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Die vergangenen drei Jahrzehnte bilden den zeitlichen Rahmen des Versuchs, innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft einen eigenständigen Zugang zur Religionsforschung zu begründen. Diese 'neue Religionsgeschichte' [1] nimmt ihren Ausgangspunkt 1974 mit der berühmten Studie von Wolfgang Schieder zu den 'sozialgeschichtlichen Aspekten' einer Wallfahrt im rheinischen Vormärz. [2] Drei Jahre später gibt Schieder das erste einschlägige Heft der noch jungen Zeitschrift "Geschichte und Gesellschaft" heraus und stellt es unter das Rahmenthema "Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert". [3] Diesem ersten sind weitere Hefte gefolgt, in denen sich Historiker zu religionsgeschichtlichen Fragen äußern. Und selbstverständlich blieb das Interesse nicht auf die 'Bielefelder Schule' und ihr Publikationsumfeld beschränkt. Inzwischen sind es zahlreiche Namen und viele Perspektiven, die ihren Beitrag zu einer Religionsgeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft geleistet haben. Der folgende Überblick kann sie nicht alle benennen. Es soll vielmehr versucht werden – statt einer Einleitung – grundlegende Blickpunkte und wichtige Kontroversen dieser Debatte vorzustellen und vielleicht auch da Brüche und Defizite aufzuzeigen, wo die Forschung sie noch gar nicht diskutiert. Am Schluss wird die Frage stehen, ob diese drei Jahrzehnte eine Erfolgsgeschichte waren, und welche Herausforderungen noch auf diejenigen Historiker warten, die das Verständnis des Faktors 'Religion' in der Geschichte angesichts des 'religious turn' [4] in der Selbstwahrnehmung unserer Zeit weiter fördern und vorantreiben wollen.

Sozialgeschichte als Religionsgeschichte der Moderne

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Wolfgang Schieder war 1962 mit einer Dissertation zur Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung promoviert worden, [5] interessierte sich für die sozialen und revolutionären Bewegungen des Vormärz und wurde 1970 als Professor für Neuere Geschichte an die Universität Trier berufen. Trier ist die Geburtsstadt von Karl Marx und doch lokal- und regionalgeschichtlich bestimmt vom gesellschaftlichen Milieu des rheinischen Katholizismus. Dieser gebrochene genius loci konnte den Anlass dazu geben, die moderne Sozialgeschichte durch einen genuin religionsgeschichtlichen Ansatz zu ergänzen. Die Stoßrichtung dieses Interesses richtete sich auf die Frage nach dem Scheitern einer umfassenden Modernisierung der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Auf religionsgeschichtlichem Feld waren Faktoren und Tendenzen auszumachen, die geeignet waren, das Überleben vormoderner Prägungen breiter Bevölkerungsschichten nach Aufklärung und Säkularisierung zu erklären. Diese Nachhaltigkeit älterer Glaubensmuster wurde vor allem dann deutlich, wenn sich kirchliche und staatliche Zielsetzungen überlagerten, wie Schieder dies für das Zusammenwirken von Amtskirche und preußischer Staatsverwaltung für die Entstehungsgeschichte der Trierer Wallfahrt von 1844 konstatierte: "Daß es der katholischen Kirchenführung (…) gelang, sich ihres konservativen Einflusses auf die Massen zu versichern, deutete auf die bremsende Rolle hin, die sie in der bürgerlichen Revolution von 1848/49 spielen sollte. Woran die bürgerliche Bewegung 1848 scheiterte, wozu die Arbeiterbewegung noch nicht in der Lage war, nämlich sich langfristig eine breite Massenbasis zu sichern, das schaffte die katholische Kirche auf Anhieb. Indem auf diese Weise frühzeitig die Verständigung mit der restaurativen Staatsgewalt erprobt wurde, konnte die Kirchenhierarchie nach 1849 ein Element der reaktionären Systemstabilisierung werden (…)." [6]

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Kirche und Religion erschienen also als rückwärtsgewandte Kräfte im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess. Wollte die Geschichtswissenschaft diese Zusammenhänge herausarbeiten, so war es folgerichtig, als erstes die Emanzipation des Gegenstandes aus den Kontexten der Kirchengeschichte zu betreiben, die traditionell in den Theologien angesiedelt und dort natürlich positiv besetzt war. Das Thema 'Religion' in der Geschichtswissenschaft sollte nicht mehr von der "konfessionellen, heilsgeschichtlich festgelegten Kirchenhistorie" geprägt werden, "sondern von Sozialhistorikern, für welche die Kirche nicht von vorneherein das historische Maß religionswissenschaftlicher Erkenntnis ist", so Schieder in dem schon genannten Auftaktheft von 'Geschichte und Gesellschaft'. [7] Das Ziel war eine eigenständige "Sozialgeschichte der Religion" im "Gesamtzusammenhang der modernen Sozialgeschichte". [8] Zeitlich parallel, im Sommer 1977, hatte auch Richard van Dülmen, damals Privatdozent in München, einen Beitrag zum Konzept einer 'Religionsgeschichte in der Historischen Sozialforschung' fertig gestellt. Unabhängig von Schieder [9] war er im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen gekommen und erhob die Forderung nach einer "Religionsgeschichte, die nicht von der Analyse kirchlicher Institutionen und den in ihnen artikulierten theologischen Lehren, also gleichsam von 'oben', unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext ausgeht, sondern von 'unten', vom empirisch faßbaren religiösen Bewußtsein, wie es von der Gesellschaft und ihren Interessen geformt wurde und umgekehrt sich in der Gesellschaft verwirklicht, also das historische Wesen und die soziale Funktion von Religion im Zivilisationsprozeß der Moderne erklären will." [10] Auch bei van Dülmen eröffnete die "traditionelle Kirchengeschichte (…) keine Perspektive einer historischen Analyse von Religion". [11] Der Take-off der historischen Religionsforschung vollzog sich in der Mitte der siebziger Jahre im sozialgeschichtlichen Interesse und in betonter Abgrenzung zu Kirchengeschichte und Theologie. [12]

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Die Aufgabe bestand nun darin, dem sozialgeschichtlichen Profil Konturen zu verleihen: Was war, und wie verfuhr 'Religionsgeschichte von unten'? Wolfgang Schieder hatte dazu bereits einige Anmerkungen gemacht. Es gälte, 'Kultphänomene' zu behandeln, prosopographische Untersuchungen religiöser Gruppen, Schichtungsanalysen des kirchlichen Führungspersonals und der Gläubigen zu unternehmen: Im Übrigen ließen sich, "sofern das Erkenntnisinteresse historisch und nicht theologisch ist, alle die Fragen stellen, welche sich die moderne Sozialgeschichte auch in anderen Bereichen vorlegt". [13] Verfahren zur Erfassung von Massenreligiosität gab es in der inzwischen etablierten Sozialgeschichte aber gerade nicht. Damit war die Religionsgeschichte nun wiederum an eine andere Disziplin verwiesen, nämlich die Volkskunde mit ihrem Konzept der Volksreligiosität: "In jahrzehntelanger Einzelforschung" sei hier "ein Material aufbereitet worden, das für die moderne Sozialgeschichte des religiösen Verhaltens unentbehrlich sein dürfte," so Schieder. [14] Mit mildem Spott kommentierte Urs Altermatt, Historiker an der katholisch orientierten Schweizer Universität Fribourg, diese Neuentdeckung der deutschen Geschichtswissenschaft: Die Volkskundler hätten "am meisten Materialien aufgearbeitet und die Historiker das Arbeitsfeld am spätesten betreten". [15]

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Für den Berliner Historikertag von 1984 konzipierte Wolfgang Schieder eine Sektion zum Thema "Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte", an der auch Richard van Dülmen teilnahm; 1986 wurde die hier geführte Debatte als Sonderheft von 'Geschichte und Gesellschaft' veröffentlicht. [16] In seiner Einleitung ließ Schieder erkennen, dass man sich trotz aller Nützlichkeit volkskundlichen Materials offenbar auch bei dieser Disziplin nicht wirklich wohl fühlte. Zwar erkannte man an, dass das Fach sich von seinen "völkischen Traditionen" nach 1945 freizumachen versucht habe. [17] Mit dieser Neuorientierung sei jedoch eine stärkere Berücksichtigung der kirchennahen christlichen Volksreligiosität verbunden gewesen. Von einem solchen Ansatz wollte man sich in der historischen Perspektive aber gerade emanzipieren. So rekurrierte Schieder nun auf die Religionssoziologie, speziell auf Max Weber. Webers religionssystematisches Werk lasse eine andere Dimension des Religiösen erkennen, als die Volkskunde. Während hier unter 'Volksreligiosität' "in der Regel die popularisierte Form der kirchlich verfassten Religion verstanden wird, liefert der Ansatz Webers die Möglichkeit, auch kirchlich nicht gebundene Formen populärer Religiosität zu untersuchen." [18] Gemeint waren damit die "magischen Formen religiöser Vorstellungen und Praktiken". [19] Auf dieser Basis – einer Kombination volkskundlicher Ansätze zur Erforschung von 'Volksreligiosität' mit den Kategorien der Religionssoziologie − sollte die neue Religionsgeschichte der Moderne nun auf die Neuzeitgeschichte insgesamt ausgreifen. Vier der neun Beiträge des Bandes waren bereits der Frühen Neuzeit gewidmet. Schieder schloss mit den Worten: "Der Band hat seinen Zweck erreicht, wenn er dazu beiträgt, der Religionsproblematik einen festen Platz in der allgemeinen Sozialgeschichte der Neuzeit zu sichern." [20]

Kulturgeschichte als Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit

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Gerade diese Hoffnung sollte sich allerdings nicht erfüllen. Der um 1980 entwickelten Perspektive, eine genuin geschichtswissenschaftliche Religionsgeschichte dadurch zu konstruieren, dass sie einer 'allgemeinen Sozialgeschichte der Neuzeit' inkorporiert würde, war kein Erfolg beschieden. Der Versuch, eine neuzeitliche Religionsgeschichte zu entwerfen, geriet vielmehr zwischen die Fronten einer der bekanntesten Kontroversen der Historiographie der achtziger und neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, zwischen die Fronten des Streits zwischen Sozialgeschichte und Kulturgeschichte. Während der gesellschaftsgeschichtliche Zugang für die Arbeiten zum 19. und 20. Jahrhundert bestimmend blieb, hatten die Frühneuzeithistoriker bereits damit begonnen, entschieden kulturgeschichtliche Wege zu gehen.

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Den Auftakt dieser Entwicklung bezeichnet eine Konferenz des Deutschen Historischen Instituts London, die 1981 in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel stattgefunden hatte. Konzipiert war dieses Treffen von dem jungen Schweizer Historiker Kaspar von Greyerz, der seit 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Londoner Instituts war und hier für seine Habilitation an einem Thema "der englischen Frömmigkeits- und Mentalitätsgeschichte" arbeitete. [21] 1984 erschienen die Tagungsbeiträge unter dem Titel "Religion and Society in Early Modern Europe 1500-1800" im Druck. [22] Das Vorwort benannte ebenfalls das Thema der Volksreligiosität als wichtigsten Fokus der Debatten; der neue Blick aber kündigte sich dadurch an, dass hier zwölf Wissenschaftler des englisch- und französischsprachigen Raumes mit nur fünf deutschsprachigen Autoren diskutierten. Das Einfallstor für Anregungen und Konzepte aus Westeuropa und den USA war damit weit aufgetan, und für die deutsche Forschung auf dem Gebiet der Religionsgeschichte wurde Rückständigkeit konstatiert: "Whilst in Great Britain and, more particularly, in France pioneering research has been undertaken in the history of popular as opposed to official religious attitudes and modes of conduct, research in the Federal Republic of Germany has only recently begun to pay closer attention to these problems." [23] Sich auf den angloamerikanischen und französischen Raum zu orientieren, das verschob das interdisziplinäre Interesse auf Ethnologie und Anthropologie. Der erste Teil der in diesem Tagungsbericht versammelten Aufsätze war überschrieben: "Religion as a Cultural Phenomenon". [24]

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Dieser andere interdisziplinäre Blick hatte selbstverständlich neue und spezifische Wirkungen. Ethnologie und Anthropologie als die Leitwissenschaften einer sich etablierenden übergeordneten Kulturwissenschaft hatten es in ihren Untersuchungen traditionell und schwerpunktmäßig mit außereuropäisch-vormodernen Lebenswelten, mit nichtchristlichen Glaubensformen zu tun, die keinen oder nur einen geringen Grad an Institutionalisierung aufwiesen. Die Übersetzung ihrer Verfahrensweisen und ihres Objektbezugs in die Geschichtswissenschaft übertrug nun die dementsprechende Haltung des Betrachters in den historischen Blick auf die europäische Kultur. Konsequenterweise wurde 'Volksreligiosität' damit zu einem Element des Fremden im eigenen Kulturraum. [25] Dramatisch änderte sich auch der Stellenwert der nun ethnologisch grundierten Volksreligiosität im allgemeinen Geschichtsbild. Die Haltung des 'Fremdverstehens' implizierte "die Wertsetzung, 'Kulturen' als gleichwertig und erhaltenswert zu betrachten". [26] Damit tat sich eine elementare Differenz zum Ausgangsmodell der neuen Religionsgeschichte auf, wie sie für die Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts entworfen worden war. Bei allem Wissen um die Problematik des Säkularisierungsparadigmas und der Gleichsetzung von Fortschritt und Moderne, hatte die Sozialgeschichte doch an der 'Großen Erzählung' von Industrialisierung, Modernisierung und Demokratie festgehalten, während sich die kulturgeschichtlich inspirierte Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit nun auf ein Weltbild bezog, das jede Vorstellung historischen Fortschritts dekonstruierte. [27] Diese "Negation des Fortschritts" [28] stellte den Eigenwert des Fremden, des Vormodernen, des 'Irrationalen' heraus. Während die sozialgeschichtlich verfahrende neue Religionsgeschichte erklären wollte, wie es möglich war, dass religiöse Mentalitäten auch in den modernen europäischen Gesellschaften noch lebendig waren, sich sogar wieder verstärken konnten, obwohl sie durch Verweltlichung und Rationalisierung eigentlich hätten überwunden sein müssen, begriff die frühneuzeitbezogene Kulturgeschichte die Religiosität von Ketzern und Hexen, des 'Volkes' allgemein, nun als eine Glaubenswelt der Eigenständigkeit und des legitimen Widerstandes gegen obrigkeitlich verordneten Glaubenszwang. Arbeiten der Schüler Richard van Dülmens, von Wolfgang Behringer und Eva Labouvie, können hier als beispielhaft gelten. [29] Die Trägerschichten der Volksreligiosität erhielten also ein je epochenspezifisch völlig anderes Profil: Galten sie für die Moderne als rückständige Vertreter einer eigentlich bereits untergegangenen Welt, die quer zur Realisierung rational organisierter Gesellschaften standen, so waren sie für die Frühneuzeitforschung Exponenten einer legitimen Volkskultur der Opposition gegen die Anmaßungen der Herrschaft kirchlicher und weltlicher Provenienz.

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Die Autopsie des Gegensatzes zwischen sozialhistorischer Religionsgeschichte zum 19. und 20. Jahrhundert und kulturhistorischer Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit lässt sich vielfach fortschreiben. Statt auf Massenverhalten und Massenorganisationen – wie die Historiker der Moderne – blickten die Frühneuzeitler auf kleinräumliche Strukturen und Mikrowelten, in denen familiare und nachbarschaftliche Beziehungen fassbar wurden. [30] Die Hexenforschung wandte sich der Lebenswelt des Dorfes zu und autopsierte das Einzelschicksal in seinen Alltagsbezügen. [31] Und mit der genauen Beobachtung der ethnologischen Feldforschung übernahmen die Frühneuzeitler deren methodische Reflexion. [32] In den achtziger Jahren setzte sich auch im deutschsprachigen Raum die Überzeugung durch, dass die Widerständigkeit in den untersuchten Mikrowelten keineswegs nur für die Herrschaftsträger ihrer eigenen Zeit galt, sondern dass sich das Beobachtungsfeld auch der eindeutigen Beschreibung durch den Historiker entzog. [33] Zur "Negation des Fortschritts" kamen mithin "Zweifel an der Verstehbarkeit der Wirklichkeit", [34] radikalisiert durch den 'linguistic turn'. Mit dem Verständnis von Kultur als der Gesamtheit sich gegenseitig überlagernder Diskursfelder, die sich ihrerseits aus aufeinander bezogenen Texten aufbauen, trat der Inhalt eines Textkorpus und sein Realitätsbezug gegenüber der Frage nach seinen Konstruktionsbedingungen zurück. Die Untersuchung magischer, kosmologischer und wundergläubiger Mentalitäten führte nicht zu einem Verstehensmodell frühneuzeitlicher 'Volksreligiosität', sondern ging unter in der Beschreibung alltäglichen Verhaltens oder löste sich in allgemeiner Kulturgeschichte auf.

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Richard van Dülmen und Kaspar von Greyerz haben unabhängig voneinander in den neunziger Jahren versucht, dieser Entwicklung Grenzen zu setzen und auch einem kulturgeschichtlichen Zugang ein konturiertes religionsgeschichtliches Profil abzugewinnen. 1994 erschien der dritte Band von van Dülmens Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit mit dem Untertitel "Religion, Magie, Aufklärung", [35] zur Jahrhundertwende dann der Band "Religion und Kultur. Europa 1500-1800" von Kaspar von Greyerz. [36] Beide Entwürfe tragen der Tatsache Rechnung, dass sich der Faktor 'Religion' in der Frühen Neuzeit nicht in alternativer Volksreligiosität erschöpft; beide Darstellungen versuchen, die Geschichte von Reformation und Konfessionsbildung in das Gesamtbild einzubeziehen und damit einen allgemeinen Deutungsrahmen für eine Religionsgeschichte der Vormoderne zu entwickeln. Eine solche integrative Sicht war allerdings nicht nur durch die Entscheidung der Forschung für den kulturgeschichtlichen Weg aus dem Blickfeld geraten. In den siebziger Jahren hatte sich die Konfessionalisierungsforschung durchgesetzt, deren Blick weniger auf die vormoderne Religiosität als auf den frühmodernen Staat gerichtet war. [37] Damit war der Faktor 'Konfession' von einer Zugangsweise absorbiert worden, die nicht religionsgeschichtlich verfuhr, sondern die Prozesse und Wirkungen kirchentumsbezogener Formierung von Staat und Gesellschaft in den Mittelpunkt stellte. Beide Forschungsfelder – die kulturgeschichtlich orientierte Erfassung alternativer Volksreligiosität und die historiographisch eher traditionell verfahrende Konfessionalisierungsforschung – hatten ihre je eigenen Debatten und Arbeitszusammenhänge entwickelt, die sich nur selten gegenseitig berührten. [38] Richard van Dülmen hatte dagegen von Anfang an Reformation und Volksreligiosität aufeinander bezogen – allerdings mit einer sehr spezifischen Tendenz. Schon in seinem Beitrag zum Historikertag von 1984 hatte er die These entwickelt, die Konfessionalisierung habe die deviante Glaubenswelt überhaupt erst konstituiert: Erst im 16. Jahrhundert würden eindeutige Trennlinien gezogen, "der kirchlich-geistige, theologisch begründete Glaube als Kernbereich der Religion definiert und Magie und Aberglauben als weltlich-heidnisch, ja unchristlich und unbiblisch verurteilt, weil sie von dem Weg wegführten, von dem allein das Heil zu erwarten war (…)". [39] Damit wurde der Ansatz, 'Volksreligiosität' in den Kategorien von Herrschaft und Widerstand zu untersuchen, auf die religionsgeschichtliche Ratio der Epoche insgesamt übertragen. Dieses Grundverständnis bestimmte noch ein Jahrzehnt später van Dülmens Kulturgeschichte von "Religion und Magie". Analog ist die Epochensynthese von Kaspar von Greyerz angelegt. Konfessionalisierung ist auch hier der Basisprozess der "Bedrängung" von Volkskultur. [40] Eine integrale 'Religionsgeschichte der Neuzeit' konnte so nicht entstehen. Die Historiker der Vormoderne hatten ein eigenes Profil geschichtswissenschaftlicher Religionsforschung entwickelt, das seinerseits nicht generalisierbar war.

Die Moderne im Streit: Ersatzreligionen oder Konfessionalismus?

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Die Zäsur der Religionsgeschichte zwischen Früher Neuzeit und Moderne ist bei allen durchaus bewusst erarbeiteten Unterschieden nicht nur eine Konstruktion der Historiker. Die epochale Differenz ist auch ein empirisches Datum und resultiert aus der Aufhebung des Glaubenszwangs, also der allmählichen Durchsetzung der Religionsfreiheit in den Staatsreformen des 19. Jahrhunderts. Im Ergebnis dieses Prozesses stand eine völlige Neuordnung des Verhältnisses zwischen Glaube und Herrschaft oder Religion und Politik. [41] Und diese Grundtatsache kannte keine schichtspezifische Begrenzung. Mit dem Ende des Zwangs zur Kirchenzugehörigkeit [42] änderten sich die religionsspezifischen Lebensbedingungen der Gesamtbevölkerung, aller Gruppen und Schichten, der breiten Bevölkerung und der Eliten, von Herrschern und Beherrschten. In der zweiten Phase der Konzeption religionsgeschichtlicher Themen durch die Sozialhistoriker der Moderne, seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bildeten die Wirkungen dieses fundamentalen Prozesses einen neuen Schwerpunkt. Der Blick auf die 'Volksreligiosität' trat zurück – die neuen Fragestellungen richteten sich zunächst auf das Bürgertum, schließlich auf die religionsrelevante Verfasstheit der gesamten Nation.

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In der Historischen Zeitschrift hat Lucian Hölscher 1990 einen programmatischen Aufsatz zum Thema der "Religion des Bürgers" veröffentlicht, der zentrale Grundelemente dieser neuen Perspektive enthielt. [43] Hier ging es nicht mehr um die Resistenz der (katholischen) Massen gegen die aufgeklärten Tendenzen der Säkularisierung – jetzt ging es um die Veränderungen der Religiosität des (protestantischen) Bürgertums unter den Bedingungen eben dieser Säkularisierung. Leitlinie der "relativen Kirchenferne" vor allem des Bildungsbürgertums war die Ablehnung der traditionellen christlichen Dogmen und ihrer weltanschaulichen Grundlagen [44] bei gleichzeitigem Festhalten an einem christlichen Rahmen religiöser Äußerungsformen: "Die christliche Überlieferung blieb integraler Bestandteil der bürgerlichen Reflexionskultur. Aus ihr empfing auch das aufgeklärte und kirchenferne Bildungsbürgertum immer wieder Anstöße für eigene religiöse Vorstellungen und Überzeugungen." [45] Diese Ambivalenz bürgerlicher Religiosität unter den Bedingungen der Moderne wurde unter dem Begriff des 'Kulturprotestantismus' [46] gesellschafts- und politikgeschichtlich untersucht. 1994 erschien die Habilitationsschrift von Gangolf Hübinger, dessen Darstellung dieser Bewegung in ihrem Anspruch auf die "Kulturhegemonie" in Staat und Gesellschaft mündete: "Aus der Überzeugung, religiöse Heilserfahrung über wissenschaftlich fundierte Bildung mit der modernen Kultur vermitteln und politischer Herrschaft eine bessere Legitimationsgrundlage liefern zu können, resultierte ein Universalitätsanspruch kulturprotestantischen Christentums, der sich in einem gesellschaftlichen Hegemonialbewusstsein niederschlug." [47] Damit übertrugen die Religionshistoriker ein Konzept auf die Geschichte des 19. Jahrhunderts, das in der Religionssoziologie seit den sechziger Jahren zur Erfassung religiöser Erscheinungsformen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden war. Hier ging es um so genannte 'Säkularreligionen', [48] denen allen gemeinsam war, dass sie als Wirkung des Prozesses der Säkularisierung auf die religiösen Traditionen des Abendlandes verstanden wurden. Für den 'Kulturprotestantismus' war es eben die Rede von der 'Bürgerreligion', die seine Verankerung in der Trägerschicht der aufstrebenden Bürgerlichen Gesellschaft zum Ausdruck brachte, oder der Begriff der 'Zivilreligion', der den Anspruch dieser Schicht auf die Formulierung einer neuen religiös-weltanschaulichen Orientierung indizierte. Das Stichwort der 'Civil Religion' bezeichnete in der amerikanischen Religionssoziologie den Versuch, den Sinnhorizont eines Gemeinwesens "unter den Bedingungen der Religionsfreiheit" zu konstruieren, [49] das heißt das Defizit religiöser Verbindlichkeit der Moderne durch eine von den Kirchen unabhängige Sinnstiftung zu heilen. Der Kulturprotestantismus war nun für die Historiker ein eindrückliches Indiz dafür, dass der Versuch der Ausdehnung einer solchen 'subkulturellen' Zivilreligion auf die Gesamtgesellschaft des Kaiserreichs gescheitert war: das Angebot der 'Bürgerreligion' war auf die Milieus des Katholizismus und der Arbeiterschaft nur schwer oder gar nicht übertragbar. Am Ende stand vielmehr "die kulturelle Versäulung der wilhelminischen Gesellschaft". [50] Erfolg und Wirkung moderner 'Ersatzreligionen' auf nationaler Ebene wurden dagegen dort beschreibbar, wo eben dieser Faktor des Nationalen als ein konstitutives Element religiöser Formierung hinzukam – dort, wo die säkularreligiösen Tendenzen sich zur Politischen Religion profilierten.

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Auf dem Feld der Geschichtswissenschaft war es vor allem Hans-Ulrich Wehler, der die Frage der Verbindung von Nationalbewusstsein, politischer Theorie und religiösen Bewegungen der Moderne aufgriff und zu einem übergeordneten Ansatz verdichtete. Wehler tat dies offenkundig nicht aus Interesse an der Bedeutung des Faktors Religion in der Geschichte. Er wollte auch kein Konzept historischer Religionsforschung entwerfen, wie dies die Arbeiten und Initiativen Wolfgang Schieders bestimmte. Wehler befasste sich vielmehr deshalb mit der religionsgeschichtlichen Thematik, weil das Konzept seiner "Deutschen Gesellschaftsgeschichte" für die Epochen des zweiten Kaiserreichs bis zum Nationalsozialismus ohne das Element des Religiösen nicht geschlossen werden konnte. Er brauchte religionssoziologische Kategorien, um die Dynamik der deutschen Geschichte dieser Zeit verstehen und darstellen zu können – sie ging ganz offenbar nicht auf in den Grundfaktoren von Ökonomie und Politik.

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Der rein instrumentelle Charakter des Faktors 'Religion' für die "Deutsche Gesellschaftsgeschichte" machte eine eigenständige und eingehende Theoriebildung auf diesem Felde entbehrlich. Es reichte vielmehr aus, Versatzstücke einer säkularreligiösen Begriffsbildung zu übernehmen, die bereits in der Zwischenkriegszeit auf internationaler Ebene entwickelt worden war. 1926 hatte Carlton Hayes als erster vom 'Nationalismus' als einer Religion gesprochen, [51] Erich Voegelin hatte unmittelbar im Kontext seiner Emigration, 1938, seinen berühmten Essay über die 'Politischen Religionen' veröffentlicht. [52] Wehler übernahm diese Terminologie und kombinierte beide Ansätze zur 'politischen Religion des reichsdeutschen Nationalismus': "emphatische Überhöhung verlieh (…) dem Nationalismus die Qualität einer Religion. Er wurde nicht nur, wie Norbert Elias gemeint hat, eines der 'mächtigsten, wenn nicht das mächtigste soziale Glaubenssystem des 19. Jahrhunderts'. Vielmehr stieg er zu der einflußreichsten 'politischen Religion' der beiden vergangenen Jahrhunderte auf (…)." [53] Die Anbindung dieser Säkularreligion an die traditionellen religiösen Stratifikationen sah auch Wehler im Protestantismus. Diese Verbindung habe sich in Vorgeschichte und Vollzug der Reichsgründung realisiert und sei "durch den Einbruch des Theologischen Rationalismus, der Spätaufklärung und Säkularisierung in den Protestantismus" [54] möglich geworden. Der 'Kulturprotestantismus' war damit allerdings ausdrücklich nicht gemeint – hier sah Wehler Öffnung zur modernen Welt und liberalen Politik. [55] Es war vielmehr der politisch konservative Protestantismus, der "stimuliert durch die Siege des evangelischen Preußen in den Jahren 1866 und 1870/71 (…) eine unheilige Allianz mit der Ersatzreligion des Nationalismus" einging. [56] In dieser Verbindung sei die Reichsnation sakralisiert worden. [57]

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Im vierten Band seiner 'Deutschen Gesellschaftsgeschichte' sah Wehler diese säkularreligiöse Konfiguration des Kaiserreichs – als Folge der Krisen nach 1918 – zur "politischen Religion des Radikalnationalismus" gesteigert. [58] Und er stellte fest, dass sie dabei ihren Charakter veränderte. Die Verankerung im bürgerlichen Sozialmilieu erweiterte sich in einem schichtübergreifenden Sinne, [59] und wie die soziale, so habe sich auch die religiöse Basis verschoben. Wehler rekurrierte für den Nationalsozialismus auf Ersatzreligionen, die Sozialdarwinismus und völkischen Ideen entstammten und zu einem "völkisch-rassistischen Auserwähltheitsglauben" gesteigert wurden. [60] Fokussiert wurde die entsprechende "bedingungslose Gläubigkeit der Massen" allerdings nicht auf eine bestimmte Glaubenskonzeption, sondern auf die Figur des "politischen Messias". [61] Es war diese Personalisierung des Ansatzes, die Wehler vom unsicheren Boden völkischer Glaubensformen wieder auf vertrautes Terrain brachte. Die "Führervergottung" [62] wird nicht konsequent religionsgeschichtlich untersucht, sondern auf Max Webers Modell der 'charismatischen Herrschaft' bezogen: "Weber hat den Charismatikerbegriff bekanntlich aus der zeitgenössischen religionswissenschaftlichen Debatte, der es um die Erfassung des außergewöhnlichen Talents namentlich der alttestamentarischen Propheten und urchristlichen Gemeindeführer ging, mit sicherem Griff entlehnt, entschieden säkularisiert und großzügig generalisiert, so daß er ihm in seiner universalhistorischen Typologie der legitimen Herrschaftsformen einen zentralen Platz zuweisen konnte." [63] Dieses Konstrukt des politischen Charismatikers hatte Wehler bereits auf Bismarck angewandt, [64] und so ergab sich ein neues Argument für die Kontinuität von Bismarck zu Hitler, jetzt abgeleitet aus dem nachhaltig säkularisierten Konzept der 'Politischen Religionen' der Moderne. [65] Damit wurde die Politische Religion des 'reichsdeutschen Nationalismus' mit ihrem Protestantismusbezug an die Politische Religion des Nationalsozialismus angeschlossen – jenseits aller Hinweise auf eine andere, nämlich völkisch-religiöse Grundlage dieses Glaubenssystems.

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Die Diskussion und kritische Überprüfung dieser Forschungsansätze fand schwerpunktmäßig im institutionellen Rahmen einer jüngeren 'Bielefelder Schule' statt, im Sonderforschungsbereich "Sozialgeschichte des neuzeitlichen Bürgertums" und im Graduiertenkolleg "Sozialgeschichte von Gruppen, Klassen, Schichten und Eliten", also im hier versammelten Kreis von Doktoranden und Habilitanden, soweit sie sich mit religionsrelevanten Themen befassten. In der Mitte der neunziger Jahre gaben Olaf Blaschke und Frank-Michael Kuhlemann einen Sammelband zum Thema "Religion im Kaiserreich" heraus, der die bis dahin vorliegenden Ergebnisse dokumentierte. [66] In diesem Band hat Peter Walkenhorst das Konzept des Nationalismus als 'Politischer Religion' einer grundlegenden Prüfung unterzogen: "Das Phänomen des Nationalismus im Kaiserreich wird (…) häufig als 'politische Religion' oder als säkulare 'Ersatzreligion' charakterisiert, ohne dass diese Begriffe definiert oder theoretisch reflektiert werden." [67] Walkenhorst sah das Theoriedefizit des Konzepts vor allem in seiner Eindimensionalität: Es treffe zwar zu, dass die Nation sakralisiert worden sei: "Die religiöse Dimension des Nationalismus erschöpft sich jedoch nicht in den verschiedenen Formen der Sakralisierung der Nation. Von mindestens ebenso großer Bedeutung für die religiöse Überhöhung des Nationalismus waren seine Verflechtung mit christlichen Vorstellungen und die Nationalisierung traditioneller religiöser Glaubensinhalte." [68] Es seien beide Entwicklungslinien gewesen – die religiöse Aufladung des Nationalismus und der tief greifende Wandel des protestantischen Christentums – die erst in ihrer Verbindung ihre bekannte historische Dynamik entfaltet hätten. Als Grundmotiv dieser Symbiose galt Walkenhorst "die Deutung der Nation als Offenbarung Gottes in der Geschichte", [69] ein Resultat der protestantischen Aufklärung. "Die Säkularisierung des Religionsbegriffs innerhalb des deutschen Protestantismus müsse daher als eine entscheidende Voraussetzung für die religiöse Überhöhung des Nationalismus verstanden werden." [70] Die 'synkretistische Flexibilität des Nationalismus' habe sich nicht auf die Sakralisierung von Volk und Nation beschränkt, sondern diese selbst "zum Inhalt der christlichen Religion" gemacht. [71]

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War dies eine Korrektur, so erfolgte die Generaloffensive in der Arbeit von Olaf Blaschke. Schon in der Einleitung zum Bielefelder Sammelband hatte Blaschke mit Kuhlemann darauf hingewiesen, dass es nicht angemessen sei, 'Religion' in der Moderne als eine "Residualkategorie" zu begreifen, deren Untersuchung allenfalls dazu tauge, "den dominanten Entwicklungsstrang der Säkularisierung besser zu beleuchten". [72] Der Jahrgang 2000 von "Geschichte und Gesellschaft" brachte den Aufruf zum Paradigmenwechsel. Es sei falsch, so Blaschke, den Prozess der Säkularisierung zum Bezugsrahmen der Religionsgeschichte des 19. Jahrhunderts zu machen. Die leitende Konfiguration sei vielmehr der Konfessionalismus, das 19. Jahrhundert ein "Zweites Konfessionelles Zeitalter", [73] das die Gesellschaft "quer zu den vertrauten Klassenlinien" gespalten habe. [74] Eine besondere Stärke dieses Angebots lag darin, dass so die jeweils einseitige konfessionelle Schwerpunktsetzung in der sozialgeschichtlichen Religionsforschung zugunsten eines integrativen Ansatzes überwindbar wurde. In der ersten, von Wolfgang Schieder bestimmten Phase, hatte mit dem Volksreligiositätskonzept der Katholizismus im Mittelpunkt gestanden. In der zweiten Phase – den neunziger Jahren – war es in programmatischer Hinsicht nahezu ausschließlich um den Protestantismus gegangen. Jetzt verdichtete sich die Betrachtung zu einem Gesamtbild. Mit diesem Gesamtbild erhob das Konzept Anspruch auf übergeordnete Deutungshoheit: Nicht der Nationalismus ist die Leitfigur des deutschen Weges in die Katastrophe, sondern der "Dämon des Konfessionalismus". [75] Gangolf Hübinger merkte gleichzeitig an, die 'Politische Religion' des Nationalismus habe die Gegensätze der Konfessionskulturen nur "sehr bedingt entschärft". [76] Blaschkes konfessionalistisches Paradigma betonte "nicht den alle Wertsysteme neutralisierenden Nationalismus, sondern umgekehrt den enormen konfessionellen Einfluss auf diesen". [77]

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Damit war das Konzept der Säkular- und Ersatzreligionen vehement zurückgewiesen; das Christentum in seinen konfessionellen Ausprägungen kehrte in seine alte Position zentraler Bedeutung zurück. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Wende in der Religionsgeschichte der Moderne einen neuen Weg zu einer integralen Religionsgeschichte der Neuzeit eröffnet hätte, dass die Gräben zwischen Früher Neuzeit und dem 19. und 20. Jahrhundert durch ein erweitertes Konzept des Konfessionalismus zugeschüttet worden seien. Bemerkenswerterweise ist dies nicht der Fall. Das 18. Jahrhundert mit seinen Tendenzen aufgeklärter Religionsdistanz – so Olaf Blaschke – liege wie ein erratischer Block zwischen beiden Epochen. Zwar ließen sich "Gemeinsamkeiten von erster und zweiter Konfessionalisierung im direkten Vergleich anführen", [78] und Blaschke bemüht sich intensiv um einen solchen Vergleich. Aber dazwischen liege das "Interregnum des 'Zeitalters der Toleranz' ". [79] Die Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert sei "ein genuin neues Phänomen" [80] : "Letztlich könnte das Zweite Konfessionelle Zeitalter völlig anders als das 'Erste' sein." [81] Frühe Neuzeit und Moderne entfernen sich also eher voneinander, als dass sie sich annähern. Eine Religionsgeschichte der Neuzeit hatte auch in den Koordinaten des Streits um die Säkularisierung keine Perspektive.

Neue Religionsgeschichte und 'Neue Religionen'

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1988, an der Nahtstelle zwischen erster und zweiter Phase sozialgeschichtlicher Religionsforschung, war ein schmales Bändchen mit pointiertem Titel erschienen: "Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918". Thomas Nipperdey hatte sich entschlossen, aus dem Manuskript der Deutschen Geschichte nach 1866, an dem er gerade arbeitete, den religionsgeschichtlichen Teil herauszulösen und ihn vorab und separat zu publizieren. Das signalisierte den Anspruch auf Novität, und in der Tat war den Konfessionen, also Katholizismus und Protestantismus, ein drittes Kapitel zur Seite gestellt worden: "Die Unkirchlichen und die Religion". [82] Nipperdey konstatierte für die Zeit des Kaiserreichs einen "religiösen Paradigmawechsel": "Die Deutschen hören auf, in ihrer Mehrheit Christen zu sein". [83]

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Die Radikalität dieses Gedankens war für die geschichtswissenschaftliche Religionsforschung ihrer Zeit beachtlich – noch hatte ja kaum die Untersuchung säkular- und nationalreligiöser Tendenzen im Protestantismus begonnen, und es war nur zu deutlich, dass Nipperdey sich mit der These einer tendenziellen Entchristlichung der Gesellschaft des Kaiserreichs nicht auf die Forschung von Kollegen stützen konnte. Keine einzige Arbeit eines anderen deutschen Historikers war in seine Darstellung eingegangen. So war er offenbar über die eigene Kühnheit erschrocken und hatte dem einen Schritt voran zwei Schritte zurück folgen lassen. Die anstößige These wurde noch in der Zusammenfassung des Separatdrucks relativiert: Der Konfessionsgegensatz bleibe "ungleich wichtiger als jener doch auch fundamentale Gegensatz zwischen Christen und Nicht-Christen". [84] Als zwei Jahre später der Gesamtband erschien, verstärkte sich diese Distanzierung noch. Die Bilanz der Religionsgeschichte des Kaiserreichs stand nun explizit unter dem Diktum: "Der konfessionelle Gegensatz als Grundtatsache". [85]

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Trotz dieser unscharfen Positionsbestimmung darf das schmale Bändchen Nipperdeys für die Geschichtswissenschaft als Auftakt einer Religionsforschung gelten, die sich die 'neuen Religionen' zum Thema gemacht hat. Unsicherheit über den eigenen Gegenstand drückt sich zwar bis heute darin aus, dass der Begriff der Religion hier nicht nur durch eine 'ersatzreligiöse' Kompositabildung eingeschränkt und relativiert wird: Der Religionsbegriff wird häufig ganz und gar vermieden und durch das Stichwort der 'Weltanschauung' ersetzt. Das ändert jedoch nichts daran, dass sich die Erforschung der 'neuen Religionen' inzwischen als Teil historischer Religionsforschung etabliert hat, dass sich so eine deutliche Alternative zur konfessionell orientierten Religionsgeschichte der Moderne herausbildet, deren sonst prinzipieller Christentumsbezug ja keineswegs überholt ist, sondern gerade erst in der Arbeit Olaf Blaschkes noch einmal in einem ganz besonderen Maße betont wird.

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Es ist bemerkenswert, dass die erste große geschichtswissenschaftliche Untersuchung zu einem bedeutenden Segment der 'neuen Religionen' ebenfalls in den Kontexten der 'Bielefelder Schule' entstand: Im Wintersemester 1994/95 legte Frank Simon Ritz seine Dissertation vor, die mit den Betreuern Jörn Rüsen und Lucian Hölscher aus dem bereits erwähnten Graduiertenkolleg hervorgegangen war. Das Thema lautete: "Die Organisation einer Weltanschauung", und die Arbeit behandelte die "freigeistige Bewegung" des Kaiserreichs. [86] Der Religionsbegriff wurde dadurch weitgehend zu vermeiden versucht, dass die Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts den Ausgangspunkt und das Zentrum bildete. Leitwissenschaft war die Biologie mit ihrer Durchsetzung des Darwinismus in den Arbeiten des Jenaer Zoologen Ernst Haeckel. [87] Die Arbeit befasste sich mit der Frage, wie es möglich war, dass "das naturwissenschaftliche, am evolutionistischen Paradigma orientierte Denken (…) in den Rang einer offenkundig ersatzreligiösen 'Weltanschauung' erhoben werden konnte". [88] In der Tat bildete diese Frage – in generalisierter Form – das Hauptproblem der Erforschung der 'neuen Religionen': Wie ist es denkbar, dass es jenseits der kulturell akzeptierten christlichen Religiosität gerade innerhalb der Elite das Bedürfnis nach neuen Glaubensmodellen gab? Es war immer vergleichsweise einfach gewesen zu akzeptieren, dass die Volksreligiosität abergläubische und irrationale Tendenzen konservierte. Hier aber hatte man es mit dem Bildungsbürgertum zu tun. Simon-Ritz zeigte, dass Haeckel in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts Darwins Entwicklungstheorie zuerst auf die Naturgeschichte des Menschen bezogen und sie dann in seiner "Natürlichen Schöpfungsgeschichte" ideologisiert hatte. [89] Das entscheidende Stichwort wurde der 'Monismus', ein Begriff, der verschiedene Versuche kennzeichnet, "ausgehend von den Naturwissenschaften eine einheitliche Weltanschauung auszubilden". [90] 1906 wurde der "Deutsche Monistenbund" gegründet; 1909 übernahm der Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald dessen Vorsitz. [91] Im gleichen Jahr schlossen sich die freigeistigen Organisationen zum "Weimarer Kartell" zusammen. [92] Schließlich wurde es mit der Entwicklung eigener Zeremonien und Riten überdeutlich, dass hier der Anspruch auf Religionsstiftung erhoben wurde. Simon-Ritz zitiert die Prophezeiung Haeckels, im 20. Jahrhundert werde ein großer Teil der Kirchen an die freien Gemeinden des Monismus übergehen. [93] Bereits seine "Natürliche Schöpfungsgeschichte" hatte Haeckel in die Skizze einer "monistischen Natur-Religion der Zukunft" ausklingen lassen." [94] Simon-Ritz schrieb schließlich Religionsgeschichte wider Willen – die Freigeistigen seien "noch in ihrer radikalen Abkehr von einem religiös bestimmten Weltbild auf den Gegenstand ihrer Negation bezogen" geblieben. [95]

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1996 veröffentlichte Ulrich Linse ein kleines, aber wichtiges Bändchen über "Geisterseher und Wunderwirker", eine kurz gefasste Geschichte zu Spiritismus und Okkultismus der Moderne. [96] Der Münchner Historiker setzte sich mit einer Bewegung auseinander, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerika entstanden war und von da aus nach Europa und Deutschland übergegriffen hatte. [97] Es war unmittelbar evident, dass sich die Herausforderung, die die neuen Religionen generell für die Weltsicht der Historiker bedeutete, hier zu einem Problem steigerte. Spiritisten befassten sich in Séancen mit Experimenten, in denen Kontakt zu den Toten hergestellt werden sollte. Tischerücken, Klopfzeichen und der Einsatz von Trancemedien, die die Botschaften der Geister an die Lebenden vermittelten, waren Kennzeichen der einschlägigen Szenerie. Anders als die Rituale des Christentums, waren derartige Verhaltensformen kulturell nicht akzeptiert. Wie sollte man diesbezüglich noch zu rationalen Erklärungsmodellen gelangen? Es war daher gängige Praxis, dort, wo derartige Formen von Religiosität unübersehbar waren, dies – in der Tradition einer älteren Kultur- und Sittengeschichte – als Kuriositäten abzubuchen. Ulrich Linses Interesse aber war nicht das Bizarre und Spektakuläre. Es ging ihm auch nicht darum, ein weiteres Mal aufzudecken, dass das Modell der Säkularisierung als Grundverständnis der Moderne an seine Grenzen stößt. Linse ging es vielmehr darum, die Nähe des spiritistischen Denkens zum naturwissenschaftlichen Weltbild der Zeit zu zeigen: Der Spiritismus wollte die als unbegrenzt verstandenen Möglichkeiten der experimentellen Naturwissenschaften in den Dienst der Erforschung des Übersinnlichen stellen; er habe "den Bereich rationaler empirischer Forschung auf bisher als übernatürlich geltende Erscheinungen ausdehnen wollen". [98] Diese Forschungsthese war gedeckt durch das Selbstbild der Spiritisten, die davon ausgingen, dass okkulte Phänomene nur "unbekannte Naturwissenschaft" seien. Der Okkultismus werde durch die Wissenschaft der Zukunft bewiesen werden. [99]

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Damit zeichnete sich trotz gravierender Unterschiede im Weltverständnis eine bemerkenswerte strukturelle Identität zwischen Spiritismus und Monismus ab, wie ihn Simon-Ritz bei Haeckel auf der Basis eines anthropologisch gefassten Darwinismus beschrieben hatte: Beiden Bewegungen ging es darum, das religiöse Bewusstsein des modernen Menschen auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen, Religion und Wissenschaft miteinander zu verbinden. Verstärkt und theoretisch ausgebaut wurde dieser Anspruch in der 'Theosophischen Gesellschaft'. Spezialist für diese aus dem Spiritismus hervorgegangene Bewegung ist der Historiker und Theologe Helmut Zander. 1996 publizierte er einen Beitrag zu den Beziehungen zwischen Okkultismus und Sozialdarwinismus: Helena Blavatsky, die Begründerin der modernen Theosophie, begibt sich – so Zander – "in die Konkurrenz, ja geradezu in einen gesuchten Schlagabtausch mit den empirischen Wissenschaften, ein für sie und andere Okkultisten ausgesprochen typisches Vorgehen." [100] Sie ging soweit, theosophische Lösungen für ungelöste wissenschaftliche Probleme anzubieten. Es war ihr Ziel, "auf der Höhe des wissenschaftlichen Diskurses und im Einklang mit den Spitzen der Forschung eine theosophische Weltanschauung zu begründen". [101] Der Kreis schloss sich in Rudolf Steiners als Abspaltung von der 'Theosophischen Gesellschaft' begründeter Anthroposophie, die Zander als "spirituellen Monismus" bezeichnet: Ernst Haeckels religiöser Biologismus sei ein wichtiger Ideenlieferant gewesen. [102]

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Strukturell lag die Verbindung von Monismus und Okkultismus also in der Überlagerung von Glaube und Wissenschaft, substanziell lag sie in der Lehre von der Entwicklung der Arten, die sich in der Rassenbiologie der Zeit anthropologisierte. Frank Simon-Ritz hat dargelegt, wie aus der auf Darwin bezogenen freigeistigen Bewegung die 'Rassenhygiene' hervorging – mit sozialreformerischen Ansätzen zur gesunden Lebensführung. [103] Im Okkultismus war die Rassenlehre Teil einer umfassenden Kosmologie. Die Evolution des Menschen greift in der theosophischen Konzeption über den irdischen Lebensraum hinaus und imaginiert die Höherentwicklung der Rassen auf verschiedenen Planeten – dargestellt durch die Denkfigur der Seelenwanderung in Reinkarnationen. [104] So entsteht eine Hierarchisierung menschlicher Rassen. In der 'Völkischen Bewegung' bildet sich diese Hierarchie zunächst im irdischen Raum. Wie in einem Brennglas versammelte das "Handbuch der 'Völkischen Bewegung' des Kaiserreichs, das 1996 herauskam, [105] die verschiedenen Ansätze und Richtungen, die "weltanschauliche Breite (…), in der sich Ideologeme der weitgefächerten Lebensreformbewegung ebenso wiederfinden wie vor allem ein auf rassentheoretischen Fundamenten ruhender Radikalnationalismus, der von einer in der Geschichte begründeten Auserwähltheit des deutschen Volkes ausging". [106] Uwe Puschner und Justus H. Ulbricht, die dieses Standardwerk in Zusammenarbeit mit einem Germanisten konzipiert hatten, waren Fachleute. Puschner arbeitete an einer Habilitationsschrift zur Völkischen Bewegung. [107] Justus H. Ulbricht leitete in der Entstehungsphase des Handbuchs zusammen mit der Berliner Skandinavistin Stefanie von Schnurbein einen 'Arbeitskreis zur Geschichte neuer Religiosität im 20. Jahrhundert'. [108] Ein derart interdisziplinär-literaturwissenschaftlicher Kontext eröffnete einen unbefangeneren Umgang mit dem Religionsbegriff, von dem das Handbuchprojekt profitierte: "Sicherlich hatte auch der Nationalismus der wilhelminischen Epoche bereits sakrale Züge angenommen", so Puschner und Ulbricht im Vorwort, "die völkischen 'Propheten' gingen jedoch einen Schritt weiter. Denn ihre Ideologie setzte eine 'arteigene' Religion voraus". [109] Und dann zugespitzt: "Die Religionsfrage bildet somit gleichsam den archimedischen Punkt der völkischen Ideologie". [110] Von diesem 'Punkt' fächern sich die einzelnen Strömungen aus: "Entsprechend brachte die völkische Bewegung (…) unterschiedlichste Religionsentwürfe und -gemeinschaften hervor, deren 'Ziel' die 'Germanisierung der Religion' war, und die von einem (…) arisierten Christentum bis hin zu einer neuheidnisch-ariogermanischen Religion reichten." [111] Ulrich Linse hat sich in einem programmatischen Aufsatz mit der Grundkonzeption neuer Religionen auseinandergesetzt: "Um die letzte Jahrhundertwende wurde in Deutschland der (…) ästhetisch-literarische 'Moderne'-Begriff auf die zeitgenössischen neureligiösen Trends übertragen und die Bezeichnungen einer 'Modernen Religion' bzw. einer 'Religion der Modernen' eingeführt". [112] Natürlich ist dies nicht der Moderne-Begriff der Historiker; es ist eine gebrochene Moderne, wie Gangolf Hübinger es formuliert hat: "eine Art spiegelverkehrter Modernitätsreflexion". [113] Sie war bezogen auf die Wissenschaft ihrer Zeit, erschöpfte sich aber darin nicht. Die religiöse Grundfigur war die Suche nach dem Heil, eine Religion der Selbsterlösung [114] neben oder in der Erlösungsreligion des Christentums.

Konklusionen

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In den voraufgehenden vier Kapiteln sind Strategien und Ansätze einer historischen Religionsforschung im Rahmen der Geschichtswissenschaft untersucht worden. Die erste Frage angesichts einer solchen Vorgehensweise muss lauten: Ist das sinnvoll? Ist es überhaupt möglich? Ist nicht 'Religionsgeschichte' von vornherein und immer ein interdisziplinäres Unterfangen, denkbar nur in der engen Verbindung von Religionssoziologie, von Kulturwissenschaften allgemein, von Theologie und Religionswissenschaft? In der Tat hat auch der hier gegebene Überblick gezeigt, dass es nicht möglich ist, die entsprechenden Einflüsse gänzlich auszublenden – gerade die beschriebenen Differenzen zwischen der Frühneuzeitforschung und der Religionsgeschichte der Moderne erschließen sich nur, wenn man die Wirkungen von Ethnologie und Anthropologie auf das historische Verständnis vormoderner Religiosität einbezieht. Und die Erforschung der 'neuen Religionen' ist so fest eingebunden in den Kontext von Literaturwissenschaften, Philosophie- oder Wissenschaftsgeschichte, dass dem Beobachter im Grunde nur Bruchstücke vor Augen kommen, wenn er versucht, die Arbeiten von Historikern aus dem Gesamtbild herauszulösen und gesondert zu betrachten.

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All dies konzediert, so bleibt doch eine Grundtatsache fachübergreifender Kooperation bestehen: Interdisziplinarität ist für die Entwicklung innerhalb eines Faches nur dann förderlich, wenn es auch einen eigenen, disziplinspezifischen Zugang ausbildet. Andernfalls fehlt der konzeptionelle und methodische Schwerpunkt, auf den sich die Anregungen und Einflüsse von außen beziehen lassen. Das interdisziplinäre Bemühen um den Faktor 'Religion' in der Geschichte ist das eine, das andere ist die Binnensicht: Es muss eine Religionsgeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft erarbeitet werden.

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Genau dies war die Absicht Wolfgang Schieders, als er diesen Prozess in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Gang setzte. Er tat dies in kämpferischer Abgrenzung gegen die Theologie. Zehn Jahre später stellte er fest: "Nicht nur die Kirchenhistoriker, sondern auch die Religionswissenschaftler, die Soziologen und die Volkskundler haben den Historikern in der Religionsforschung weitgehend den Rang abgelaufen. Das hat zur Folge, dass das wissenschaftliche Verständnis von 'Religion' heute sehr viel stärker von diesen Wissenschaften als von der Geschichtswissenschaft bestimmt wird." [115] Zwanzig Jahre später erklärte er in den Protokollen einer Göttinger Tagung: "Martin Greschat moniert in seinem Referat, daß es in Deutschland keine 'gesunde wissenschaftliche Konkurrenz der Profangeschichte zur Kirchengeschichte' gäbe (…) Ich kann dem bedauerlicherweise nicht widersprechen, auch wenn ich mich immerhin zu den ersten Rufern in der Wüste zählen möchte." [116]

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Nun wäre als erstes zu fragen: Stimmt diese Diagnose überhaupt? Gibt es nicht inzwischen eine große Fülle geschichtswissenschaftlicher Arbeiten, die sich mit Themen befassen, die dem Spektrum von Religion und Kirche zuzuordnen sind? In der Tat dürfte eine einschlägige Bibliographie bereits einen beachtlichen Umfang annehmen; es genügt, in die entsprechenden Literaturberichte hineinzusehen, um diese Tatsache bestätigt zu finden. [117] Offenbar aber werden diese zahlreichen Studien als Fragmente wahrgenommen, denen es am Gesamthorizont mangelt. Es fehlt nicht an Einzelforschung; es fehlt ein disziplinspezifisches Profil. Was läuft hier also schief?, wird man etwas salopp fragen dürfen. Wie kann es sein, dass die Historiker seit drei Jahrzehnten versuchen, eine ihrem Fach gemäße Religionsgeschichte aufzubauen, um in periodischen Abständen festzustellen, dass dem offenbar nicht der erhoffte Erfolg beschieden war. Es kann ja wohl nicht immer noch daran liegen, dass die Relevanz des Themas nicht ausreichend erkannt ist. Auch die eindimensionale Vorstellung vom modernen Säkularisierungsprozess ist inzwischen so gründlich widerlegt, dass entsprechende Vorurteile kaum noch hinderlich sein dürften. Wo also liegen die Gründe für dieses Defizit?

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Der Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf hat im Jahre 2000 eine Grundsatzkritik historischer Religionsforschung publiziert, die deren Ausgangskonfrontation – das Spannungsverhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Theologie – noch einmal aufgreift und nach vielen Jahren dazwischenliegender Forschung neu beschreibt. Graf benennt ein in der Tat fundamentales Problem: "Die Begriffe der Religion, mit denen Historiker derzeit die komplexen religiösen Lebenswelten moderner Gesellschaft zu erschließen versuchen, sind häufig allzu vage und unbestimmt." [118] Historiker setzen sich nicht mit den Inhalten des Glaubens und mit ihren Begrifflichkeiten auseinander, eine Bemerkung, die Graf nicht nur auf die sozialgeschichtlichen, sondern auch auf die kulturgeschichtlich inspirierten Studien bezieht: "Wer diese theologischen Elemente und religionssemantischen Repräsentationen nicht präzise zu erfassen vermag, kann Glaube, Frömmigkeit und religiöse Mentalität bestenfalls in äußeren Umrissen wahrnehmen. Es kommt aber gerade darauf an, solche inhaltlichen Bestimmtheiten zu erfassen. Denn nur dann lässt sich nachvollziehen, warum diesen Menschen ihr Glaube so existentiell wichtig gewesen ist, dass sie ihn zu einem oder dem konstitutiven Element ihrer Identitätskonstruktion gemacht haben." [119] Um dieser Blindheit abzuhelfen, müssen die "Kommunikationsblockaden zwischen Geschichtswissenschaft und akademischen Theologien" abgebaut werden: "Theologieabstinente Kulturgeschichtsschreibung religiöser Mentalitäten kann nur die Außenseiten 'des Glaubens' erfassen." [120]

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So war nach Friedrich Wilhelm Graf die Auftaktkonstellation geschichtswissenschaftlicher Religionsforschung – ihre Abgrenzung gegenüber der Theologie – gleichzeitig ihr Sündenfall. Die Distanzierung wäre also nur rückgängig zu machen, um den Historikern aus ihrer Kalamität zu helfen. Aber ganz so einfach ist es wohl nicht. Dass religiöser Glaube "als eine elementare Sinnstruktur ernst zu nehmen" ist, wie Graf betont , [121] kann nicht eindringlich genug formuliert werden, und das Defizit der Geschichtswissenschaft auf diesem Feld ist offenkundig. Die Frage ist allerdings, wie es zu heilen wäre. Der Vorschlag, diese Kompetenz bei den Theologien abzuholen und deren Forschungsergebnisse gleichsam als Bausteine anderer Provenienz in das Gebäude sozialgeschichtlicher, institutionenbezogener oder mikrohistorischer Religionsgeschichte einzufügen, kann nicht überzeugen – jedenfalls dann nicht, wenn dies im Sinne einer Arbeitsteilung zu verstehen ist. Historiker dürfen ihren Anspruch auf eine vollständige geistige Erfassung des Phänomens 'Religion' nicht aufgeben. Selbstverständlich sind sie aufgerufen, die Ergebnisse theologischer Deutungskompetenz zu rezipieren – die Zeiten einschlägiger Polemik sind erfreulicherweise vorbei. Aber sie müssen dieses Wissen aus eigener Kompetenz überprüfen und ihm eigene Einsichten hinzufügen. Der fachliche Anspruch auf die Erfassung religiöser Sinnproduktion in ihrem historischen Wandel darf nicht wie ein Hut an der theologischen Garderobe abgegeben werden.

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Warum ist eine solche konsequente Arbeitsteilung zwischen Theologien und Geschichtswissenschaft nicht sinnvoll? Weil aus Sicht von Historikern die Analyse von 'Glaubensinhalten' auch im europäischen Raum nicht in der Geschichte des Christentums aufgeht. Erstens gibt es rein säkulare Kontexte der Entstehung von Weltbildern, die sorgfältig von religiösen Kontexten abgegrenzt werden müssen, um die Grenzen des Erklärungspotentials von Religionsgeschichte zu bestimmen. Auch der Überschneidungsbereich im Konzept der 'Säkularreligionen' kann nur dann weiter ausgeleuchtet werden, wenn nicht nur die Dimension des Religiösen, sondern auch die des Säkularen ernst genommen wird. Das Modell der 'Säkularisierung' ist selbstverständlich zu relativieren. Es jedoch verschwinden zu lassen im neuen, aktuellen Bewusstsein von der Bedeutung des Religiösen, das wäre ein Kurzschluss, der einer säkular begründeten Wissenschaft nicht ansteht. – Zweitens sollte auch im europäischen Raum nicht alle Religiosität in den Koordinaten eines christlichen Rahmenverständnisses von Religion beurteilt werden. Dies endlich als Herausforderung religionsgeschichtlicher Arbeit zu begreifen, ist Aufgabe aller Historiker, die sich mit Begriffen wie 'Volksreligiosität' und 'Aberglauben', mit 'magischer Religiosität', devianten Glaubensformen jeder Art befassen. Auch dies muss als historischer Faktor ernst genommen und inhaltsbezogen, nicht nur verhaltensformal untersucht werden.

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Dabei ist es fundamental, deviante Glaubensformen nicht anthropologisch zu fassen. 'Magische Religiosität' als Grundkonstante menschlicher Denkformen zu begreifen, kann nicht das Geschäft des Historikers sein. In dieser Hinsicht sind nicht nur die Grenzen zur Theologie, sondern auch die zu allen Disziplinen einer allgemeinen Kulturwissenschaft zu beachten. Die Stärke der Geschichtswissenschaft ist historische Tiefenschärfe und Kontextbildung. Was das konkret bedeuten kann, zeichnet sich heute bereits beim Thema der 'neuen Religionen' des 19. und 20. Jahrhunderts ab. Historiker fangen an zu fragen: Was ist neu an den neuen Religionen? Sehr klar hat Ulrich Linse dieses Problem formuliert: 'Moderne Religion' und 'Neue Religiosität' sind Selbstwahrnehmungen der Zeit, "aber nur sehr beschränkt geeignet, ein historisch richtiges Bild der damaligen religiösen Umbruchsituation zu geben." [122] Die neue große Untersuchung des Spiritismus in Deutschland – von Diethard Sawicki, der mit diesem Thema 2000 bei Lucian Hölscher promoviert wurde [123] – leitet den Spiritismus jenseits der Gründung der Jahrhundertmitte in den Vereinigten Staaten aus dem Geisterglauben der Aufklärung her. [124] Linse schlägt vor, die Umbruchsituation von 1900 nicht als etwas grundsätzlich Neues, sondern als "bloßen Gestaltwandel von Religion und Christentum" zu verstehen. [125] Wohin aber geht man zurück, wo sind langfristige Kontinuitäten, ab wann entsteht Neues? Ist es sinnvoll, auf vorchristliche Zeiten zu rekurrieren? Gangolf Hübinger plädiert für die Anerkennung 'neuheidnischer' Konstruktionselemente in Politischen Religionen. [126] Wie aber kommt eigentlich das Heidentum ins 19. Jahrhundert? Die Frage nach der historischen Tiefenstruktur der religiösen Moderne ist eines der interessantesten Probleme, die sich der Geschichtswissenschaft heute stellen.

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Die genaue geschichtswissenschaftliche Autopsie der historischen Grundlagen moderner Religiosität in allen ihren Ausprägungen könnte die entscheidende Brücke sein, die eine Religionsgeschichte der Neuzeit als Gesamtansatz konstituiert. Noch längst ist die Frage danach nicht beantwortet, wie sich genau Kontinuität und Diskontinuität zwischen den Konfessionalisierungsparadigmen des 16. und 17. oder des 19. Jahrhunderts darstellt. Liegt das 18. Jahrhundert tatsächlich wie ein Riegel zwischen beiden Epochen? Wie bestimmt sich das so genannte 'Zeitalter der Toleranz' religionsgeschichtlich? Vielleicht ist es ja kein Riegel, sondern eine Gelenkstelle zwischen Früher Neuzeit und Moderne. Dass die Historiker beim Versuch, Antworten auf diese Fragen zu finden, Anregungen und Ergebnisse aus anderen Disziplinen aufgreifen, ist selbstverständlich; nur die Ratio des Ganzen sollten sie nicht dort suchen. Das wäre nicht deshalb bedenklich, weil die in anderen Wissenschaften besetzten Positionen falsch sind – in Fragen dieser Art geht es niemals um richtig oder falsch. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die dort zu findenden Antworten nur bedingt der Logik der Geschichtswissenschaft und ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit entsprechen. Dass es dabei von Bedeutung wäre, dass die Historiker auch die Weltbilder und religiösen Dispositionen des eigenen Faches reflektieren – dieser Forderung von Friedrich Wilhelm Graf kann nur zugestimmt werden. [127] Man sieht, es ist noch viel zu tun. Eine Religionsgeschichte der Neuzeit muss ihren eigenen Standort finden. Dann wird sie im Konzert der Disziplinen eine Rolle spielen, dann wird sie auch ihrerseits Wirkung entfalten.

Autorin:

Prof. Dr. Monika Neugebauer-Wölk
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Institut für Geschichte
Hoher Weg 4
06120 Halle
monika.neugebauer-woelk@geschichte.uni-halle.de



[1] Vgl. zu diesem Stichwort Irmtraud Götz v. Olenhusen: Die neue Religionsgeschichte, in: Christoph Cornelissen (Hg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, Frankfurt am Main 2000, 271-280. Eine entsprechende Entwicklung vollzog sich selbstverständlich auch in anderen Ländern, eine integrierte Behandlung der entsprechenden internationalen Debatte würde den hier vorgegebenen Rahmen jedoch sprengen, daher kann nur darauf verwiesen werden. Vgl. z. B. Michael Hochgeschwender: Religion, nationale Mythologie und nationale Identität. Zu den methodischen und inhaltlichen Debatten in der amerikanischen "New religious history", in: Historisches Jahrbuch 124 (2004), 435-520.

[2] Wolfgang Schieder: Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844, in: Archiv für Sozialgeschichte 14 (1974), 419-454.

[3] Wolfgang Schieder (Hg.): Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Göttingen 1977. Es handelt sich um Heft 3 des 3. Jahrgangs von "Geschichte und Gesellschaft".

[4] Anthony J. Steinhoff: Ein zweites konfessionelles Zeitalter? Nachdenken über die Religion im langen 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), 549-570. Der Artikel beginnt mit dem Satz: "Die Erforschung der Geschichte Mitteleuropas im 19. und frühen 20. Jahrhundert hat in den vergangenen dreißig Jahren einen 'religious turn' erlebt."

[5] Wolfgang Schieder: Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution von 1830, Stuttgart 1963.

[6] Schieder: Kirche und Revolution (wie Anm. 2), 454.

[7] Wolfgang Schieder: Religionsgeschichte als Sozialgeschichte. Einleitende Bemerkungen zur Forschungsproblematik, in: Ders. (Hg.): Religion und Gesellschaft (wie Anm. 3), 292.

[8] Schieder: Religionsgeschichte als Sozialgeschichte (wie Anm. 7), 296. Vgl. dazu auch Bernhard Schneider: Vergessene Welt? Religion, Kirche und Frömmigkeit als Thema der deutschen Geschichtswissenschaft. Historiographische und methodologische Sondierungen, in: Amalie Fössel/Christoph Kampmann (Hg.): Wozu Historie heute?, Köln/Weimar/Wien 1996, 45-79, hier: 51-57.

[9] Der Beitrag erschien erst drei Jahre nach seiner Entstehung im Druck: Richard van Dülmen: Religionsgeschichte in der Historischen Sozialforschung, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), 36-59. Dülmen hatte das Heft Schieders kurz vor Abschluss seines Manuskripts nur noch zur Kenntnis nehmen können. Vgl. 50 Anm. 40.

[10] Dülmen: Religionsgeschichte (wie Anm. 9), 37.

[11] Dülmen: Religionsgeschichte (wie Anm. 9), 40.

[12] Hier sei nur am Rande vermerkt, dass das dabei zugrunde liegende Bild der Kirchengeschichte selbst ideologische Züge trug. Vgl. dazu den Diskussionsbeitrag von Rudolf von Thadden: Kirchengeschichte als Gesellschaftsgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), 598-614, hier: 602.

[13] Schieder: Religionsgeschichte als Sozialgeschichte (wie Anm. 7), 296.

[14] Schieder: Religionsgeschichte als Sozialgeschichte (wie Anm. 7), 295.

[15] Urs Altermatt: Volksreligion – neuer Mythos oder neues Konzept? Anmerkungen zu einer Sozialgeschichte des modernen Katholizismus, in: Jakob Baumgartner (Hg.): Wiederentdeckung der Volksreligiosität, Regensburg 1979, 105-124, hier: 106.

[16] Wolfgang Schieder (Hg.): Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 11), Göttingen 1986.

[17] Schieder: Religionsgeschichte als Sozialgeschichte (wie Anm. 7), 295.

[18] Schieder (Hg.): Volksreligiosität (wie Anm. 16), 11.

[19] Schieder (Hg.): Volksreligiosität (wie Anm. 16), 11.

[20] Schieder (Hg.): Volksreligiosität (wie Anm. 16), 13.

[21] Vgl. Kaspar von Greyerz: Vorsehungsglaube und Kosmologie. Studien zu englischen Selbstzeugnissen des 17. Jahrhunderts, Göttingen/Zürich 1990, Zitat 9. Vgl. Kaspar von Greyerz: Vorsehungsglaube und Kosmologie. Studien zu englischen Selbstzeugnissen des 17. Jahrhunderts, Göttingen/Zürich 1990, Zitat 9.

[22] Kaspar von Greyerz (Hg.): Religion and Society in Early Modern Europe 1500-1800, London 1984.

[23] Wolfgang J. Mommsen: Foreword, in: Greyerz (Hg.): Religion and Society (wie Anm. 22), IX f., Zitat IX.

[24] Greyerz (Hg.): Religion and Society (wie Anm. 22), Inhaltsverzeichnis.

[25] Vgl. allgemein zur Konstituierung einer historischen Anthropologie Hans Medick: "Missionare im Ruderboot"? Ethnologische Erkenntnisweisen als Herausforderung an die Sozialgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), 295-320.

[26] Ute Daniel: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt am Main, 3. verbess. Aufl. 2002, hier 445 f.

[27] Allgemein dazu der instruktive Beitrag von Thomas Mergel: Kulturgeschichte – die neue "große Erzählung"? Wissenssoziologische Bemerkungen zur Konzeptualisierung sozialer Wirklichkeit in der Geschichtswissenschaft, in: Wolfgang Hardtwig/Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Kulturgeschichte Heute, Göttingen 1996, 41-77, hier bes. 63 und 77.

[28] Mergel: Kulturgeschichte (wie Anm. 27), 68.

[29] Vgl. z. B. Wolfgang Behringer: Chonrad Stoeckhlin und die Nachtschar. Eine Geschichte aus der frühen Neuzeit, München/Zürich 1994 und Eva Labouvie: Zauberei und Hexenwerk. Ländlicher Hexenglaube in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1991.

[30] Grundsätzlich dazu Hans Medick: Mikro-Historie, in: Winfried Schulze (Hg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, Göttingen 1994, 40-53.

[31] Vgl. dazu Monika Neugebauer-Wölk: Wege aus dem Dschungel. Betrachtungen zur Hexenforschung, in: Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), 316-347, hier: 319-324.

[32] Vor allem die Ansätze von Clifford Geertz: Thick Description, zuerst engl. 1973, dt.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1987. Vgl. zur Rezeption ethnologischer Methodik exemplarisch den Abschnitt A: "Forschungsstand und methodischer Ansatz" in der Untersuchung von Rainer Walz: Hexenglaube und magische Kommunikation im Dorf der Frühen Neuzeit. Die Verfolgungen in der Grafschaft Lippe, Paderborn 1993, 1-68.

[33] Vgl. allgemein die Darstellung bei Daniel: Kompendium Kulturgeschichte (wie Anm. 26), hier: 249-253.

[34] Mergel: Kulturgeschichte (wie Anm. 27), 68.

[35] Richard van Dülmen: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung 16.-18. Jahrhundert, München 1994.

[36] Kaspar von Greyerz: Religion und Kultur. Europa 1500-1800, Göttingen 2000.

[37] Vgl. Harm Klueting: "Zweite Reformation" – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung. Zwanzig Jahre Kontroversen und Ergebnisse nach zwanzig Jahren, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), 309-341.

[38] Hier darf sicher Hartmut Lehmann als eine der Ausnahmen gelten, der – ausgehend von seinem Interesse an den pietistischen Bewegungen – Ansätze der Konfessionalisierungsforschung verfolgte und Arbeiten zur Volksreligiosität vorgelegt hat. Vgl. exemplarisch: Hartmut Lehmann: Religion und Religiosität in der Neuzeit. Historische Beiträge, hg. v. Manfred Jakubowski-Tiessen und Otto Ulbricht, Göttingen 1996.

[39] Richard van Dülmen: Volksfrömmigkeit und konfessionelles Christentum im 16. und 17. Jahrhundert, in: Schieder (Hg.): Volksreligiosität (wie Anm. 16), 14-30, hier: 26.

[40] Greyerz: Religion und Kultur (wie Anm. 36), 65 ff. Vgl. den Rezensionsaufsatz von Thomas Kaufmann: Religion und Kultur – Überlegungen aus der Sicht eines Kirchenhistorikers, in: Archiv für Reformationsgeschichte 93 (2002), 397-405, hier z. B. 399 f.

[41] Vgl. Dülmen: Religionsgeschichte (wie Anm. 8), 44.

[42] Die entsprechenden Rahmenbedingungen müssten in Bezug auf das jüdische Bevölkerungssegment selbstverständlich gesondert behandelt werden. Darauf wird im Kontext dieses Überblicks verzichtet.

[43] Lucian Hölscher: Die Religion des Bürgers. Bürgerliche Frömmigkeit und protestantische Kirche im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 250 (1990), 595-627.

[44] Hölscher: Religion des Bürgers (wie Anm. 43), 615 f.

[45] Hölscher: Religion des Bürgers (wie Anm. 43), 627.

[46] Zum historischen Vorlauf dieses Stichworts siehe Friedrich Wilhelm Graf: Kulturprotestantismus. Zur Begriffsgeschichte einer theologiegeschichtlichen Chiffre, in: Archiv für Begriffsgeschichte 28 (1984), 214-68. Vgl. auch Harald Homann: 'Kulturprotestantismus' – Zum Problem moderner Religion, in: Jörg Bergmann/Alois Hahn/Thomas Luckmann (Hg.): Religion und Kultur, Opladen 1993, 169-190, hier: 178: "die moderne Gesellschaft in Gestalt der bürgerlichen Kultur findet ihr religiöses Pendant im Kulturprotestantismus, der diese Kultur mitgestaltet und zur 'bürgerlichen Religion' wird".

[47] Gangolf Hübinger: Kulturprotestantismus und Politik. Zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus im wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1994, hier 263 ff., Zitat: 309.

[48] Vgl. die Ausführungen bei Niklas Luhmann: Funktion der Religion, 4. Aufl. Frankfurt am Main 1996, 225 bis 228 mit der dort angegebenen Literatur.

[49] Vgl. Rolf Schieder: Civil Religion. Die religiöse Dimension der politischen Kultur, Gütersloh 1987, 12. Der Terminus wurde 1967 durch Robert N. Bellah eingeführt.

[50] Hübinger: Kulturprotestantismus (wie Anm. 47), 303 ff.

[51] Carlton J. H. Hayes: Nationalism as a Religion, in: Ders.: Essays on Nationalism, New York 1926, Neudruck: 1966, 93-125. Vgl. auch Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt/New York 2001, 12.

[52] Erich (später: Eric) Voegelin: Die politischen Religionen (Wien 1938), Stockholm 1939.

[53] Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der "Deutschen Doppelrevolution" bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 1995, 942 f. Das Zitat im Zitat: Norbert Elias: Ein Exkurs über Nationalismus, in: Ders.: Studien über die Deutschen, hg. v. Michael Schröter, Frankfurt am Main 1989, 159-222, hier: 194. Der Text von Elias stammt ursprünglich aus den sechziger Jahren: 554.

[54] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3 (wie Anm. 53), 944.

[55] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3 (wie Anm. 53), 1172. Kritisch dazu Gangolf Hübinger: Sakralisierung der Nation und Formen des Nationalismus im deutschen Protestantismus, in: Gerd Krumeich/Hartmut Lehmann (Hg.): "Gott mit uns." Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, 233-248, hier: 234-238.

[56] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3 (wie Anm. 53), 377.

[57] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3 (wie Anm. 53), 1175.

[58] Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949, München 2003, hier: 549.

[59] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 58), 548.

[60] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 58), 544 f.

[61] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 58), 548.

[62] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 58), 678.

[63] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 58), 552. Zum Charisma-Modell allgemein vgl. Hartmann Tyrell: Religionssoziologie, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), 428-457, hier: 436 f.

[64] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 58), 849 ff.

[65] Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4 (wie Anm. 58), 550.

[66] Olaf Blaschke/Frank-Michael Kuhlemann (Hg.): Religion im Kaiserreich. Milieus – Mentalitäten – Krisen, Gütersloh 1996, 2. Aufl. 2000. Zur Einbindung in die Bielefelder Arbeitskontexte siehe die Kurzbiographien der Autoren am Ende des Bandes.

[67] Peter Walkenhorst: Nationalismus als "politische Religion"? Zur religiösen Dimension nationalistischer Ideologie im Kaiserreich, in: Blaschke/Kuhlemann: Religion im Kaiserreich (wie Anm. 66), 503-529, hier: 504.

[68] Walkenhorst: Nationalismus (wie Anm. 67), 516.

[69] Walkenhorst: Nationalismus (wie Anm. 67), 517.

[70] Walkenhorst: Nationalismus (wie Anm. 67), 521-524, Zitat 524.

[71] Walkenhorst: Nationalismus (wie Anm. 67), 529.

[72] Blaschke/Kuhlemann (Hg.): Religion im Kaiserreich (wie Anm. 66), 8.

[73] Olaf Blaschke: Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter?, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), 38-75, hier: 38 f.

[74] Blaschke: Zweites Konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 73), 40.

[75] Vgl. Olaf Blaschke: Der "Dämon des Konfessionalismus". Einführende Überlegungen, in: Ders. (Hg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002, 13-69.

[76] Hübinger: Sakralisierung der Nation (wie Anm. 55), 241.

[77] Blaschke: Zweites Konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 73), 47.

[78] Blaschke: Zweites Konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 73), 55.

[79] Blaschke: Zweites Konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 73), 74.

[80] Blaschke: Zweites Konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 73), 41.

[81] Blaschke: Zweites Konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 73), 74. Siehe zur Kritik dieses Ansatzes u. a. Steinhoff: Ein zweites konfessionelles Zeitalter? (wie Anm. 4).

[82] Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918, München 1988, 124-153.

[83] Nipperdey: Religion im Umbruch (wie Anm. 82), 124.

[84] Nipperdey: Religion im Umbruch (wie Anm. 82), 154.

[85] Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1, München 1990, 528.

[86] Frank Simon-Ritz: Die Organisation einer Weltanschauung. Die freigeistige Bewegung im Wilhelminischen Deutschland, Gütersloh 1997; alle Angaben aus dem Vorwort des Autors: 7.

[87] Simon-Ritz: Organisation einer Weltanschauung (wie Anm. 86), 10.

[88] Simon-Ritz: Organisation einer Weltanschauung (wie Anm. 86), 19.

[89] Simon-Ritz: Organisation einer Weltanschauung (wie Anm. 86), 35 f.

[90] Diese Bewegung hat logischerweise Aufmerksamkeit auch in der Wissenschaftsgeschichte gefunden. Vgl. das Zitat bei Paul Ziche (Hg.): Monismus um 1900. Wissenschaftskultur und Weltanschauung, Berlin 2000, 3.

[91] Simon-Ritz: Organisation einer Weltanschauung (wie Anm. 86), 14.

[92] Simon-Ritz: Organisation einer Weltanschauung (wie Anm. 86), 157 f.

[93] Simon-Ritz: Organisation einer Weltanschauung (wie Anm. 86), 44.

[94] Ernst Haeckel: Natürliche Schöpfungs-Geschichte. Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Entwickelungs-Lehre im Allgemeinen und diejenige von Darwin, Goethe und Lamarck im Besonderen, 8. umgearb. Aufl., Berlin 1889, 795.

[95] Simon-Ritz: Organisation einer Weltanschauung (wie Anm. 86), 16.

[96] Ulrich Linse: Geisterseher und Wunderwirker, Heilssuche im Industriezeitalter, Frankfurt am Main 1996.

[97] Linse: Geisterseher (wie Anm. 96), 10.

[98] Linse: Geisterseher (wie Anm. 96), 10.

[99] Linse: Geisterseher (wie Anm. 96), 16.

[100] Helmut Zander: Sozialdarwinistische Rassentheorien aus dem okkulten Untergrund des Kaiserreichs, in: Uwe Puschner/Walter Schmitz/Justus H. Ulbricht (Hg.): Handbuch zur "Völkischen Bewegung" 1871-1918, München 1996, 224-251, Zitat: 231.

[101] Zander: Rassentheorien (wie Anm. 100), 231.

[102] Zander: Rassentheorien (wie Anm. 100), 240.

[103] Simon-Ritz: Organisation einer Weltanschauung (wie Anm. 86), 45-51.

[104] Zander: Rassentheorien (wie Anm. 100), 228-230.

[105] Uwe Puschner/Walter Schmitz/Justus H. Ulbricht (Hg.): Handbuch zur "Völkischen Bewegung" 1871-1918, München 1996.

[106] Puschner/Schmitz/Ulbricht: Handbuch (wie Anm. 105), XI f.

[107] Habilitation am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin 1998. Vgl. Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001.

[108] Vgl. das Vorwort zu Stefanie von Schnurbein/Justus H. Ulbricht (Hg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe "arteigener" Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende, Würzburg 2001, 7.

[109] Puschner/Schmitz/Ulbricht: Handbuch (wie Anm. 105), XIX.

[110] Puschner/Schmitz/Ulbricht: Handbuch (wie Anm. 105), XIX.

[111] Puschner/Schmitz/Ulbricht: Handbuch (wie Anm. 105), XIX.

[112] Ulrich Linse: 'Säkularisierung' oder 'Neue Religiosität'? Zur religiösen Situation in Deutschland um 1900, in: Recherches germaniques 27 (1997), 117-141, Zitat: 122.

[113] Gangolf Hübinger: Der Verlag Eugen Diederichs in Jena. Wissenschaftskritik, Lebensreform und völkische Bewegung, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), 31-45, 33.

[114] Justus H. Ulbricht: "… in einer gottfremden, prophetenlosen Zeit …". Aspekte einer Problemgeschichte 'arteigener' Religion um 1900, in: Schnurbein/Ulbricht: Völkische Religion (wie Anm. 123), 9-39, hier: 23.

[115] Wolfgang Schieder: Religion in der Sozialgeschichte, in: Ders./Volker Sellin (Hg.): Sozialgeschichte in Deutschland, Bd. 3, Göttingen 1987, 9-31, hier: 10.

[116] Wolfgang Schieder: Konfessionelle Erneuerung in den christlichen Parallelkirchen Deutschlands im 19. Jahrhundert, in: Hartmut Lehmann (Hg.): Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa, Göttingen 1997, 223-228, Zitat 223.

[117] Vgl. z. B. Karl-Egon Lönne: Katholizismus-Forschung. Literaturbericht, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), 128-170, oder Jonathan Sperber: Kirchengeschichte or the Social and Cultural History of Religion?, in: neue politische literatur 1998, 13-35.

[118] Friedrich Wilhelm Graf: Die Nation – von Gott "erfunden"? Kritische Randnotizen zum Theologiebedarf der historischen Nationalismusforschung, in: Krumreich/Lehmann: "Gott mit uns" (wie Anm. 65), 285-317, hier: 296.

[119] Graf: Die Nation (wie Anm. 118), 294.

[120] Graf: Die Nation (wie Anm. 118), 293.

[121] Graf: Die Nation (wie Anm. 118), 286.

[122] Linse: 'Säkularisierung' (wie Anm. 112), 140.

[123] Diethart Sawicki: Leben mit den Toten. Geisterglauben und die Entstehung des Spiritismus in Deutschland 1770-1900, Paderborn u. a. 2002.

[124] Sawicki: Leben mit den Toten (wie Anm. 123), Kapitel I.

[125] Linse: 'Säkularisierung' (wie Anm. 112), 141.

[126] Hübinger: Sakralisierung der Nation (wie Anm. 55), 234.

[127] Graf: Die Nation (wie Anm. 118), bes. 287-289.

Empfohlene Zitierweise:

Monika Neugebauer-Wölk : Zur Konstituierung historischer Religionsforschung 1974 bis 2004 , in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1, [####], URL: https://www.zeitenblicke.de/2006/1/Einleitung/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-2755

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