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Winfried Speitkamp
Der Totenkult um die Kolonialheroen des Deutschen Kaiserreichs
Abstract
Der Tod der deutschen Kolonialpioniere stellte dem Anschein nach ein ideales Feld nationaler Identifikation dar. Die Männer der ersten Stunde hatten afrikanisches Territorium gegen die Unbilden der Natur und die Widerstände der einheimischen Bevölkerung in Besitz genommen. Die Erinnerung an die toten Helden konnte daher sinnfällige Mythen nationaler Erfolgsgeschichte bereitstellen. Der Beitrag überprüft am Beispiel der beiden zeitgenössisch bei weitem bekanntesten deutschen Kolonialpioniere Hermann von Wissmann und Carl Peters, welche Formen und Funktionen der Totenkult um die Kolonialheroen des Kaiserreichs hatte. Beisetzungsfeiern, Nachrufe, Denkmäler und Nachwirkungen werden betrachtet, bevor abschließend vergleichende allgemeinere Schlussfolgerungen gezogen werden. Dabei zeigt sich, dass die Ehrung der Kolonialhelden allenfalls oberflächlich zur nationalen Integration beitrug. Vielmehr wurde der Kult um die Kolonialpioniere, der schon zu Zeiten des Kaiserreichs vor allem auf die Kolonialbewegung selbst zurückging und vom Reich nur mit Zurückhaltung unterstützt wurde, zunehmend zur Kritik an der Berliner Politik genutzt. Er diente der Rechtfertigung und Schuldzuweisung. Im Kolonialrevisionismus nach 1918 bestätigt sich dieser Befund.
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"... er war ein echter Germane, kühn und zäh in der Verfolgung großer Ziele und weitsichtiger Pläne, von heiligem Feuer beseelt für die Ehre der deutschen Flagge, unter der er als erster Deutscher den dunklen Weltteil durchquerte, niemals zurückschreckend vor der Feindseligkeit der Elemente oder der Menschen, eine wahre Herrschernatur, geboren, Mensch und Tier zu zügeln, und doch dabei ein herzensguter liebenswürdiger Mensch, fähig einer wahrhaft kindlichen Fröhlichkeit." [1] Der so 1905 in einer Trauerrede Geehrte war der deutsche Kolonialoffizier Hermann von Wissmann. Die Würdigung versammelte die Stereotypen des Kults um die deutschen Kolonialhelden. Ihr Tod stellte dem Anschein nach ein ideales Feld nationaler Emotionalisierung dar. Die Männer der ersten Stunde hatten afrikanisches Territorium für das Deutsche Reich gegen die Unbilden der Natur und die Widerstände der einheimischen Bevölkerung in Besitz genommen. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen boten Archetypen für menschliche Herausforderungen an, für Gefahr, Bewährung und Tod. Die Erinnerung an die toten Helden der Kolonien konnte daher sinnfällige Mythen nationaler Erfolgsgeschichte bereitstellen. Den Kolonialpionieren schien ein Ehrenplatz im Pantheon des nationalen Gedächtnisses sicher.
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Dem widerspricht allerdings, dass die deutschen Kolonialhelden nach 1945 weitgehend vergessen wurden. Schlaglichtartig wird dies daran deutlich, dass kein einziger von ihnen in den im Jahr 2001 erschienenen 'Deutschen Erinnerungsorten' auf 2250 Seiten auch nur erwähnt wird. [2] Daher gilt es zu überprüfen, welche Formen und Funktionen der Totenkult um die Kolonialheroen des Kaiserreichs hatte und welchen Rang die Kolonialpioniere dabei im nationalen Gedächtnis erlangten. Dies will ich an den beiden zeitgenössisch bei weitem bekanntesten deutschen Kolonialpionieren untersuchen, nämlich an dem erwähnten Hermann von Wissmann sowie an Carl Peters, bevor ich abschließend vergleichende allgemeinere Schlussfolgerungen ziehe.
Hermann von Wissmann, "Deutschlands größter Afrikaner"
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Hermann Wissmann galt den kolonialen Interessenvertretern als "Deutschlands größter Afrikaner". [3] Der Berufsoffizier, geboren 1853 in Frankfurt an der Oder als Sohn eines preußischen Regierungsrats, nahm seit 1881 mehrfach an deutschen und belgischen Afrika-Expeditionen teil. In den Jahren 1889 bis 1891 leitete er als Reichskommissar für Deutsch-Ostafrika die Niederschlagung des sogenannten Araberaufstandes gegen die deutsche Kolonialherrschaft in der Küstenregion. 1895 zum Gouverneur von Deutsch-Ostafrika ernannt, trat er schon ein Jahr später wieder zurück, nach offiziellen Angaben aus Gesundheitsgründen. Wissmann, der auch eine Reihe von Schriften über seine Afrikareisen veröffentlichte, lebte zuletzt zurückgezogen auf einem Landsitz in der Steiermark, wo er am 15. Juni 1905 bei der Jagd durch einen Schuss aus seinem eigenen Gewehr ums Leben kam.
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Schon zu Lebzeiten hatte Wissmann zahlreiche Ehrungen erhalten, darunter das Adelsprädikat und die Ehrendoktorwürde. Allerdings galt Wissmann als Kritiker der Kolonialverwaltung in Deutschland. Sein Tod erleichterte es dem Reich, Wissmann wieder für die deutsche Politik zu reklamieren. Der Kaiser, der Reichskanzler sowie eine Reihe weiterer deutscher – übrigens auch ausländischer – Monarchen demonstrierten durch Beileidstelegramme und Kranzspenden, dass fortan von den Konflikten keine Rede mehr sein solle. Zugegen bei dem Begräbnis in Köln, dem Heimatort der Ehefrau, waren die Großen des Reiches allerdings nicht. Nur die örtliche Garnison war durch eine Trauerparade beteiligt. Ein, wie es hieß, "imposanter, schier unendlicher Trauerzug geleitete ... den großen Heimgegangenen nach dem Kölner Friedhof in Melaten". [4] Tatsächlich handelte es sich zum größten Teil um Mitglieder von Kolonialvereinen und andere Vertreter kolonialer Interessen sowie um Militärs.
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Die Trauerreden und Predigten charakterisierten Wissmann, wie eingangs zitiert, als Forscher und Kämpfer, als Urbild eines Deutschen, mutig gegen Natur und Feinde, dabei liebevoll gegenüber seiner Familie, beliebt im Kreise der Kolonialisten, gerecht und menschlich im Umgang mit Untergebenen. Wissmann wurde den "Kolumbusnaturen" zugerechnet, zugleich als Mann von "Alexanderart" beschrieben, ferner als "Charakternatur", anspruchslos, bescheiden, "tatkräftig und doch versöhnlich", "ein Held im Kampf und großmütig gegen die Besiegten". Hervorgehoben wurde vor allem seine zivilisatorische Mission, so etwa wenn von Wissmanns "Kreuzzug ... gegen den Sklavenhandel" die Rede war. [5]
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Dem Tod Wissmanns folgte eine große Zahl von Nachrufen, vor allem in Kolonialblättern und geographischen Zeitschriften sowie in der ausländischen Fachpublizistik. [6] Die deutschen Nachrufe wiederholten die Stereotypen, aktualisierten sie aber und radikalisierten sie. Wissmann erschien primär als aufrechter Vorkämpfer deutscher Kolonialinteressen, von dem Bismarck mit Recht behauptet habe, er sei "mit tadellos weißer Weste aus Afrika zurückgekehrt". Mehr oder minder deutlich wiesen die Nachrufe auf seine angegriffene Gesundheit und die Spannungen mit der Reichsregierung hin. Die eigenartigen Umstände des als Jagdunfall bezeichneten Todes wurden kaum angesprochen. Nur ein Nachruf schilderte Wissmann als gebrochenen und morphiumsüchtigen Mann, der im Rausch seinem Leben ein Ende gesetzt zu haben scheine. [7]
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Im übrigen umging man diesen im wahrsten Sinne des Wortes wunden Punkt der Heroenverehrung. Um so mehr hob man Wissmanns Distanz zur Reichsregierung hervor. Die Kolonialkreise nutzten nun Wissmanns Leben als Muster für den zentralen Konflikt um die Kolonien: Wissmann erschien dabei als einsamer heldenmütiger Kämpfer für Deutschlands Größe, nur gestützt von Bismarck. Unter Bismarcks Nachfolgern habe die Kehrtwende eingesetzt: kleinlicher Bürokratismus, unsinnige Vorschriften und parlamentarische Debatten hätten das Werk des großen Mannes in Frage gestellt, seine Arbeit in Afrika zur Qual gemacht. Wissmann, der sich für Deutschland aufgeopfert habe, sei daher gekränkt und krank nach Hause zurückgekehrt. Seitdem habe die bornierte Berliner Kolonialverwaltung nicht mehr auf die Erfahrungen des großen Mannes zurückgegriffen. Wissmann wurde mehr und mehr zur Verkörperung der kolonialen Gemeinschaft vor Ort stilisiert, die allein, der Natur und den Feinden trotzend, für die Ehre von Nation und Reich kämpfe, der Berlin eine angemessene Unterstützung versage.
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Auch in den Denkmälern, die bald nach Wissmanns Tod initiiert wurden, spiegelte sich die Tendenz zur partikular-kolonialen Instrumentalisierung. Schon Wissmanns Kölner Grab wurde als Denkmalanlage gestaltet: Umgeben "von hohen dichten Lebensbäumen", die "wie eine Hecke wirken und die Stätte von den anderen Gräbern trennen" sollten, [8] war mitten auf dem großstädtischen Friedhof eine Art kleiner heiliger Hain entstanden. Die anderen Denkmäler dagegen wurden nicht in Berlin oder an anderem zentralen Ort errichtet, sondern fernab, in Wissmanns Wahlheimaten: Zum einen war dies ein auf Initiative örtlicher Kreise zurückgehender, im Juni 1908 eingeweihter knapp 4 Meter hoher Gedenkstein mit bronzenem Relief-Medaillon und Inschrift in Weißenbach in der Steiermark, wo Wissmann zuletzt gelebt hatte, zum anderen ein von der Kolonialbewegung initiiertes, im September 1908 eingeweihtes Standbild in Lauterberg im Harz, wo er zumeist seine Heimataufenthalte verbracht hatte. [9]
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Das Komitee, das das Lauterberger Denkmal plante, wurde von der Deutschen Kolonialgesellschaft getragen. Wissmann sollte für seine militärischen Verdienste in Ostafrika und den Aufbau der Schutztruppe geehrt werden. Gedacht war ursprünglich an ein weithin sichtbar am Berghang gelegenes Denkmal. Dieser Plan wurde fallengelassen, weil der Spendenaufruf nicht die erhofften Beträge zusammenbrachte und die finanzierbare Größenordnung der monumentalen Fernwirkung doch sehr geschadet hätte. Statt dessen wurde das Denkmal in dem nun als Wissmannpark titulierten Kurpark errichtet. Als Sockel diente ein Granitfindling, darauf stand die 3,20 Meter hohe Bronzefigur. Den Blick ins Weite gerichtet, hielt Wissmann in der einen Hand eine Landkarte, in der anderen den Ehrensäbel, den ihm der Sultan von Sansibar verliehen hatte, also keine Kampfwaffe und kein Symbol deutscher Ehrung.
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Bei der Einweihung des wenig martialischen, auch in den Inschriften nicht nationalistischem Denkmals waren die Spitzen des Reichs wiederum nicht persönlich vertreten. Reden wurden gehalten vom Vorsitzenden des Arbeitsausschusses des Denkmalkomitees, vom Lauterberger Bürgermeister und von einem Vertreter des belgischen Königs, nicht dagegen vom Vertreter des deutschen Kaisers. Wieder pries man Wissmanns Leistung bei der Niederwerfung des Araberaufstandes und damit der Bekämpfung des Sklavenhandels, seine Verdienste um das Deutsche Reich, seine persönlichen Qualitäten, als "eine der Kraftnaturen des deutschen Volkes" [10], als Patriot und Christ. Werke von Beethoven und Schiller sowie weitere Lieder aus dem kulturnationalen Kanon kamen zu Gehör; es spielte die Kurkapelle. Darauf folgten Kranzniederlegungen, Festessen und Festkommers. Das alles entsprach dem üblichen Ritual derartiger Denkmalfeste und überraschte eher durch das Nichtüberraschende, das Zeitlos-Austauschbare von Ablauf und Inhalt. Bei Denkmaleinweihungen in den Kolonien bevorzugte man dagegen schärfere Töne und nationalpolitisches Liedgut, etwa 'Heil Dir im Siegerkranz' oder das 'Deutschlandlied', möglichst noch vorgetragen von afrikanischen Missionsschülern. [11]
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Größere politische Bedeutung als das Steiermark- und das Lauterberg-Denkmal gewann daher ein drittes, zeitlich parallel geplantes Denkmal, das auf Initiative der Deutschen Kolonialgesellschaft im ostafrikanischen Daressalam errichtet wurde. [12] Zunächst war ähnlich dem Steiermark-Denkmal ein Felsblock mit Reliefmedaillon vorgesehen, denn: "Schlicht und einfach wie der große Tote und doch kernhaft und fest soll es sein". [13] Da diesmal die Spenden reichhaltiger flossen als im Fall Lauterberg, wurde das Konzept erweitert: Das Denkmal bestand aus einem 2,20 m hohen Granitsockel und einer 2,60 m hohen Bronzefigur Wissmanns, gekleidet mit Uniform und Tropenhelm, leicht gestützt auf ein niedergelassenes Schwert. Am Fuße des Sockels war ein etwa 1,80 m großer Askari, also ein afrikanischer Soldat der deutschen Schutztruppe, platziert, der die deutsche Flagge über einen erlegten afrikanischen Löwen senkte. Das Denkmal zeigte anders als das Lauterberger Denkmal nicht den Forscher, sondern den Eroberer, den Herrn über Afrika und die Afrikaner. Die Inschriften unterstrichen das: Wurden auf der Rückseite seine Taten und Eigenschaften in deutscher Sprache gerühmt, so fand sich auf der linken Seite eine Inschrift in arabischer Sprache und auf der rechten Seite eine von einem deutschen Wissenschaftler formulierte Inschrift in Swahili, und zwar in lateinischen Buchstaben, die die einheimische Bevölkerung aufrief, sich an den klugen, tapferen und beliebten Gouverneur von Wissmann zu erinnern, genauer: die sich durch die Formulierung in der ersten Person Plural ("Unser Herr von früher, er hat die Küste beruhigt und uns auf den richtigen Weg gewiesen" [14]) als Würdigung Wissmanns durch die einheimische Bevölkerung darstellte und also ausdrückte, wie sich die Deutschen ihre Wahrnehmung durch die einheimische Bevölkerung wünschten.
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Das Denkmal war einschließlich des Sockels in Deutschland gefertigt und per Schiff nach Deutsch-Ostafrika gebracht worden. Bei der Einweihung in Daressalam im Frühjahr 1909 versammelte sich die koloniale Gemeinschaft, darunter Veteranen der Wissmann-Truppe, Askaris und arabische Würdenträger aus Deutsch-Ostafrika und Sansibar. Der Gouverneur hielt die Einweihungsrede. Nationale Eintracht bestimmte die Feierlichkeiten. Voller Genugtuung berichtete eine Gedenkschrift: "Wurde dem lebenden Wissmann nicht immer ungeteilte Verehrung in unserem Volke zuteil, so wetteiferte nach seinem Heimgang Alles, dem großen kolonialen Helden den Tribut der Anerkennung und Dankbarkeit zu bezeugen." [15] Tatsächlich bemühten sich die Vertreter des Reiches, frühere Differenzen vergessen zu machen und das Wissmann-Gedenken für ihre Politik zu vereinnahmen: Umgekehrt sonnten sich die kolonialen Interessenvertreter in ungewohnter Publizität, hofften sie doch ihrerseits nunmehr einen neuen Schub an Aufmerksamkeit und Zuspruch zu gewinnen. Es brauche, so resümierten sie, auch heute, zumal in der Kolonialpolitik, mehr denn je 'Führer' von der Art Wissmanns. [16]
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Der Verlust des Kolonialreichs im Ersten Weltkrieg wies dem Wissmann-Gedenken eine veränderte Rolle zu. Die Kolonialmilitärs, Kaufleute und Siedler, die zumal aus Ostafrika nach Deutschland zurückkehrten und mit Verbitterung auf die Kolonialschuldbestimmungen des Friedensvertrags und namentlich die sogenannte 'koloniale Schuldlüge' reagierten, suchten Öffentlichkeit und Reichsregierung zu einer schärferen Revisionspolitik zu motivieren. [17] Dazu diente unter anderem das Denkmal aus Daressalam, das von der britischen Mandatsmacht demontiert und dem Reich zurückgegeben wurde. Es wurde 1922 vor der Hamburger Universität wieder errichtet, auf neuem Sockel, aber samt Askari und Löwe. [18] Die Kolonialvereine inszenierten eine aufwändige Einweihungsfeier, das Reich und die Stadt Hamburg waren bei dem politisch umstrittenen Festakt allerdings nicht durch hochrangige Vertreter zugegen. Dafür bestimmten kolonialrevisionistische Reden und Symbole des untergegangen Kaiserreichs das Bild. Der Wissmann-Kult diente jetzt der Integration einer kleinen Gemeinschaft, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlte. Wissmann wurde vor diesem Hintergrund erst recht zum einsamen, unverstandenen und verratenen Vorkämpfer deutsch-imperialer Größe. In der NS-Zeit knüpfte man daran an, doch galt Wissmann jetzt eher als "der große Landsknechts- und Soldatenführer der kolonialen Kampfzeit der Deutschen in Afrika" [19], nicht als völkischer Vorkämpfer. So stand bei den zahlreichen nationalen Kolonialfeiern am Denkmal weniger der Kolonialheld als vielmehr das Symbol im Blick, das die Demütigung durch Kolonialverlust und 'Kolonialschuldlüge' in Erinnerung rief.
Carl Peters, "der bedeutendste Kolonialpolitiker Deutschlands"
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Wahrscheinlich wäre niemand auf die Idee gekommen, Carl Peters, den zweiten hier zu betrachtenden 'Kolonialhelden', wie Wissmann als großen Afrikaner zu bezeichnen. Peters war jedenfalls kein deutscher Afrikaner, sondern ein Deutscher in Afrika, und nichts anderes wollte er sein. Nach seinem Tod wurde er als "der bedeutendste Kolonialpolitiker Deutschlands" gerühmt. [20] Verglich man Wissmann in Nachrufen mit Stanley und Livingstone, den britischen Afrikareisenden und Forschern, so wurde Peters von seinen Anhängern auf eine Stufe mit Cecil Rhodes gestellt, dem britisch-südafrikanischen Geschäftsmann und Politiker. [21]
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Carl Peters, geboren 1856 als Pfarrerssohn in Neuhaus an der Elbe, engagierte sich nach Studium, Promotion 1879 und kurzen akademischen Gehversuchen als Privatdozent der Geschichte in der anwachsenden deutschen Kolonialbewegung. Er gründete 1884 die 'Gesellschaft für deutsche Kolonisation', für die er nach Ostafrika reiste und mehrere Landstriche in Besitz nahm. 1894 zum Reichskommissar bestellt, wurde er nach Misshandlungen Einheimischer und willkürlichen Hinrichtungen 1895 bereits freigestellt und 1897 infolge eines Disziplinarverfahrens aus dem Dienst entlassen. Der in der Öffentlichkeit mittlerweile als 'Hänge-Peters' bekannte Kolonialpionier siedelte nach England über und widmete sich einer umfangreichen publizistischen Tätigkeit. Peters blieb zwar umstritten, allerdings setzte nach der Jahrhundertwende eine Kampagne zur Rehabilitierung ein, die ihm den Titel 'Reichskommissar a.D.' und eine Pension eintrug. Nach Kriegsausbruch nach Deutschland zurückgekehrt, trat er noch wiederholt an die Öffentlichkeit und polemisierte gegen einen Verzichtfrieden. Bei einem Kuraufenthalt in einem Sanatorium in Woltdorf bei Peine verstarb er am 10. September 1918.
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Carl Peters wurde in Hannover beerdigt, seinem zeitweiligen Wohnort. Die Stadt räumte ihm ein 'Ehrengrab' ein. Das Grab von Peters wurde wie das Grab Wissmanns als eine Art Kultstätte ausgestaltet, oder zumindest erschien es den Peters-Anhängern so: "Über ein Rasenrechteck, dessen Front ein Zierbrunnen belebt, erblickt man die Gruft, zu der auf beiden Seiten fünfstufige Treppen emporführen. Auf viereckigem Grunde liegt in der Mitte das rasenumrandete Grab, um dessen Oval ein breiter Weg führt. Gleich trauernden Knappen schauen hinter dem Abschlussrasen der Seiten immergrüne Hecken zur Gruft, hinter denen die freien Häupter riesiger Zypressen und Laubbäume sich erheben." [22]
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Wie bei Wissmann wurde auch bei Peters die große Anteilnahme der Bevölkerung hervorgehoben: "Eine ungezählte Menge gab Deutschlands großem Sohne das letzte Geleit". [23] Zugegen waren bei der Trauerfeier unter anderem Vertreter der Schutztruppe, der Kolonialvereine, der Städte Hannover und Neuhaus und des Alldeutschen Verbandes. Dagegen ließen sich die Großen des Reichs wieder vertreten. "Den Trauerdienst versahen [Hannoveraner] Magistratsbeamte in Galauniform." Der örtliche Männergesangverein 'Liedertafel' trug Lieder vor. [24] Die Gedenkrede am Grab hielt der Hannoversche Stadtdirektor. Er rühmte die nationale Gesinnung Peters, der zu Unrecht verurteilt worden sei. Man habe "einen politischen Gegner zu ruinieren" versucht. Peters habe auch fortan weitsichtig "vor Englands Kriegsabsichten gewarnt". [25] Insgesamt erschien Peters in den Predigten und Trauerreden als Mann der Tat, als Vorkämpfer der nationalen Sache in den Kolonien, als hellsichtiger Mahner in der Vorkriegszeit und als unverstandener Vertreter deutscher Interessen.
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In den Nachrufen differenzierte sich das Bild. [26] Auch scharf ablehnende Urteile fehlten nicht. Sie resultierten aus den Konflikten um eine sogenannte rationale Kolonisation, wie sie in Deutschland durch die Kolonialreformen nach den Aufständen von 1904 und 1905 eingeleitet worden war. [27] Von dieser Seite hieß es, das "System Peters", das heißt die Herrschaft durch Gewalt und Arbeitszwang, die "Grausamkeit gegen die Eingeborenen", habe sich überlebt. Vielmehr gelte es, "die Eingeborenen" durch "wachsende wirtschaftliche Selbständigkeit und geistige Hebung" enger an die Kolonialherrschaft zu binden. Der "Herrenstandpunkt" von Peters habe zu "Missständen und Ausschreitungen" geführt, die von den innenpolitischen Gegnern genutzt und nunmehr auch von England in einem "Weißbuch über die deutschen Gräuel in den Kolonien" aufgeführt worden seien, die mithin die deutsche Position geschwächt hätten. [28] Peters erschien hier insofern nicht als nationaler Vorkämpfer, sondern als jemand, der den deutschen Interessen geschadet hatte.
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Wie in den Trauerreden trat Peters auch in den Nachrufen der Anhänger vor allem als der Konquistador auf, dessen Deutschland bedurft habe, als "der als Persönlichkeit ausgeprägteste und hochstrebendste unserer kolonialen Bahnbrecher", der nicht wie viele andere bloß große Worte über die Notwendigkeit von Kolonien verloren habe, sondern zur Tat geschritten sei, als ein Mann, der wie alle Großen der Geschichte nicht frei von Fehlern gewesen sei, der aber "durch kleinlichen Hass seiner Gegner und hässlichen Undank des deutschen Volkes", durch politische Feinde und engstirnige Bürokraten aus Deutschland vertrieben worden sei. [29] Das Disziplinarurteil gegen Peters wurde "als ein Schandmal einer heruntergekommenen Bürokratie" bezeichnet. [30] Wie im Fall Wissmann verwiesen die apologetischen Nachrufe also auch auf den Konflikt zwischen der visionären großen Persönlichkeit der Kolonialbewegung vor Ort und den Paragraphenrittern in der Heimat. Das Grundmotiv, der Prophet, der verraten und aus dem eigenen Land vertrieben worden sei, zog sich stereotyp durch die Darstellungen. Erst eine jüngere Generation habe begonnen, Peters' Leistung und Weitsicht zu würdigen und auf seine Mahnungen zu hören.
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Anders als bei Wissmann wurden bei Peters religiöse Einstellung und Charakterzüge seltener hervorgehoben. Jedenfalls fehlten in diesem Zusammenhang selbst in den Nachrufen der Anhänger nicht Anspielungen auf Ambivalenzen und auf eine gewisse Fremdartigkeit der Verhaltensweisen. Positiv hervorgehoben wurden deshalb vor allem das späte Eheglück sowie die Treue und Güte der Ehefrau, die sich des schwierigen Mannes angenommen und ihm das Leben selbstlos erleichtert habe, dies in Parallele zur Darstellung des späten Familienglücks Wissmanns in der Steiermark. Dieser Kunstgriff erlaubte es, den Umgang der Heimat mit dem Kolonialhelden als besonders niederträchtig darzustellen: Der mutige Mann habe lange Jahre selbstlos für Deutschland in Afrika gekämpft, sei krank und erschöpft zurückgekehrt, und nun gönne ihm die Heimat nicht einmal das kleine private Glück des wohlverdienten ruhigen Lebensabends. Die geschädigte Gesundheit wurde wie im Fall Wissmann so als Folge des Kummers über die Undankbarkeit der Heimat interpretiert, was den Helden letztlich ins Grab gebracht habe.
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Peters wie Wissmann erschienen dabei als Ausnahmegestalten, die sich weit aus dem Kreis der Mitmenschen heraushoben. Rühmte man bei Wissmann "Kolumbusnatur" und "Alexanderart", so bei Peters den "stolzen Cäsarenkopf mit der prächtigen Denkerstirn". [31] Der NS-Historiker Walter Frank verglich später Peters' Wirken als Eroberer und Schriftsteller mit Julius Caesar, der Gallien nicht nur erobert, sondern wie Peters ebenfalls ein Buch darüber geschrieben habe. [32] Auch mit Bismarck wurde Peters auf eine Stufe gestellt: Er habe die Kolonie Deutsch-Ostafrika "einst mit Todesverachtung gleichsam aus dem Pfeil- und Speerhagel uns errungen, so wie Bismarck die deutsche Kaiserkrone uns im Feuer der französischen Bataillone gewann". [33] Überdies habe Peters durch die ostafrikanischen Erwerbungen die Basis für den Ländertausch von 1890 geboten, der dem Reich die Insel Helgoland eintrug, die jetzt, im Weltkrieg, "die britische Armada unseren Küsten fernhält und uns ermöglicht, der britischen Überseeherrschaft eine deutsche Unterseeherrschaft entgegenzusetzen". [34]
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In all diesen Eigenschaften erschien Peters seinen Anhängern in der Umbruchszeit von 1918/19 als ein 'Erzieher' und 'neuer deutscher Lebenstyp' im Sinne Nietzsches. [35] In der Stunde nationaler Not wurde er nicht nur als Vorbild, sondern als Erlöser präsentiert: Indem Deutschland ihm folge, könne es nicht nur die Nation befreien, sondern auch die Schuld abtragen, die es durch die Verleumdung des Kolonialhelden auf sich geladen habe: "Deutschland hatte viele Könige und Prinzen, aber nur einen Carl Peters, und dieser Eine gleiche ... dem ... Helden, der noch im Tode den Feind besiegt. So im Herzen und Sinn des deutschen Volkes weiterlebend wird er uns auch des deutschen Reiches verschwundene Herrlichkeit zurückgewinnen, ... diesmal nicht beschimpft und verleumdet, sondern geachtet und verehrt, ... So alleine aber kann auch das deutsche Volk nur sühnen, worin es gegen einen seiner Größten und Besten gefehlt ...!" [36]
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Der Symbolwert des Todes von Peters kurz vor Kriegsende wurde von den Anhängern des Kolonialhelden sofort erkannt und genutzt. Peters habe sein Ende vorausgeahnt und gleichzeitig das Ende des Kriegs. Er wurde mit den Worten zitiert: "Was soll ich noch auf dieser Welt? Deutschland will meine Mitarbeit nicht. Ich kann ruhig von hinnen gehen. Ich habe meine Arbeit getan. Das Einzige, für das ich noch leben möchte, ist meine Frau." [37] Über Peters Schicksal bot sich die Möglichkeit, die Schuldigen an der deutschen Misere, die in der Kriegsniederlage nur ihre Konsequenz gefunden habe, deutlich zu benennen und zur Umkehr aufzurufen. Die Darstellung des Lebenswegs von Carl Peters erscheint dabei wie bei Wissmann als vorweggenommene Dolchstoßlegende: Die Kritiker in der Heimat hätten nicht nur einen großen Deutschen geopfert, sondern mit ihren Protesten das Material geliefert, das nun die Engländer für ihre Dokumentationen vermeintlicher deutscher Kolonialgräuel nutzten, um den Deutschen die Kolonien abzunehmen.
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Im Denkmalkult setzten sich die Kontroversen um Peters fort. [38] Ein schon zu Lebzeiten gefertigtes bronzenes Standbild – es zeigte Peters überlebensgroß, mit Tropenhelm, leicht auf ein Schwert gestützt, wachsam in die Ferne blickend –, das wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr wie vorgesehen in Daressalam zur Aufstellung kam, wurde ebenfalls von den Briten zurückgegeben und sollte wie das Wissmann-Denkmal in Hamburg wiedererrichtet werden. Das führte zu massiven Kontroversen. Schließlich kam das Denkmal im Juni 1931 in Helgoland an der Kurpromenade zur Aufstellung. Der Standort war zwar prominent, aber nicht zentral und schlecht zugänglich. Ein weiteres Peters-Denkmal, ein Findling mit Inschrift, wurde 1931 vor Peters' Geburtshaus in Neuhaus errichtet. Wieder waren neben örtlichen Honoratioren vor allem die kolonialen Interessenverbände sowie Vertreter des Stahlhelms, der Kriegervereine und der NSDAP zugegen. Das Reich fehlte erneut.
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In der NS-Zeit nahm der Peters-Kult einen beträchtlichen Aufschwung. So entstand 1935 ein weiteres Peters-Denkmal, diesmal in Hannover, an der Einweihung nahmen auch höherrangige Vertreter von Staat und Partei teil. An den Denkmälern fanden sich nun die Aktivisten der kolonialrevisionistischen Bewegung zu Gedenkfeiern zusammen. Peters wurde dabei als früher Vertreter völkischen Gedankenguts geehrt, den man im Kaiserreich nicht verstanden habe, den Zentrum, Judentum und "die Vertreter des marxistischen Systems mit allen Mitteln bekämpften". Peters stehe unter den Kolonialheroen, auch im Vergleich mit Wissmann, "völlig einzigartig und auch völlig einsam da", denn er allein habe "eine große kolonial- und weltpolitische Konzeption in sich getragen". Dabei wurden problematische Charakterzüge angedeutet, doch gleichzeitig überhöht: "mancherlei in seinem Wesen wie in dem Wesen aller genialen Naturen war geeignet, das bürgerliche Mittelmaß zu erschrecken". Doch sei Peters "der Knecht einer großen Mission, eines überpersönlichen Werkes gewesen, der Diener eines imperialen Traumes, für den er lebte und an dem er starb. Nur diesen Naturen gibt die Geschichte die Unsterblichkeit." [39] Freilich konnte diese Heroisierung nicht verbergen, dass die Nationalsozialisten Peters wie Wissmann nicht mehr ehrten, um im Sinne der Kolonialbewegung an eine afrikanische Aufgabe zu erinnern, sondern ihn bloß noch als Symbol in ihr Heldenpantheon eingliederten und damit endgültig der Geschichte übereigneten. Es war daher folgerichtig, dass die mit dem Ende des NS-Regimes 1945 als Symbole desavouierten Kolonialhelden in der kollektiven Erinnerung vollends marginalisiert wurden und im deutschen Gedächtnis weitgehend ausgelöscht schienen.
Der Kult um die Kolonialheroen und das nationale Gedächtnis
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Die nicht sehr große Zahl an prominenten deutschen Kolonialkämpfern erlaubt keine Typisierungen des Totenkults. Dennoch lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen, wenn auch keiner eine dem Wissmann- und Peters-Kult vergleichbare Zahl an Nachrufen und Denkmälern erreicht hat.
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Gemeinsam war vielen der in Deutschland bekannteren Kolonialheroen schon, dass sie gerade nicht im Kampf gestorben waren. Der Tod von Wissmann durch eigene Kugel und der Tod von Peters im Kurheim stellten nur besonders traurige Beispiele des verpassten Heldentodes dar. Der Kameruner Major Hans Dominik, ein als rücksichtslos bekannter, in der Kolonialbewegung verehrter, in der deutschen Öffentlichkeit umstrittener Offizier, starb 1910 bei der Rückkehr aus Afrika auf dem Schiff an einer Tropenkrankheit. [40] Andere wie Paul von Lettow-Vorbeck, der letzte Kommandeur der Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika, schon zu Lebzeiten mythenumrankt als heroischer Verteidiger Deutsch-Ostafrikas im Weltkrieg, überlebten noch das Jahr 1945 und starben erst in einer Zeit, die für Helden weniger übrig hatte. Indem man freilich die Krankheit von Wissmann, Peters oder Dominik als Folge von Kolonialkampf und mangelnder Unterstützung aus der Heimat interpretierte, konnte man den Tod dann doch wieder als Opfertod darstellen.
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Keiner der Kolonialheroen erhielt ein Staatsbegräbnis. Sie mussten sich mit militärischen Ehren lokaler Einheiten und der Würdigung durch kommunale Honoratioren begnügen. Die kolonial-militärische Partialkultur blieb weitgehend unter sich. Bei den Begräbnisfeiern wurde im übrigen auf den kulturnationalen Kanon zurückgegriffen. Betont wurde das Natürliche der Grabanlage, quasi als Gegensatz zu zivilisatorischer Künstlichkeit. Die Kolonialhelden verkörperten das eigentliche, ursprüngliche, unverfremdete Deutschtum. Sie wurden dabei stilisiert in ihrer besonderen Funktion für Nation und Volk: Sie verbanden heroische Einsamkeit mit nationaler Verpflichtung. In diesem Sinn waren sie Kern der Nation, oft unverstanden, doch konsequent und unbeirrbar. Angesichts der großen Herausforderung und der vielen Feinde waren sie zwar nicht frei von Fehlern, doch aufrichtig und guten Willens; gern wurde in diesem Zusammenhang der Begriff der Tragik verwendet. Unvermeidbar war dabei die Verbindung des kraftvollen Helden mit dem warmherzig-geselligen Freund und Familienmensch: "In dem harten Kriegs- und Waidmann lebte ... ein feines, geistvolles, oft weiches Gemüt", hieß es über Dominik. [41]
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In dem Gedenkkult wurde die Eroberung Afrikas als Werk großer Männer dargestellt, die, bloß von Forschergeist, Mut, Tatkraft und nationaler Gesinnung vorangetrieben, fremdes Land für das Reich erobert, sich gegen Natur und Feinde durchgesetzt hätten. Auf die Zeit der Pioniere, die Heldenzeit, sei allerdings die Zeit der Bürokraten und Politiker gefolgt, die das große Werk zu verspielen begonnen hätten. Die wahre Bedrohung für die Kolonialhelden lag in dieser Sicht nicht in der eingangs angeführten "Feindseligkeit der Elemente oder der Menschen" im "dunklen Weltteil", sondern in Berlin. So hieß es über Peters: "Durch die Lanzen der Massais und durch die Giftpfeile der Warombos war er heil gegangen. Aber den Giftpfeilen der deutschen Parteimänner und den Lanzen der Geheimräte und Juristen ist er erlegen." [42]
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Die Ehrung der Kolonialhelden war in diesem Sinn zugleich verbunden mit Rechtfertigung und Schuldzuweisung. Daher riefen die verstorbenen Kolonialheroen, bzw. an ihrer Statt die Sachwalter ihres Gedenkens, die Nation zum Handeln auf. Es gelte, den Dolchstoß in den Rücken der Kolonialkämpfer sühnend wieder gutzumachen, das koloniale Werk wiederaufzugreifen und zu vollenden. So erschienen die Totenehrungen allenfalls oberflächlich als Instrument der nationalen Integration, viel eher und zunehmend aber als Ausdruck der partialkulturellen Absonderung. Der koloniale Heldenkult schweißte die Kolonialinteressierten zusammen und bot die Möglichkeit, die eigene Position immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. So blieb er schon vor 1914, aber ebenso nach 1918 vornehmlich die Sache einer kleinen exklusiven Gemeinschaft. Diese sah im Bild ihrer Heroen kommendes Führertum aufscheinen, das auch dem eigenen Wirken einen angemessenen Rang in der nationalen Heldengeschichte einräumen werde. Freilich lenkten die Nationalsozialisten die kolonialrevisionistische Propaganda so erfolgreich um, dass das Schlagwort vom 'Volk ohne Raum', das auf den Titel eines kolonialrevisionistischen Romans von Hans Grimm aus dem Jahr 1926 zurückging [43], bald ausschließlich auf den europäischen Osten bezogen wurde.
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Am Ende gingen die Kolonialpioniere nicht tiefer in das kollektive Gedächtnis der Deutschen ein und überdauerten das Jahr 1945 kaum. Nur in marginalen kolonialen Traditionsvereinen wurde ihrer noch gedacht. Allein antiimperialistisch motivierte Proteste gegen symbolische Hinterlassenschaften der Kolonialzeit erinnerten seit den 1960er Jahren wieder an sie, wenn auch ohne nachhaltige Wirkung, wie sich an den eingangs erwähnten 'Deutschen Erinnerungsorten' aus dem Jahr 2001 ablesen lässt. Paradoxerweise könnte es erst die jüngst anwachsende Beschäftigung mit der kolonialen Kultur sein [44], die die Kolonialpioniere wieder ins öffentliche Bewusstsein ruft, sie damit ins kollektive Gedächtnis integriert und somit – nolens volens – die Mythen revitalisiert, die zu analysieren sie angetreten ist.
Anmerkungen
[1] Zitiert nach: Alexander Becker u.a.: Hermann von Wissmann. Deutschlands größter Afrikaner, 5. vermehrte und verbesserte Aufl., Berlin 1914, 564.
[2] Etienne François / Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001. Auch ein eigener Artikel zu den Kolonien oder gar zum Herero-Nama-Aufstand (1904-1907) findet sich hier nicht. Knappe Verweise auf die deutsche Kolonialgeschichte nur in: Hans Voges: Das Völkerkundemuseum, ebd., Bd. 1, 304-321, hier: 314-315.
[3] So der Untertitel von Becker: Wissmann. Zur Biographie Wissmanns neben diesem Gedenkwerk die weitere kolonialrevisionistische Literatur: Heinrich Schnee (Hg.): Deutsches Koloniallexikon, Leipzig 1920, Bd. 3, 721; Rochus Schmidt: Hermann von Wissmann und Deutschlands koloniales Wirken, Berlin [1925]; Oskar Karstedt: Hermann v. Wißmann. Der Mann des zwölffachen Verstandes, Berlin o.J.; ferner die Nachrufe unten Anm. 6.
[4] So Becker: Wissmann, 573.
[5] Zitiert nach ebd., 567-569, 572.
[6] Nachrufe auf Wissmann: Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, Bd. 10, Berlin 1907, 139-148 (Viktor Hantzsch); Grenzboten 65 (1906), 82-91, 138-146 (Eugen Wolf); Zeitschrift für Schulgeographie 26 (1905)/ 11/12, 321-328 (E. Oppermann); Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur 22 (1905)/ Nr. 39, 613-615 (S. Günther); Deutsche Kolonialzeitung 22 (1905)/ 26, 253-254; Deutsches Kolonialblatt 16 (1905)/ 13, 401-402; Koloniale Zeitschrift 6 (1905)/ 14, 237-238 (A. Herfurth); Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 88 (1905)/ 5, 81-82 (Sg.); Illustrierte Zeitung (1905)/ Nr. 3234, 955, 968-970 (J. P.); Geographische Zeitschrift 11 (1905), 415-416; ebd. 12 (1906), 12-20 (Alfred Kirchhoff); Geographen-Kalender 4 (1906/1907), 254-256; Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik 27 (1905)/ 11, 518-520; Archiv für Post und Telegraphie (1905)/ 16, 530-534; Leopoldina. Mitteilungen der Deutschen Akademie der Naturforscher 41 (1905)/ 7, 71; Le Mouvement géographique. Journal populaire des Sciences géographiques, organe des intérêts belges au Congo, 22 (1905)/ 26, Sp. 307-309 (A.-J. W.); Bulletin de la Société Royale Belge de Géographie 29 (1905)/ 3, 240; La Belgique coloniale 11 (1905)/ 26, 307; Annales de géographie 14 (1905)/ 78, 464-465; The Geographical Journal 26 (1905)/ 2, 227-230 (E. G. R.).
[7] Globus, 81.
[8] Becker: Wissmann, 573.
[9] Zu den Wissmann-Denkmälern: Joachim Zeller: "Deutschlands größter Afrikaner". Zur Geschichte der Denkmäler für Hermann von Wißmann, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 44 (1996), 1089-1111. Generell zu Kolonialdenkmälern: ders.: Kolonialdenkmäler und Geschichtsbewußtsein. Eine Untersuchung der kolonialdeutschen Erinnerungskultur, Frankfurt/Main 2000.
[10] Zitiert nach: Becker: Wissmann, 584.
[11] Vgl. Winfried Speitkamp: Kolonialherrschaft und Denkmal. Afrikanische und deutsche Erinnerungskultur im Konflikt, in: Wolfram Martini (Hg.): Architektur und Erinnerung, Göttingen 2000, 165-190, hier: 177.
[12] Zum Denkmal in Daressalam neben Zeller: Afrikaner, 1094-1095, auch Speitkamp: Kolonialherrschaft, 168-169.
[13] Becker: Wissmann, 593.
[14] Ebd., 595.
[15] Ebd., 597.
[16] Ebd.
[17] Prägend: Heinrich Schnee: Die koloniale Schuldlüge, 2. Aufl., München 1927. Die attackierende kolonialrevisionistische Position war oft gekoppelt mit kolonialidyllischen Rückblicken. Aus der Fülle des zeitgenössischen Schrifttums siehe u.a.: Hans Zache (Hg.): Das deutsche Kolonialbuch. Unter dem Protektorat des Kolonialkriegerdanks, Berlin 1925; Unvergessenes Heldentum. Das Kolonisationswerk der deutschen Schutztruppe und Marine. Ein Gedenkbuch, hg. vom Präsidium des Deutschen Kolonialkrieger-Bundes, Berlin o. J.; Willy Bolfinger / Hans Rauschnabel (Hg.): Jambo Watu! Das Kolonialbuch der Deutschen, Stuttgart 1927.
[18] Vgl. Speitkamp: Kolonialherrschaft, 183.
[19] Walter Frank: Carl Peters, in: Carl Peters: Gesammelte Schriften, Bd. 1, München 1943, 1-12, hier: 4.
[20] Zitiert nach: Hans Traugott Schorn: Dr. Carl Peters. Ein Lebensbild, Großenwörden bei Hamburg [1920], 101. Zur Biographie Peters': Schnee: Koloniallexikon, Bd. 3, 40; Wer ist's?, VII. Ausgabe, Leipzig 1914, 1256; ferner die Nachrufe unten Anm. 26.
[21] Zu Wissmann: Globus, 82. Zu Peters: Nachruf in: Deutsche Kolonialzeitung 35 (1918)/ 10, 146-147 (Hans Zache), hier: 146.
[22] Schorn: Peters, 89.
[23] Ebd., 88.
[24] Ebd.
[25] Ebd., 89-90.
[26] Nachrufe auf Peters: Frankfurter Zeitung 63 (1918)/ 253 (12.9., Morgenblatt); Illustrierte Zeitung 152 (1918)/ 3925, 298; ebd., Nr. 3926, 330 (Karstedt); Gartenlaube (1918), 521-522 (Paul Leutwein); Deutsches Biographisches Jahrbuch. Überleitungsband II: 1917-1930, Stuttgart 1928, 285-298 (Heinrich Schnee); Deutsche Kolonialzeitung; Koloniale Rundschau 18 (1918)/ 9/10, 297-301; Petermanns Geographische Mitteilungen 64 (1918), 227-228; Geographischer Anzeiger 19 (1918), 249-250; Sozialistische Monatshefte 24 (1918)/ 51, II, 987-991.
[27] Zu den Kolonialreformen das Programm des Staatssekretärs des Reichskolonialamts: Bernhard Dernburg: Zielpunkte des deutschen Kolonialwesens, Berlin 1907.
[28] Koloniale Rundschau.
[29] Gartenlaube.
[30] Schorn: Peters, 90.
[31] Ebd., 87.
[32] Walter Frank: Vorwort, in: Peters: Schriften, Bd. 1, V-VIII, hier: V.
[33] Schorn: Peters, 88.
[34] Deutsche Kolonialzeitung, 147.
[35] Schorn: Peters, 92.
[36] Ebd., 103-104. Das Sühnemotiv (das deutsche Volk habe gegen Peters Schuld auf sich geladen und müsse dies nun in der Kriegsniederlage büßen), findet sich in den Nachrufen häufiger, so auch in: Deutsche Kolonialzeitung.
[37] Zitat bei Schorn: Peters, 87.
[38] Zu den Peters-Denkmälern: Joachim Zeller: "... sein Wirken und der Gedenkstein sind umstritten". Die Denkmäler für Karl Peters im Geschichtsunterricht, in: GEP – Geschichte, Erziehung, Politik 8 (1997)/ 6, 363-367.
[39] Frank: Peters, 4, 6-9, 12.
[40] Zur Biographie Dominiks (1870-1910): Schnee: Koloniallexikon, Bd. 1, Leipzig 1920, 471; zudem die wiederum heroisierende Darstellung: Erich Rob. Petersen: Hans Dominik. Kameruns großer Soldat, Berlin 1941; ferner die Nachrufe: Deutsches Kolonialblatt 22 (1911)/ 4, 8; ebd., 116-120 (v. Engelbrechten); Deutsche Kolonialzeitung 27 (1910), 869-898 (Ramsay); Geographen-Kalender 9 (1911), 260-261.
[41] Deutsches Kolonialblatt, 119.
[42] Frank: Peters, 10.
[43] Dazu jetzt: Annette Gümbel: "Volk ohne Raum". Der Schriftsteller Hans Grimm zwischen nationalkonservativem Denken und völkischer Ideologie, Darmstadt 2003.
[44] Vgl. als Beispiel: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002.

Autor:
Prof. Dr. Winfried Speitkamp
Justus-Liebig-Universität Gießen
Historisches Institut – Neuzeit I
Otto-Behaghel-Str. 10 C
35394 Gießen
winfried.speitkamp@geschichte.uni-giessen.de

Empfohlene Zitierweise:

Winfried Speitkamp: Der Totenkult um die Kolonialheroen des Deutschen Kaiserreichs, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 1 [09.06.2004], URL: <http://zeitenblicke.historicum.net/2004/01/speitkamp/index.html>

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