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Prof. Dr. Claudia Opitz-Belakhal

Promotion 1985, Habilitation 1991, 1991-1994 Ordinaria für neuere Geschichte an der Universität Hamburg, seit 1994 ordentliche Professorin für Neuere Geschichte an der Universität Basel mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit. Die Forschungsschwerpunkte umfassen Französische Geschichte 15.-18. Jahrhundert, Politische Theorie und Geschlechtergeschichte der Politik, Aufklärungsforschung, Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft, Frauen- und Geschlechtergeschichte. Sie ist Mitherausgeberin der Reihe "Geschichte und Geschlechter" (Campus-Verlag) und Beirätin der Zeitschrift "Feministische Studien". Jüngere einschlägige Publikationen: (hrsg.mit M.Mommertz) Das Geschlecht des Glaubens. Religiöse Kulturen in Europa zwischen Mittelalter und Moderne, Frankfurt a.M. 2008; (hrsg.mit Chr.Hämmerle) Krise (n) der Männlichkeit?, Köln 2008 (=L'Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, H. 2); Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte, Tübingen 2005.

 

 

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Aus dem breiten Themenspektrum "Frauen und Politik" hat diese Ausgabe der zeitenblicke bewusst nur die Sphäre des frühneuzeitlichen fürstlichen Hofes in den Blick genommen. Könnten Sie die aus Ihrer Sicht wichtigsten weiteren Aspekte dieses Themenfeldes für die Frühe Neuzeit kurz benennen?

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Zunächst ist da auf die anderen Ebenen und Bereiche frühneuzeitlicher politischer Kultur zu verweisen: das Dorf, die Stadt, aber auch die Klöster und Kirchen, obgleich in diesen politischen Räumen die Handlungsmöglichkeiten von Frauen ja deutlich eingeschränkter waren oder jedenfalls weniger sichtbar sind. Dann wäre hier der ganze breite Bereich des sozialen Protests zu nennen, angefangen von den Bauernkriegen über Hungerrevolten, Protestmärsche und schließlich Aufstände bis hin zu den diversen Revolutionen. Den weiblichen Anteil an solchen Protestaktionen und -bewegungen hat die Forschung in den letzten Jahren deutlicher herausarbeiten können.

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Gerade hier, in der Beteiligung von Frauen an der dörflichen und städtischen Öffentlichkeit und an der frühneuzeitlichen politischen Kultur gibt es aber noch immer deutliche Forschungsdefizite, zumal in Deutschland. Wie die Frauen vor der Genese moderner Demokratien überhaupt Zugang zur Sphäre des Politischen hatten, ist nach wie vor kaum zufriedenstellend zu beantworten – abgesehen vielleicht von den Forschungen zu den französischen Salons und der Rolle von Frauen darin. Weibliche 'citizenship' bzw. Bürgerrechte für Frauen und deren Reichweite in der frühneuzeitlichen Stadtgemeinde sind zum Beispiel noch gar nicht systematisch erforscht worden, auch wenn es natürlich Forschungen gibt, die sich mit der Entstehung des frühneuzeitlichen Wohlfahrtsstaates und seiner Bedeutung für Frauen, Frauenarmut und zum Teil auch schon Frauenpolitik (zum Beispiel im Bereich der Armenfürsorge oder des Hebammenwesens) befassen. Auch die Forschungen zur "Moralpolitik", die ja gerade aus geschlechtergeschichtlicher Sicht weit vorangetrieben wurden, gehören in diesen Kontext.

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Ein weiterer, zentraler Aspekt von frühneuzeitlicher Staatlichkeit hat in der Frauen- und Geschlechterforschung bislang weniger Interesse gefunden. Es ist dies die Geschichte des staatlichen Gewaltmonopols und seiner Institutionalisierung im Militärwesen. Dieses galt lange Zeit als männliche Domäne par excellence – wenn auch nicht alle Forscherinnen und Forscher der Ansicht von Thomas E. Wanger folgten, Männerherrschaft sei per se Krieg (wenn überhaupt, dann eher umgekehrt). [2] Erst mit der allgemeinen Öffnung der Frauen- bzw. der Geschlechtergeschichte zur Männerforschung hin formierte sich hier eine neues Interesse, das mittlerweile auch wichtige Ergebnisse zeitigt, aber für die Frühe Neuzeit noch erhebliche Defizite aufweist.
Auch eine geschlechtergeschichtliche Analyse politischer Diskurse der Vormoderne, die vor allem über das "gendering", also die geschlechtliche Markierung von politischen Institutionen und Aktionsfeldern, Auskunft geben könnte, steht noch weitgehend aus.

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In welchen Bereichen haben sich politische Aktivitäten von Frauen im Laufe der Frühen Neuzeit besonders stark entwickelt?

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Das ist natürlich ein weites Feld. Aber man könnte hier unter anderem die Etablierung von Erbmonarchien und das Ende der Lehnsherrschaft seit dem späten Mittelalter nennen, das auch die Beteiligung von Frauen an der politischen Herrschaft gravierend verändert hat – übrigens nicht nur in negativer Weise. Gerade die Entwicklung hin zu dynastischen Systemen hat Frauen neue Möglichkeiten als Regentinnen für unmündige Söhne und als Thronerbinnen eröffnet, ungeachtet der allseits auffindbaren Betonung der männlichen Primogenitur. Dazu gehört im Übrigen auch die immense Bedeutung von anderen weiblichen Verwandten im familiär organisierten Herrschaftssystem während der Frühen Neuzeit. Sie spielten als Schwestern, Ehefrauen und Töchter von politisch mächtigen Männern im diplomatischen Geschäft eine sehr wichtige Rolle und waren für das Überleben des familiären Verbandes auch dann von vitaler Bedeutung, wenn sie nicht Erbtöchter oder Regentinnen waren. [3]

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Auch habe ich weiter oben schon die politische Bedeutung von Frauen in anderen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten erwähnt: Die sozialen und politischen Bewegungen wie die Reformation, die Bauernkriege, verschiedene Bürgerkriege und schließlich die "frühmodernen" Revolutionen (etwa in England oder den Niederlanden) haben wichtige Veränderungen auch für die Frauen mit sich gebracht. Aber auch hier scheiden sich die Geister. Gehen die einen davon aus, dass zum Beispiel die Reformation zu einer "Domestizierung" von Frauen und einer verschärften Sozialdisziplinierung und Kontrolle vor allem der weiblichen Sexualität führte, sehen andere hier eher die verbesserten Beteiligungsmöglichkeiten, so etwa im Gottesdienst und in der Predigt, in der Bildung und durchaus auch in der Ämterhierarchie der evangelischen Gemeinden.

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Ebenso ist hier der ganze Bereich des Militärwesens zu nennen. Dieses entwickelte sich ja aus einer Ritterkultur, die übrigens eine deutliche weibliche Beteiligung als "Publikum" und einen entsprechenden ethischen Bezugsrahmen kannte, zur Söldnerkultur mit "Kriegsunternehmern" und einem wachsenden, vor allem weiblichen Tross und dann schließlich zu den bürokratisierten und professionalisierten Massenheeren. In diesen wurde auch die "Ordnung der Geschlechter" neu geregelt, indem hier der Ausschluss von Frauen vorgezeichnet war, der dann im weiteren auch zum Ausschluss von Frauen von den Staatsbürgerrechten führte, wie sich jedenfalls anhand der Geschichte Frankreichs zeigen lässt. Darüber sollte man aber auch die "friedlicheren" politischen Prozesse nicht aus den Augen verlieren: Die Entstehung einer "civil society" und einer modernen politischen Öffentlichkeit wäre ohne die (Halb-)Öffentlichkeit von Salons und Assoziationen, an denen Frauen teilweise an zentraler Stelle beteiligt waren, undenkbar gewesen.

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Jedenfalls sollte klar sein, dass gesellschaftliche und politische Veränderungen immer auch Auswirkungen auf Frauen hatten, aber selten in eine einzige Richtung weisen: Nur schwer lässt sich eindeutig von einer reinen "Verbesserung" oder "Verschlechterung" der Situation von Frauen sprechen. Vielmehr sind soziale Prozesse vielschichtig, und die Frauen- und Geschlechtergeschichte hat schon länger darauf hingewiesen, dass Frauen keine homogene soziale Gruppe sind, für die man deshalb auch nicht leicht solche "Großthesen" formulieren kann. Es ist generell besser, von einem "Wandel der Geschlechterbeziehungen" zu sprechen, wie dies Heide Wunder anlässlich der Umbrüche zu Beginn der Neuzeit schon vor Jahren getan hat [4]. Solche Wandlungsprozesse gehen mit allen gesellschaftlichen Umbrüchen und Veränderungen einher. Die Richtung ist dabei aber grundsätzlich offen und auch vom räumlichen, zeitlichen, kulturellen Kontext abhängig.

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Wo sehen Sie Gründe dafür, dass sich die Frauen- und Geschlechtergeschichte lange Zeit so wenig mit dem Verhältnis von Frauen zu Politik und Macht beschäftigt hat? Teilen Sie den Eindruck, dass solche Themen gerade in der deutschsprachigen Forschung für die Frühe Neuzeit immer noch eher selten behandelt werden?

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Die frühe feministische Geschichtsbetrachtung stand ganz unter dem Vorurteil einer jahrtausendelangen, ununterbrochenen Unterdrückung der Frau durch den Mann bzw. das "Patriarchat". Infolgedessen betrachtete die Frauen- und Geschlechtergeschichte die Sphäre des Politischen und dann auch der (modernen) Staatlichkeit wenig. Wenn sie es tat, dann sah sie in der staatlichen Sphäre grundsätzlich eine "patriarchalische" Einrichtung, deren hauptsächliche Aufgabe darin bestünde, männliche Herrschaft über Frauen zu perpetuieren, weil sie von Männern geschaffen wurde, um männliche Interessen zu verfolgen und Frauen den Zugang zu politischer Macht zu verwehren. Dies gilt im Prinzip für die gesamte geschlechtergeschichtliche Forschung, doch es gilt in besonderem Maß für die Erforschung vor-moderner und damit auch vor-demokratischer Verhältnisse und Institutionen.

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Dann spielte hierfür auch das grundsätzliche Misstrauen der feministischen Forschung gegenüber der Tradition der "großen Frauen" eine Rolle, allen voran regierenden Königinnen und Fürstinnen. Diese wurden ja vor allem von konservativer Seite ins Feld geführt, um zu zeigen, dass "das Patriarchat" so gar nicht existiert(e). Der feministischen Forschung erschienen diese Frauen nur als Ausnahmen, die die Regel vom Ausschluss von Frauen aus der Politik und damit der Geschichte bestätigten. Aber es gab auch andere Gründe: Etwa der Primat der Sozialgeschichte gegenüber der Verfassungsgeschichte und das Interesse für die "kleinen Leute" bzw. die einfachen Frauen und die Arbeiterinnen, den die frühe feministische Forschung mit vielen VertreterInnen der Sozialgeschichte teilte. Dazu kommt noch, dass in der Tat vor allem in Deutschland ein sehr enger Begriff von "Politik" dominierte und zum Teil immer noch vorherrscht, der Politik eben nicht als den ganzen Bereich des politischen Handelns von Menschen etwa im Sinne von Aristoteles definiert, sondern sehr stark auf den Staat und seine Spitzen orientiert ist.

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Könnten Sie einige der aus ihrer Sicht wichtigsten Ergebnisse der neueren Forschung zum Themenbereich "Frauen und Politik" zusammenfassen?

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Natürlich sind die Ergebnisse vielfältig und lassen sich kaum in zwei, drei Sätzen zusammenfassen. Aber man kann und sollte doch einige zentrale Erkenntnisse herausstreichen: Vor allem die Idee von der grundsätzlichen und jahrhunderte- oder gar jahrtausendelangen Ohnmacht der Frauen gegenüber dem allmächtigen Patriarchat scheint mir ganz und gar erledigt zu sein; die politische Handlungsfähigkeit und damit auch "Geschichtsmächtigkeit" von Frauen wird heute wohl kaum noch ernsthaft bestritten. Diese Erkenntnis basiert nicht zuletzt auf einer wichtigen Diskussion, die die US-amerikanische Renaissance-Historikerin Joan Kelly in den frühen 1990er Jahren angestoßen hat mit ihrer These, die frühneuzeitliche "querelle des femmes" sei eine frühe Form des Feminismus gewesen, die moderne Frauenbewegung habe hier also gleichsam ein frühmodernes Pendant oder einen Vorläufer gehabt. [5] Damit konnte sich Kelly zwar nicht durchsetzen. Aber sie hat doch der Debatte um die gesellschaftliche und politische Relevanz von Geschlechterdiskursen in unterschiedlichen historischen Kontexten den Weg geebnet, die dann zum Beispiel Gisela Bock in ihrer Geschichte der Frauen in Europa als zentral für die Frühe Neuzeit präsentiert hat. [6]

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Eine weitere Linie führt von der Geschichte des Feminismus und der Frauenbewegungen hin zur Frage des Verhältnisses von "Geschlecht" und politischen bzw. staatlichen Strukturen und Machtpositionen. Hierdurch wird nicht nur eine Integration der Frauenbewegungsforschung in breitere historische Diskussionszusammenhänge möglich, sondern es werden umgekehrt größere historische Handlungs- und Ereigniszusammenhänge, etwa Staatsbildungsprozesse und die Geschichte politischer Institutionen (etwa das Staatsbürgerrecht, die Entstehung moderner Demokratien usw.) in ihrer Logik für Geschlechterbeziehungen und die Geschlechterordnung befragt. Auf diese Weise sind damit gerade in diesem Feld zentrale Forderungen einer "geschlechtergeschichtlichen Wende" umgesetzt worden.

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Dabei ist die Frage des geschlechtsspezifischen Zugangs zur Sphäre des Politischen bzw. der Ausgrenzung von Frauen aus der (politischen) Öffentlichkeit ein relativ gut bearbeiteter Aspekt der geschlechtergeschichtlichen Betrachtung von Staatlichkeit und Politik. Ihren Ausgangspunkt nahm die Debatte von der Frage nach dem "Geschlecht" der Menschen- und Bürgerrechte und nach den dem modernen bürgerlichen Rechts- und Verfassungsstaat inhärenten Ausgrenzungsmechanismen für Frauen rund um die Französische Revolution. Schon im Moment der erstmaligen Realisierung moderner demokratischer Staatlichkeit sei die Frauen diskriminierende Grundstruktur des Staatsbürger-Konzepts bzw. das "male gendering" des politischen Subjekts deutlich zum Ausdruck gekommen, das bis heute Staatsbürgerrechte und politische Sphäre präge, so ein wichtiges Ergebnis interdisziplinärer feministischer Forschung, das etwa Joan Scott 1994 präsentierte. [7] Dabei sei der Ausschluss von Frauen keineswegs ein "zufälliges" oder peripheres Phänomen, sondern konstitutiv für das Projekt der bürgerlichen Gesellschaft bzw. für moderne Demokratien, wie neben anderen etwa die französische Historikerin Genevieve Fraisse oder auch die Rechtshistorikerin Ute Gerhardt argumentieren. [8]

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Nach meinen eigenen Forschungen lässt sich dieser Prozess allerdings auch längerfristig beobachten; zumindest in der politischen Theorie ist das "male gendering" des politischen Subjekts schon in den Texten des 16. Jahrhunderts zu beobachten – wenn auch nicht unbedingt in der Praxis! [9] Denn die politischen Aktivitäten von Frauen in der Frühen Neuzeit – innerhalb und außerhalb der Höfe – sind ja unübersehbar. Hier gibt es deshalb auch den größten Forschungsbedarf, wenn es um die Frage geht, wie sich dieser tendenzielle Widerspruch zwischen den traditionellen, noch von der Antike her kommenden Diskursen und der geschlechtergeschichtlich gesehen wesentlich differenzierteren gesellschaftlichen Praxis angemessen beschreiben und erklären lässt. Dafür braucht es grundsätzlich differenziertere und das heißt auch "geschlechtergerechtere" Modelle bzw. Konzepte von Politik, Staatlichkeit, Macht et cetera und deren Geschichte.

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Nun noch zwei Fragen zu den Perspektiven: Welche Themen und Fragestellungen vermissen Sie bislang noch in der (deutschsprachigen) Forschung? Sehen Sie Möglichkeiten, den geschlechtergeschichtlichen Zugang zu politischen bzw. politikgeschichtlichen Themen auszubauen?

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Ich habe ja weiter oben schon etliche Defizite und Forschungsdesiderate erwähnt, wie zum Beispiel die Erforschung politischer Diskurse, aber auch diejenige der weiblichen Beteiligung an Stadt- und Landgemeinden. Dasselbe gilt auch für die Entwicklung und Entfaltung einer "civil society" in Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg. Schon Jürgen Habermas hatte in seinen Studien zum "Strukturwandel der Öffentlichkeit" weniger die deutschen, als vielmehr die englischen und französischen Verhältnisse vor Augen. Auch wenn man davon ausgehen muss, dass hierfür die These von der "verspäteten Nation" bzw. vom deutschen Sonderweg durchaus eine gewisse Berechtigung hat, ist doch offensichtlich, dass auch in den deutschen Territorien die "Öffentlichkeit" – jedenfalls die aufklärerische – aus Frauen und Männern bestand, wenn auch nicht zu gleichen Teilen. Da liegt noch ein ganzer Forschungsstrang unbearbeitet, zumal vielen hierzulande noch gar nicht klar ist, dass es sich bei der "civil society" auch um ein politikgeschichtliches Thema handelt, das in den letzten Jahren etwa in der angloamerikanischen Forschung viel Beachtung gefunden hat.

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Dann ist da, wie oben erwähnt, der ganze Bereich des Militärischen. Hierfür gibt es mittlerweile aber auch in der deutschen Forschung interessante Ansätze, die indes für die Frühe Neuzeit noch vertieft und erweitert werden müssten. So gilt es, die Bedeutung von Militärwesen und Krieg für die Ausformung von Geschlechterbildern und Geschlechterbeziehungen im "zivilen Leben" wie im militärischen Alltag zu beleuchten. Dieser kann und darf eben nicht nur als "verkehrte Welt des Krieges", als Ausnahmezustand also, betrachtet werden, wie dies Regina Schulte gezeigt hat, [10] sondern in gewissen Epochen und historischen Räumen auch als zentraler Ort der "(Neu-)Ordnung der Geschlechter", wie das zum Beispiel Maren Lorenz in ihrer Studie über das "Rad der Gewalt" gezeigt hat. [11] Damit reicht die geschlechtergeschichtliche Untersuchung des Militärwesens ihrerseits in die Geschichte politischer Institutionen und Diskurse hinein, erweitert diese aber in signifikanter Weise und trägt dazu bei, beiden ein inhaltlich und methodisch erneuertes Forschungsinteresse zu sichern.

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Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass eine reine Fokussierung auf Frauen eher hinderlich als weiterführend ist; die Vorteile einer geschlechtergeschichtlichen Betrachtung liegen auf der Hand. Denn einerseits öffnet die Geschlechtergeschichte den kritischen Blick eben auch auf Männer und macht diese zu geschlechtlich definierten Akteuren der Geschichte. Gleichzeitig wird durch die geschlechtergeschichtliche Perspektive der Blick auch für das "gendering" geöffnet. Dadurch können wir auch erklären, warum Frauen sich in der Frühen Neuzeit nur so wenig in manche Bereiche wie zum Beispiel Universitäten "eingemischt" haben oder warum gewisse Geschlechtergrenzen ohne weiteres eingehalten wurden, während andere teilweise mit Gewalt aufrecht erhalten werden mussten. Und dadurch zeigt sich schließlich noch ein Vorteil der geschlechtergeschichtlichen Perspektivierung: Die Definition im wörtlichen Sinne einer "Grenzziehung" von Geschlechterrollen, -normen und -praktiken wird ihrerseits Gegenstand einer historischen Analyse – und damit wird das Feld des Politischen substanziell um eine Dimension erweitert!

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Wie schätzen Sie die Möglichkeiten einer weiterführenden Behandlung des Themenfeldes "Frauen und Politik" in epochenübergreifender Perspektive ein?

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Die Geschichte des Wohlfahrtsstaates ist sicher ein Feld, in dem epochenübergreifend zu forschen von Vorteil ist, die Geschichte von Militärwesen und staatlicher Gewalt ist ein weiteres. Am deutlichsten erscheint mir indes die Notwendigkeit dort zu sein, wo es um die Genese der modernen Demokratien geht, die ja das Herzstück unseres modernen Selbstverständnisses als politische Subjekte darstellen. Die politologisch dominierte Forschung betrachtet nämlich die historische Entwicklung der modernen Geschlechterverhältnisse in der Regel von einem durchgängig modernistischen Blickwinkel aus, der den epistemologischen Bruch mit der "Vormoderne" zur Grundvoraussetzung hat, der in der Regel im 18. Jahrhundert angesetzt wird. Infolgedessen konzentriert sich die Forschungsdiskussion (insbesondere im anglo-amerikanischen Raum) um die von der Naturrechtsdebatte der Aufklärung proklamierte Vertragstheorie.

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Teilweise greift sie noch weniger weit zurück und setzt bei (modernen) Demokratietheorien seit der Französischen Revolution bzw. seit der Etablierung modernder Nationalstaaten im Laufe des 19. Jahrhunderts und schließlich im Umfeld des modernen Sozialstaats an. In beiden Fällen werden Grundüberzeugungen und -institutionen der modernen westlichen Demokratien (Gleichheit, Wahlrecht, republikanische Verfassung et cetera) rückprojiziert, woraus eine Verminderung der kritischen Potenziale der aktuellen Debatten resultiert. Andererseits werden (differente) historische Verhältnisse und Entwicklungen eingeebnet und deren Bedeutung für das Zustandekommen moderner Demokratien oder "des modernen Staates" ignoriert. Dies erscheint insbesondere für das "gendering" moderner Institutionen höchst problematisch, da auf diesem Wege unzutreffende Traditionslinien (oder mehr noch: Brüche) konstruiert werden, die der historischen Probe aufs Exempel nicht standhalten können. Da erscheint mir eine Betrachtung in der Langzeitperspektive nicht nur interessanter, sondern substanziell ertragreicher, um eine wissenschaftlich angemessene Erkenntnis überhaupt gewährleisten zu können.

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Umgekehrt kann die Frühneuzeitforschung von der Geschichte der Moderne sehr viel lernen bezüglich der Breite des Feldes, das wir als "politische Kultur" bezeichnen können. Die Fixierung auf Verfassungstexte oder auf die politischen Entscheidungen von Verfassungsorganen allein interessiert schon lange niemanden mehr: In der Geschichte der Moderne ist vielmehr schon traditionell die Perspektive der Wähler, des Publikums, der Verbraucher usw. präsent; es geht um Propaganda, Werbung, Mobilisierung, man schaut auf Kommunikation, Repräsentation und Wahrnehmung – und dies, wenn auch nicht immer, so doch jedenfalls häufig auch mit Blick auf die beiden Geschlechter. Davon kann auch die Frühneuzeitforschung sehr viel lernen, die ja im Übrigen schon längst sehr stark ist in der kulturgeschichtlichen Forschung. Erst wenn alles zusammenkommt – Kultur-, Politik- und Geschlechtergeschichte –, dann ist meines Erachtens nach eine wirklich spannende und weiterführende "neue Politikgeschichte" zu erwarten!

Gesprächspartnerinnen

Prof. Dr. Claudia Opitz
Historisches Seminar der Universität Basel
Hirschgässlein 21
4053 Basel
Schweiz
Claudia.Opitz@unibas.ch

Univ.-Doz. Dr. Katrin Keller
Institut für Geschichte der Universität Wien
Dr. Karl Lueger-Ring 1
1010 Wien
Österreich
katrin.keller@univie.ac.at



[1] Das Interview hat Katrin Keller im Februar 2009 geführt.

[2] Siehe Thomas Ernst Wanger: "Wehrfähigkeit und Hausväterliche Gewalt als Vorwand gegen die politische Berechtigung der Frau. Frauenwahlrecht und Frauenstimmrecht unter besonderer Berücksichtigung der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein", Diss. Phil. Innsbruck 2002.

[3] Vgl. dazu etwa die Beiträge in "Tanten" (Werkstatt Geschichte, 46, 2007) sowie besonders das Editorial von Michaela Hohkamp: Tanten: Vom Nutzen einer verwandtschaftlichen Figur für die Erforschung familiärer Ökonomien in der Frühen Neuzeit.

[4] Heide Wunder / Christina Vanja (Hg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1991.

[5] Joan Kelly-Gadol: Early Feminist Theory and the "querelle des femmes", in: Signs 8 (1992) Nr. 1, 4-28; vgl. zu der anschließenden Debatte auch Gisela Bock / Margarete Zimmermann (Hg.): Die europäische Querelle des femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert (= Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 1997), Stuttgart 1997.

[6] Gisela Bock: Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2000.

[7] Joan Scott: Only Paradoxes to Offer. French Feminists and the Rights of Man, Ithaca / London 1994.

[8] Genevieve Fraisse: Geschlecht und Moderne: Archäologien der Gleichberechtigung, Frankfurt a. M. 1995; Ute Gerhardt u.a. (Hg.): Differenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht, Frankfurt a. M. 1990.

[9] Claudia Opitz-Belakhal: Das Universum des Jean Bodin. Staatsbildung, Macht und Geschlecht im 16. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2006.

[10] Regina Schulte: Die verkehrte Welt des Krieges. Studien zu Geschlecht, Religion und Tod, Frankfurt a. M. / New York 1998.

[11] Maren Lorenz: Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650-1700), Köln / Weimar / Wien 2007. Vgl. dazu auch die Beiträge in Karen Hagemann / Ralf Pröve (Hg.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt a. M. / New York 1998.

Empfohlene Zitierweise:

Claudia Opitz / Katrin Keller : Frauen und Politik: Fragen an Claudia Opitz , in: zeitenblicke 8, Nr. 2, [30.06.2009], URL: https://www.zeitenblicke.de/2009/2/interview/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-19657

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