DiPP NRW
zeitenblicke
Direkt zum Inhalt
Sektionen

 

<1>

Traditionell analysiert die Kunstgeschichte ihre Objekte in Form von linearen Texten, die mit Abbildungen illustriert werden. Oft wäre es jedoch einfacher, direkt auf einzelne Werkdetails hinweisen zu können und die komplexen ikonographischen, stilistischen und historischen Zusammenhänge in einer vernetzten Struktur zu verdeutlichen: Dies ist mit den neuen, digitalen Technologien möglich. Am Fach Kulturinformatik der Universität Lüneburg wurde eine Software entwickelt, die eine visuelle, datenbankgestützte Aufbereitung bildzentrierter Forschungsgegenstände ermöglicht. Bereits im Jahre 2003/2004 konnte das Institut für Kunstgeschichte der LMU München diese Softwareumgebung im Rahmen eines Projektseminars anhand ausgewählter Beispiele aus verschiedenen Gattungen (Graphik, Malerei, Architektur, Installation) testen. [1] In einem neuen, im Sommer 2006 angelaufenen, dreijährigen BmBF-geförderten Projekt unter dem Titel 'Hyperimage' im Rahmen des Programms 'eScience – Wissensvernetzung wird diese Software als Hyperimage-Editor nun als Kernstück eines Wissenschaftsnetzes in ein Objektmanagementsystem integriert und mithilfe weiterer Pilotprojekte aus den unterschiedlichsten Wissenschaftszweigen evaluiert. [2]

Im folgenden sollen jedoch weniger organisatorische oder technische Details des Kooperationsprojekts vorgestellt, sondern vielmehr die Grundidee der visuell organisierten Annotation und Organisation von Bildern und Bildinformationen und deren Nutzen für die kunsthistorische Arbeit erläutert werden:

<2>

Das Bild im Sinne des visuell wahrnehmbaren Artefakts ist der primäre Gegenstand der Kunstgeschichte. Dennoch arbeitet die kunsthistorische Forschung nach wie vor weitgehend textbasiert. Gerade das digitale Medium erlaubt es, kunsthistorische Forschung direkt am Bild zu betreiben, nicht mehr Texte über Bilder zu schreiben oder Bildern gegenüber zu stellen, sondern tatsächlich bildbasierte Analysen zu erstellen. Am Fach Kulturinformatik der Universität Lüneburg wurde zu diesem Zweck das System PETAL (PicturE Text Annotation Language) zur Organisation und Annotation von bildwissenschaftlichen Forschungsdaten entwickelt, das die Speicherung, den Austausch und die Publikation von Diskursen über Bild-Korpora gestattet, wobei insbesondere die Bezugnahme auf Bilddetails erheblich vereinfacht wird.

<3>

Es handelt sich um ein Datenformat im XML-Standard, das die Möglichkeit der Verlinkung von Bildern oder Bildausschnitten, digitalen Videos und Texten bietet. Dabei hat der Autor jederzeit die Möglichkeit, kontextbezogene Anmerkungen hinzuzufügen. Mit Hilfe von verschiedenen Tools, Editoren und Browsern können einmal eingegebene Text-Datensätze mit Bild-Daten verknüpft und am Bildschirm dargestellt werden. Die Metadaten, auf denen das System basiert, beschreiben nicht nur, was eine Bilddatei als Ganzes zeigt, sondern auch, was in bestimmten Bereichen des Bildes zu sehen ist, und machen diese Informationen in einer Hypertext-ähnlichen Struktur abrufbar. Genauso können den Bilddetails Kommentare hinterlegt werden, die wiederum als Metadaten im Netz verfügbar sind, so dass sich Diskurse über Bilder an Bildausschnitten festmachen lassen und Bilder als strukturierte Objekte verwendbar werden. Die Adressierung der Details geschieht durch einfache Koordinatenangaben, denen die Annotationen zugefügt werden können. Dabei sind die Positionsangaben der Details relativ zur Bildgröße, was eine Anzeige derselben auf verschiedensten Geräten und in verschiedensten Zusammenhängen ermöglicht.

<4>

Das Programm dient also nicht nur der bloßen Dokumentation einmal erfasster Daten, sondern ist insbesondere ein Tool, das die Möglichkeit bietet, an den Bilddaten zu arbeiten, Vergleiche anzustellen und miteinander in Diskurs zu treten – Forschungsmeinungen in Form von Annotationen an Bildbeispielen "öffentlich" im WWW oder halböffentlich in Wissenschaftsnetzen mit definiertem Nutzerkreis zu belegen. Mit der Menüfunktion "Lichttisch" können vom Autor des Projektes wie vom Nutzer (bei individuell definierbarer Rechtevergabe) Bildobjekte und -details auf der Bildschirmoberfläche nach Belieben arrangiert, verglichen und mit Anmerkungen versehen werden. Damit regt das Programm zum explorativen und kooperativen Umgang mit kunsthistorischen Fragestellungen an und erlaubt gleichzeitig eine strukturierte und flexible Archivierung kunsthistorischer Gegenstandsbereiche. Es bietet sich daher zum Einsatz in Lehre und Forschung wie auch in der Kunstvermittlung geradezu ideal an.

<5>

PETAL wurde zunächst von Dr. Martin Warnke, Kulturinformatiker an der Universität Lüneburg, zusammen mit Carmen Wedemeyer und Christian Terstegge entwickelt und an einem eigenen kunstwissenschaftlichen Projekt erprobt. Es handelt sich dabei um die drei Ensembles "Öl auf Leinwand", "MKÜVO" und "MKÜVO-Fensterecke" der 1993 verstorbenen Künstlerin Anna Oppermann. [3]

<6>

Um zu testen, inwieweit das einmal entwickelte System für verschiedene kunst- bzw. bildwissenschaftliche Aufgaben einsetzbar ist, veranstaltete das Institut für Kunstgeschichte der LMU München gemeinsam mit dem Fachbereich Kulturinformation der Universität Lüneburg im Wintersemester 2003/2004 verschiedene Wochenendseminare. Anhand von fünf beispielhaften künstlerischen Komplexen aus unterschiedlichen Gattungen und Epochen wurden die Möglichkeiten bildbasierter Forschung und Dokumentation diskutiert und mithilfe der Lüneburger Software umgesetzt. Die verschiedenen Projektgruppen gelangten – je nach Thema – zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, was die große Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten des Datenformates anschaulich belegt.

<7>

So legte Beispielsweise eine Präsentation zum Medicizyklus des Peter Paul Rubens den Schwerpunkt auf die Visualisierung des komplexen, in verschiedene Stadien und auf zahlreiche Aufbewahrungsorte verteilten Zyklus zum Leben der Maria de Medici und dokumentiert die vielschichtigen Beziehungsebenen der Einzelbilder. Ausgehend von der Startseite, die schematisch den Zyklus in seiner ursprünglichen Hängung im Palais de Luxembourg darstellt, erreicht man durch die Verlinkung der einzelnen Originale die jeweilig zugehörigen Skizzen und Graphiken. Zum Vergleich der einzelnen Motive liegen Originale, Skizzen, Graphiken und Detailansichten in verschiedenen Gruppen nebeneinander auf dem Lichttisch vor.

Bei einer Präsentation des für die Münchener Michaelskirche geplanten, aber nie realisierten Grabmals des Herzogs Wilhelms V. und Renata von Lothringen konnten die verschiedenen Zweitverwendungen der ursprünglich für das Grabmal konzipierten Bronzefiguren dokumentiert und sowohl in ihrem heutigen Werkkontext als auch in ihrer ursprünglich geplanten Funktion im Grabmal – ausgehend einerseits von einem Stadtplan Münchens, andererseits von einer Rekonstruktionszeichnung - dargestellt werden.

Einen gänzlich anderen Zugang erforderte hingegen die Installation "Zeige deine Wunde" von Joseph Beuys, 1974-1976, die durch eine Doppelung vieler Objekte, zu transkribierende Schriftelemente sowie eine vielschichtige Symbolik gekennzeichnet ist. Hier mussten besonders Interpretationsvarianten und ikonographische Gruppen in der Präsentation berücksichtigt werden.

<8>

Der Einsatz des Annotationsprogramms PETAL zur Dokumentation unterschiedlichster Werkkomplexe - von denen hier beispielhaft drei vorgestellt wurden - hat die vielseitige und flexible Einsetzbarkeit desselben bewiesen. Durch eine XML-Struktur bietet es zudem zahlreiche Schnittstellen zu weiteren kunsthistorischen und allgemeinen Dokumentationsprogrammen.

Das nun begonnene, groß angelegte Projekt unter dem Namen Hyperimage will die Idee von PETAL zu einem veritablen bildbasierten Wissenschaftsnetz ausbauen, das unter anderem der nach wie vor stark textbasierten Kunstgeschichte neue Dokumentations- und Analysetools zur Verfügung zu stellen verspricht, die neue Sichtweisen auf ihre Forschungsobjekte und eine vereinfachte Dokumentation derselben ermöglichen.

Abbildungen

Abbildung 1
Screenshot aus dem Projekt zur Visualisierung der Ensembles von Anna Oppermann.

Abbildung 2
Detail und Versionsvergleich mit PETAL am Beispiel von Rubens' Medici-Zyklus.

Autorin:

Dr. Katja Kwastek
Institut für Kunstgeschichte
Georgenstr. 7
80799 München
kwastek@lmu.de



[1] Vgl. hierzu auch: Katja Kwastek / Martin Warnke: Arbeit am Bild – Die hypermediale Publikation von Werkkomplexen mit Hilfe von PETAL, in: Konferenzband EVA 2004 Berlin, Berlin 2004, 95-100.

[2] Siehe hierzu die Webpräsenz des Projektes 'Hyperimage' bei der HU Berlin: http://www.hu-berlin.de/cms/mlz/index.php?frame1=portal/kopf.php&frame2=portal/hyperimage.php <15.09.2006>.

[3] Eine Aufbereitung der Ensembles in HTML kann unter http://www.uni-lueneburg.de/ao_kunsthalle/project_de/project.htm <15.09.2006> eingesehen werden.

Empfohlene Zitierweise:

Katja Kwastek : PETAL und Hyperimage: die Idee eines bildbasierten Forschungsnetzwerks , in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 3, [2006-12-03], URL: https://www.zeitenblicke.de/2006/3/Kwastek1/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-6531

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse. Zum Zitieren einzelner Passagen nutzen Sie bitte die angegebene Absatznummerierung.

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html