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Abstracts

Giuliano Annibaletti:
Ein irreversibler Niedergang? Die Beziehungen zwischen Mantua und dem Reich nach 1627, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

Das Negativurteil, das ein Großteil der Geschichtsschreibung lange Zeit über das 17. Jahrhundert gefällt hat, nimmt für das Herzogtum Mantua noch entschiedenere Töne an und zeichnet für dieses eine unwiderruflich absteigende Kurve, die weder einige gegenläufige Momente angemessen berücksichtigt noch den internationalen Konjunkturen die angemessene Bedeutung einräumt, die – vielleicht mehr als das, was vor Ort geschah – den Gang der Ereignisse bestimmten. Die Schwierigkeiten, die Mantua im 17. Jahrhundert bedrängten, sollen andererseits nicht bestritten werden: Es gibt zweifelsohne einen Bruch mit dem vorhergehenden Zeitalter, eine Diskontinuität, die nach meinem Eindruck jedoch überzeichnet worden ist, was so weit geht, dass der Epoche 1627–1708 (also jene 80 Jahre vom Regierungsantritt der Gonzaga-Nevers in Mantua bis zu ihrer Absetzung infolge der vom Regensburger Reichstag erklärten Reichacht) nur ein geringes historisches Interesse gewidmet worden ist. Häufig haben sich die Historiker damit begnügt, das Wirken der letzte Herzöge zu bedauern, wobei sie den politischen und moralischen Niedergang betonen und einen unaufhaltbaren Niedergang voraussetzen, der von der Blüte der Renaissancezeit zum Verlust der Autonomie und dem Übergang unter die direkte österreichische Herrschaft hinabführte.
Der Vortrag bemüht sich aufzuzeigen, dass der fortschreitende Verlust der Handlungsspielräume, welche die Herren der padanischen Lehen besaßen, nicht nur die Gonzaga-Nevers betraf und auch nicht ihrer bislang allzu sehr betonten Regierungsunfähigkeit entsprang, sondern das Ergebnis einer geopolitischen internationalen Entwicklung war, die den allmählichen Niedergang der spanischen Macht sah, den Aufstieg Frankreichs und den, wenn auch nicht problemlosen, Wiederaufstieg des Kaisertums. Es waren in erster Linie diese Faktoren, welche die Bedeutung der Gonzaga-Nevers als Herzöge von Mantua und (nicht zu vergessen!) Markgrafen von Montferrat – Pufferterritorien von großer strategischer Bedeutung – veränderten.
Ferner scheint es sinnvoll, die wichtigen politischen, diplomatischen und dynastischen Verbindungen (letztere vor allem mit den österreichischen Habsburgern) neu zu bewerten, die die Herzöge von Mantua während eines Großteils des 17. Jahrhunderts aufrechterhalten konnten. In der Tat vermochten sich die allgemein als frankophil eingeschätzten Gonzaga-Nevers nach ihrem Herrschaftsantritt dem Reich wiederanzunähern, und über etwa vier Jahrzehnte (von 1637 bis 1678) gewannen sie einen Teil der zuvor verlorenen Macht zurück. Erst nach 1681 erlebten die Beziehungen zwischen Mantua und dem Reich aus vielfältigen Gründen eine deutliche Verschlechterung, wozu in den Jahren, in denen sich der "Wiederaufstieg" des Reichs in Form einer erneuerten Festigkeit und Unnachgiebigkeit vorbereitete, auch das geringere Interesse von dessen Seite gehört, sich der Vermittlung der kleinen Vasallen zu bedienen, um Gebiete von hoher strategischer Bedeutung zu kontrollieren.
Verlockt von den Vorschlägen Frankreichs, näherten sich die Gonzaga-Nevers diesem so weit an, dass sie 1701, während des Spanischen Erbfolgekriegs, den französisch-spanischen Truppen erlaubten, die Stadt Mantua zu besetzen. Doch das sollte nach den Intentionen des letzten Herzogs Ferdinando Carlo vermutlich nicht den Ausstieg aus dem Lehenssystem bedeuten, dessen Bestandteil sein Territorium war. Wahrscheinlich vertraute er zu sehr auf die französische Macht und konnte die Reaktionsfähigkeit des Kaisertums (die in der Tat viele überraschte!) nicht vorhersehen. Dessen Strategie sollte sich in den unmittelbar folgenden Jahren auf eine Stärkung der familiären und dynastischen Macht der Habsburger stützen, nicht so sehr durch eine Überwindung der Reichsidee als vielmehr durch deren weise Inanspruchnahme. So begannen die Habsburger, dank dieses "neuen Kurses", wenngleich noch der Sphäre des Reichs eingegliedert, dessen "heilige" und "römische" Eigenschaften man sogar wiederaufgreifen und betonen wollte, zu Beginn des 18. Jahrhunderts Italien immer direkter und immer weniger über Vasallenstaaten zu kontrollieren.
Jenseits des politischen und/oder moralischen Niedergangs der Gonzaga und anderer kleinerer italienischer Souveräne des 17. Jahrhunderts, ist dies das entscheidende Element, das bereits seit den ersten Jahren des folgenden Jahrhunderts eine deutliche Vereinfachung der Landkarte der Halbinsel herbeiführte.

 

Tommaso di Carpegna Falconieri:
Die Reichslehen der Grafen und Fürsten von Carpegna (13. bis 19. Jahrhundert), in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

Die Territorien an der Grenze zwischen dem Regnum Italiae und dem Kirchenstaat – zu denen unter anderem auch die Lehen der Grafen von Carpegna gehören – sind unter juristisch-institutionellen Gesichtspunkten von besonderem Interesse, insofern als die Oberherrschaft über diese Orte von beiden höchsten Gewalten der mittelalterlichen Christenheit beansprucht wurde, dem Papsttum und dem Kaisertum. In diesem Sinne sind die Lehen der Grafen von Carpegna im Montefeltro durchaus repräsentativ, die sich ihre ganze wechselvolle Geschichte hindurch in dieser ungewissen Position befunden haben: in einer Position, die letzten Endes zu den Hauptelementen zu zählen ist, welche die institutionelle Langlebigkeit vom Anfang des 13. Jahrhunderts bis 1819 ermöglicht haben.
Der Beitrag illustriert die wichtigsten politisch-institutionellen Beziehungen zwischen den Carpegna und dem Reich sowie, zumindest teilweise, zwischen den Carpegna und dem Papsttum. Hinsichtlich des ersten Punktes ist zu beobachten, dass die Grafen von Carpegna in der Zeit Friedrichs II. zur ghibellinischen Partei gehören und höchstwahrscheinlich vom Kaiser mit ihren Lehen investiert worden sind. Dieses Band zum Kaiser wird viele Jahrhunderte hindurch in unregelmäßigen Abständen bekräftigt. Zum Beispiel sind die Grafen von Carpegna noch zur Zeit Ludwigs des Bayern ghibellinisch, während sie im 15. und 16. Jahrhundert unter der kaiserlichen Fahne kämpfen. 1685 erhalten sie den Titel eines Fürsten des Heiligen Römischen Reichs.
Was die Beziehungen zum Papsttum betrifft, zeichnet sich ebenfalls bereits frühzeitig ein enges Verhältnis ab. Das beginnt damit, dass eines der Schlösser der Grafen von Carpegna schon im Liber censuum (frühes 13. Jahrhundert) als Gut der Römischen Kirche erscheint. 1249 erhalten die Grafen von Carpegna die apostolische Protektion, und einige ihrer Zweige bekennen sich zur guelfischen Partei (beispielsweise in der Zeit von Albornoz). Nichtsdestoweniger werden ihre Burgen im Allgemeinen als exempt und weder als Teil des Herzogtums Urbino noch des Kirchenstaats betrachtet, insbesondere soweit sie kaiserlich sind. Die enge Adhärenz mit der Republik Florenz schreibt am Ende des 14. Jahrhunderts die Situation für mehrere Jahrhunderte fest.
Nachdem sie sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Rom niedergelassen haben, erklimmen die Carpegna bedeutende Karrierestufen an der Kurie. Am Ende des 17. Jahrhunderts zeigt sich, wie ausgeprägt die Zwischenposition "zwischen Reich und Papsttum" ist: So sind in dieser Epoche gleichzeitig Gaspare di Carpegna Kardinalvikar (1670), Ulderico di Carpegna Reichsfürst (1685), und Francesco Maria di Carpegna schwört, obwohl er der Neffe des Kardinalvikars ist, dem Reich die Treue (1697). In der Frühen Neuzeit entwickeln die Carpegna ein umfassendes Konzept ihrer Autonomie, wobei sie in Abstimmung mit der benachbarten Republik San Marino agieren. Wie die kleine Republik ihre mehr als tausendjährige Freiheit betont, handeln, auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen, auch die Carpegna der Vorstellung und dem Willen gemäß, freie Herren eines unabhängigen Staates zu sein, und bedienen sich dazu in der politischen Symbolik und in ihren Regierungshandlungen der Begrifflichkeiten einer wirklichen "Souveränität". Im Verlauf des 18. Jahrhunderts, insbesondere als die Toskana lothringisch geworden ist, werden die Carpegna-Lehen mehrfach zu einem Konfliktgegenstand zwischen den Höfen von Wien, Rom und Florenz. Wenige Jahre nach dem Wiener Kongress werden gegen den toskanischen Widerstand die Lehen von der Apostolischen Kammer eingezogen, die dabei jedoch den Sonderstatus dieser alten Herrschaft anerkennt.

 

Cinzia Cremonini:
Das Reichslehenswesen in Italien zwischen Kaisertreue und spanischen Interessen: Einige Überlegungen, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

Um dieses Thema zu entwickeln, ist von folgenden Voraussetzungen auszugehen:

Die aktuellen Entwicklungen der italienischen Geschichtswissenschaft haben (dank eines intensiven Austauschs mit der spanischen Historiographie) dazu geführt, dass man das spanische Herrschaftssystem in einem neuen Licht sieht, wobei man herausstellt:

- die multipolare Struktur des spanischen Reiches;

- die Komplexität der Verbindungen zwischen dem Madrider Hof und den "nationalen" Oligarchien;

- die zentrale Bedeutung des Verhältnisses zum Hof in den Machtbeziehungen;

- und, wie am Beispiel der spanischen Lombardei aufzuzeigen ist, den "Pakt", der Spanien Treue als Preis für die völlige Autonomie der Lokalregierung zugestand.

Ausgehend von diesen Voraussetzungen erscheint es wichtig, bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen dem Reich und seinen italienischen Vasallen diese neue Perspektive im Blick zu behalten, die hilft, die Bedingungen der Interaktion zwischen der spanischen Herrschaft in Italien und den lokalen Eliten zu verstehen, um zu versuchen,

- die Beziehungen zwischen den beiden Höfen (dem von Prag bzw. Wien und dem von Madrid) zu beleuchten;

- die Auswirkungen der Hofbeziehungen auf das Verhältnis zwischen dem Reich und den italienischen Lehen zu untersuchen;

- die Beziehungen zwischen dem Reich und Italien zu analysieren und dabei im Auge zu behalten, dass der König von Spanien auf italienischem Boden auch als unmittelbarer Vasall des Kaisers in Erscheinung trat, da er durch das Testament Karls V. Herzog von Mailand geworden war;

- zu berücksichtigen, dass die italienischen Reichslehen ein integraler Bestandteil jenes Bündnissystems waren, das im Europa des Ancien Régime das "habsburgische System" konstituierte.

Es scheint daher angebracht, das von Aretin und Pugliese vorgeschlagene Interpretationsschema zu überwinden, die – auf der Basis eines Verständnisses des Ancien Régime, das dessen Irrationalität und Ineffizienz betonte, statt die andere Rationalität zu verstehen, welche die Beziehungen zwischen den Menschen und den Institutionen regelte – die Präsenz Spaniens als ein Hindernis, eine Störung des Reichssystems sehen wollten und so weit gingen, den Aufbau eines spanischen Lehnssystems parallel zum kaiserlichen zu unterstreichen (von Aretin) bzw. nur die Gegensätze und nicht zugleich die Elemente des Zusammenspiels aufzuzeigen (Pugliese).

Die Untersuchung verschiedener Familien und Regionen (Lunigiana, Langhe-Monferrato, Raum Mantua) und insbesondere die Analyse der Geschichte des Vikariats und des kaiserlichen Kommissariats (man kann von der Plenipotenz strenggenommen nicht von 1603 an, wie von Aretin annimmt, sondern erst ab 1715 sprechen) über einen langen Zeitraum hinweg hat es ermöglicht zu entdecken, dass im Zeitraum von 1551 bis 1700 Spanien als Vermittler des Reichs in den Beziehungen zu den Reichsvasallen fungierte (insbesondere zu den kleinen Lehen in der Lunigiana und den Langhe), sei es durch die verwandtschaftlichen Bindungen, die es mit den österreichischen Habsburgern verbanden, sei es, weil es sich beim König von Spanien in seiner Eigenschaft als legitimer Herzog von Mailand um den bedeutendsten Reichsvasallen in Italien handelte.

Die vergleichende Untersuchung der Biographien derjenigen Persönlichkeiten, die das Amt eines Generalkommissars zu Beginn des 17. Jahrhunderts bekleidet haben, hat es ermöglicht zu zeigen, dass eine conditio sine qua non, um dieses Amt zu erhalten, war, sich guter Beziehungen zu beiden habsburgischen Höfen zu erfreuen, die zumindest in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts synergetisch handelten. In dieser Zeit spielten die verschiedenen Nebenlinien der Gonzaga eine wichtige Rolle, aber auch die Landi und die Doria haben eine interessante Funktion als privilegierte Ansprechpartner des Reichs in Italien ausgeübt – ein Ausdruck des Zusammenspiels, das die Beziehungen zwischen Prag/Wien und Madrid hinsichtlich der italienischen Lehen prägte, doch auch der Angewohnheit dieser Familien, die eigene Loyalität gegenüber dem Reich zu bewahren, ohne jedoch das Interesse zu vernachlässigen, herzliche und kooperative Beziehungen zum spanischen Hof zu unterhalten.

Dies vorausgeschickt, kann man indes die Gegensätze zwischen Spanien und dem Reich hinsichtlich der Beziehungen zu den italienischen Reichsvasallen nicht leugnen: Finale war, chronologisch gesehen, der erste Fall, dem weitere Vorfälle folgten, aus denen eine Obstruktions- und Machtpolitik Spaniens hervorgeht, das sich dem Reich überordnen und dessen Jurisdiktion vernichten zu wollen schien. Wenngleich eine Untersuchung der einzelnen Fälle hier nicht möglich ist, lässt sich dennoch grundsätzlich feststellen, dass Spanien nie die eigene Abhängigkeit vom Reich bestritt, sondern mit einer Politik, die man als "Dissimulation" bezeichnen könnte, die jurisdiktionellen Übergriffe auf Kosten der Reichsrechte erklärte, indem es sich entweder auf das höhere Ziel, die Verteidigung des Milanesado zu sichern, berief oder die Schuld den "Mailänder Ministern" gab, die in Regionen wie der Lunigiana oder dem Genovesato (die stets Objekte der expansionistischen Bestrebungen der herzoglichen Politik gewesen waren) die Bewahrung der aus den Zeiten der Visconti und Sforza herrührenden Interessen zum Ziel hatten.

Diese Politik führte auch zur Entstehung zweifelhafter Situationen, da es in diesen Gegenden, doch auch in den Langhe und im Monferrato (wo eine Strategie der Begrenzung der Expansionsbestrebungen des Herzogs von Savoyen umgesetzt wurde) Familien von Reichsvasallen gab, die, vielleicht eingeschüchtert durch die Präsenz Spaniens, die viel näher und gefährlicher als die des Reichs war, und zumal sie teilweise Inhaber von Lehen der mailändischen Kammer waren (wie zum Beispiel die Grafen/Markgrafen Crivelli-Scarampi), um keinen Ärger mit den Mailänder Autoritäten zu riskieren, sich verleiten ließen, ihre Treue gegenüber Spanien zu erklären und von diesem die Investitur zu nehmen, ein Akt, der nach meinem Eindruck aus den obengenannten Gründen als funktional im Rahmen des habsburgischen Bündnissystem zu betrachten ist.

Diese Situation begünstigte auch den Aufbau von Beziehungen beispielsweise zu Genua oder zum Turiner Hof seitens der unternehmungslustigsten Vasallen (einige Malaspina, die Crivelli-Scarampi), die allerdings gleichzeitig nicht immer bedeutend genug waren, direkte Kontakte zum Madrider Hof zu suchen (wie die Nebenlinien der Gonzaga oder die Landi).

Die Grundlinie des spanischen Verhaltens, die zu skizzieren versucht worden ist, welche darauf abzielte, synergetisch zum Reich zu agieren, wenngleich mit widersprüchlichen Verhaltensweisen, dauerte paradoxerweise, solange Spanien selbst in der Lage war, die Rolle des stärksten "Verbündeten" innerhalb des Reichssystems zu spielen. In der Tat führte gerade das Erschlaffen der spanischen und der Wiederaufstieg der kaiserlichen Macht in den letzten dreißig bis vierzig Jahren des 17. Jahrhunderts zu einem offenkundigeren Nachlassen der Synergieeffekte des Systems: Seit etwa 1660 entwickelte sich die Vorstellung der "umstrittenen Lehen", während sich vorher nur der Gedanke der "Adhärenzen" findet. Die Gesandtschaft des Senators Archinto nach Regensburg im Jahr 1663 war der Versuch, die führende Rolle zu beanspruchen, die nach spanischer Einschätzung kraft der Investitur Wenzels von 1396 die Visconti, die Sforza und die Könige von Spanien als Herzöge von Mailand in Italien zu spielen hatten, und das Recht zu betonen, sich innerhalb des Reichsgebiets frei zu bewegen, um die Bewahrung des Stato di Milano sichern zu können.

Schließlich begann Spanien im Bewusstsein, dass die eigene Position schwächer wurde und die des Reichs sich kräftigte, am Ende des 17. Jahrhunderts den endgültigen Verlust jener erstrangigen Rolle zu fürchten, die es immer im System der habsburgischen Bündnisse und in den Beziehungen zwischen dem Reich und seinen italienischen Vasallen gespielt hatte. Daher versuchte man Abhilfe dadurch zu schaffen, dass man nunmehr alle Fälle von Vasallen als "umstritten" darstellte, in denen eine "Adhärenz" an den Katholischen König vorlag.

 

Maria Teresa Fattori:
Lehnsrecht und Stärkung des Territorialstaats im Kontext der Devolution Ferraras am Ende des 16. Jahrhunderts, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

Im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts wurde angesichts des Fehlens eines direkten Nachkommen bzw. legitimen Anwärters auf die Nachfolge des Herzogs Alfonso II. d'Este an der römischen Kurie über das Heimfallrecht des Lehens Ferrara diskutiert. Die Debatte, die das Kardinalkolleg und die Päpste Gregor XIV. und Clemens VIII. beschäftigte, konzentrierte sich auf die Abweichung von der Bulle Pius V. Admonet nos einerseits und auf den Anteil des Territorialstaats an der Stärkung des spirituellen und hierarchischen Primats Roms im Kreis der christlichen Nationen andererseits. Die politische Bewertung des italienischen Gleichgewichts, das durch die Vergrößerung des unmittelbaren päpstlichen Herrschaftsbereichs um ein nicht kleines und strategisch bedeutendes Territorium bedroht schien, wurde in den Kontext der vom Heiligen Stuhl übernommenen internationalen und militärischen Verpflichtungen gestellt. Die Echtheit des Lehnsbandes mit Ferrara wurde niemals in Frage gestellt, sondern allenfalls wurde das Recht des Heiligen Stuhls noch verstärkt durch Erwägungen ekklesiologischer Art, die eine besondere Verbindung konstruierten zwischen dem Gebiet, über das der Papst seine direkte Souveränität ausübte, und dem internationalen Umfeld, in das der Papst sich einschaltete, um indirekte Formen der Macht auszuüben. Bei der Wiedereingliederung Ferraras gewann offenkundig der Vorteil, das päpstliche Herrschaftsgebiet zu erweitern, einen hohen Symbolgehalt, wobei zu den lehnrechtlichen Bestimmungen das noch größere Gewicht des kanonischen Rechts in Form der vom Kardinalskolleg garantierten Bulle De non infeudandis und in der Endphase die Kraft des "Rechts der Kanonen" hinzutraten.
Der Wunsch des Sfondrato-Papstes, von der Bulle Pius' V. abzuweichen, ließ die Debatte über die Devolution in die weit komplexere Debatte über die Rolle von auxilium und consilium der Kardinäle gegenüber dem souveränen Pontifex münden: Die Grundlagen des Lehnsrechts wurden von beiden Seiten, den Kardinälen und dem Papst-Herrscher, in einem Augenblick zur Diskussion gestellt, als man über eine konkrete politische und lehnrechtliche Frage entschied, wobei die Kardinäle eine in ekklesiologischer Hinsicht traditionelle Position einnahmen, um das zu verhindern, was als ein bedeutender Verlust territorialer Macht, vor allem aber als eine unzulässige Abweichung von einem rechtlichen Prinzip betrachtet wurde, während der Papst einen sozusagen "moderneren" und innovativeren Regierungsstil im Namen seiner Machtvollkommenheit und seines absoluten Rechts auf die Entscheidung in Staatsangelegenheiten verteidigte.

Die Grenze, die von der Bulle Admonet nos, Pius' V. gezogen worden war, legte jedoch fest, dass die Machtvollkommenheit, die der Papst innerhalb der Kirche kraft seiner geistlichen Mission besaß, dem Souverän nicht zugestand, über seinen Territorialstaat wie über ein Allod oder ein persönliches Eigentum zu verfügen, und begrenzte damit die Fülle der päpstlichen Souveränität über den Staat. Das Kardinalkolleg war zum Garanten dafür eingesetzt worden, dass diese Norm respektiert würde. Dem Territorialstaat wurde eine rein instrumentelle Bedeutung eingeräumt, doch eben dadurch wurde er zum Symbol der erhabensten Ziele, welche er dem Heiligen Stuhl zu erreichen gestattete. Ein Fall also, in welchem theologische Vision und ekklesiologischer Horizont einen Einfluss auf die Politik ausübten.

Anders stellten sich die Dinge während des Pontifikats Clemens' VIII. dar, der am Ende auch dank einer militärischen Kampagne unter dem Befehl des Kardinalnepoten Pietro Aldobrandini Ferrara dem Kirchenstaat einverleibte. Die Mehrheit des Kardinalkollegs und der Aldobrandini-Papst waren sich über die Notwendigkeit einig, nicht auf das Recht des Heiligen Stuhls zu verzichten, und unter diesen veränderten Bedingungen war das Kollegium nicht gezwungen, die Frage seiner Partizipation bis zum Ende durchzufechten. Das Gewicht des Kardinalnepoten blieb indessen bedeutend, der in diesem Fall nicht das Zünglein an der Waage bei der Entscheidung des Papstes war, sondern ein Werkzeug im Dienste des Staates. Die zeitweilige Hoffnung der Este auf eine Einigung ist der wachsenden Opposition der Kongregation für Deutschland und Ungarn gegen das militärische Engagements des Heiligen Stuhls am Türkenkrieg des Kaisers zuzuschreiben, ein Engagement, das Clemens VIII. allerdings dringend wünschte.

Ein Teil des Kollegiums inner- und außerhalb der Ungarn-Kongregation war tatsächlich gegen das Engagement im Krieg des Kaisers und alle Folgen, die dieses für die Finanzpolitik und die Verschuldung der Apostolischen Kammer mit sich brachte. Daher dachte man sich Lösungsversuche aus, die den Ausdruck Investitur vermieden und so das Verbot der Bulle Pius' V. umgingen. Das wirkliche Hindernis war jedoch der feste Wille Clemens VIII., das Lehen Ferrara ebenso wiederzugewinnen wie sich im Türkenkrieg zu engagieren. Daraus resultierte auch der Gebrauch der weltlichen und geistlichen Waffen des Heeres und der Exkommunikation gegen Cesare d'Este.

Die Ferrara-Frage fügte sich während des Pontifikats Clemens' VIII. in den Kontext der Aktivität der Kongregation super baronibus ein, die für die Abgaben der Vasallen, die Regulierung ihrer Schulden sowie die Erwerbung und Einverleibung ihrer Schlösser, Lehen und Territorien in den Staat zuständig war. Die Einstellung zum Lehnsrecht war nicht einheitlich: Im Inneren fand eine systematische Stärkung des Staates und eine Reduktion der Autonomien im Bereich der feudalen Natural- und Geldabgaben statt. Zur selben Zeit jedoch verteidigte man die Feudal- und Jurisdiktionsrechte des Heiligen Stuhls in den Staaten anderer Souveräne, seine Rechte über die ihm unmittelbar unterstellten, weit verstreuten, jenseits der Staatsgrenzen liegenden Diözesen sowie die Rechte geistlicher Personen und Institutionen, die der weltlichen Souveränität anderer Fürsten unterstellt waren. Tatsächlich wurden sie als unveräußerliche Rechte betrachtet, auch wenn nicht alle von ihnen Rechte des dominium utile beinhalteten.

Während in der longue durée die Schwäche der Zentralisierungsbemühungen des Kirchenstaates festzustellen ist, offenbaren sich in der Epoche des ausgehenden 16. Jahrhunderts die politische Stärke und die internationale Bedeutung des Papsttums, die den Ansprüchen auf Ferrara politisch-militärischen Rückhalt verliehen. Clemens VIII. teilte also mit dem Kardinalkolleg, das ihn gewählt hatte, das Prinzip, in doppelter Hinsicht die spirituelle Mission des Papsttums auf den Territorialstaat zu gründen: Zu der Tendenz, den Staat aus politischen und ekklesiologischen Gründen zu stärken, trat eine noch feudale Anschauung, indem der Papst unter der Garantie des Kollegiums seiner Wähler zwar den "Nießbrauch" der Ressourcen hatte, die aus dem Staat gezogen wurden, diesen jedoch unangetastet seinen Nachfolgern übergeben musste. Die Rückeroberungspläne des römische Katholizismus hatten die alten mittelalterlichen Hierarchien bestätigt und verstärkt, indem sie die christlichen Fürsten dem Papst unterordneten, welcher den Anspruch auf eine potestas indirecta erhob, hatten aber zugleich dem Staat ein neues Gewicht im Rahmen des Kampfes gegen Häretiker und Ungläubige gegeben. Das Lehnsrecht wurde daher bald gestärkt, bald zurückgestellt, blieb aber stets dem "übergeordneten päpstlichen Willen" untergeordnet.

 

Eugenio Bartoli:
"Zu sein wie ein Freiburg Italiens". Das Herzogtum Guastalla zwischen den beiden habsburgischen Seelen, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

Das Reichslehen Guastalla war lange auf der europäischen Ebene präsent (1347-1804), wenngleich es phasenweise einen Bedeutungsverlust erlebte. Unter den Kleinstaaten, die im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit über Italien verstreut waren, war es derjenige, der seine politischen und dynastischen Möglichkeiten am besten auszunutzen wusste. Dies gilt in zweifacher Weise v.a. für die Zeit des Hauses Gonzaga (1539-1746): erstens wegen der bemerkenswerten Qualitäten seiner Mitglieder – selbst wenn nicht allen die Zeit vergönnt war, diese in bestmöglicher Weise zu entwickeln; zweitens weil die beständige Treue zu den Habsburgern zwar wohl nicht immer großzügig und in angemessener Weise entlohnt wurde, sich in den heikelsten Situationen – wie der Minderjährigkeit Ferrantes II. (nach 1575), dem vorzeitigen Tod Cesares II. (1632), der Minderjährigkeit Ferrantes III. (1632) und dessen söhnelosem Tod (1678) – jedoch stets auszahlte. In derartigen Krisen gingen Kleinstaaten nicht selten unter (auch wegen des habsburgischen Interesses, sie vom politischen Parkett zu entfernen), während das Herzogtum Guastalla stets als unverzichtbares Element für das Gleichgewicht auf dem kleinteiligen Schachbrett Norditaliens betrachtet wurde. Als die gonzagische Hauptlinie, Mantua, durch die unkluge Haltung Ferdinando Carlos einen politischen Abstieg bis hin zu ihrem Erlöschen erlebte, gewannen aus der Perspektive des Kaisers und anderer Dynastien die Herzöge von Guastalla mit Vincenzo an Gewicht (1692-1708). Sie richteten sich in der Folge mit der Erwerbung des Herzogtums Sabbioneta und des Fürstentums Bozzolo in ihrer neuen Rolle als Souveräne ein (1708-1746), wenngleich sie es nicht vermochten, den Thron von Mantua zu besteigen. Was aber zu jener Zeit zählte, war das Faktum, dass die Gonzaga von Guastalla zusammen mit den Savoia, de’ Medici, Este und Farnese die letzten fünf alten souveränen Dynastien italienischer Herkunft repräsentierten, als solche anerkannt waren und ihnen seit den Zeiten Ferrantes III. der Rang einer "Altezza serenissima" zugestanden wurde. Die Reorganisation des Staates im 18. Jahrhundert bewies, dass auch eine kleine Herrschaft, wenn sie mit Weitsicht regiert wurde, weit größer dimensionierten Vorbildern strukturell nachzueifern vermochte. Der lange Streit mit Wien um Mantua war eine Schule der Diplomatie auf hohem Niveau. Die Heiratsoptionen, sowohl diejenigen, die im Verhandlungsstadium blieben, als auch diejenigen, die umgesetzt wurden, zeigen den nunmehr erreichten Status als "Fürsten der ersten Reihe". Die Geschichte Guastallas ist damit im Sinne eines bewussten, konsequenten und kontinuierlichen Strebens nach der vollen, anerkannten, v.a. aber als angemessen betrachteten Souveränität zu verstehen. Dies ging so weit, dass Guastalla neben Lucca-Massa die einzige Wiedergründung eines italienischen Staats (zugunsten Paolina Bonapartes) in der napoleonischen Epoche war.

 

Gian Luca Podestà:
Die Herzöge von Parma und Piacenza zwischen Papsttum und Reich, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

Parma und Piacenza waren nach dem Niedergang der kommunalen Freiheiten um die Mitte des 14. Jahrhunderts unter die Signoria der Visconti und dann der Sforza geraten. Die Herrschaft der Sforza dauerte bis zum Jahr 1499, als das Herzogtum Mailand von Ludwig XII. von Frankreich besetzt wurde. Während der Kriege um Italien annektierte Papst Julius II. sie für den Kirchenstaat. Im Bündnisvertrag Kaiser Karls V. und Papst Leos X. gegen Franz I. von Frankreich vom 8. Mai 1521 wurden die beiden Städte schließlich als Bestandteil des Kirchenstaats anerkannt.
Nichtsdestoweniger wurde in Mailänder Kreisen der Verlust der beiden Städte stets als ein Anschlag auf die territoriale Integrität des Herzogtums Mailand betrachtet, und mehrfach richtete man Appelle an den Kaiser, er möge sie dem Staat wiedereingliedern. Das Problem wurde noch heikler, als Papst Paul III. sie seinem Sohn Pier Luigi Farnese zur Herrschaft übertrug. Dieses Ereignis führte zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Karl V. und dem Papst, umso mehr als der Gouverneur von Mailand, Ferrante Gonzaga, die Meinung vertrat, dass die Farnese mit Frankreich Pläne zu einer Vertreibung der Kaiserlichen aus Norditalien schmiedeten. Angesichts der zentralen Bedeutung Piacenzas als Sitz der Wechselmessen und, zusammen mit Genua, Dreh- und Angelpunkt des Finanzsystems, das den Habsburgern gestattete, die gewaltigen Ressourcen aufzubringen, derer sie für die Verwaltung ihres riesigen Reiches bedurften, wäre der Verlust der Stadt fatal gewesen.
Im September 1547 wurde Pier Luigi Farnese im Zuge einer Verschwörung, die einige Piacentiner Vasallen mit der entscheidenden Unterstützung Ferrante Gonzagas angezettelt hatten, getötet. Piacenza wurde von den kaiserlichen Truppen besetzt. Nach einigen Wechselfällen besiegelte ein Vertrag zwischen Karl V. und Ottavio Farnese, dem Sohn Pier Luigis und Gemahl Margarethes, der natürlichen Tochter des Kaisers, die Rückkehr der Stadt unter die Herrschaft der Farnese; Ottavio hatte die Autorität des Reiches über die beiden Städte anerkannt. Von nun an waren die Farnese die treuesten italienischen Verbündeten der Habsburger.
Für die Herzöge war es jedoch ebenfalls von grundlegender Bedeutung, ihre Herrschaft über den Staat zu stärken, da die Dynastie, welche dem Territorium vollkommen fremd war, nicht auf die Treue der großen Feudalfamilien des Herzogtums zählen konnte. Ottavio begründete eine Strategie, die als "Politik des Verbrechens" bezeichnet werden könnte und die von seinem Enkel Ranuccio zum Abschluß gebracht wurde. Die Entdeckung einiger Verschwörungen, bei denen es schwierig ist, festzustellen, ob es sie tatsächlich gab oder ob sie das Ergebnis einer geschickten Übertreibung der herzoglichen Polizei darstellten, erlaubte es den Farnese, einige der bedeutendsten Lehnsmänner des Herzogtums zu verurteilen und ihre Besitzungen zu konfiszieren. Auf diese Weise schufen die Herzöge ein beeindruckendes Patrimonium, das ihnen eine größere Zustimmung verschaffte (ein Teil der Ländereien wurde neu vergeben) und es ihnen erleichterte, die nötigen finanziellen Ressourcen für die Verwaltung des Staates aufzubringen.

 

Christine Roll:
Archaische Rechtsordnung oder politisches Instrument? Überlegungen zur Bedeutung des Lehnswesens im frühneuzeitlichen Reich, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

„Der Feudalismus hat in Deutschland jeden Fortschritt verhindert“ – so entschieden verwarf Heinrich von Sybel das Lehnswesen schon 1859. Diese Auffassung vom Lehnswesen als archaisch, verkrustet und durchgreifende Reformen des Reichs behindernd hat die Forschung über das frühneuzeitliche Reich bis vor wenigen Jahrzehnten bestimmt. Übersehen wurde dabei, dass es das Lehnswesen war, das bis zum Ende des Alten Reichs nicht nur als eines der Hauptkriterien für die Zugehörigkeit von Grenzlandschaften zum Reich allgemein anerkannt wurde, sondern auch über den reichsrechtlichen Status der einzelnen Glieder des Reichs entschied, über ihre Reichsstandschaft nämlich: ohne Reichslehen keine politische Mitbestimmung auf dem Reichstag. Das Lehnswesen hat die ständische Überwölbung des Reichs, wie sie um 1500 deutlich sichtbar wird, also nicht nur ausgehalten und mitgemacht; vielmehr bildeten die lehnsrechtlichen Verhältnisse die Grundlage, auf der diese entscheidende Modernisierung des mittelalterlichen Reichs gelang.
Was lässt sich darüber hinaus über die Bedeutung des Lehnswesens im Alten Reich sagen? Zunächst einmal ist festzuhalten: In den folgenden Auseinandersetzungen zwischen Kaisertum und Ständen um die Verteilung der Befugnisse in der Reichsregierung – zu Beginn der Regierung Karls V. und auf dem Westfälischen Friedenskongress – haben die Stände die kaiserliche Lehnshoheit nicht angetastet. Statt dessen aber haben sie in anderen Bereichen und Rechtszusammenhängen ihre Befugnisse auszubauen gesucht: ein jus territoriale konstruiert und sich außenpolitische Handlungsspielräume durch ein jus foederis und ein jus belli ac pacis geschaffen. Dadurch freilich wurde die kaiserliche Lehnshoheit schließlich doch entscheidend ausgehöhlt – weil für die armierten Stände in ihrer politischen Praxis das Vorbild der westeuropäischen Monarchien immer mehr an Attraktivität gewann, weil der Treuevorbehalt gegenüber Kaiser und Reich mit den völkerrechtlichen Souveränitäts- und Gleichgewichtslehren bald nicht mehr konkurrieren konnte, und weil, etwa seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts, die Huldigung der Landstände ihre Bedeutung als entscheidendes Moment des reichsfürstlichen Herrschaftsantritts verlor. Mit alledem verlor auch die kaiserliche Belehnung ihre Bedeutung als Quelle reichsfürstlicher Herrschaftslegitimation: Karl VI. gelang es kaum noch, die Reichsfürsten zur Abordnung einer Huldigungsgesandtschaft nach Wien zu veranlassen und seinerseits den Lehnsakt zu vollziehen. Kaiser Joseph II. schließlich vermochte schon 1767 selbst gar nicht mehr zu benennen, worin der politische Nutzen der Lehnsbande, deren Verlust er wortreich beklagt, denn bestehen könnte.
Das Lehnswesen im Alten Reich – nur die Geschichte seines Bedeutungsverlusts? Gewiss erwies sich das Lehnsrecht als unvereinbar mit staats- und völkerrechtlichen Prinzipien und unterlag ihnen schließlich, zumal der Rationalität der Aufklärung. Andererseits finden sich zahlreiche Beispiele dafür, dass lehnsrechtliche Verhältnisse – jedenfalls bis zum 18. Jahrhundert – verschiedentlich sehr effektvoll als politisches Instrument eingesetzt werden konnten: vom Kaiser, der z.B. durch Hinauszögern der Belehnung politischen Druck auf einen Reichsfürsten ausübte; von einer reichsfürstlichen Familie, die durch Belehnung zur ganzen Hand ihre Territorien im Hause hielt, und sogar von den Landständen, die den Kaiser als Oberlehnsherrn gegen ihren Landesherrn ausspielten. Ganz im Sinne der Bedeutung des Lehnswesens für die Verfassungswirklichkeit des Reichs sei abschließend betont: Es war der alte Lehnsnexus, der die Könige von Schweden und England wegen ihrer Reichsterritorien Vorpommern und Hannover 1806 – als einzige übrigens – zum Protest gegen die Auflösung des Reichs veranlasste.

 

Matthias Schnettger:
Das Ende der Chinea-Präsentation und der Zusammenbruch des päpstlichen Lehnswesens, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

Der Beitrag skizziert die Ereignisse von 1788 und der Folgejahre, als Ferdinand IV., König von Neapel und von Sizilien, nicht länger das Chinea genannte weiße Pferd als Zeichen seiner Vasallität gegenüber Papst Pius VI. für das Königreich Neapel nach Rom schickte. Zwar bezahlte der Hof von Neapel die üblichen 7 000 Dukaten, interpretierte sie aber in eine freiwillige, fromme Gabe zu Ehren der Apostel Petrus und Paulus um und demonstrierte so öffentlich, dass er die Lehenshoheit des Heiligen Stuhls nicht mehr anerkenne. In dem folgenden publizistischen Streit stützte sich die Römische Kurie auf die Lehnbriefe sowie auf historisch-juristische Abhandlungen, um zu beweisen, dass sie seit Jahrhunderten die Herrschaft bzw. Oberhoheit über Neapel besitze. Die Gegenseite dagegen konnte auf die aufgeklärte öffentliche Meinung zählen, wenn sie die römischen Ansprüche als Ausfluss des mittelalterlichen Strebens des Papsttums nach der Universalmonarchie sowie als Ergebnis von Betrügereien und Usurpationen attackierte. Als Relikt der "dunklen Jahrhunderte" seien die päpstlichen Ansprüche des Jahrhunderts der Aufklärung nicht würdig. Außerdem wurde die "Unvereinbarkeit der Natur des Lehens und der des Königreichs" unterstrichen (Discorso sulla chinea pretesa da Roma), und unter Berufung auf die Theorie des Gesellschaftsvertrags behaupteten einige Autoren, selbst wenn der König wolle, könne er die Souveränitätsrechte nicht veräußern. Am Ende des Beitrags werden drei allgemeine Schlussfolgerungen ausgeführt:
1. Bis zum Ende des Ancien Régime bewahrte das zeremonielle Element eine besondere Bedeutung nicht nur im Kontext des päpstlichen, sondern auch des kaiserlichen Lehnswesens. Die Verweigerung der Chinea-Präsentation bedeutete die öffentliche Aufkündigung des Lehns¬bandes und wurde so auch von Gegnern und Unterstützern des neapolitanischen Hofes verstanden.
2. Das, was sich noch am Ende des 16. Jahrhunderts als eine besondere Stärke des päpstlichen Lehnssystems erwiesen hatte, die Verquickung von geistlicher und weltlicher Gewalt, wurde gegen Ende des Ancien Régime eher zu einer Belastung, indem sie die aufgeklärten Kräfte zum Kampf gegen die in den "dunklen Jahrhunderten" aufgekommenen Ansprüche anstachelte.
3. Lehnsbeziehungen im zwischenstaatlichen Bereich waren am Ende des 18. Jahrhunderts zur Anomalie geworden. Hierarchische Elemente im Staatensystem waren in der Frühen Neuzeit abgebaut worden, und die Tendenz ging hin zu gleichberechtigten, souveränen Staaten, die keinem Höheren unterstanden. Nicht zufällig wurden die Reste dieser Art von Lehnsbeziehungen im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons weitestgehend beseitigt.

 

Vittorio Tigrino:
Das Reich an seinen Grenzen. Die Reichslehen zwischen dem savoyischen Königreich und der Republik Genua am Ende der Frühen Neuzeit, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1.

Das Grenzgebiet der heutigen Regionen Ligurien, Piemont und Lombardei war während der gesamten Frühen Neuzeit durch die Existenz eines dichten Netzes von Reichslehen geprägt, die zumindest teilweise bis zum Ende des Ancien Régime ihre Unabhängigkeit von den benachbarten Potentaten bewahrten. Das Erscheinungsbild dieser nach Ausdehnung, Bedeutung und Beschaffenheit höchst unterschiedlichen politischen Einheiten hat im Lauf der Zeit grundlegende Veränderungen erlebt, in Abhängigkeit von den Dynamiken der Verkäufe, Erwerbungen und Zusammenschlüsse, sowie, vor allem im 18. Jahrhundert, von den aufeinander folgenden Erwerbungs- und Inkorporationsplänen der benachbarten Territorialstaaten.
Meine Überlegungen gehen von den Strategien aus, mit denen die Republik Genua und das savoyische Königreich lange Zeit die Erwerbung dieser Territorien versuchten, und von den Problemen, die sich ihnen dabei stellten, um über die Besonderheiten dieser politischen Gebilde nachzudenken, die bis vor wenigen Jahrzehnten nur eine geringe Aufmerksamkeit seitens der Historiographie erfahren haben, wahrscheinlich weil sie den Kategorien, welche die Forschung prägten (moderner Staat, Aufklärung, Reformen, wenn man will, auch das Verhältnis Zentrum/Peripherie), fremd waren.
Im Fall Savoyen, das während der gesamten ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine deutliche territoriale Expansion erlebte, brachte die Erwerbung einstiger Reichslehensgebiete langwierige Verhandlungen mit den kaiserlichen Amtsträgern, aber auch mit den Vasallen und den einverleibten Gemeinden mit sich. Die Quellen lassen erkennen, wie argumentiert wurde, um seine besondere politische und juristische Qualität zu beanspruchen und zu bewahren (in Rechtsstreitigkeiten, in denen oft die ehemaligen Reichslehen zusammen mit den ehemaligen päpstlichen Lehen betrachtet werden, wegen der ihnen gemeinsamen Streitlust, die sie auszeichnete); sie zeigen darüber hinaus, wie im Lauf der Zeiten die savoyischen und die kaiserlichen Amtsträger die historischen und juristischen Verbindungen zwischen diesen Territorien und dem Heiligen Römischen Reich bewerteten.
Dasselbe trifft auch auf den Fall der Republik Genua zu, deren Expansionspolitik allerdings bald nach der Aufsehen erregenden Einverleibung Finales zu einem Ende kam. Vielmehr hatte die genuesische Regierung bis zum Ende der Republik mit den Oberhoheitsansprüchen zu rechnen, die das Reich auf deren gesamtes Territorium erhob und die, auch mittels einer dichten publizistischen Produktion, auf der lokalen und der "internationalen" Ebene vorgetragen wurden.

Diesen dynamischen Tendenzen vollkommen entgegengesetzt ist dagegen die Entwicklung, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zur Begründung des "Fürstentums Torriglia" seitens der Familie Doria führte, wodurch den betreffenden Lehen die Anerkennung eines besonderen Status durch das Reich gesichert wurde. Dieser Fall repräsentiert eine interessante, bislang unerforschte Entwicklung und zeigt, dass es Modelle der politischen Beziehungen gab, die Alternativen zu demjenigen der staatlichen Zentralisierung am Ende des 18. Jahrhunderts darstellten.

Die Existenz der Reichslehen verkomplizierte die politisch-administrative Situation dieser Region, die ohnehin schon von einer deutlichen Diskontinuität (und, wie gesagt, von einer hohen Dynamik der Veränderungen) geprägt war. Sie vervielfältigte und überdimensionierte die Grenzräume – die in der fraglichen Zone eine höchst bemerkenswerte Ausdehnung und Zersplitterung aufwiesen. Gerade in diesen Jahren versuchte man in einer Sichtweise der "Verstaatlichung" der Grenzprobleme diese Grenze festzulegen, unter großen Mühen und in langen diplomatischen Verhandlungen, die beständig durch die auf der lokalen Ebene andauernden Konflikte konterkariert wurden. Im Fall der Reichslehen und ehemaligen Reichslehen – deren Einbeziehung in diese Maßnahmen sich konfliktreich gestaltete, wenn sie ihnen nicht gar völlig ablehnend gegenüberstanden – waren diese Probleme noch gravierender, auch weil es keine Verhandlungen auf übergeordneter Ebene über diese Frage gab. Das entspricht der besonderen Stellung, welche die dem Reich verbundenen Territorien beanspruchten, und zumal der Angewohnheit, die Vorteile der Autonomie auszunutzen (zum Beispiel durch den Schmuggel) und sie beständig gegen versuchte Finanz- und Verwaltungsreformen in Anspruch zu nehmen.

 

Erstellt von: RedaktionZB
Zuletzt verändert: 2007-05-06 05:54 PM