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Florian Buch / Tassilo Schmitt
Die neuen Studiengänge und der Arbeitsmarkt.
Überlegungen zur Einführung der konsekutiven Studienstruktur in den Geisteswissenschaften
Abstract
Die Einführung der konsekutiven Studienstruktur schreitet auch in den Geisteswissenschaften voran. Gerade angesichts immer wieder geäußerter Skepsis mit Blick auf die neuen Studiengänge ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die bisherigen Magister- und Staatsexamensstudiengänge einen durchaus erheblichen Reformbedarf aufgewiesen haben. Lange Studiendauer, hohe Abbrecherzahlen und ein insbesondere auch von den Studierenden selbst monierter mangelnder Berufsfeldbezug sind hier vor allem zu nennen. Hier können die neuen Studiengänge zu erheblichen Verbesserungen führen. Vor allem die Berufsfeldbezogenheit kann und muss gestärkt werden. Studiengänge sollten bewusst geplant werden, wobei entscheidender Blickwinkel sein sollte, was die Funktion bestimmter Ausbildungsbestandteile mit Blick auf einen outputorientierten Lernzielkatalog ist. Die Integration der Vermittlung praxisorienterter Kompetenzen in die fachwissenschaftlich ausgerichteten Veranstaltungen ist dabei zentral. Wichtig sind aber auch eine entsprechende Dokumentation und ein entsprechendes Marketing geisteswissenschaftlicher Studiengänge. Dies und die Lösung der übrigen genannten Probleme der bisherigen Studiengänge sind nicht allein für die Absolventen von hoher Bedeutung, sondern auch für die Zukunft der geisteswissenschaftlichen Fächer an den Hochschulen. Ein Teil der Skepsis vor allem gegenüber dem Bachelor scheint zudem nicht unbedingt begründet: Erste Erhebungen zeigen, dass die neuen Studiengänge zu Abschlüssen führen, die vom Arbeitsmarkt akzeptiert werden.
Zur Lage
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Die Umstellung auf die konsekutiven Studiengänge in Deutschland schreitet voran. Mit Blick auf den Bologna-Prozess, der die Herstellung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes zum Ziel hat, haben die deutschen Hochschulen hier schon jetzt eine beträchtliche Reformleistung erbracht. [1] Hohem Engagement und einer beträchtlichen Kreativität stehen aber auch Skepsis und Verunsicherung gegenüber. Gerade auch im Bereich der Geisteswissenschaften gibt es beträchtliche Zweifel am Sinn der Einführung von Bachelor und Master und den hiermit verbundenen Veränderungen. Dabei wird die Diskussion über die neuen Studiengänge auch in den Geisteswissenschaften nicht selten so geführt, als sei ein bestens funktionierendes System ohne Not aufgegeben worden. Ob diese Annahme zutrifft, ist indes in hohem Maße fraglich. Auch wenn die bisherige Studienstruktur mit dem Abschluss Magister bzw. Staatsexamen und einer insgesamt sehr freien bzw. relativ unstrukturierten Gestaltung des Studiums durchaus ihre Stärken besitzt, hat sie auch ihre erheblichen Schwächen. Diese lassen sich sowohl in quantitativer, als auch in qualitativer Hinsicht feststellen. Dies soll in einem ersten Schritt verdeutlicht werden. Sodann sollen eine Reihe von Hinweisen für künftige Gestaltungen gegeben werden, wobei der Frage besondere Bedeutung zukommt, was getan werden kann, um die Etablierung von Absolventen auf dem Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Defizite der bisherigen geisteswissenschaftlichen Ausbildung
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Hinsichtlich der Studieninhalte ist von Studierenden bzw. Absolventen geisteswissenschaftlicher Studiengänge immer wieder auf erhebliche Defizite hingewiesen worden. Im Rahmen einer umfassenden Erhebung haben Frank Multrus, Tino Bargel und Bettina Leitow zusammenfassend festgestellt: "Studierende der Geisteswissenschaften vermissen rückblickend am meisten die Vermittlung von soliden wissenschaftlichen Basiskenntnissen und kommunikativen Schlüsselfähigkeiten, etwa zu fachübergreifendem Denken. Beklagt werden auch die fehlenden Beziehungen zum Beschäftigungssystem und eine mangelhafte Berufsorientierung des Studiums." [2] Zwar wünschen sich nicht nur Geisteswissenschaftler, sondern auch die Absolventen anderer Fachrichtungen im Nachhinein bessere Arbeitsmarktchancen. Eine deutliche Sprache spricht aber die Tatsache, dass dieser Wunsch von 67 aller Geisteswissenschaftler und sogar 69 Prozent der Historiker geäußert wird, während es im Durchschnitt aller Fächer lediglich 51 Prozent sind. Immerhin 55 Prozent der Geisteswissenschaftler wünschen sich ganz ausdrücklich, dass ihr Studium einen stärkeren Praxisbezug gehabt hätte. Gefordert werden zudem kleinere Lerngruppen und eine bessere Betreuung. Soweit zunächst zu einigen Bewertungen aus der Sicht von Absolventen geisteswissenschaftlicher Fächer.
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Auch die quantitativen Daten zeigen deutlich, dass die bisherige Ausbildung von Geisteswissenschaftlern erhebliche Defizite aufgewiesen hat. Neben einer durchschnittlichen Studiendauer von 12 Semestern, die an manchen Orten noch einmal beträchtlich übertroffen wird, sind es vor allem hohe Abbrecherquoten, die die strukturellen Probleme dieser Studiengänge zeigen. [3] Den Diagnosen der mangelnden Berufsfeldorientierung entsprechend, ist die Etablierung der Absolventen auf dem Arbeitsmarkt oftmals langwierig und von erheblichen Frustrationserfahrungen begleitet. [4] Nüchtern hat Martin Spiewak in der Wochenzeitung DIE ZEIT mit Blick auf Absolventen von Magisterstudiengängen festgestellt: "Einen Einstieg in einen Beruf außerhalb von Schule und Hochschule bietet dieser Abschluss nicht". [5] Dabei könnte man noch anmerken, dass es für Absolventen von Magisterstudiengängen auch mit dem Einstieg in die Schullaufbahn seine erheblichen Schwierigkeiten hat. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Studiendauer, Studienerfolgsquote und mangelnder Praxisbezug es sind, die einen Umbau der bisherigen Ausbildung rechtfertigen.
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Auf Kritik dieser Art wird gleichwohl nicht selten mit Reaktionsmustern geantwortet, die Besorgnisse wecken müssen. So wird nicht selten darauf beharrt, dass doch alles in Ordnung sei und sich über Jahrzehnte bewährt habe. Eine Kritik an der mangelnden Berufsfähigkeit der Absolventen wird mit Kritik an einer wissenschaftlich anspruchsvollen Ausbildung gleichgesetzt und es wird in hochschulpolitischer Hinsicht darauf verwiesen, dass die Geisteswissenschaften als Verwalter des kulturellen Erbes unserer Gesellschaft über die Rechtfertigung ihrer Existenz und über die Begründung einer Beanspruchung von Ressourcen erhaben seien. Überzeugen können diese Reaktionsmuster indes nicht. [6] Sie sind weder den Absolventen gegenüber, noch in Hinblick auf die Zukunft der eigenen Wissenschaft von Verantwortlichkeit gekennzeichnet.
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Angesichts knapper Kassen und steigender Leistungsorientierung im Wissenschaftsbereich kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass die Geisteswissenschaftler der Rechtfertigung ihrer Existenz und der Sicherung und Verbesserung der Qualität ihrer Angebote enthoben seien. Die 'Gefahren' liegen nicht nur in der immer wieder beklagten abnehmenden Deutungsmacht der Geisteswissenschaften in der Gesellschaft, sondern sie liegen auch im schlechten Abschneiden der Geisteswissenschaften mit Blick auf jene Steuerungssysteme, die derzeit an den Hochschulen etabliert werden, und die sehr genau nach den Ergebnissen von Ressourceninvestitionen fragen. Die Zahlen der Studierenden, der Studierenden in der Regelstudienzeit und der Absolventen etwa sind wichtige Bestandteile zeitgemäßer Steuerungsmodelle und es ist nicht auszuschließen (und wäre ja auch fraglos sinnvoll), dass auch der Absolventenverbleib in wachsendem Maße in die Leistungsbewertung einbezogen werden wird. Gerade mit Blick auf künftige Studiengebühren und eine einkommensabhängige Darlehensrückzahlung wird dieser Frage noch einmal eine ganz neue Bedeutung zukommen.
Die Ziele der Reform
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Mit der Frage, wie eine verbesserte Studienstruktur aussehen sollte, hat sich auch der Wissenschaftsrat lange und intensiv auseinandergesetzt. [7] Im Rahmen seiner Empfehlungen zur Umstellung auf die konsekutive Studienstruktur hat er hierfür eine Reihe von Ansprüchen formuliert. Er empfiehlt:

- stärkere Differenzierung der Studiengänge;
- besser strukturierte Curricula;
- neue Formen des Lernens und Lehrens;
- stärkere Integration von Schlüsselqualifikationen;
- Erhöhung der fächerübergreifenden Lehrangebote;
- Verstärkung der integrierten Auslandsstudien;
- stärkere Betonung praktischer Studienphasen.
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Diese Ziele werden nicht alleine vom Wissenschaftsrat als wichtig angesehen. Sondern es haben zum Beispiel auch die Juroren eines Wettbewerbs des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft Studiengänge dann als besonders gut beurteilt, wenn sie Transdisziplinarität, Internationalität, Strukturiertheit, Straffheit, Übertragbarkeit und eine klare Beschreibung der Berufsfeldbezogenheit aufweisen. [8] Für diese Ziele sprechen einerseits Gründe des Praxisbezugs und der Erhöhung der Flexibilität von Absolventen, sodann aber zumindest zum Teil auch wissenschaftstheoretische Argumente. So sieht der Konstanzer Wissenschaftsphilosoph Jürgen Mittelstraß die Rolle der Geisteswissenschaften in der 'Universität der Zukunft' als von ihrer Fähigkeit abhängig an, fachliche Partikularitäten zu durchbrechen und zu einem problemorientierten Verständnis der untersuchten Phänomene zu gelangen. Innovation, so erläutert er, verlange Interdisziplinarität. [9] Dabei ist der Zusammenhang zwischen Praxis- und Problemorientierung nicht nur mit Blick auf die Wissenschaft von Interesse, sondern wäre auch aus Sicht der 'Betroffenen' erwünscht. So haben Studierende verschiedener Fachrichtungen im Rahmen eines vom Centrum für Hochschulentwicklung veranstalteten Workshops verdeutlicht, wie sie sich einen engeren Zusammenhang von Praxis- und Problemorientierung vorstellen, und welches aus Ihrer Sicht hierzu geeignete Lehr- und Lernformen sein könnten. Auch sie wollen, dass sich das Angebot an Lehrveranstaltungen verstärkt nach der so ausgerichteten Nachfrage richtet. [10]
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Aber mehr noch: Es geht im Zuge der Einführung der konsekutiven Studiengänge auch darum, die betreffenden Disziplinen überlebens- und zukunftsfähig zu machen. Ziele sind dabei nicht nur das Abstellen von Defiziten und 'Gefahrenabwehr'. Hinzu kommen die übrigen Anliegen der Einführung der konsekutiven Studienstruktur, die als Chancen begriffen werden sollten: die internationale Anschlussfähigkeit der Studiengänge durch international anerkannte Abschlüsse und ein international kompatibles Leistungspunktesystem, die Modularisierung von Studieninhalten, die Verbesserung der Betreuungsverhältnisse, die Stufung der Studiengänge zur flexibleren Gestaltung von Berufs- und Ausbildungsbiographien im Sinne des Leitbildes eines "lebenslangen Lernens". Auch eine Entschlackung und Aktualisierung der Lehrpläne und Studienordnungen erscheint möglich.
Chancen und Risiken
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Der Wissenschaftsrat hat aber nicht nur die qualitativen Defizite im Bereich der geisteswissenschaftlichen Fächer relativ umfassend adressiert, er hat zugleich implizit verdeutlicht, welche Chancen diese Fakultäten besitzen, wenn sie die Umstellung auf die konsekutive Studienstruktur zu einer umfassenden Reform nutzen. Eine verstärkte Planung und Strukturierung kann im Bereich der Bachelor- und der Masterphase zu einer Senkung der Abbrecherquoten beitragen, und zwar insbesondere dann, wenn ein studienbegleitendes Prüfungswesen konsequent verwirklicht wird. Interdisziplinarität kann außer der Lehre auch der Forschung neue Impulse geben. Zudem kann die Neugestaltung von Studiengängen zu einer neuen inhaltlichen Kohärenz des Curriculums führen, für die die Verantwortung bislang bei dem bzw. der einzelnen Studierenden gelegen hat. Die Modularisierung von Studieninhalten erfordert dabei, dass die Lehrenden sich nicht als 'Einzelkämpfer', sondern als 'Mannschaftsspieler' verstehen sollen, was Ihnen nicht nur bei der Planung der Lehre neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen dürfte.
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Kein Licht ohne Schatten: Auch gewisser Risiken bei der Umstellung auf die gestuften Studiengänge sollte man sich bewusst sein, um ihnen entgegensteuern zu können. So droht durchaus die Gefahr, dass Bachelorstudiengänge zu einem 'Studium light' im Vergleich zur bisherigen wissenschaftlichen Ausbildung werden, wenn nicht eine tatsächliche Neukonzeption, eine wirkliche Straffung und Fokussierung jeweils klar zu bestimmender Kerninhalte mit der Verkürzung der Studiendauer Hand in Hand geht. Mit einer bloßen Umetikettierung der bisherigen Zwischenprüfung in eine Bachelorprüfung ist dies natürlich nicht zu schaffen. Eine konsequente Verwirklichung der Leitidee der konsekutiven Studienstruktur ist hierzu erforderlich. Dabei ist das Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit der Reduktion von Studieninhalten einerseits und von einer zunehmenden inhaltlichen Komplexität und Entgrenzung andererseits gerade im Bereich der Geschichtswissenschaft deutlich erkennbar. 'Exemplarisches lernen' ist indes kein neuer Anspruch, sondern war schon immer erforderlich, um der Fülle Herr zu werden. Unterschiedlich profilierte Angebote können unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund rücken.
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Eine tatsächlich durchdachte strukturelle und inhaltliche Planung der Studiengänge erfordert zudem, dass ihnen definierte Lern- und Ausbildungsziele gegeben werden müssen. Eine solche umfassende Formulierung der Ziele ist gerade für die Geisteswissenschaften besonders wichtig, aber auch besonders neuartig und daher anspruchsvoll. Die Verkürzung der Studiengänge bringt aber noch andere Schwierigkeiten mit sich. Die Straffung senkt zwar Abbrecherquoten und Studienzeit, kann aber natürlich auch zum Verlust von Freiräumen führen, die bisher zum Fremdsprachenerwerb, für Praktika oder für Auslandsaufenthalte genutzt werden konnten. Dieses Risiko lässt sich nicht von der Hand weisen, es ist aber fraglich, ob der Erhalt dieser Möglichkeiten tatsächlich eine erheblich längere Regelstudienzeit rechtfertigen würde. Wichtiger wäre es wohl, erweiterte Möglichkeiten für ein Teilzeitstudium zu schaffen und angemessene Beurlaubungsregelungen zu entwickeln. Zu prüfen ist auch, in welchem Umfang diese Elemente in den fachlichen Teil des Studiums bzw. in den der General Studies integriert werden können. Durch solche Flexibilisierungen ließe sich auch mit der konsekutiven Studienstruktur der erforderliche Freiraum für diese und andere Aktivitäten schaffen, etwa solche im Bereich der akademischen Selbstverwaltung oder des außerhochschulischen Engagements.
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Auch für die Erfassung individueller Leistungen weist die Umstellung auf Bachelor und Master mit der Einführung studienbegleitender Prüfungen und eines Leistungspunktesystems prinzipiell in die richtige Richtung. Sich nicht mehr an der Zahl der Veranstaltungsstunden, den Semesterwochenstunden, zu orientieren, sondern am Arbeitsaufwand, der mit dem Besuch der jeweiligen Veranstaltung verbunden ist, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Auch wenn es mit der Abschätzung des Arbeitsaufwandes gegenwärtig vielfach noch Probleme gibt, weil nicht selten eine Über- oder Unterforderung der Studierenden entsteht, kann dieses Praxisproblem sicherlich durch verbesserte Mechanismen der Planung und der Abstimmung unter Einbeziehung der Studierenden gelöst werden. Ein nächster Schritt sollte die Ausdehnung bzw. Anpassung dieses sog. Workload-Modells auf die Lehrverpflichtung sein.
Berufsfeldorientierung - eine neue Herausforderung
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Ein zentrales Problem der Geisteswissenschaften mit Blick auf den Arbeitsmarkt liegt bislang in ihrer unklaren bzw. außerordentlich einseitigen Berufsfeldorientierung. Ein wenig überspitzt gesagt, ist der Zuschnitt der bisherigen Studiengänge nahezu ausschließlich am Berufsbild des Hochschullehrers bzw. allenfalls noch des 'normalen' Lehrers orientiert. Während die Vermittlung fachwissenschaftlicher Inhalte und Methoden einen hohen Stellenwert hat, bleiben andere Berufsfelder - die schließlich einen beträchtlichen Teil der Absolventen aufzunehmen haben - oftmals ausgeblendet. Es entspricht derzeit, so wird man wohl sagen müssen, auch nicht dem Selbstverständnis vieler Hochschullehrer in den Geisteswissenschaften, wenn sie sich klarmachen müssen, dass sie ihre Studierenden nicht primär als künftige Fachwissenschaftler auszubilden haben, sondern als künftige Arbeitskräfte so unterschiedlicher Bereiche wie der Politikberatung, der Öffentlichkeitsarbeit, des Marketings oder anderer, noch schwerer fassbarer Berufsfelder - aber eben auch als Studierende von forschungsorientierten Masterstudiengängen mit dem Ziel einer künftigen wissenschaftlichen Betätigung. Diese Diversität ist für die Geisteswissenschaften besonders groß; sie sollte künftig sehr viel bewusster adressiert werden.
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Neuere Entwicklungen zeigen, dass nicht alleine die hochschulinternen Prozesse in zunehmendem Maße ergebnisorientiert bzw. 'outputorientiert' begriffen und gesteuert werden, sondern auch die Diskussionen über die Ausbildungsziele verdeutlichen, dass das geisteswissenschaftliche Studium künftig in verstärktem Maße 'outputorientiert' begriffen und geplant werden muss. [11] Es wird nicht länger gefragt, welche Inhalte (repräsentiert durch Lehrstühle bzw. Veranstaltungsthemen) den Studierenden angeboten werden, sondern es wird verstärkt danach gefragt, was diese denn eigentlich können sollen, damit sie sich anschließend erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt etablieren können. Ein zweiter Schritt ist dann die Frage nach geeigneten Veranstaltungstypen und -inhalten. Diese Veränderung des Blickwinkels ist von hoher Bedeutung und nachhaltig zu begrüßen.
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Bisher konnte eine Fakultät die Frage, weshalb ihre Studierenden an Veranstaltungen zu Lebensmittelunruhen im 18. Jahrhundert, zu griechischen Inschriften und zu bildlichen Darstellungen des Westfälischen Friedens teilnehmen sollten, kaum anders beantworten als mit einem lakonischen "weil sie da sind." Diese Antwort, die Sir Edmund Hillary zugeschrieben wird, mag zwar angemessen sein, um das Bergsteigen zu begründen, für eine akademische Ausbildung hingegen muss sie als unbefriedigend gelten. 'Outputorientierung' bedeutet zwar durchaus, dass diese Veranstaltungen weiterhin sinnvoll sein können, dass aber zunächst von der Überlegung ausgehend über ihr Angebot nachgedacht wird, dass es einen Lernzielkatalog gibt, der zwar auch und im Kern fachwissenschaftliche Inhalte umfassen muss, der aber zusätzlich und mit Nachdruck danach fragt, welche Kompetenzen im Rahmen bestimmter Veranstaltungen oder Module vermittelt werden sollen. Die geisteswissenschaftlichen Studiengänge müssen und können aber nicht nur in sehr viel höherem Maße als bisher an Zielen der 'employability', also der Berufsfähigkeit, ausgerichtet werden, sondern die erworbenen Kompetenzen und fachwissenschaftlichen Inhalte müssen zudem in einer aussagekräftigen Weise beschrieben und dokumentiert werden, wofür das vorgesehene 'Diploma Supplement' die entsprechende Struktur schafft.
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Die Beschäftigung mit den Kompetenzen und Kompetenzfeldern, die neben einem inhaltlichen Kerncurriculum in besonderem Maße zu fördern und zu entwickeln sind, kann hier nur angedeutet werden. Geht man nach der englischen Quality Assurance Agency, die einen Katalog von Deskriptoren zur Beschreibung des Ziels der 'employability' entwickelt hat, so ergeben sich zum Beispiel folgende Aspekte:

- Entwicklung eines Verständnisses für die Komplexität, Begrenztheit und Unsicherheit von Wissen;
- Entwicklung analytischer Techniken zur Lösung konkreter Probleme;
- Anwendung des Fachwissens in praktischen Lebensbereichen;
- Fähigkeit zur Bewertung von Beweisen, Argumenten und Annahmen;
- Fähigkeit zur raschen Entscheidungsfindung;
- Fähigkeit zur schriftlichen und mündlichen Kommunikation;
- Fähigkeit zum selbstständigen lebenslangen Lernen;
- Führungsfähigkeit auf der Grundlage eines überzeugenden Fach- und Kompetenzwissens. [12]
<17>
Auch wenn einige dieser Ziele hier vergleichsweise abstrakt bzw. allgemein klingen, ließe sich relativ leicht spezifizieren, was mit Blick auf bestimmte Studiengänge und Berufsfelder hierunter verstanden werden kann. Es liegt auf der Hand, dass die Hochschulen dies nicht unbedingt alleine tun können und müssen, sondern dass eine Verständigung mit Personalverantwortlichen in relevanten Berufsfeldern sinnvoll ist.
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Aber es geht nicht alleine darum, die Vermittlung von Kompetenzen zu stärken. Umfassender geht es auch darum, das 'Marketing' der Absolventen der Geisteswissenschaften zu verbessern. Nicht selten ist hier die 'gefühlte Perspektive' schlechter als die Realität. [13] Ein gesundes Selbstbewusstsein der Geisteswissenschaften, aber auch eine klare und hinreichend spezifische Beschreibung des mit ihrem Studium verbundenen Kompetenzerwerbs ist sinnvoll und notwendig, denn nur so kann dem einzelnen Absolventen die Beweislast abgenommen werden, was er eigentlich gelernt hat und dass auch etwas 'sinnvolles' dabei war.
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Hier sollten die Geisteswissenschaftler ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. Selbstbewusstsein und das Wuchern mit den eigenen Pfunden haben auch bei ihnen durchaus ihre Berechtigung, denn auf einer ganzen Reihe von Gebieten haben Absolventen dieser Fächer nicht unerhebliche Fähigkeiten erworben, für die hier nur einige Beispiele genannt werden sollen:

- Sie erwerben bzw. besitzen die Fähigkeit zur diskursiven Darstellung komplexer Sachverhalte in Wort und Schrift;
- sie erwerben bzw. besitzen die Fähigkeit, in mehr als einer Logik zu denken bzw. diese zu erkennen und zu verstehen;
- sie entwickeln bzw. besitzen die Fähigkeit zu vernetztem Denken;
- sie erwerben bzw. besitzen die Fähigkeit zu eigenständigem, zielgerichtetem Arbeiten;
- sie entwickeln die von Odo Marquard treffend beschriebene "Inkompetenzkompensationskompetenz", die es ihnen erlaubt, auch mit Wissenslücken kreativ und ergebnisorientiert umzugehen; [14]
- sie sind nicht selten in besonderem Maße fremdsprachenkundig.
<20>
Natürlich geht es bei der geisteswissenschaftlichen Ausbildung nicht alleine um den Erwerb arbeitsmarktrelevanter Kompetenzen, sondern auch um den eines spezifischen Denkstils und spezifischer Wissensbestände. Eine Vermittlung von Vortragstechniken oder Textgestaltung hat fraglos wenig Sinn, wenn sie nicht mit bestimmten wissenschaftlichen Inhalten verwoben ist. Dass ein zeitgemäßer Erwerb von Schlüsselqualifikationen in der Regel nicht ohne die Vermittlung fachlicher Inhalte stattfinden sollte, ist jüngst von einer umfassenden Studie noch einmal verdeutlicht worden. [15] In einer Zeit mit hohem Innovationstempo und großen Anpassungsanforderungen in der Berufswelt kann man ohne sie nicht auskommen.
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Die Integration fachwissenschaftlicher Inhalte und der berufsqualifizierenden Kompetenzen ist in besonderem Maße eine Herausforderung bei der Lehrveranstaltungsplanung und bei der Gestaltung von Studiengängen. Eine Reihe von Hinweisen darauf, welche Lehr- und Lernformen aus der Sicht von Studierenden gewünscht sein könnten, verdeutlichen die Ergebnisse des bereits erwähnten Workshops des Centrums für Hochschulentwicklung zu Bedingungen "erfolgreichen Studierens". Was jedenfalls fatal wäre, wäre entweder eine vollkommene Ignoranz mit Blick auf die Anforderungen der relevanten Berufsfelder (die von den Studierenden vielfach durchaus gesehen werden), oder aber die am Status quo orientierte Behauptung, dass die besonderen Erfahrungen der Studierenden in den Geisteswissenschaften sie auch bisher fit für die Berufswelt gemacht hätten. Tatsache jedenfalls ist, dass die Studierenden sich vielfach nicht nur über den mangelnden Praxisbezug und die schlechten Arbeitsmarktchancen beklagen, sondern dass sie zudem auch Unstrukturiertheiten des Studiums und schlechte Betreuung monieren. Umgekehrt zeigt die Tatsache, dass die Studierenden in diesem Bereich sich vielfach weder in zeitlicher noch in fachlicher Hinsicht ausgelastet fühlen, dass Potenziale für eine Straffung und Intensivierung des Studiums durchaus bestehen. Multrus, Bargel und Leitow kamen zu dem Fazit: "Eine stärkere Strukturierung und damit gewisse Anhebung der Leistungsanforderungen wäre in den Geisteswissenschaften angebracht." [16]
Positive Signale
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Es ist keine Frage, dass die Umstellung auf Bachelor und Master für die deutschen Hochschulen eine außerordentliche Herausforderung darstellt. Wie bei jedem Systemwechsel entstehen auch hier Friktionen und zuweilen mag man denken, man hätte lieber das altvertraute System beibehalten. Dass auch dieses nicht ohne erhebliche Probleme war, und dass die Strukturreform wichtige Verbesserungspotenziale nutzen könnte, hat dieser Artikel zu zeigen versucht. Der Beitrag soll indes nicht enden, ohne dass die eigentlich entscheidende Frage danach gestellt würde, ob sich die Mühe lohnt, ob also die Absolventen der neuen Studiengänge Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, oder ob - wie es zuweilen heißt - die Arbeitgeber den Bachelorgrad nicht hinreichend honorierten.
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Für abschließende Bewertungen ist es noch zu früh, erste Ergebnisse umfassender Untersuchungen haben aber durchaus zu erfreulichen Ergebnissen geführt: Zwar studiert ein erheblicher Anteil der Absolventen weiter (und betritt daher noch nicht den Arbeitsmarkt), doch zeigt sich, dass viele in den Arbeitsmarkt eintretende Bachelors durchaus angemessene Anstellungen finden, und dass ihnen der noch neue akademische Grad keine Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt gebracht hätte, die nicht auch die Absolventen anderer Studiengänge haben. So hat der Hochschulexperte Kolja Briedis das Fazit gezogen, dass schon innerhalb der ersten neun Monate nach dem Abschluss "der berufliche Einstieg der Bachelorabsolventen eher durch Erfolge denn durch Misserfolge geprägt ist." [17]
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Aber nicht nur die Zufriedenheit der Arbeitgeber mit den Absolventen, auch die der Absolventen mit den Bachelorstudiengängen ist von Interesse. Und auch hier sprechen die Zahlen nicht gegen die neuen Studiengänge. Es sind nach Auskunft der gleichen Erhebung des Hochschul Informations Systems in Hannover lediglich 12 Prozent der Universitätsabsolventen, die diesen Grad nicht wieder erwerben wollen würden. Hierin kann man wohl ein ermutigendes Zeichen sehen. Nichtsdestoweniger ist Briedis wohl zuzustimmen, wenn er eine aktivere Vermarktung der neuen Abschlüsse und der mit ihnen verbundenen Profile empfiehlt. Durch eine entsprechende Gestaltung und Darstellung geisteswissenschaftlicher Studienangebote kann, so glauben wir, erreicht werden, dass Geisteswissenschaftler nicht trotz, sondern wegen ihres Studienfachs eingestellt werden. Eine weitere wichtige Voraussetzung darf allerdings nicht vergessen werden: Möglich ist eine sinnvolle Reform der Geisteswissenschaften nur dann, wenn ihnen nicht die hierzu erforderlichen Mittel vorenthalten bleiben. Wozu sie diese brauchen und weshalb sie sie verdienen, müssen sie selbst rechtfertigen.
Anmerkungen
[1] Vgl. hierzu die aktuellen Länderberichte der Teilnehmerstaaten des Bologna-Prozesses: http://www.bologna-bergen2005.no/EN/national_impl/05NAT_REP.HTM.
[2] Vgl. hierzu: Frank Multrus / Tino Bargel / Bettina Leitow: Das Studium der Geisteswissenschaften. Eine Fachmonographie aus studentischer Sicht, Bonn 2001, 25. (www.bmbf.de/pub/das_studium_der_geisteswissenschaften-kurzbericht.pdf). Dort auch die nachfolgenden Zahlen.
[3] Vgl. hierzu Ulrich Heublein / Robert Schmelzer / Dieter Sommer: Studienabbruchstudie 2005. Die Studienabbrecherquoten in den Fächergruppen und Studienbereichen der Universitäten und Fachhochschulen (= HIS Kurzinformation A 1), Hannover 2005, 25 (http://www.his.de/News/Service/Publikationen/Kia/pdf/Kia/ki a200501.pdf).
[4] Vgl. hierzu etwa Kolja Briedis / Karl-Heinz Minks: Zwischen Hochschule und Arbeitsmarkt. Eine Befragung der Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen des Prüfungsjahres 2001 (= HIS Hochschulplanung 169), Hannover 2004 (http://www.bmbf.de/pub/his_projektbericht_12_03.pdf).
[5] Martin Spiewak: Rettet euch selbst, sonst tut es keiner. Die Geisteswissenschaften sind für die Zukunft schlecht gerüstet. Sie müssen sich ändern. Oder untergehen, in: DIE ZEIT 22.04.2004, 45f.
[6] Vgl. hierzu Harald Welzer: Die Kavallerie kommt nicht. Wozu Geisteswissenschaften?, in: Süddeutsche Zeitung, 12.03.2004, 22.
[7] Vgl. über die Empfehlungen des Wissenschaftsrats und den Stand ihrer Umsetzung: Stefanie Schwarz-Hahn / Meike Rehburg: Bachelor und Master in Deutschland. Empirische Befunde zur Studienstrukturreform, Berlin 2003 (http://www.bmbf.de/pub/bachelor_und_master_in_deutschland.pdf).
[8] Vgl. hierzu: Aktionsprogramm ReformStudiengänge des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft (http://www.stifterverband.de/site/php/foerderung.php?
SID=&seite=Programm&programmnr=17&detailansprechnr=396
).
[9] Vgl. Jürgen Mittelstraß: Die Geisteswissenschaften und die Zukunft der Universität, Köln 2003.
[10] Vgl. Ergebnisse des Workshops "Erfolgreich studieren" (http://www.che.de/downloads/ErgebnisseErfolgreich_studieren _265.pdf).
[11] Vgl. etwa hierzu die gegenwärtigen Überlegungen zu einem Qualifikationsrahmen in der Hochschulrektorenkonferenz: http://www.hrk.de/de/presse/95_2438.php.
[12] Vgl. "Framework for higher education qualifications in England, Wales and Northern Ireland" der britischen Quality Assurance Agency: http://www.qaa.ac.uk/crntwork/nqf/ewni2001/contents.htm#naming von 2001.
[13] Vgl. hierzu etwa Kai Kolwitz: Quer denken und früh entscheiden. Geisteswissenschaftler müssen besondere Strategien entwickeln, um einen attraktiven Job zu finden, in: Der Tagesspiegel, 10.10.2004.
[14] Vgl. zu diesem Begriff Odo Marquard: Inkompetenzkompensationskompetenz? Über Kompetenz und Inkompetenz der Philosophie, in: ders.: Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart 1981, 23-38.
[15] Vgl. Hildegard Schaeper / Kolja Briedis: Kompetenzen von Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen, berufliche Anforderungen und Folgerungen für die Hochschulreform (= HIS Kurzinformation A 6), Hannover 2004 (http://www.bmbf.de/pub/his_projektbericht_08_04.pdf).
[16] Vgl. noch einmal: Multrus / Bargel / Leitow: Das Studium der Geisteswissenschaften, hier 47 u. 49.
[17] Kolja Briedis: Der Bachelor als Sprungbrett? Erste Ergebnisse zum Studienverlauf und Verbleib von Absolventinnen und Absolventen mit Bachelorabschluss, Vortrag, Freiburg i. Br. 2004, 9 (http://www.his.de/Abt2/Berufseintritt/absolventenprojekt/vortrag/
Vortrag_Bachelor_Freiburg.pdf
). Vgl. auch Sabine Diehr / Johannes Velling: Werden unsere Hochschulen dem Bedarf des Arbeitsmarkts gerecht?, in: Vierteljahrshefte für Wirtschaftsforschung 72, 2003, 289 – 304, 300 f.

Autoren:
Dr. Florian Buch
Centrum für Hochschulentwicklung
Verler Str. 6
33332 Gütersloh
florian.buch@che.de

Prof. Dr. Tassilo Schmitt
Institut für Geschichte
Universität Bremen
Postfach 330440
28334 Bremen
tschmitt@uni-bremen.de

Empfohlene Zitierweise:

Florian Buch / Tassilo Schmitt: Die neuen Studiengänge und der Arbeitsmarkt. Überlegungen zur Einführung der konsekutiven Studienstruktur in den Geisteswissenschaften, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 1, [09.03.2005], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

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