die Idee zu einem die Ausstellung begleitenden wissenschaftlichen Kolloquium entstand aus dem Defizit an Kenntnissen über die vielfachen Berührungspunkte zwischen dem römischen Klassizismus, dem Mengs zugerechnet wird, und dem Kulturraum Venedigs. Ausgangspunkt dieser Erkundungen sind die für die Dresdner Hof- und Kunstwelt essentiellen reziproken Kontakte nach Venedig, das auch als kulturelle Schnittstelle im Hinblick auf Rom Bedeutung erlangte. Dies lässt sich gerade im Werdegang und im Gedankengut von Mengs konkret nachweisen – es ist kein Zufall, dass er der Wiederentdecker der Bedeutung Tizians als Kolorist ist. Über den Einzelfall hinaus offenbart diese Konstellation jedoch ihre epochale Tragweite, wenn man sie in einen größeren Kontext stellt. Das war das Ziel des Symposiums, das einen zweiten Schwerpunkt in der architektonischen Rezeption der Antike und in der Druckgraphik hatte.
 
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Die hier versammelten Texte gehen insgesamt von einer anderen Sichtweise aus als sie bisher für die Betrachtung der künstlerischen Beziehungen Venedigs zum Norden und nach Rom verbreitet ist. Die Bemühungen um die kunstgeschichtliche Aufarbeitung der Kontakte zwischen Venedig und dem Norden im 18. Jahrhundert konzentrierten sich bislang vor allem auf die Tätigkeit bedeutender venezianischer Künstler an den Höfen nördlich der Alpen und um den mittelbaren Einfluss, den die venezianische Malerei auf diese Weise auf die europäische Entwicklung genommen hat. Unter dem Titel 'The Glory of Venice' wurde dies 1994 durch eine Ausstellung in der Londoner Royal Academy visualisiert. Der für die Kunst befruchtende kosmopolitische Charakter Venedigs im 18. Jahrhundert wird in der Kunstwissenschaft heute vorwiegend auf der Basis der von Francis Haskell gelegten Spur rezipiert. So sind die engen kulturellen und künstlerischen Beziehungen Venedigs zum europäischen Norden, insbesondere nach England, hinlänglich thematisiert, während Darstellungen, die die Situation aus der deutschen Perspektive betrachten, etwa die Reisen der sächsischen Kurfürsten nach Venedig und die sächsischen Kunstkäufe in Venedig, bisher nur in Ansätzen vorliegen; zu erwähnen ist etwa der Katalog der Dresdner Ausstellung von 1999 über den ab 1755 in Dresden und später in St. Petersburg tätigen venezianischen Maler Pietro Rotari.
 
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Aus der Sicht der Nordländer war Venedig, das vor oder nach Rom besucht wurde, das erste und neben Rom und Neapel auch das wichtigste Ziel der Reise nach Italien und nicht nur eine von vielen Stationen. Dass die Attraktivität der Lagunenstadt für die hochstehenden Reisenden aus dem Norden in nicht geringem Maße auf den Spektakeln der barocken Festkultur und des Karnevals beruhte, zeigt der Beitrag von Wiebke Fastenrath Vinattieri. Ihr Bericht über die Kavaliersreise des sächsischen Kurprinzen (1738-1740) macht aber auch deutlich, welche künstlerischen und kulturellen Anregungen ein Reisender seines Standes aus der Begegnung mit Italien zog. Nicht nur die bildende Kunst war von den kulturellen Beziehungen zwischen Dresden und Venedig betroffen, sondern auch die Musik und die Literatur. Die sächsische Kurprinzessin und geborene bayerische Prinzessin Maria Antonia wurde ab 1747 durch ihre vielseitigen musikalischen und literarischen Interessen zu einer zentralen Persönlichkeit in diesem transalpinen Austausch, für den Namen wie Johann Adolf Hasse, Nicola Porpora und Pietro Metastasio stehen. Diesem Thema gilt der Beitrag von Christine Fischer, der auf der Grundlage einer monographischen Bearbeitung der musikalischen Produktion der Kurprinzessin die musikalischen Querverbindungen zwischen Dresden und Venedig auf dem Gebiet der Opera seria in den Blick nimmt. Einer der wichtigsten Vermittler zwischen Venedig und dem deutschen Norden war Francesco Algarotti, der zwischen seinen beiden Aufenthalten am Hof Friedrichs II. von Preußen ein folgenreiches Zwischenspiel in Dresden gab, das sich sowohl auf das dortige Musikleben wie auch auf die zukünftige Förderung der bildenden Kunst auswirkte. 1741 berief August III., der ebenso wie Algarotti ein Liebhaber der Pastellmalerei war, Felicitas Sartori, eine Schülerin und Mitarbeiterin von Rosalba Carriera, nach Dresden. Mit dem qualitätvollen und bisher noch kaum erforschten Œuvre, das die Sartori in Dresden geschaffen hat, beschäftigt sich der nachträglich eingelieferte Beitrag von Helga Puhlmann, der aus ihren in den Dresdner Sammlungen durchgeführten Forschungen hervorging und der so gut in das Thema der Tagung passte, dass er in der Publikation nicht fehlen durfte.
 
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Ein für den Kulturtransfer des 18. Jahrhunderts essentieller Aspekt, der bisher nur wenig Aufmerksamkeit gefunden hat, betrifft das Verhältnis zwischen Venedig und Rom. Dass die Hauptstadt des Kirchenstaates aus politischen und kulturellen Gründen traditionell als Antipode der 'Serenissima' galt, und zwar auch und vor allem in ihrer künstlerischen Ausrichtung, entspricht einer seit der Romantik etablierten Betrachtungsweise, die der Realität des 18. Jahrhunderts nicht unbedingt gerecht wird. Mein Beitrag versucht, die Vorstufen und die Folgen des auf Vasari zurückgehenden Antagonismus von 'disegno' und 'colore' in den Blick zu nehmen und hierbei sowohl die praktischen wie die kunsttheoretischen Auswirkungen und Veränderungen dieses 'concetto' während des 18. Jahrhunderts zu erkunden.
 
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Tatsächlich gab es mehr Berührungspunkte zwischen Rom und Venedig im 18. Jahrhundert als heute bewusst ist. Dies zeigt sich vor allem, wenn man das zum Staatsgebiet der 'Serenissima' gehörige Veneto hinzunimmt, das mit Städten wie Padua, Bassano und Vicenza ein erhebliches politisches Gewicht und kulturelles Potential besass. Die von hier ausgehenden Bestrebungen zur Wiederbelebung klassischer Normen in der Architektur sind bekannt und erhalten Nachdruck durch die Namen Carlo Lodoli, Francesco Algarotti und Tommaso Temanza. Ein bedeutsamer früher Protagonist für die Ausrichtung Venedigs nach römischen Maßstäben war Filippo Farsetti, der von 1749 bis 1753 in Rom eine umfangreiche und qualitätvolle Skulpturen- und Abgusssammlung erwarb. Diese Sammlung war ab 1755 in Venedig öffentlich zugänglich und gab unter anderem dem jungen Canova wichtige Anregungen. In S. Maria di Sala bei Padua ließ sich Farsetti ab 1753 von dem aus Siena stammenden römischen Architekten Paolo Posi eine Villa römischen Stils errichten, deren ideelles Vorbild die Villa Albani in Rom war. Das Aussehen dieser niemals ganz vollendeten Villa wird von Loris Vedovato auf der Grundlage der Entwürfe und der Beschreibungen rekonstruiert. Der wohl bedeutendste Teil dieser Villa sollte ein römischer 'Circus' sein, den Farsetti bei Clerisseau in Auftrag gab. Der hier publizierte Beitrag weist voraus auf die umfangreiche Monographie, die der Verfasser über die Villa von Sala vorbereitet.
 
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Ein weiteres bedeutendes und auf jeden Fall das folgenreichste Kapitel in der Geschichte der Beziehungen zwischen Venedig und dem Veneto auf der einen sowie Rom und dem Kirchenstaat auf der anderen Seite wurde durch die Familie Rezzonico geschrieben. Den künstlerischen Folgen dieser neuen politischen Verbindungen zwischen Venedig und Rom galt der Beitrag von Giuseppe Pavanello, der nicht in dieser Sammlung enthalten ist, der aber mit einer etwas anderen Gewichtung (Rapporti tra Venezia e Roma in età neoclassica) in einem Sammelband publiziert wurde, in dem es um eine ähnliche Thematik und Zielsetzung geht, wobei der Akzent allerdings stärker auf die Kontakte Roms zu Venedig und Neapel gelegt wurde: Enzo Borsellino / Vittorio Casale (Hg.): Roma: „il tempio del vero gusto“. La Pittura del Settecento romano e la sua diffusione a Venezia e a Napoli, Florenz 2001.
 
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Clemens XIII. Rezzonico, der von Mengs porträtiert wurde, weihte 1762 die Villa Albani ein, die als Symbol der neuen klassischen Ideale gilt und in der sich die Vorstellungen von Winckelmann und von Mengs konkretisiert haben. Vor seiner Wahl zum Papst (1758) war er fünfzehn Jahre lang Bischof von Padua gewesen und er hat seine ehemalige Diözese nach seiner Erhebung auf den Stuhl Petri mit opulenten Gaben bedacht, von deren Qualität die prachtvollen Paramente aus einer römischen Manufaktur Zeugnis ablegen. Leider stand das vom Konservator des 'Museo Diocesano' in Padua, Andrea Nante, zu diesem Thema gehaltene Referat des Symposiums für die Publikation nicht zur Verfügung.
 
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Einer der ersten, die das Kunstpatronat der Rezzonico propagierten und die von ihm gleichermaßen als Graphiker und als Architekt profitierten, war Giovanni Battista Piranesi, der jedoch schon viele Jahre zuvor nach Rom gekommen war. Er ist der prominenteste Künstler, der in das von der Tagung angeschnittene thematische Spektrum der Wechselbeziehungen zwischen Venedig und Rom gehört, ein Aspekt, der jedoch in der intensiven und stets zu neuen Ansätzen führenden Piranesi-Forschung erstaunlicherweise selten thematisiert wird. Jörg Garms gibt in seinem Beitrag, der aus dem abschließenden Abendvortrag der Tagung hervorging, eine Synthese der vielfältigen und während der römischen Jahre andauernden Bezugnahmen Piranesis auf die Kunst seiner Heimatstadt, der er auch insofern verbunden blieb als er sich immer 'architetto veneziano' nannte.
 
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Piranesis Beispiel folgte eine Generation später der Stecher Giovanni Volpato aus Bassano. Seine Laufbahn, die in der dortigen Buchdruckerei Remondini begonnen hatte, führte ihn über Venedig und Parma 1771 nach Rom. Ist Piranesi die Erschaffung eines die Antike monumental und romantisch verklärenden Rombildes zu verdanken, das die Reiselust und die Phantasie anregte, so galt Volpatos Wirken der Verbreitung der klassischen Bildungsgüter Roms auf den Gebieten der Malerei und der Skulptur. Seine Veduten des neuen päpstlichen Museums, seine Biskuitporzellane nach Antiken, vor allem aber die Stiche nach den Loggien Raffaels generierten einen neuen Geschmack in der Dekoration. Corinna Höper zeichnet die Stationen von Volpatos ungewöhnlich erfolgreicher Tätigkeit nach und arbeitet am Beispiel der Stiche nach den Loggien Raffaels den eigenständigen Anteil des Stechers an den Bordüren heraus, die ein wesentlicher Grund für ihren Erfolg im späten 18. Jahrhundert waren. Volpato war außerdem einer der wesentlichen Förderer des jungen Canova, in dessen Wirken sich schließlich der tradierte Antagonismus zwischen Rom und Venedig aufheben sollte. Einer von Canovas wichtigsten Auftraggebern – auch er Mittler zwischen Venedig und Rom – war Don Abbondio Rezzonico, der von 1765 bis 1809 als Senator von Rom im römischen Kapitol residierte, das er zu einer glanzvollen, von Goethe bewunderten Residenz machte.
 
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Wie immer, wenn ein neuer Papst gewählt wurde, wirkte sich dessen Herkunft auf die neue kulturpolitische Konstellation und damit auch direkt auf die Kunst aus. Durch den Aufstieg der Rezzonico in die höchsten sozialen Ränge wurden für die künstlerischen Kontakte zwischen Venedig und Rom neue Wege und Möglichkeiten geschaffen. Venezianische Künstler hatten nun in Rom eine Anlaufstelle, die im Laufe der Jahre das Entstehen einer venezianischen Fraktion begünstigte, die sich eng mit dem römischen Kunstbetrieb und Kunstgeschmack liierte und die zum Teil auch wieder nach Venedig zurückstrahlte, wie dies für den Maler Pier Antonio Novelli gilt, der seine römischen Erfahrungen und Lektionen für seine Tätigkeit in Venedig fruchtbar machte. Diesem bisher noch wenig ausgeloteten Thema gilt der Beitrag von Michael Brunner, dessen Forschungen zu diesem Bereich noch nicht abgeschlossen sind.
 
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Stark von klassischen Vorbildern geprägt war auch das Wirken von Andrea Memmo, auf den die Schaffung des 'Pra della Valle' in Padua zurückgeht, eine Art von Freilichtpantheon vor den Toren der Stadt und eine der ersten öffentlichen Promenaden im Geist der Aufklärung. Memmo war auch Verleger der Schriften von Lodoli und stand in Kontakt zu José Nicolas de Azara und Francesco Milizia in Rom, die 1780 die Herausgabe der Schriften von Mengs besorgt hatten. Susanna Pasquali widmet dem bisher wenig beachteten Wirken Memmos als Theoretiker, Reformator und als Herausgeber der Schriften des Padre Lodoli eine Untersuchung, die deutlich macht, dass die intellektuelle Elite Venedigs die Ideale der europäisch orientierten Aufklärung früh übernommen hatte.
 
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Das angestrebte interdisziplinäre und bikulturelle Panorama der Beiträge zu diesem Kolloquium, die sowohl in italienischer wie in deutscher Sprache mit den entsprechenden Resümees veröffentlicht werden, wäre nicht möglich gewesen ohne die Ausweitung auf ein interkulturelles und literarisches Terrain. Um diese Dimension zu erreichen, war niemand besser ausgewiesen und berufener als Lea Ritter Santini, deren wissenschaftliche und literarische Arbeiten den bis in das 20. Jahrhundert reichenden literarischen und kulturellen Wechselwirkungen zwischen Italien und Deutschland gelten, die ihren Ausgang in der Aufklärung nahmen. Sie hat sich mit Geduld und Einfühlung meinen Fragen gestellt und mit ihren ebenso knappen wie dichten Antworten den ganzen Reichtum ihres Wissens über das bis heute faszinierende Kulturgeflecht ausgebreitet, in das sich die deutschen Verbindungen des 18. Jahrhunderts zu Venedig einschreiben. Dafür gilt ihr mein ganz besonderer und freundschaftlicher Dank.
 
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Für die Initiative zu dieser Publikation danke ich Gudrun Gersmann und Hubertus Kohle, die es ermöglicht haben, die Ergebnisse der Tagung, die sonst unpubliziert geblieben wären, auf diesem zukunftsträchtigen neuen Forum des wissenschaftlichen Austausches zu präsentieren, und die mich großzügig und geduldig bei der Umsetzung der Texte in das ungewohnte Medium unterstützt haben. Um die praktische Seite dieser 'Übersetzung' haben sich Sabine Büttner von der RWTH Aachen und Valentina Baldauf von der LMU München engagiert und kompetent gekümmert. Ihnen gilt mein herzlicher Dank. Schließlich aber danke ich den Autoren und Autorinnen, die viel Geduld aufbringen mussten, um ihre Forschungsergebnisse publiziert zu sehen und die sich dazu bereit erklärt haben, auf das gewohnte Medium des kompakten Buches zu verzichten. Ich hoffe, dass sie dafür entschädigt werden durch die erleichterte und größere Resonanz seitens der angesprochenen 'scientific comunity' und dank der wachsenden Anhängerschar des neuen Mediums.
 
München, den 09. Dezember 2003
Steffi Roettgen
 


ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459