Navigation
Lucian Hölscher
Studienreform in Bochum: Design und Erfahrungen nach elf Jahren
Abstract
Der Beitrag referiert den Stand der Studienreform an der Universität in Bochum, die sich noch in der Erprobungsphase befindet. Akzeptanz seitens der Studierenden und eine allgemeine Straffung im Studierverhalten schlagen positiv zu Buche, problematisch bleiben nach wie vor die planerische Koordination des Lehrangebots sowohl für die Lehrenden als auch die Studierenden, die stete Gefahr der Überlastung der Studierenden und damit zusammenhängend die Schwierigkeit, Arbeitszeit für Arbeitspensen zuverlässig einschätzen zu können. Auch die Umorientierung von Lehrinhalten auf zu lernende Kompetenzen steht noch weitgehend aus. Die Betreuungsrelation bleibt schlecht, zumal Prüfungen und universitäre Selbstverwaltung Ressourcen binden. Wünschenswert sind daher größere Finanzspielräume, der Erhalt der universitären Lehr- und Lernfreiheit gegenüber weitergehender Regulierung. Studienordnungen sollten überregional standardisierte Lehrformate aufgreifen, wobei die gewünschte inhaltliche Flexibilität mit der Vergleichbarkeit der Studienleistung abzustimmen wäre.
Das Bochumer Magisterreformmodell
<1>
Das Bochumer Magisterreformmodell, Vorläufer des heutigen BA/MA-Studiengangs, wurde 1993 als Modellversuch und mit finanzieller Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen begonnen und im WS 2001/02 vom Bochumer BA/MA-Studiengang abgelöst. Daran beteiligt waren die meisten großen Fächer der Geistes- und Sozial-, Natur- und Ingenieurwissenschaften der Universität. Der Modellversuch sah in der BA-Phase ein 3-Fach-Studium vor, in der MA-Phase ein 1-Fach-Studium. Das Fachstudium wurde von einem Ergänzungsbereich begleitet, in dem die Studierenden Kompetenzen in EDV, Fremdsprachen, kommunikativem Verhalten und interdisziplinärer Arbeit erwerben konnten. In den fachspezifischen Lehrveranstaltungen arbeiteten die Studierenden des Modellversuchs mit den traditionellen Magister- und Lehramtsstudenten zusammen.
<2>
Der Modellversuch erfreute sich unter den Studenten großer Beliebtheit. Nicht die schwachen, sondern diejenigen Studierenden wählten ihn, die einen zügigen Studienabschluss anstrebten. Probleme bereiteten allerdings schon damals die Koordination des Lehrangebots und die Überlastung der Studierenden mit Pflichtveranstaltungen. Dies führte dazu, dass viele Studierende das BA-Studium nicht in der vorgesehenen Zeit von sechs Semestern abschließen konnten.
Das Design des Bochumer BA/MA-Studiengangs
<3>
Der Bochumer BA/MA-Studiengang wurde im WS 2001/02 eingeführt, im SS 2004 legten die ersten Studierenden das BA-Examen ab. Das Bochumer Y-Modell sieht eine gemeinsame Ausbildung aller Studierenden bis zum BA-Examen und darauf aufbauend eine differenzierte Weiterqualifikation im stärker fachorientierten Master of Arts (MA) oder im fachdidaktisch ausgerichteten Master of Education (ME) vor. Der Studiengang folgt weitgehend der Anlage des Modellversuchs von 1993, er wird in der BA-Phase in den Geisteswissenschaften als 2-Fach-Studium angeboten, in den Naturwissenschaften zum Teil auch als 1-Fach-Studium. In der MA-Phase besteht generell die Wahlmöglichkeit zwischen dem 1-Fach-Studium mit Ergänzungsbereich und dem 2-Fach-Studium. Der Studiengang ist konsekutiv angelegt, eine Filterung der MA-Studierenden nach der Qualität ihres BA-Examens ist bislang nicht vorgesehen.
<4>
Der Bochumer BA/MA-Studiengang folgt weitgehend den Vorgaben der europäischen Beschlüsse zur Studienreform (Bologna-Prozess), d.h. er beinhaltet die Modularisierung des Studiums, ein Kreditpunktesystem (ECTS) und ein studienbegleitendes Prüfungssystem. Nur die Bemessung des Studienerfolgs anhand allgemeiner und fachspezifischer Fähigkeiten (Schlüsselqualifikationen), das heißt der konsequente Übergang vom System des teaching input zu dem des learning outcome, steht noch aus.
Das Design des Bochumer Geschichts-Studiengangs
<5>
Der BA-Studiengang Geschichte wird in Bochum bislang nur als 2-Fach-Studiengang, der MA-Studiengang auch als 1-Fach-Studiengang angeboten. Er umfasst in der BA-Phase acht Module von meist jeweils zwei (gelegentlich drei) thematisch aufeinander abgestimmten Lehrveranstaltungen, in der MA-Phase vier bzw. fünf Module (2-Fach- bzw. 1-Fach-Master mit Ergänzungsbereich) von in der Regel drei Lehrveranstaltungen. [1] Die Studienordnung sieht einen integrierten Modulabschluss vor, das heißt bei Nichtbestehen einer Lehrveranstaltung gilt das gesamte Modul als nicht bestanden. Am Ende jeder Lehrveranstaltung geben die Studenten in einem anonym ausgefüllten Fragebogen ihre Meinung über die Lehrveranstaltung ab.
<6>
Eine Besonderheit des Bochumer Studiengangs besteht darin, dass die Module thematisch nicht festgelegt, sondern lediglich den drei Bereichen (Alte, Mittlere und Neuere Geschichte) zugeordnet sind, in denen die Studierenden jeweils aus einer größeren Anzahl von Angeboten auswählen können. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, systematische und regionale Schwerpunkte (z.B. Theorie der Geschichte, Geschlechter-, Wirtschafts- oder Mediengeschichte bzw. Nordamerikanische oder Osteuropäische Geschichte) zu wählen. Nur im 1. Studienjahr sind als obligatorische Veranstaltungen zum einen ein sich über zwei Semester erstreckendes, jeweils vierstündiges Integriertes Proseminar (IPS), in dem jeweils drei Dozenten aus dem Bereich der Alten, Mittleren und Neueren Geschichte anhand eines gemeinsamen Themas in die Arbeitsformen der Geschichtswissenschaft einführen, und zum andern eine Einführung in die Theorie und Didaktik der Geschichte (ETD) vorgesehen, in der wichtige Grundbegriffe und Forschungsrichtungen der Geschichtswissenschaft erläutert werden.
<7>
In einem eigenen Modul werden die Studierenden in berufliche Praxisfelder eingewiesen. Die Lehrveranstaltungen werden zum Teil von Fachleuten aus geschichtsvermittelnden Institutionen der Region (Museum, Rundfunk, Fernsehen, Zeitung, Archiv, Verlag und andere mehr) angeboten und zielen jeweils auf ein zu erstellendes 'Werk'.
Stand der Durchführung der Studienneuordnung
<8>
Mit 15 Professuren (darunter zwei Juniorprofessuren) und 38 fest angestellten Lehrkräften verfügt das Historische Institut in Bochum derzeit über eines der größten und thematisch am weitesten verzweigten Lehr- und Forschungspotenziale der Bundesrepublik. Dies erlaubt eine große Vielfalt von thematischen Spezialisierungen und Kombinationsmöglichkeiten, die sich vor allem im Bereich der Neuzeit zu einer Vielzahl von Lehr- und Forschungsschwerpunkten bündeln. Im SS 2004 konnten so zuletzt 20 Vorlesungen und 124 Seminare, Übungen und Kolloquien angeboten werden.
<9>
Der BA/MA-Studiengang wurde im WS 2001/02 unter Wegfall der älteren Magister- und Lehramtsstudiengänge eingeführt. In den ersten drei Jahren haben ca. 1400 Studienanfänger den Studiengang gewählt, wobei sich die Zahl von 253 im ersten über 523 im zweiten bis auf 670 im dritten Jahr gesteigert hat. Auch gegenüber den früheren Jahren bedeutete dies eine deutliche Steigerung der Anfängerzahlen. Die Schwundquote der Studierenden liegt derzeit im 1. Studienjahr bei ca. 20 %, in den folgenden nur noch bei ca. 5 %. Im SS 2004 haben die ersten Studierenden ihre BA-Prüfung abgelegt, im WS 2004/05 hat das erste MA-Studienjahr begonnen.
Stärken und Schwächen der Studienordnung in der gegenwärtigen Durchführungsphase
<10>
Die derzeitige Erprobungsphase lässt noch kein klares Bild vom Erfolg des Studiengangs zu. Deutlich zeigt sich lediglich, dass der Studiengang von den meisten Studierenden nicht nur angenommen wird, sondern auch mit einer offenkundigen Straffung des Studienverhaltens verbunden ist. So hat sich die Anwesenheit bei den Lehrveranstaltungen und die Vorbereitung auf die Sitzungen in der Regel verbessert. Die studienbegleitenden Prüfungen entlasten die Abschlussprüfung und führen die Studierenden frühzeitig zum leistungsorientierten Lernen. All dies ist nicht zuletzt die Frucht einer bislang sehr intensiven Studienberatung, welche die Studierenden vor allem zu Beginn des Studiums betreut und auf den Weg bringt.
<11>
Neben solchen positiven Aspekten zeichnen sich allerdings auch mögliche Schwächen ab, die hier nur kurz und zum Teil vermutungsweise angedeutet werden können:

Ein organisatorisches Problem liegt derzeit noch in der aufwendigen und von den Studierenden nur schwer zu leistenden Koordination des Lehrangebots. Dies mag einerseits daran liegen, dass die Programmierung der Software, die diese Koordination übernehmen soll, noch nicht abgeschlossen ist, zum andern aber auch in der Anzahl möglicher Modulkombinationen. So sind Klagen über Module, die man wegen anderer Lehrveranstaltungen zur selben Zeit nicht besuchen könne, unter den Studenten an der Tagesordnung. Auch besucht eine nicht unerhebliche Zahl der Teilnehmer jede Lehrveranstaltung nicht primär aus Interesse am Thema, sondern weil der Stundenplan keine andere Lösung zulässt.
<12>
Eine bislang noch nicht hinreichend ausgelotete Gefahr liegt ferner in der möglichen Überlastung der Studierenden mit zu vielen und zeitlich zu klein bemessenen Lehrveranstaltungen, die zum Teil nur mit einer workload von 2-3 Kreditpunkten (cp) ausgestattet sind. Nach den Erfahrungen in anderen europäischen Ländern scheint dies höchstens für eine Vorlesung eine ausreichende Ausstattung zu sein, für Übungen oder gar Seminare ist dies jedoch zu wenig. Das kann zu einer hohen Zahl von Studierenden führen, die das BA-Studium nicht in der vorgesehen Zahl von sechs Semestern abschließen können, weil sie die Vielzahl gleichzeitig vorgesehener Lehrveranstaltungen nicht zu bewältigen vermögen.
<13>
Weitere Mängel beziehen sich auf die bislang nicht immer geglückte thematische Koordination der miteinander zu einem Modul verbundenen Lehrveranstaltungen sowie auf die Abfolge der besuchten Module, welche oft nicht der vorgeschriebenen Reihenfolge nach besucht werden.
<14>
Eine Schwierigkeit des BA/MA-Studiengangs der Ruhr-Universität Bochum liegt auch in der zum Teil noch unzulänglichen Berechnung der workload durch Dozenten und Studierende: Vielfach ist die Berechnung der Arbeitszeit noch nicht als notwendiges Organisations- und Lenkungsinstrument erkannt worden. Es besteht große Unsicherheit über die Höhe der für eine Leistung zu veranschlagenden Zeit. Dieses Problem kann nur im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit von Studierenden und Lehrenden bei der richtigen Austarierung von Arbeitspensen gelöst werden. Gegenwärtig sind manche Lehrveranstaltungen noch teilweise mit Arbeitsaufgaben überlastet, teilweise aber auch unausgelastet. Es scheint weiterhin eine große Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Dozenten und dem tatsächlich aufgewendeten Arbeitspensum zu bestehen.
<15>
Schließlich ist es noch nicht gelungen, die Organisation des Studiums konsequent von der Lehrorientierung an Lehrinhalten auf die Lernorientierung an grundlegenden Kompetenzen hin umzuorientieren, welche die Studierenden am Ende jedes Moduls erworben haben sollen. Von der Umsetzung dieses zentralen Anliegens des Bologna-Prozesses in einer zweiten Phase der Studienreform wird in nicht geringem Ausmaß der Erfolg der Bochumer Studienreform abhängen.
Exogene Faktoren für die derzeitigen Schwächen des Bochumer Studiengangs
<16>
Neben internen Schwächen zeichnen sich allerdings auch exogene Faktoren für die Mängel der Studienorganisation ab, von denen an erster Stelle die finanziellen Engpässe der Universität in ihrer derzeitigen Entwicklungsphase genannt werden müssen:

So sind die Arbeitsgruppen in den Seminaren und Übungen vielfach bei weitem zu groß, um eine sinnvolle Betreuung von Seiten der Dozenten zu gestatten. Galt dies schon für den älteren Studiengang, so zeichnet sich jetzt für die intensivere Studienorganisation des BA/MA-Studiengangs eine massive Unterausstattung mit Lehrpersonal bzw. eine deutlich zu hohe Studierendenzahl ab.
<17>
Auf dieselbe Ursache ist die geringe Kontaktzeit zurückzuführen, in der Studierende und Lehrende jede Woche zusammenkommen. Um die didaktischen Ziele der Studienordnung zu erfüllen, wäre eine wöchentliche Betreuung jedes Studierenden, wie sie etwa in Cambridge selbstverständlich ist, auch in Deutschland notwendig. Auch sollte darüber nachgedacht werden, ob die hierzulande übliche zweistündige Lehrveranstaltung für intensive Seminare ein ausreichendes Format darstellt.
<18>
Prüfungen und die akademische Selbstverwaltung führen generell zu einer erhöhten Ressourcenbindung. Sie müsste durch zusätzliche Lehr- und Verwaltungskräfte, interne Arbeitsteilung und zeitliche Entlastung an anderer Stelle aufgefangen werden. Insgesamt zeichnet sich jedoch gegenwärtig eine deutliche Reduktion der Kapazitäten für Forschung und Lehre ab. Schließlich besteht aufgrund der Ausdifferenzierung universitärer Studienordnungen die Gefahr steigender Hürden beim Studienplatzwechsel.
Allgemeine Schlussfolgerungen
<19>
Aus den genannten Mängeln lassen sich folgende allgemeine Schlussfolgerungen ziehen:

Mit der bestehenden Finanzausstattung der Geisteswissenschaften ist die Studienreform nicht zu einem positiven Abschluss zu führen. Die derzeit anstehenden Mittelkürzungen werden die Qualität des Geschichtsstudiums deshalb voraussichtlich von Jahr zu Jahr verschlechtern.
<20>
Die Studienreform birgt erhebliche Gefahren für den Erhalt der universitären Lehr- und Lernfreiheit. Dies wirkt sich bei Lehrenden wie Lernenden in einer neuen Form von Motivationsmangel aus, der nicht mehr wie bisher auf Orientierungsmängel, sondern auf die Eingrenzung notwendiger Gestaltungsspielräume in der Lehre zurückzuführen ist.
<21>
Die Studienreform beinhaltet das Risiko einer Überregulierung von Studienverläufen, Prüfungen und didaktischen Zielvorgaben. Generell sollte daraus der Schluss gezogen werden, dass die Studienordnungen schlank bleiben und flexibel zu handhaben sind.
<22>
Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei der Mobilität und Transparenz des Studiums gewidmet werden. Vor allem kommt es darauf an, innere Profilbildung mit äußerer Liberalität zu verbinden. Dazu scheinen zwei Maßnahmen wesentlich:

1. Die Studienordnungen sollten sich überregional auf standardisierte Lehrformate einigen, die bei der wünschenswerten Vielzahl inhaltlicher Ausgestaltungen die Vergleichbarkeit der Studienleistungen zwischen den Historischen Instituten sicherstellen.

2. Die Universitäten sollten bei der Anerkennung von Studienleistungen anderer Universitäten nicht ihre eigenen, sondern die Standards der Herkunftsuniversität zugrunde legen.
Anmerkung
[1] Zu den Einzelheiten vgl. die Internet-Präsentation unter http://www.ruhr-uni-bochum.de/geschichte/Historicum/studium/ studiengaenge.html.

Autor:
Prof. Dr. Lucian Hölscher
Ruhr-Universität Bochum
Historisches Institut
Universitätsstr. 150
44801 Bochum
lucian.hoelscher@ruhr-uni-bochum.de

Empfohlene Zitierweise:

Lucian Hölscher: Studienreform in Bochum: Design und Erfahrungen nach elf Jahren, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 1, [09.03.2005], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse. Zum Zitieren einzelner Passagen nutzen Sie bitte die angegebene Absatznummerierung.

historicum.net Editorial Abonnement Archiv Richtlinien Impressum