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  4 (2005), Nr. 1: Inhalt
Barbara Stollberg-Rilinger
Zum Selbstverständnis der deutschen Universitätshistoriker
Abstract
Nach wie vor spielen die Humboldt’schen Prinzipien der wissenschaftlichen Autonomie und der Verbindung von Forschung und Lehre für das Selbstverständnis der deutschen Universitätshistoriker eine große Rolle. Diese Haltung kann und sollte offensiv in den Reformprozess eingebracht werden. Dabei scheint die derzeitige Entwicklung die Bereiche Forschung und Lehre auseinander zu treiben: die Forschung ist durch starke Pluralisierung, Spezialisierung, auch Fragmentierung gekennzeichnet, während die Vermassung des Lehrbetriebs mit steigenden Lehr- und Prüfungsaufgaben eine Kanonisierung, Vereinfachung und Reglementierung verlangt. Tatsächlich aber benötigt die Lehre die Rückbindung an die Forschung, zumal Geschichte seriöserweise nur kritisch forschend gelehrt werden kann. Nur auf diese Weise vermitteln sich die spezifischen historischen Methoden und Wissensweisen, die um so bedeutsamer sind, als ein Geschichtsstudium eben nicht zielgenau für einen außerwissenschaftlichen Beruf ausbilden kann.
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Ich möchte eine Beobachtung und ein Plädoyer vortragen.

Erstens: Das Selbstverständnis der deutschen Universitätshistoriker beruht nach wie vor auf den Humboldt'schen Prinzipien der wissenschaftlichen Autonomie und der Verbindung von Forschung und Lehre.
Zweitens: Ich halte das - auch im Hinblick auf die notwendige Studiengangsreform - nicht für so schlimm, wie einige annehmen, sondern möchte dafür plädieren, dieses Selbstverständnis selbstbewusst und offensiv in den Reformprozess einzubringen.
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Zum ersten Punkt: Es scheint mir ziemlich unzweifelhaft zu sein, dass das Selbstverständnis der Universitätshistoriker nach wie vor, trotz allen Wandels und aller Kritik, von dem klassischen Humboldt'schen Modell geprägt ist, d.h. von dem Prinzip der Freiheit von Forschung und Lehre, die mithin beide auf autonome Erkenntnis und nicht auf heteronome Nützlichkeit ausgerichtet sind, und dem Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre, d.h. dass das eine dem anderen dient und umgekehrt, wobei allerdings die Forschung offensichtlich Priorität genießt.
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Das gilt nach meinem Eindruck unabhängig davon, ob sich die Historiker mit der Moderne oder der Vormoderne beschäftigen, ob sie sich eher als historische Sozialwissenschaftler oder als hermeneutisch arbeitende Geistes- und Kulturwissenschaftler verstehen, ja sogar unabhängig davon, ob sie eher den Typus des alteuropäischen Gelehrten oder den des öffentlichkeitsorientierten Wissenschaftsmanagers verkörpern. Im Kern besteht das traditionelle Selbstverständnis fort, obwohl sich die Bedingungen erheblich geändert haben: obwohl wir immer weniger 'einsam' forschen, sondern vielmehr in Forschungsverbünden, Graduiertenschulen und in der Lehre kooperieren, obwohl wir zunehmend über elektronische Medien kommunizieren und an einer Öffentlichkeit teilhaben, die nur noch wenig mit der alten Gelehrtenöffentlichkeit gemein hat, obwohl unser Wissen mit einer Flut ganz anders produzierten Wissens konkurriert, und so fort.
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Dass die substantielle und prozedurale Autonomie sowie die Einheit von Forschung und Lehre eine so zentrale Bedeutung haben, ergibt sich zum einen sicherlich aus Gründen des Standesinteresses der Universitätsprofessoren. Das Humboldt'sche Modell liegt in ihrem Interesse, weil die Autonomie erhebliche persönliche Freiräume ermöglicht (die auch missbraucht werden können, allerdings nur um den Preis des Renommees unter den Kollegen) und weil es so etwas wie Freude an der Erkenntnis gibt. Es liegt auch deshalb im Interesse der Universitätsprofessoren, weil ihr soziales Prestige vor allem innerhalb, aber teilweise auch noch immer außerhalb des akademischen Feldes von der Forschung geprägt ist, während die Lehre deutlich geringere Reputation einbringt. Universitätshistoriker verstehen sich in der Mehrzahl nicht in erster Linie als Lehrer (dafür ist schon die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden zu schlecht). Solange man sich also nicht allein der Forschung widmen kann, wird man zumindest an der Verbindung von Lehre und Forschung interessiert sein. Wissenschaftsinterne Kriterien sind, so glaube ich, immer noch eine starke Grundlage des gesamtgesellschaftlichen Prestiges von Wissenschaftlern, weil sie eine Distinktionsgrundlage darstellen, die die Wissenschaftler als Intellektuelle in ihrer sozialen Geltung von anderen gesellschaftlichen Gruppen und deren Distinktionskriterien - also vor allem Macht und Geld - relativ unabhängig machen.
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Aber diese standespolitischen Interessen sind nur die eine Seite (und sind gewiss auch eine sehr schwache Legitimationsgrundlage). Zum anderen sprechen nach wie vor erhebliche sachliche Gründe für das klassische Humboldt'sche Modell. Langfristig hängen Glaubwürdigkeit, Fruchtbarkeit und Zukunftsträchtigkeit der Wissenschaft von ihrer prozeduralen Autonomie ab. Für die Wissenschaft als ausdifferenziertes gesellschaftliches Funktionssystem ist es nun einmal konstitutiv, dass allein die Wissenschaftler selbst nicht nur über die Wahrheit der Ergebnisse, sondern dass sie auch über den Sinn einer wissenschaftlichen Frage, also über die Themenwahl entscheiden. Nur die sozialen Spielregeln des autonomen wissenschaftlichen Feldes schaffen die Bedingung der Möglichkeit für neue Erkenntnis. [1] Unterwirft man die Wissenschaft der ganz anderen Funktionslogik des Marktes, dann schadet das langfristig auch der Nützlichkeit der Wissenschaft für diesen Markt.
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Die gegenwärtige Entwicklung scheint nun allerdings dafür zu sprechen, dass die Humboldt'schen Prinzipien ausgedient haben. Es gibt eine - jedenfalls auf den ersten Blick - gegenläufige Entwicklung in Forschung einerseits und Lehre andererseits. Forschungsinterne Tendenzen ganz allgemein sind bekanntlich fortschreitende Spezialisierung, Profilbildung zwischen den Hochschulen, aber auch innerhalb der Einzelfächer, interdisziplinäre Netzwerkbildung und Internationalisierung. Die Forschungsentwicklung in der Geschichtswissenschaft im Besonderen ist dadurch geprägt, dass es einen verbindlichen, von einem bildungsbürgerlichen Milieu getragenen Kanon der Gegenstände und Methoden nicht mehr gibt. Die großen Erzählungen lösen sich auf, die Epochengrenzen werden relativiert, die Disziplingrenzen überschritten, die Nationalgeschichten dekonstruiert. Die kulturalistische und eine Reihe anderer Wenden haben die historischen Gegenstände immer mehr verfremdet, fragmentiert und pluralisiert.
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Die Tendenzen in der Lehre wirken in die entgegengesetzte Richtung. Politisch gewollt sind immer höhere Studierendenzahlen pro Jahrgang (bei minimierten Abbrecherquoten); verlangt wird zum einen die Anpassung an mangelnde Studienvoraussetzungen der Studierenden und zum anderen die Anpassung an deren zukünftige berufliche Praxis. Zugleich steigen durch die geplanten Reformen die Lehrbelastung und die Prüfungsverpflichtungen (durch permanente Leistungskontrollen in den gestuften Studiengängen). Das verlangt, so meinen viele, Verschulung der Lehre, Entlastung der Studierenden von einer Freiheit, der sie nicht gewachsen sind, Vermehrung und vor allem stärkere Normierung des Lernstoffs durch Modularisierung, was nur zu schaffen ist durch Kanonbildung, rigide Vereinfachung und scharfe Reglementierung.
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Die angestrebten Reformen zielen also in Forschung und Lehre fast programmatisch in entgegengesetzte Richtungen. [2] Gemeinsam ist beiden Entwicklungen nur, dass sie mehr Zeitaufwand für die verbleibenden Hochschullehrer bedeuten. Da die Lehrerfordernisse weniger elastisch sind als Forschungserfordernisse, wird die Gesamtentwicklung für jeden einzelnen Hochschullehrer zu Lasten der Forschung gehen.
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Muss man also, um die Autonomie der Forschung zu retten, sie von der Lehre abkoppeln? Das mehr oder weniger unausgesprochene Ziel der Reformpläne scheint eine Entkopplung von Forschung und Lehre zu sein - entweder radikaler, zwischen den Hochschulen, so dass viele Quasi-Fachhochschulen, die nur den Namen nicht tragen, wenigen Elite-Forschungsuniversitäten gegenüberstehen; oder - weniger radikal - innerhalb einer Hochschule, so dass den nach praktisch-ökonomischen Imperativen organisierten und massenhaft absolvierten BA-Studiengängen die forschungsbezogenen, elitären und exklusiven MA-Studiengänge und Graduiertenschulen gegenüberstehen. Womöglich wird sich diese Differenzierung auch auf das Lehrpersonal übertragen: Viele tragen die Last der verschulten Massenstudiengänge; wenige genießen weiterhin das Privileg der forschungsbezogenen Lehre. Das scheint auf den ersten Blick der naheliegende Anpassungsweg.
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Geisteswissenschaftlern ist dieser Weg zuletzt mit der Empfehlung schmackhaft gemacht worden, sich zu entscheiden: Sie sollen sich entweder als moderne akademische Manager des 'social engineering' neu definieren oder sich als Gelehrte alten Stils die Rolle spätantiker Mönche zu Eigen machen, die angesichts einer illiteraten Umwelt das traditionelle, obsolet gewordene Wissen für bessere Zeiten konservieren. Mit anderen Worten: Sie sollen die Marginalisierung ihres Wissens, das ökonomisch nicht verwertbar sei, nicht länger beklagen, sondern positiv annehmen. [3] Offen bleibt dabei aber die Frage, was die Vertreter traditioneller geistes- und kulturwissenschaftlicher Fächer denn überhaupt zum 'social engineering' befähigt und ob sie das nicht lieber gleich den Wirtschaftsunternehmen überlassen sollen.
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Es fragt sich also, und damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: Was heißt diese gegenläufige Entwicklung von Forschung hier und Lehre dort nun für die Universitätshistoriker und ihr Selbstverständnis? Muss man diese divergierenden Entwicklungen in Forschung und Lehre hinnehmen oder sollte man sie sogar befördern? Kann man die Autonomie der Forschung nur um den Preis ihrer Marginalisierung retten? Müssen wir unsere soziale Identität völlig neu definieren? Geht es nach manchen Reformplänen, so ist die Zumutung gegenüber dem Selbstverständnis der Geisteswissenschaftler an den Universitäten enorm (das veränderte Dienstrecht ist in diesem Zusammenhang auch zu bedenken). Sollen wir uns nicht mehr als autonome Wahrheitssucher verstehen, sondern als Arbeitnehmer und Dienstleister wie andere auch, die heteronome Zwecke bedienen und auf schnell wechselnde Nachfragen reagieren?
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Zunächst einmal: So dramatisch, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist die Lage nicht, denn der Widerspruch zwischen den Anforderungen an Forschung hier und Lehre dort ist mindestens so alt wie Humboldts Reform selbst; die Spannung zwischen dem Ideal reinen Erkenntnisstrebens und den Anforderungen der sozialen Praxis ist seit Humboldts Zeiten bekannt und an den Hochschulen gewissermaßen institutionalisiert. [4] Doch auch wenn es sich tendenziell schon immer um eine kontrafaktische Illusion gehandelt haben mag - André Kieserling nennt die Einheit von Forschung und Lehre bzw. den ihr zugrunde liegenden Glauben an den Bildungswert der Wissenschaft das "Zentralphantom" der deutschen Universitäten [5] -, so war das jedenfalls eine institutionalisierte Fiktion, ein handlungsleitendes und wirkungsmächtiges Selbstbild, und zwar eines, worauf nicht nur das Sozialprestige der Akademiker, sondern zu einem guten Teil auch die Autorität wissenschaftlichen Wissens beruhte.
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Das Humboldt'sche Modell lässt sich, wenn überhaupt irgendwo, dann am überzeugendsten in den Geistes- und Kulturwissenschaften einlösen. (Und Dieter Langewiesche hat überraschend, aber überzeugend argumentiert, dass es sich überhaupt erst in der modernen Massenuniversität einlösen lässt. [6]) Und gerade in den Geistes- und Kulturwissenschaften ist die Trennung der Lehre von der Forschung, die Ausrichtung der Lehre auf die Nachfrage des Arbeitsmarktes, das heißt Ausbildung statt Bildung, auch viel weniger möglich als in anderen Fakultäten. Denn unsere Wissenschaften sind nun einmal mehrheitlich beruflich ungerichtete Fächer (sieht man einmal von der Lehrerausbildung ab). Anders als etwa bei Medizinern, Naturwissenschaftlern oder Informatikern gibt es bei uns keine Praxisfelder, die sich parallel zur Forschungsentwicklung spezialisieren. Die Berufsfelder, für die wir ausbilden sollen, sind vielmehr grundsätzlich diffus und wandeln sich schnell. Wir sollten deshalb gerade nicht so reagieren, wie es Jürgen Kaube in der FAZ kürzlich karikiert hat, dass wir im vorauseilenden Gehorsam "Berufsattrappen" als fiktive Ziele unserer neuen Studiengänge basteln und ihnen damit jedes scharfe disziplinäre Profil nehmen - ohne irgendeine Aussicht darauf, dass das der Nachfrage überhaupt entspricht.
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Die Konsequenz sollte vielmehr lauten: Gerade deshalb, weil es spezifische Praxisfelder für unsere Wissenschaften, die entsprechend der Forschungsentwicklung spezialisiert sind, nicht gibt, können wir dafür auch nicht gezielt ausbilden. Gerade die Einführung der BA-Studiengänge verlangt vielmehr Bildung statt Ausbildung.
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Und das bietet die Chance, die eigene Autonomie zu stärken, statt sie, einem fiktiven Nachfrageimperativ folgend, vorauseilend selbst zu schwächen. Gerade die diffuse Arbeitsmarktnachfrage, das heißt die Unmöglichkeit, zielgenau für bestimmte Berufe auszubilden, schafft die Freiheit dafür, dass wir die Lehre nicht von der Forschung lösen, sondern uns auf die genuinen Stärken des forschenden historischen Lernens konzentrieren.
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Worauf es mir ankommt, ist: Die Lehre kann in unseren Wissenschaften von Forschungsanbindung nicht nur profitieren, sondern sie wird auch unglaubwürdig, wenn sie die Anbindung an die Forschung verliert, indem sie sich an Nachfragen orientiert, die zu den internen Forschungsentwicklungen im Gegensatz stehen. Geschichte lässt sich seriöserweise nur kritisch forschend lehren und nicht technisch-instrumentell wie vielleicht Jura oder Informatik.
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Konkret heißt das zum Beispiel: Wir machen uns unglaubwürdig, wenn wir einen fixierten Kanon an Bildungswissen vermitteln, der sich wissenschaftsintern nicht mehr rechtfertigen lässt und zur Pluralisierung der Forschungsgegenstände im Gegensatz steht. Wir machen uns unglaubwürdig, wenn wir in der Lehre die passenden sinnstiftenden Erzählungen für wechselnde Nachfragen vermitteln - angefangen von Europa bis hin zum kommunalen Fremdenverkehrsverein -, während wir in der Forschung genau diese Sinnstiftungsprozesse laufend dekonstruieren.
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Stattdessen sollten wir uns auf die eigenen, wissenschaftsspezifischen Stärken besinnen. Was sind die genuinen Bildungsangebote der Geschichtswissenschaft jenseits aller Anbiederung an vermeintliche Nachfragezwänge? Sie liegen meiner Überzeugung zum einen in der Form und zum anderen in der Sache. Was man lernt, wenn man wissenschaftlich-historisch lernt, das ist die Beherrschung alter und neuer Kulturtechniken - von der Quellenrecherche und -auswahl über Verfahren der Auslegung von Texten bis hin zur Methodenreflexion und der Fähigkeit zur Lösung komplexer Problemstellungen. Gerade Historiker erwerben Fähigkeiten und Dispositionen, die einem im Zeitalter der Wissensgesellschaft mit ihrer elektronischen Informationsflut nur nützlich sein können. Aber diese Art der Nützlichkeit ist nicht der primäre Grund, warum wir das wissenschaftliche historische Lernen schätzen und verteidigen sollten, es ist sozusagen nur eine erfreuliche Nebenwirkung. Sondern grundsätzlicher: Die Aneignung historischer Methoden und Wissensweisen (die allerdings nicht ohne eine solide Grundlage an sachlichen Kenntnissen auskommt) bietet die Chance, einen bestimmten, hermeneutisch geprägten Habitus zu erwerben. Dazu gehören Diskursbereitschaft und Kritikfähigkeit, systematisches Fragen, vor allem aber die historisierende und kontextualisierende Einordnung aller Phänomene, eine Fähigkeit zum Rollenwechsel und zur Distanzierung von der eigenen Position, die die Orientierung in einer pluralistischen Umwelt ermöglicht. [7] Nur wenn man historisch forschend lernt, begreift man, dass es nicht um fertiges Wissen und fertige Antworten geht, [8] sondern darum, die richtigen Fragen zu stellen.
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Weil sie das zu vermitteln vermögen, halte ich die historischen Wissenschaften gegenwärtig für notwendiger denn je, und zwar nicht nur für ein kleines Häuflein gesellschaftlich marginalisierter Spezialisten, sondern als Bildungsangebot für eine Vielzahl von Praxisfeldern. Immer schneller werden gegenwärtig Strukturen und Erfahrungen zu vergangener 'Geschichte' - desto wichtiger ist es, dass man sie systematisch erinnert, archiviert und deutet. Immer einfachere, geradezu manichäische Modelle der Weltdeutung werden uns angeboten - desto wichtiger ist es, dass man sie historisch einordnen und ihnen ihre Suggestionskraft nehmen kann. Immer weitere gesellschaftliche Bereiche werden vom Sog der Marktmechanismen und ihrer Logik erfasst - desto wichtiger ist es, einen reflexiven Standpunkt außerhalb des Marktgeschehens zu bewahren. Es ist nach meiner Überzeugung die Errungenschaft der Geschichte als Wissenschaft, Distanz zu den Selbstverständlichkeiten der Gegenwart zu ermöglichen. Und das vermittelt sich nur in einem autonomen Raum wissenschaftlichen Lernens und Forschens von Anfang an. Ich möchte deshalb nachdrücklich dafür plädieren, die Situation der Reform als Chance zu nutzen, um die spezifischen Stärken der Geschichtswissenschaft selbstbewusst und offensiv vorzubringen, statt sich allein an vermeintlichen Nachfrage-Imperativen zu orientieren und sich damit selbst zu marginalisieren.
Anmerkungen
[1] Pierre Bourdieu: The Specificity of the Scientific Field, in: Charles C. Lemmert (Hg.): French Sociology, New York 1981, 257-292; vgl. zuletzt die Überlegungen von Albrecht Koschorke: Wissenschaftsbetrieb als Wissenschaftsvernichtung, in: Dorothee Kimmich / Alexander Thumfart (Hg.): Universität ohne Zukunft?, Frankfurt a. M. 2004, 142-157.
[2] Vgl. die Kritik am wissenschaftspolitischen "Zielwirrwarr" bei Uwe Schimank: Festgefahrene Gemischtwarenläden - Die deutschen Hochschulen als erfolgreich scheiternde Organisationen, in: ders. / Erhard Stölting (Hg.): Die Krise der Universitäten (= Leviathan, Sonderheft 20), Opladen 2001, 223-242.
[3] Walter Erhart: Die Managerin und der Mönch - Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten, in: Kimmich / Thumfart: Universität ohne Zukunft? (wie Anm. 1), 124-141.
[4] Vgl. Uwe Schimank / Erhard Stölting: Einleitung, in: dies. (Hg.): Die Krise der Universitäten (wie Anm. 2), 7-26; André Kieserling: Bildung durch Wissenschaftskritik. Soziologische Deutungen der Universitätsidee in den sechziger Jahren, in: ebd., 81-117.
[5] Kieserling: Bildung durch Wissenschaftskritik (wie Anm. 4), 84.
[6] Dieter Langewiesche: Wieviel Geisteswissenschaften braucht die Universität?, in: Kimmich / Thumfart: Universität ohne Zukunft? (wie Anm. 1), 36-51.
[7] Vgl. etwa Kieserling: Bildung durch Wissenschaftskritik (wie Anm. 4), 87ff.; Klaus Landfried: Die Zukunft der Universitäten und die Rolle der Geisteswissenschaften, in: Kimmich / Thumfart (Hg.): Universität ohne Zukunft? (wie Anm. 1), 52-69; Hauke Brunkhorst: Die Universität der Demokratie, in: ebd., 80-96.
[8] Dass auf der Homepage des Historikertages 2004 in Kiel ein historisches Wissens-Quiz veranstaltet worden ist, erscheint mir symptomatisch für die Gefahr, dass diese Überzeugung verloren zu gehen droht und sich das Wissensverständnis in fataler Weise der Kultur des Privatfernsehens annähert.

Autorin:
Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rillinger
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Historisches Seminar
Domplatz 20-22
48143 Münster
stollb@uni-muenster.de

Empfohlene Zitierweise:

Barbara Stollberg-Rilinger: Zum Selbstverständnis der deutschen Universitätshistoriker, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 1, [09.03.2005], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

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