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Anette Baumann
Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit
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Welche Konflikte der frühneuzeitlichen Gesellschaft führten zu Klagen am Reichskammergericht und am Reichshofrat? Wie waren die Richter organisiert und nach welchen Rechtsnormen urteilten sie? Warum wurden Landkarten in Prozessverfahren angefertigt? Was sagen Zeugenverhöre über das Wissen der Menschen aus?
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Dies ist nur ein Bruchteil der Fragen, die sich aus der Erforschung mit den beiden höchsten Gerichten im Reich ergeben. Die überaus zahlreichen erhaltenen Akten sowie ein umfangreicher Bestand an zeitgenössischer Entscheidungsliteratur bieten den historischen Wissenschaften über das enge Feld der Rechts- und Verfassungsgeschichte hinaus ein faszinierendes, noch weithin ungenutztes Betätigungsfeld. Das Spektrum der bisherigen Arbeiten reicht von normengeschichtlichen Untersuchungen zum frühneuzeitlichen Prozessrecht über quantitative Annäherungen an die Gerichtspraxis bis hin zu minutiösen Detailstudien einzelner Prozesse. Auch sozial- und mentalitätsgeschichtliche Forschungen nutzen zunehmend das reichhaltige Quellenmaterial. Trotz dieser Anstrengungen und einer mittlerweile guten Erschließung der Reichskammergerichtsakten sind noch immer viele Aspekte der obersten Gerichtsbarkeit im Alten Reich unklar, und hinsichtlich des Reichshofrats und seiner Tätigkeit steckt die historische Aufarbeitung weiterhin in den Anfängen.
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Das 1996 gegründete Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit will deshalb Ansprechpartner für Archivare und Nachwuchswissenschaftler sein, die im weitesten Sinne über die Reichsgerichte und ihre Rechtsprechung arbeiten bzw. Gerichtsakten als Quellen benutzen. Ziel ist es, die laufenden Forschungen zu vernetzen und den Austausch über die Fächergrenzen hinweg zu fördern. Seit 1998 besteht eine enge Kooperation mit der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e. V. in Wetzlar. 1999 veranstaltete das Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung ihre erste gemeinsame Nachwuchstagung, deren Ergebnisse in dem Sammelband "Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich" vorliegen. Eine weitere Nachwuchstagung des Netzwerks Reichsgerichtsbarkeit im April 2001 war dem Thema "Das Reichspersonal der Frühen Neuzeit. Ausbildung, Funktion, Karrieren" gewidmet. Die Tagungsergebnisse liegen seit kurzem in dem Band "Reichspersonal. Funktionsträger des Reiches" vor. Im Frühjahr 2003 veranstalteten wir eine Tagung zum Thema "... zu richten nach des Reichs gemeinen Rechten. Höchstrichterliche Rechtsprechung im Alten Reich". Die positive Resonanz auf die Veranstaltungen hat gezeigt, dass ein großer Bedarf nach Austausch von Forschungsergebnissen zur Reichsgerichtsbarkeit besteht. Daher sind weitere Nachwuchstagungen im Abstand von zwei Jahren geplant.
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Wer über die Reichsgerichte forscht, die Gerichtsakten nutzt oder Auskünfte über die Reichsgerichtsbarkeit benötigt, ist herzlich eingeladen, mit uns Kontakt aufzunehmen. Interessierte können sich an Dr. Anette Baumann (Wetzlar), PD Dr. Siegrid Westphal (Jena), Dr. Stephan Wendehorst (Leipzig) oder Dr. Anja Amend (Frankfurt/M.) wenden.

Kontaktadresse:
Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e.V., Wetzlar
Rosengasse 16
35578 Wetzlar
Tel.: 06441/99-4162
Fax: 06441/99-4164
E-Mail: forschungsstelle@reichskammergericht.de
Homepage: www.reichskammergericht.de
Call for Papers
4. Tagung des Netzwerks Reichsgerichtsbarkeit im Frühjahr 2005 in Wetzlar
Gerichtslandschaft Altes Reich?
Zur Konturierung des römisch-deutschen Reichs als einheitlichem Rechtsraum durch die Reichsgerichtsbarkeit
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Ausgangspunkt der 4. Tagung, die das Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung vom 7.-8. April 2005 in Wetzlar veranstaltet, ist die Frage, inwieweit das Alte Reich als einheitliche Gerichtslandschaft betrachtet werden kann und welche Rolle den beiden obersten Reichsgerichten bei deren Konturierung zukam. Hatte die ältere Forschung mit der Untersuchung territorialer Rechts- und Gerichtslandschaften die Desintegration des römisch-deutschen Reichs als Rechtsraum akzentuiert, betont die neuere Forschung auch die integrativen Tendenzen. Zu den bedeutsamsten zählt die Klammerfunktion der beiden obersten Reichsgerichte für den Rechtsraum des Alten Reichs. Diese soll im Mittelpunkt der geplanten Tagung stehen.
Zum Tagungsthema
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Die Rolle, die Reichshofrat und Reichskammergericht bei der Vereinheitlichung des Alten Reichs als Rechtsraum spielten, soll auf vier Ebenen untersucht werden, erstens der von Recht und Rechtsprechung, zweitens der der Organisation, drittens der des Verhältnisses zu anderen Institutionen des Reichs und viertens der des Personals.
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An erster Stelle wird nach der Bedeutung der beiden obersten Reichsgerichte für die Konturierung des Alten Reichs als Rechtsraum auf der Ebene von Recht und Rechtsprechung gefragt. In diesem Zusammenhang soll auch auf die Bedeutung alternativer und komplementärer Formen der Rechtspraxis eingegangen werden, wie sie etwa das Supplikations- und Gratialwesen und die Praxis der Privilegienbestätigung des Reichshofrats oder die Einbeziehung von Juristenfakultäten und Schöffenstühlen darstellten.
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Die Frage nach der Klammerfunktion der beiden höchsten Reichsgerichte stellt sich nicht nur aus der Untertanenperspektive, sondern kann auch von oben, aus der Perspektive der Reichsgerichte selbst gestellt werden. Auf die Verbreitung des Römischen Rechts durch die Rechtsprechung von Reichskammergericht und Reichshofrat ist oftmals hingewiesen worden. Im Zusammenhang mit ihren Entscheidungsgrundlagen rücken auch die territorienübergreifenden juristischen Wissensbestände des Reichsrechts und des Reichsherkommens sowie der juristischen Lehrbücher, Fallsammlungen und Gutachten als Untersuchungsgegenstände in den Blickpunkt des Interesses. Integration konnte auch durch die Anerkennung von Differenz, etwa durch die Anwendung von Partikularrecht in der Rechtsprechung der Reichsgerichte hergestellt werden.
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Stehen im ersten Abschnitt rechtliche Fragen im Vordergrund, sollen im zweiten Verfahren und Organisation untersucht werden. Aufschlussreich könnten vergleichende Untersuchungen zur Bedeutung der Reichsgerichtsbarkeit in Territorien mit mehrstufigem Instanzenzug und in Herrschaften mit einstufiger Gerichtsverfassung sein. Wie gelangten Prozesse vor das Reichskammergericht oder den Reichshofrat? Welcher Stellenwert kam den beiden obersten Reichsgerichten für die Justiznutzungsstrategien von Untertanen zu? Diesem Ansatz kann etwa durch Rekonstruktion der Prozessgeschichte eines Verfahrens nachgegangen werden, das mehrere Instanzen durchlief. Für die Beantwortung der Frage, inwieweit die Rechtsprechung von Reichshofrat und Reichskammergericht das Alte Reich insgesamt und nicht nur die reichsnahen Herrschaften als einen einheitlichen Rechtsraum konstituierte, sind gerade auch solche Fälle aufschlussreich, die trotz weitgehender Exemptionsprivilegien und trotz des Widerstandes der betroffenen Landesherren nach Wetzlar oder nach Wien gelangten. Gefragt werden kann auch nach der Vorbildfunktion, die Gerichtsorganisation und Prozessordnung der obersten Reichsgerichte reichsweit ausstrahlten. Anknüpfend an bereits existierende Studien, sind nicht nur die Höchstgerichte der mit weitgehenden Exemptionsprivilegien ausgestatteten Herrschaften wie den Kurfürstentümern, den habsburgischen Erblanden oder den Ländern der schwedischen Krone von Interesse, sondern auch andere Territorien, deren Rechtsprechung einen Instanzenzug aufwies.
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Drittens ist danach zu fragen, welche Rolle das Zusammenwirken von Reichskammergericht und Reichshofrat mit anderen Institutionen des Reiches für dessen Zusammenhalt spielte. Wie funktionierten Abgrenzung und Zusammenarbeit, etwa zwischen Reichshof- und Reichskammerfiskal - den "Staatsanwälten" des Reichs - und den beiden höchsten Reichsgerichten? Unter welchen Umständen wurde gegen Entscheidungen von Reichskammergericht oder Reichshofrat der Reichstag oder der Kaiser angerufen? In diesen Kontext gehört auch die Frage, in welchem Verhältnis richterliche und verwaltungsbehördliche Tätigkeit des Reichshofrats zueinander standen. Schließlich gilt es zu klären, inwieweit die höchsten Gerichte die Verbundenheit mit den Institutionen des Reichs, an erster Stelle des Kaisers als Quelle des Rechts und als oberstem Richter, beförderten und damit zu Kristallisationspunkten eines breitere Bevölkerungsschichten umfassenden Reichsbewusstseins wurden.
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Viertens, welche Bedeutung besaß die personale Besetzung des Reichskammergerichts und des Reichshofrats sowie der reichshofrätlichen Kommissionen für den Zusammenhalt des Reichs? Im Vordergrund des Interesses steht dabei nicht die Untersuchung von deren personaler Zusammensetzung unter sozialhistorischen Vorzeichen, für die es bereits eindrucksvolle Beispiele gibt. Vielmehr soll auf die Zusammenhänge zwischen Institution, Rechtsprechung und den an ihr beteiligten Personen eingegangen werden. Welchen Einfluss besaßen diesbezüglich Faktoren wie Ausbildungsstationen, Konfession oder Herkunft? Wurden, umgekehrt gefragt, partikulare Zugehörigkeiten und Wissensbestände durch die Einbindung in Institutionen wie das Reichskammergericht und den Reichshofrat auf einer imperialen Ebene aufgehoben bzw. transformiert? Kann das Personal der beiden höchsten Reichsgerichte als Vermittler zwischen Zentrum und Peripherie und somit als integrierende Klammer des Alten Reichs verstanden werden?
Themenunabhängiges Forum für Magister- und Dissertationsvorhaben
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Für die Tagung werden einmal Beiträge von Nachwuchswissenschaftlern zu dem oben skizzierten Thema erbeten. Zum anderen möchte das Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit auch an der bereits eingeübten Praxis festhalten, auf seinen Tagungen Nachwuchswissenschaftlern themenunabhängig ein Forum zur Präsentation laufender Forschungsvorhaben und Abschlussarbeiten zu geben.

Vorschläge für Referate einschließlich einer kurzen Zusammenfassung werden bis zum 15. Juli 2004 an die Leiterin der Forschungsstelle der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Frau Dr. Anette Baumann, erbeten, die unter folgender Adresse zu erreichen ist:

Dr. Anette Baumann
Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit
c/o Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung
Rosengasse 16
35578 Wetzlar
Tel. 06441-994161
Fax. 06441-994164
forschungsstelle@reichskammergericht.de

Dr. Anja Amend / Dr. Anette Baumann / Dr. Stephan Wendehorst / Prof. Siegrid Westphal

Autorin:
Dr. Anette Baumann M.A.
Leiterin der Forschungsstelle
der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung
Rosengasse 16
35578 Wetzlar
forschungsstelle@reichskammergericht.de

Empfohlene Zitierweise:

Anette Baumann: Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, [13.12.2004], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

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