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Im langen Bestehen der Akademie hat es bislang nur zwei Festschriften gegeben, die die Geschichte der Institution dokumentieren. Der erste von Eugen von Stieler verfasste Text datiert aus dem Jahre 1909 und die zweite, von Thomas Zacharias herausgegebene Niederschrift erfolgte unter dem Titel "Tradition und Widerspruch" vor 20 Jahren. Nun steht uns in Bälde ein großes Fest bevor: 2008 wird sich die Geschichte der Akademie zum 200jährigen Bestehen runden. Zu dieser Feierlichkeit wird Dank Ihrer institutionsübergreifenden Arbeit ein weiterer umfassender Aufschluss über die Geschichte unseres Hauses vorliegen – auch in Vorbereitung auf die Ausstellung im Haus der Kunst. Ihnen und dem großzügigen Einsatz der Hanns-Seidel-Stiftung – hier seien Frau Dr. Schmirber als Referentin und Frau Forster und Frau Schmid als Organisatorinnen erwähnt – möchte ich meine große Anerkennung aussprechen.

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Diese Konferenz richtet ihr Augenmerk auf München als europäisches Zentrum der Künstlerausbildung. Dabei wird die besondere, die individuelle Qualität der Münchner Idee einer Ausbildung zum Künstler untersucht und darüber hinaus gefragt, welche Auswirkung diese auf andere Nationen hatte, deren Abkömmlinge unsere Akademie als Schüler aufnahm. Die Forschung über die Lebendigkeit eines internationalen Austausches von Kunstrezeptionen und deren Vermittlung setzt freilich voraus, dass in den verschiedenen Ländern verschiedene Konzepte der Kunstausbildung existierten, dass der Weg zur Bildung in Europa divergierend kultiviert wurde.

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Wie Sie sicher wissen, steht die Frage, zu was wir und wie wir in Zukunft unsere Studierenden bilden, momentan zu heftiger Debatte. Und nicht nur bei uns in Bayern, sondern in ganz Europa. Der so genannte "Bologna-Prozess" sieht eine Vereinheitlichung der europäischen Studieninhalte und Studienwege vor. Er versucht also just jenes von dieser Konferenz erörterte Phänomen, die Individualität der Ausbildungen, die Individualität der Bildungsideale und die daraus folgende Individualität von Kulturen zu überwinden.

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In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 2./3.4.2005 war zu diesem Thema im Feuilleton ein interessanter Artikel von Reinhard Brandt, Professor emeritus für Philosophie in Marburg, zu lesen. Zwar lobt der Autor eingangs die durch den Bologna-Prozess verursachte Homogenisierung der europäischen Universitäten, da sie einen Wechsel der Hochschule, national und international, für die Studierenden erleichtert.

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Doch dann gibt Brandt zu bedenken, dass sich mit dieser Neuformulierung und Normierung der Studieninhalte auch ein drastischer Wandel bezüglich der Zielsetzung der Hochschulausbildung vollzieht. Auch ich bin der Meinung, dass es sich um ein Missverständnis handeln würde, interpretierte man die viel gedruckten Schlagwörter "Modul, Bachelor, Master usw." als rein äußerliche Umbenennung des Bestehenden, als einen neupolierten Mantel für den gleichen Kern. Denn "angedockt" an diese neuen Begrifflichkeiten geht auch ein wesenhafter Wandel im Begriff von Bildung einher. Verfolgte die Hochschulausbildung bisher das Ideal der Erkenntnis, so wird nun die Effizienz des zu Lernenden und Gelernten zum Ziel gesetzt. Dies bedeutet, dass nicht mehr der ideelle Wert, der in der Gewinnung eines Weltbildes und einer reflektierten Haltung zu diesem Weltbild liegen kann, im Vordergrund steht. Vielmehr sollen für die Wahl des zukünftigen Lehrinhalts dessen Gebrauchswert und dessen nützliche Anwendbarkeit in einer sich vor allem durch die Ökonomie definierenden Gesellschaft bestimmend sein.

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Unser gemeinsames Interesse gilt der Kunst, genauer gesagt, es gilt den Möglichkeiten des Kunstbegriffs und der Vermittlung desselben. Ich trage diese kurze Schilderung der aktuellen Entwicklung des Hochschulwesens an Sie heran, da natürlich auch die Institutionen der Künstlerausbildung von diesen Veränderungen berührt werden. Das Wesen von Kunst und der Begriff von Effizienz jedoch sind nicht nur unvereinbar, sie schließen sich sogar prinzipiell aus. Beginnt die Frage nach Nutzen und Anwendbarkeit die Inhalte eines Kunststudiums zu bestimmen, kann dieses Studium grundsätzlich nicht mehr der Kunst gelten.

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Wir stehen also an einer Wende tief greifender Entscheidungen, deren Vollzug mit großer Hast durchgeführt werden soll. Doch wenn wir nicht die Zeit nutzen, konzentriert darüber nachzudenken, was wir unter Künstlerausbildung, was wir unter der Bildung eines Bildes von Kunst, was wir unter der intellektuellen wie strukturellen Bildung einer zukünftigen Gesellschaft verstehen, dann verpassen wir eine große Chance, eventuelle Fehler zu vermeiden. Der Zeitpunkt, über die in vielfacher Hinsicht weit reichenden Folgen zu urteilen und zu entscheiden, ist genau jetzt, denn die Weiche wird jetzt gestellt und der Zug wird dann für eine lange Zeit in die gewählte Richtung fahren. Daher versuche ich im Moment in der Münchner Akademie, also jenem Hause, dessen bewegte Vergangenheit hier debattiert werden wird, eine Diskussion über die Zukunft der Kunstausbildung zu entfachen. Dabei bin ich freilich auf die engagierte und konstruktive Mitarbeit meiner Kolleginnen und Kollegen angewiesen, die ja entscheidend die Qualität der Akademie bilden.

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Ich habe nun von der Zukunft der Künstlerausbildung gesprochen, während diese Tagung die Vergangenheit derselben fokussiert. Die alte Idee von Bildung als Weg zur Erkenntnis würde besagen, dass die Erforschung von Geschichte sich nicht nur im bloßen Festhalten und Konservieren von Fakten erschöpfen kann. Sie würde mit einschließen, dass der Sinn dieser Forschung auch darin liegt, eine Mannigfaltigkeit an Perspektiven zu finden, die die Relevanz des erforschten Wissens um die Vergangenheit in eine kritische Relation zur Gegenwart bringt. Somit bedingt die Entscheidung über den Blickwinkel auf die Gegenwart auch die Sicht auf die Vergangenheit und deren Deutung. Ebenso wie die hieraus gewonnenen Erkenntnisse eine Deutung der Gegenwart erlauben. Was nun die Zukunft betrifft, so ist die Beurteilung und das Durchführen von Innovationen nur möglich, wenn man sich die Vergangenheit vergegenwärtigt und im Verstehen der Gegenwart auch das Vergangene mit einbezieht. Dieser Aspekt gibt Ihrem Tun große Bedeutung. Ich werde deshalb mit Spannung erwarten, was diese Tagung zu Tage bringt und wünsche Ihnen allen ein gutes Gelingen.

Autor

Prof. Nikolaus Gerhart
Akademie der Bildenden Künste
Akademiestraße 2
D – 80799 München
e-mail: rektorat@adbk.mhn.de

Empfohlene Zitierweise:

Nikolaus Gerhart : Grußwort , in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 2, [19.09.2006], URL: https://www.zeitenblicke.de/2006/2/Gerhart/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-5574

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