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Olaf Blaschke: Abschied von der Säkularisierungslegende. Daten zur Karrierekurve der Religion (1800-1970) im zweiten konfessionellen Zeitalter: eine Parabel, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1.

Das Zeitalter der Aufklärung gilt als Beginn des gegenwärtigen "Zeitalters der Säkularisierung". Viele Wissenschaftler pflegen diese vertraute Vorstellung, sogar an Religion interessierte Historiker. Oft firmiert das 19. Jahrhundert als "säkulares Zeitalter", als "Jahrhundert des Nationalismus" oder als "Zeitalter des Bürgertums". Im Gegensatz zur Idee eines konstanten Niedergangs von Religion und konfessionellem Engagement betont vorliegender Beitrag, dass diese Faktoren im frühen 19. Jahrhundert erneut an Relevanz gewannen und sie erst in den 1960er Jahren verloren. Wie das 16. Jahrhundert – das so genannte konfessionelle Zeitalter – erfuhr das 19. Jahrhundert eine frappierende religiöse Renaissance. Konfessionelle Identitäten und mithin konfessionelle Gräben vertieften sich. Das führte zu massivem Konfessionalismus, der nicht nur in Deutschland Politik, Gesellschaft und Alltagskultur durchdrang. Deutet man die Zeit zwischen 1830 und 1970 als zweites Zeitalter des Konfessionalismus oder gar als zweites konfessionelles Zeitalter, lässt es sich als Einheit mit durchaus unterschiedlich intensiven Frömmigkeitsphasen wahrnehmen. Daten, die verschiedene Manifestationen dieses Phänomens erfassen, illustrieren, dass das zweite konfessionelle Zeitalter einer Parabel ähnelt, die 1830 anhebt und um 1970 endet.

 

Burkhard Gladigow: Europäische Religionsgeschichte seit der Renaissance, in zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1.

Mit der Renaissance setzt in Europa ein Religionswandel ein, der zunächst im Rahmen des traditionellen Religionsbegriffs strukurelle Erweiterungen erzeugt hat. Mit der These einer 'Natürlichkeit von Religion' werden dann zunehmend 'Variationen' von Religion toleriert und gar als 'decus' akzeptiert, die einen neuen Umgang mit 'anderen' Religionen ermöglichen. Das spätantike Problem der 'einen' Religion (Julian Apostata) wird in der Zeit nach der Renaissance in einer bestimmten Schicht von Intellektuellen durch ein Interesse für 'andere' Religionen und 'andere' religiöse Möglichkeiten abgelöst. In diesem Rahmen formieren sich so zugleich Pluralisierungsprozesse, die den sich etablierenden Einzelwissenschaften besondere Kompetenzen zuordnen, sie freilich für eine gewisse Zeit mit dem Christentum kompatibel halten. Nach der Aufklärung öffnet sich für die Europäische Religionsgeschichte das 'Spektrum der religösen Möglichkeiten' um eine weitere Dimension: Soteriologisch definierte Religionen lassen sich jeweils mit anderen religiösen Mustern kombinieren und ermöglichen einen für Europa spezifischen 'Pluralismus zweiter Ordnung'.

 

Monika Neugebauer-Wölk: Zur Konstituierung historischer Religionsforschung 1974 bis 2004, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1.

Die Einleitung will durch einen historiographischen Überblick in das Rahmenthema des Heftes einführen. Ausgehend vom Take-off der frühen siebziger Jahre wird die Entwicklung des Anspruchs skizziert, eine von Theologie und Kirchengeschichte unabhängige Religionsforschung in der Geschichtswissenschaft zu konstituieren. Am Beginn stand das Programm einer sozialgeschichtlichen Religionsforschung für die gesamte Neuzeit, ein Konzept, das bald in einen Gegensatz zum kulturgeschichtlichen Zugang der Frühneuzeithistoriker geriet. Aber auch innerhalb der Forschungen zum 19. und 20. Jahrhundert entstand Streit über die Ratio der Entwicklung in der Moderne unter den Bedingungen von Religionsfreiheit und Säkularisierung: Ersatzreligionen, 'Zweite Konfessionalisierung' oder neue religiöse Bewegungen? Einen kohärenten und disziplinär profilierten Zugang zur Religionsgeschichte konnten die Neuzeithistoriker bisher nicht ausbilden. Im Fazit erläutert die Herausgeberin ihre Sicht auf die Gründe dafür und diskutiert Perspektiven der weiteren Arbeit.

 

Monika Neugebauer-Wölk: Esoterik und Neuzeit. Überlegungen zur historischen Tiefenstruktur religiösen Denkens im Nationalsozialismus, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1.

Der Beitrag wird mit dem Blick auf das heute breit diskutierte Konzept 'Politischer Religionen' der Moderne eröffnet und befasst sich dementsprechend zunächst mit dessen Grundlegung im Werk von Eric Voegelin. Anknüpfend an dessen Gnosisthese werden dann Grundlinien eines Verständnisses von 'Esoterik' entwickelt, die den zeitlichen Bogen von der europäischen Renaissance des 15. Jahrhunderts bis zum frühen 20. Jahrhundert schlagen. Elementare Strukturen des esoterischen Denkens werden so herausgestellt und in ihrer historischen Variabilität und in ihrem Verhältnis zur dominanten Religion des Christentums analysiert. Der Abschnitt zu 'Hitlers Religion' wendet diese Strukturbilder schließlich − ausgehend von der Ariosophie − auf Quellenzeugnisse zu einer spezifisch esoterischen Religiosität im Nationalsozialismus an und stellt die so gewonnenen Einsichten vergleichend neben den bisherigen Forschungsstand zu diesem Thema.

 

Uwe Puschner: Weltanschauung und Religion, Religion und Weltanschauung. Ideologie und Formen völkischer Religion, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1.

Die Religion führt in das Zentrum der völkischen Weltanschauung wie auch der Bewegung. Religion und vor allem Religiosität bildeten die entscheidenden Antriebskräfte für völkisches Denken und Handeln; sie sind die Voraussetzungen für den völkischen Radikalismus. Die völkische Weltanschauung trägt insofern Züge einer politischen Religion, wie die spezifische völkische Semantik veranschaulicht. Anders jedoch als der Nationalsozialismus, wo die Weltanschauung Religionsersatz war, kreierten die Völkischen tatsächlich verschiedene sogenannte arteigene, d.h. rassespezifische und auf der völkischen Germanenideologie fußende Religionen. Es können – neben verschiedenen Mischformen – grob zwei völkischreligiöse Konzepte und Lager unterschieden werden: Während die völkische Mehrheit einem arisierten, vornehmlich antisemitisch begründeten Deutschchristentum anhing und sich erst nach dem Ersten Weltkrieg zu organisieren begann, optierte eine Minderheit für eine Erneuerung der vorchristlichen Religion der Germanen. Daraus resultierten seit 1900 eine Reihe neopaganer Religionsentwürfe und zum Teil heute noch oder wieder bestehender Gemeinschaften.

 

Kocku von Stuckrad: Die Esoterik in der gegenwärtigen Forschung: Überblick und Positionsbestimmung, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1.

Der Begriff der 'Esoterik' ist sowohl innerhalb der wissenschaftlichen Forschung als auch im Rahmen öffentlicher Kontroversen umstritten. Der Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten wissenschaftlichen Positionen und diskutiert insbesondere jene ideengeschichtlichen und typologischen Zugriffe, die im Mittelpunkt der meisten heutigen Interpretationsansätze stehen. Mit Rekurs auf neuere Überlegungen zur Struktur europäischer Religionsgeschichte, die von einem doppelten Pluralismus – von Religionen einerseits und von konkurrierenden Wissensformen andererseits – ausgehen, wird sodann ein Deutungsmodell vorgeschlagen, das jene Pluralitäten einzuholen sucht. Nur auf diesem Wege, so die These, ist ein Konzept von 'westlicher Esoterik' erreichbar, das enge zeitliche und kontextuelle Grenzen überschreitet und damit Grundlage für ein breites Forschungsfeld sein kann.

 

Anne-Charlott Trepp: Zwischen Inspiration und Isolation. Naturerkundung als Frömmigkeitspraxis in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1.

Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert wurde es unter den Gebildeten in Europa gängige Praxis, aus sämtlichen Bereichen der Natur, Gottes Existenz, seine Allmacht, Weisheit und Güte abzuleiten. Als so genannte Physikotheologie gilt die Naturtheologie der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Forschung bislang vornehmlich als frühaufklärerische Harmonisierungsideologie bzw. als neuartige Ausgleichformel zwischen Naturwissenschaft und Religion. Die Physikotheologen sahen sich selbst jedoch keineswegs primär als Apologeten einer neuartigen Versöhnung zwischen Glauben und Wissen. An die Tradition der alternativen und intensivierten Religiositätsformen der nachreformatorischen Frömmigkeitsbewegung anknüpfend, bedeutete die Erkundung der Natur für sie vielfach eine spezifische Form besonders erfahrungsnaher Frömmigkeit.

 

Erstellt von: RedaktionZB
Zuletzt verändert: 2006-03-27 09:04 AM