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Abstracts

Sven Trakulhun : Kulturwandel durch Anpassung? Matteo Ricci und die Jesuitenmission in China, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 1.

Die Begegnung jesuitischer Geistlicher mit der chinesischen Kultur im 17. und 18. Jahrhundert gehört zu den bemerkenswertesten Episoden interkulturellen Austauschs zwischen Asien und Europa in der Frühen Neuzeit. Der Beitrag beschäftigt sich mit dem italienischen Missionar Matteo Ricci, der als Initiator dieser interkulturellen Kommunikationsprozesse eine Schlüsselrolle spielte. Die Jesuitenmission in China gilt heute vor allem deswegen als beispielhaft, weil sich an ihr nicht nur europäische Einflüsse in China, sondern – insbesondere auf der Ebene religiöser Diskurse – auch kulturelle Transfers in umgekehrter Richtung zeigen. Tatsächlich brachten die religiösen Dialoge zwischen chinesischen Konfuzianern und europäischen Jesuiten synkretistische Formen des christlichen Glaubens hervor, die auch Elemente konfuzianischen Denkens enthielten. Die jesuitische Chinamission wurde dadurch in Europa religionspolitisch brisant. Dogmatische Einwände vonseiten konkurrierender katholischer Orden führten dann – man darf vermuten zwangsläufig – zum sogenannten Ritenstreit, der diese außergewöhnliche missionspolitische Initiative im 18. Jahrhundert beendete.

 

Antje Flüchter : Pater Pierre Martin - ein „Brahmane aus dem Norden“. Jesuitische Grenzgänger in Südindien um die Wende zum 18. Jahrhundert, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 1.

Die Wirkungszone der französischen Jesuitenmission im frühneuzeitlichen Südindien lag größtenteils jenseits der Einflusszone der französischen Handelskompanie. Deshalb mussten die Patres sich umso mehr an die Verhältnisse ihrer Umgebung anpassen (Akkommodation) und wurden zu Grenzgängern. Ihr Wirken wurde in verschiedenen Briefsammlungen veröffentlicht. Der Aufsatz untersucht, welche Art von Grenzen die Missionare in diesen Darstellungen überschritten werden konnten und wie die Jesuiten sich dadurch selbst verorteten. Vier Grenzen werden beschrieben: 1. die Grenze durch die Lebensweise, 2. die moralische, 3. die soziale und schließlich 4. die religiöse. Die Definitionsmacht über die ersten drei lag bei den indischen Eliten; durch sie wurde die Grenze Europäer-Inder konstruiert. Sie konnte und musste sogar im Gegensatz zur Grenze Christ-Nichtchrist überschritten werden, um missionarisch erfolgreich zu sein. Diese Abgrenzung von einer europäischen Identität zeigt zum einen, dass die Relevanz einer europäischen Identität historisiert werden muss, und zum anderen, dass Mission nicht immer als Zivilisierung Verstanden werden konnte.

 

Nadine Amsler : Der 'Ferne Westen' – mit chinesisch-christlichen Augen gesehen. Aloysius Fan Shouyi (1682-1753) als Mittler zwischen China und Italien, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 1.

Die katholische Mission der Frühen Neuzeit eröffnete ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zahlreichen chinesischen Christen die Möglichkeit, Europa im Gefolge von Missionaren zu bereisen. Die meisten der chinesischen Reisebegleiter wurden aber nur in geringem Maße quellenkundig. Eine Ausnahme bildet Aloysius Fan Shouyi, der im frühen 18. Jahrhundert rund zehn Jahre in Italien lebte und dort dem Jesuitenorden beitrat. Nach seiner Rückkehr nach China verfasste er auf Geheiß der chinesischen Obrigkeit einen Reisebericht. Der vorliegende Aufsatz zeigt zum einen auf, dass unterschiedliche Institutionen – insbesondere die Gesellschaft Jesu und die chinesische Obrigkeit – auf Fans Bericht einwirkten, Fans Stimme innerhalb bestimmter Grenzen jedoch dessen ungeachtet noch zu vernehmen ist. Zum anderen wird hier Fans 'hybride' chinesisch-christliche Biographie gezielt thematisiert und dabei unterstrichen, dass diese seine Perspektive auf das frühneuzeitliche Italien stark beeinflusste.

 

Martin Stuber : Vom Simmental bis Spitzbergen. Albrecht von Haller als europäischer Vermittler regionaler Kultur und Ökonomie, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 1.

Albrecht von Haller sah die Nützlichkeit des Reisens respektive der Reiseberichte einerseits in der Menschenbildung mittels Horizonterweiterung und andererseits im Vergleich und im Transfer regionaler Formen der Naturaneignung. In diesen beiden Dimensionen bewegte sich Hallers vielfältige Mittlertätigkeit, namentlich als Dichter der Alpen, als Schlüsselfigur im sich globalisierenden Pflanzentransfer sowie als Rezensent von Reiseberichten und Landesbeschreibungen. Seit seiner ersten Alpenreise vereinte er in seiner Person den idealisierenden Blick auf die fremde Kultur mit dem wissenschaftlichen Forscherdrang nach der unbekannten Natur. Gerade beim Transfer von Kulturpflanzen waren Natur und Kultur eng miteinander verknüpft, ging es doch nicht nur um den Austausch von Samen, Wurzeln und Setzlingen, sondern ebenso um Praktiken und Wissensbestände der regionalen Kultur und Ökonomie.

 

Miriam Wallraven : Reiseliteratur als Kontaktzone und Schreibort: Lady Mary Wortley Montagu als Mittlerin zwischen den Kulturen, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 1.

Mit ihren Turkish Embassy Letters etablierte sich Lady Mary Wortley Montagu (1689-1762) auf verschiedenen Ebenen als Grenzgängerin und Mittlerin. Zunächst ist sie als Grenzgängerin zwischen den Gattungen – und insbesondere zwischen Fakt und Fiktionalisierung – zu betrachten. Durch ihre eigene textuelle Positionierung stellt sie sich darüber hinaus als eine Grenzgängerin zwischen den Geschlechternormen heraus, was wiederum ihre Wahrnehmung des 'Fremden' und der eigenen Kultur prägt. Während sie so ihren europäischen Lesern neue Einblicke in das Leben im Orient jenseits stereotyper Wahrnehmungen ermöglicht, erzeugen ihre Briefe jedoch auch neue Grenzziehungen, unter anderem durch eine diskursive Europäisierung des Orients. Die Überwindung kultureller Grenzen wie auch die erneuten Grenzziehungen erfolgen im Spannungsfeld zwischen der 'Kontaktzone', die die Reisende in den konkreten Wahrnehmungsraum zwischen den Kulturen versetzt, und dem 'Schreibort', an dem Wahrnehmungen diskursiv geformt und die literarischen Bedingtheiten der interkulturellen Vermittlung ausgelotet werden.

 

Claudia Opitz-Belakhal : Der „arabophile“ Carsten Niebuhr. Über emotionale und andere Grenzüberschreitungen im „glücklichen Arabien“, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 1.

Der norddeutsche Mathematiker und Landvermesser Carsten Niebuhr (1733-1815) bereiste zwischen 1761 und 1767 mit einer Gruppe von Forschern im Auftrag des dänischen Königs die arabische Halbinsel und brachte von dort umfangreiche Forschungsergebnisse und -berichte zurück. Diese wurden von geographischer wie von philologischer Seite als "bahnbrechend" bezeichnet und verschafften ihm in Europa hohes Ansehen. Während in der jüngeren Forschung insbesondere die Frage diskutiert wird, wie objektiv oder 'orientalistisch' (im Sinne E. Saids) die von Niebuhr gelieferten Beschreibungen sind, dominierte bei den Zeitgenossen eher das Bild vom "arabophilen" Niebuhr, wie es sein Sohn, der Historiker Reinhold Niebuhr, in einer biographischen Skizze überliefert hat. Ausgehend von dieser Präsentation Niebuhrs steht im Mittelpunkt des Beitrags die Frage, welche Emotionen Niebuhrs Reise- und Grenzerfahrungen begleiteten und wie eine besondere emotionale Bindung des Forschungsreisenden zu seinem bis dahin unbekannten und fremden Gegenstand erklärt werden kann. Dabei spielt das Konzept der 'inneren Akkulturation' eine zentrale Rolle, durch die der Reisende sich emotional wie kognitiv in die Lage versetzte, Fremdes furchtlos zu betrachten und kulturelle Grenzen zu überschreiten. Letztlich zeigt sich dabei eine weitestgehende Geringschätzung von Gefühlen und starken Emotionen – die lediglich dem minderwertigen Pöbel oder unerfahrenen (Pilger-)Reisenden zugeschrieben werden – zugunsten jener 'wahren Freundschaft', die Niebuhr, ganz im Sinne des aufklärerischen Konzepts der 'respublica litteraria', mit wissensdurstigen und der Wissenschaft aufgeschlossenen (sozial hochstehenden) Arabern verband, welche ihm und seinen Begleitern auf ihrer Reise begegneten.

 

Joachim Eibach : Tasten und Testen: Alexander von Humboldt im Urwald, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 1.

In der Ära der Verwissenschaftlichung des Reisens nimmt Alexander von Humboldts Amerikareise (1799-1804) eine zentrale Stellung ein. Humboldt wird in der Forschung wie auch bereits von den Zeitgenossen als souveräne Persönlichkeit beschrieben: sei es als Entdecker alten Stils mit kolonialistischem Narrativ, sei es als humanistischer Kosmopolit. Der Blick auf Humboldts Texte aus der Kontaktzone während seiner Reise zeigt jedoch ein Forscher-Ich, das sich irritiert-fasziniert und oft desorientiert durch das Dickicht der fremden Kulturen tastet. Humboldt kommuniziert dabei möglichst direkt und unmittelbar mit den Indigenen. Seine Beobachtungen lösen Selbstreflexionen aus. Er kritisiert europäische Stereotype über Amerika und testet selbst unterschiedliche Standpunkte. Die Sprachkompetenz ist für ihn ein Beleg für die Kulturfähigkeit der Indigenen. Andererseits erwägt er deren 'Zivilisierung' durch die Übernahme europäischer Sprachen. Trotz seiner dezidiert europäischen Ausgangspositionen sucht Humboldt in Amerika nicht nach dem kategorisch Anderen und insistiert nicht auf Differenz. Die Indigenen am Orinoko und in den Anden sind für ihn – nicht anders als Europäer – Menschen.

 

Johannes Stephan : Wie man die anderen verstehen soll und wie man über sie schreiben kann. Der Paris-Bericht Rifā’a aṭ-Ṭahṭāwīs (1801-1873) als vielseitige Vermittlung von ‘Kultur’, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 1.

Im vorliegenden Essay wird eine Lesart des viel diskutierten Paris-Berichts von Rifāʿa aṭ-Ṭahṭāwī vorgestellt. Kontrastierend zu der Annahme, Ṭahṭāwī habe eine Reise aus einer Kultur in eine andere unternommen, soll hier dargelegt werden, wie sich ein eigenes Verständnis von 'Kultur' in dem Text des Ägypters finden lässt. Es wird verdeutlicht, dass besonders sein Umgang mit dem französischen Konzept der Zivilisation auf ein plurales Verständnis von Kultur schließen lässt. Auf Grundlage dieses Konzepts versteht Ṭahṭāwī französische Institutionen, Sitten und Gebräuche und kann sie mit denen der Ägypter oder Araber vergleichen. Seine Kenntnisse arabischen und französischen Schrifttums geben ihm ferner die Möglichkeit, seinen Erfahrungen in Paris eine kunstvolle Form zu verleihen.

Erstellt von: RedaktionZB
Zuletzt verändert: 2012-11-08 09:22 AM