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Abstract

Die katholische Mission der Frühen Neuzeit eröffnete ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zahlreichen chinesischen Christen die Möglichkeit, Europa im Gefolge von Missionaren zu bereisen. Die meisten der chinesischen Reisebegleiter wurden aber nur in geringem Maße quellenkundig. Eine Ausnahme bildet Aloysius Fan Shouyi, der im frühen 18. Jahrhundert rund zehn Jahre in Italien lebte und dort dem Jesuitenorden beitrat. Nach seiner Rückkehr nach China verfasste er auf Geheiß der chinesischen Obrigkeit einen Reisebericht. Der vorliegende Aufsatz zeigt zum einen auf, dass unterschiedliche Institutionen – insbesondere die Gesellschaft Jesu und die chinesische Obrigkeit – auf Fans Bericht einwirkten, Fans Stimme innerhalb bestimmter Grenzen jedoch dessen ungeachtet noch zu vernehmen ist. Zum anderen wird hier Fans 'hybride' chinesisch-christliche Biographie gezielt thematisiert und dabei unterstrichen, dass diese seine Perspektive auf das frühneuzeitliche Italien stark beeinflusste.

Einleitung

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Während die Blicke von Europäern auf nichteuropäische Gesellschaften im Zeitalter der europäischen Expansion schon länger Gegenstand der historischen Forschung sind, wurde erst in den letzten Jahren im Zuge der 'postcolonial studies' die Frage nach dem Blick von Nichteuropäern auf Europa aufgeworfen. [1] Als Problem erwies sich dabei aber die oft dürftige Quellenlage: Obwohl zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert nicht wenige nichteuropäische Reisende Europa besuchten, sind von ihnen – mit Ausnahme von Reisenden aus dem Osmanischen Reich und dem arabischsprachigen Raum – nur wenige Schriftzeugnisse überliefert. [2] Dies gilt auch für chinesische Europa-Reisende. Zwar bereisten im Zuge der katholischen China-Mission, die insbesondere im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert florierte, zahlreiche chinesische Christen europäische Länder. [3] Nur selten haben die chinesischen Besucher jedoch in europäischen Quellen Spuren hinterlassen, und von ihnen verfasste Schriftzeugnisse liegen uns kaum vor. [4]

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Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der chinesische Christ Aloysius Fan Shouyi, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Reisebegleiter des Jesuiten Antonio Francesco Provana rund zehn Jahre in Italien verbrachte und dort dem Jesuitenorden beitrat. [5] Im Unterschied zu anderen chinesischen Europa-Reisenden wie etwa Jean Hu oder Michael Shen Fuzong, deren Europa-Erfahrung uns durch europäische Quellen vermittelt ausschnittweise zugänglich ist, [6] dokumentierte er seinen Aufenthalt in Europa selbst. Nach seiner Rückkehr in seine Heimat verfasste er 1721 auf Geheiß der chinesischen Obrigkeit den "Shenjianlu" ("Bericht dessen, was ich mit eigenen Augen gesehen habe"), [7] einen Reisebericht über seinen Aufenthalt in Europa, das er in seinem Text als 'Fernen Westen' (Yuanxi) bezeichnet. [8] Dieser Text, der in der italienischen Nationalbibliothek in Rom als Manuskript in einem chinesischen Notizheft im Umfang von 28 Seiten erhalten ist, widmet sich ausführlich der Beschreibung Italiens. Es handelt sich um die weitaus früheste bekannte chinesische Reisebeschreibung eines europäischen Landes, entstanden danach doch erst im 19. Jahrhundert chinesische Reiseberichte in beträchtlichem Umfang über Europa und Nordamerika. [9]

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Angesichts dessen ist es erstaunlich, dass dem Bericht in der Forschung bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. [10] Dies mag unter anderem daran liegen, dass verschiedene Autoren – wie zum Beispiel Giuliano Bertuccioli, der den "Shenjianlu" ins Italienische übersetzt hat – den Bericht als "flach" oder "von geringem literarischem Wert" bezeichnet und dies mit seinem offiziellen Charakter bzw. seiner Kontrolle durch den jesuitischen Zensurapparat begründet haben. [11] Hier soll allerdings die These vertreten werden, dass der Bericht trotz der Zensurmechanismen, denen er wahrscheinlich unterworfen war, eine wertvolle Quelle zur Rekonstruktion von Fans chinesisch-christlichem Blick auf das frühneuzeitliche Italien ist. Zu diesem Zweck soll im Folgenden zum einen untersucht werden, wie unterschiedliche Institutionen – insbesondere die Gesellschaft Jesu und die chinesische Obrigkeit – auf Fans Bericht einwirkten und inwiefern im "Shenjianlu" vor dem Hintergrund dieser Einflussnahme trotzdem noch Fans Stimme zu vernehmen ist. Zum anderen soll Fans Blickwinkel auf Europa näher betrachtet werden. Es wird gezeigt, dass Fans 'hybride' chinesisch-christliche Biographie seine Perspektive auf das frühneuzeitliche Italien entscheidend beeinflusste, musste er als chinesischer Jesuit doch eine kulturelle Doppelzugehörigkeit bewältigen, die im "Shenjianlu" zum Ausdruck kommt.

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Die folgenden Ausführungen nähern sich Aloysius Fan Shouyis Sicht auf Europa in vier Schritten an. Zuerst wird die Gruppe chinesischer Reisebegleiter von China-Missionaren vorgestellt, um dann Fans Italienreise und sein Verhältnis zum Jesuitenorden in den Blick zu nehmen. Dann wird Fans Standort als Autor des "Shenjianlu" zwischen institutionellen Bindungen und persönlicher Wahrnehmung betrachtet und vor diesem Hintergrund schließlich auf seinen Blick auf Italien und insbesondere auf chinesische und christliche Deutungsdimensionen in seiner Beschreibung eingegangen.

Chinesische Christen in Europa

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Zwischen 1650 und 1730 erreichten die meisten chinesischen Reisenden Europa im Geleit jesuitischer Missionsprokuratoren, die in Europa die Anliegen der China-Mission vertraten und für sie warben. [12] Alle chinesischen Europareisenden der Frühen Neuzeit waren deshalb, wie Ronnie Hsia bemerkt hat, christlich und männlich [13] – und sie hatten aus der Sicht der Jesuiten spezifische Funktionen zu erfüllen. Einerseits fungierten sie als Sprachgehilfen, die chinesische Übersetzungen besorgen sollten und mithilfe derer die Missionare ihre Chinesischkenntnisse verbessern konnten. Andererseits dienten sie als Attraktionen, welche den ständig unterfinanzierten Missionaren auf ihren Propaganda-Touren Aufmerksamkeit verschafften und als lebendige Beweise für den Erfolg der China-Mission präsentiert werden konnten. [14] Diese Rollen, welche die Missionare ihren Reisebegleitern zudachten, sahen insofern nicht unbedingt vor, dass die chinesischen Europareisenden als eigenständige Akteure handelten und wahrgenommen wurden. Vielmehr waren sie in das Unternehmen der China-Mission 'ad majorem gloriam Dei' eingebunden. Oft verschwanden sie fast gänzlich hinter der Figur des Missionsprokurators und tauchten entsprechend in europäischen Quellen nur als exotische Attraktion im Gefolge desselben auf. Dass uns jedoch kaum schriftliche Zeugnisse aus der Feder der chinesischen Reisenden vorliegen, mag seinen Grund nicht zuletzt in ihrem sozialen Hintergrund haben. Sie gehörten im Normalfall nicht zur sozialen Elite der konfuzianischen Literati, in der das Verfassen und Veröffentlichen von Abhandlungen oder Reiseberichten zum gelehrten Habitus gehörte. Wu Li alias Simon da Cunha, der einzige hochgebildete christliche Literatus und außerdem produktive Autor, der je für eine Europa-Reise vorgesehen war, wurde kurz vor seiner Abreise nach Europa vom Vizeprovinzial der China-Mission für andere Aufgaben bestimmt. [15]

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Dies führte dazu, dass die meisten Erwähnungen chinesischer Reisebegleiter der Jesuiten in den beinahe ausschließlich europäischen Quellen, welche von ihnen berichten, kaum über das Anekdotische hinausgehen. So ist etwa von Michael Shen Fuzongs Empfang bei Ludwig XIV. 1684 nicht viel mehr bekannt, als dass der Begleiter Philippe Couplets S.J. in Versailles in chinesischer Kleidung auftrat, den König nach chinesischer Manier begrüßte und ihm mit elfenbeinernen Essstäbchen die chinesische Art zu speisen vorführte. Die Hauptrolle bei den verschiedenen Treffen mit dem König, die sich über zwei Tage erstreckten, spielte aber Philippe Couplet, der Ludwig XIV. "curieuse schilderyen ende andere dinghen" zeigte und ihm von China erzählte. [16] Eine 1653 in Köln gedruckte Flugschrift, welche von der Ankunft von Michael Boym S.J. und dessen chinesischem Reisebegleiter Andreas Chen in Venedig berichtete, erwähnte den 'fremdländisch' gekleideten Chen ebenfalls lediglich als eine Facette des exotischen Auftritts Boyms. [17] Selbstredend wird in solchen kurzen und stereotypen Auftritten chinesischer Europareisender kein tatsächliches Profil der Reisenden – geschweige denn ein Mittlerprofil – greifbar. Umso bemerkenswerter sind deshalb jene wenigen chinesischen Europareisenden, welche das übliche Muster des Reisebegleiters durchbrachen und als eigenmächtige Akteure aus dem Schatten des von ihnen begleiteten Missionars hervortraten. [18] Die Umstände, die dies im Falle Aloysius Fan Shouyis ermöglichten, sollen im Folgenden genauer betrachtet werden.

Aloysius Fan Shouyis Italienreise

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Über Aloysius Fan Shouyis frühe Jahre und seinen Familienhintergrund ist wenig bekannt. 1682 in der Provinz Shanxi geboren, genoss er wohl – seine Schreibfertigkeiten weisen darauf hin – eine moderate Bildung und trat als junger Mann in den Dienst des Jesuiten Antonio Francesco Provana, für den er als Katechist tätig war. 1708 wurde Provana im Zuge des Streits um die chinesischen Riten als Gesandter des Kangxi-Kaisers nach Rom geschickt, um dort die Position der in kaiserlichen Diensten stehenden Jesuiten zu verteidigen. Der erst 26jährige Fan, der ihm vor dem Papst als chinesischer Gewährsmann in den Fragen des Ritenstreits dienen sollte, begleitete ihn dabei. [19] Fan kam zu Beginn des Jahres 1709 in Rom an, wo er kurz darauf in den Jesuitenorden eintrat. Als Begleiter Provanas (der in Rom keine nennenswerten Resultate erzielte) verbrachte er die folgenden neun Jahre in Italien: die ersten zwei bis drei Jahre in Rom, dann jeweils drei weitere Jahre in Mailand und Turin, wo er sich in den jeweiligen Jesuitenkollegien dem Lateinstudium widmete. 1717, kurz vor der Rückreise, empfing er wahrscheinlich in Rom die Priesterweihe. [20] Wieder in China verbrachte Fan zuerst eine kurze Zeit am Kaiserhof. Danach arbeitete er bis zu seinem Tod 1753 als Missionar und Priester in Peking und in den Provinzen Hebei und Liaodong. [21] Fan gehörte damit zu einer kleinen, aber für die China-Mission äußerst wichtigen Gruppe jesuitischer Priester chinesischer Abstammung, die etwa auch nach dem Verbot des Christentums durch den Yongzheng-Kaiser 1724 relativ unauffällig die untergetauchten christlichen Gemeinden weiter betreuen konnten. [22]

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Die Art, wie Fan auf seine Europa-Reise vorbereitet wurde, weist darauf hin, dass die Jesuiten klare Vorstellungen von der Rolle hatten, die er bei dieser Mission zu spielen hatte. In Macao 'verwandelten' die Missionare den Katechisten vor Antritt der Reise regelrecht, indem sie – glaubt man den Schilderungen des päpstlichen Legaten Thomas Maillard de Tournon – "aus einem Bediensteten des Paters [Provana, N. A.] einen Gesandten des Kaisers an den König von Portugal machten", [23] um der Gesandtschaft mehr Gewicht zu geben. Sie statteten Fan mit zahlreichen Briefen aus – unter anderem mit einem Patentbrief, der ihn als Student des kaiserlichen mathematischen Tribunals auswies. [24] Fans herausgehobener Status wurde auch an seinem Äußeren sichtbar gemacht: In Macao wurde er mit europäischer Kleidung ("all'Europea") versehen, während er in Rom wiederum in chinesischer Kleidung auftreten sollte. Im wörtlichen Sinne 'verkörperte' er somit seine kulturelle Doppelzugehörigkeit als chinesischer Christ. [25]

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Die Rolle, die Fan zu Beginn seiner Reise zugedacht wurde, war folglich genauso wenig wie bei anderen chinesischen Reisebegleitern eine selbstgewählte und selbstgestaltete, sondern vielmehr von den Jesuiten sorgfältig inszeniert. Daran änderte auch sein neuer Status nach dem Eintritt in die Gesellschaft Jesu in Rom nichts; Fan trat während seines Aufenthalts in Italien aus dieser Rolle auch keineswegs heraus, sodass ihm in europäischen Quellen letztlich keine besondere Erwähnung zukam. Trotz seiner Funktion als Gewährsmann der Jesuiten im Ritenstreit scheint er in Rom keinen Einfluss erlangt zu haben. [26] Doch nach seiner Rückkehr nach China löste sich Fan von der Rolle des stimmlosen Begleiters. Auf der Rückreise war nämlich Provana verstorben; Fan kam also als einziger Berichterstatter der kaiserlichen Legation nach China zurück. Dies mag der Grund sein, weshalb die obersten Beamten der südlichen Provinz Guangdong von ihm einen Bericht einforderten. Fan, dessen Zugehörigkeit zum chinesischen Christentum ihm die Möglichkeit gegeben hatte, nach Europa zu reisen, erhielt nun in seiner Rolle als Untertan des chinesischen Kaisers die Gelegenheit, seiner Sicht auf Europa eine Stimme zu verleihen.

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Er übergab seinen Bericht 1720 der lokalen Obrigkeit in Kanton, die ihn an den Kaiser weiterleitete. Aber nicht nur dadurch diente er dem Kangxi-Kaiser als Informant zu europäischen Angelegenheiten. Er reiste nach seinem Zwischenhalt in Kanton weiter zu einer Audienz in die kaiserliche Sommerresidenz in Jehol (Chengde) und amtierte während der kurz darauf folgenden päpstlichen Legation Mezzabarbas als kaiserlicher Übersetzer. Als solcher scheint er Einfluss auf den Verlauf dieser letzten Phase des Ritenstreits in China gehabt zu haben. Verschiedene Aufzeichnungen von Hofjesuiten, die Fan aufgrund seiner Doppelloyalität eher misstrauisch gegenüberstanden, weisen darauf hin, dass dieser sich in China zu einem selbstbewussten Akteur entwickelt hatte. So scheint er etwa in den Fragen des Ritenstreits eine eigenständige, eher romkritische Position eingenommen zu haben, auf die im Folgenden noch zurückzukommen sein wird. [27] Im "Shenjianlu" fehlen allerdings Hinweise auf eine kritische Haltung Fans völlig. Das Europa-Bild, das hier präsentiert wird, enthält keine negativen Elemente. Der Grund für diese offenbare Kluft zwischen seiner mündlichen Argumentation und seinen schriftlichen Darlegungen ist wohl darin zu suchen, dass Fans Schreiben nicht frei von institutionellen Einflüssen bleiben konnte. [28]

Persönliche Autorschaft und institutionelle Bindungen

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Der Titel von Fans Reisebeschreibung – "Bericht dessen, was ich mit eigenen Augen gesehen habe" – betont die durch eigene Erfahrung garantierte Wahrhaftigkeit des Berichts, einen Anspruch, den Fan in der Einleitung nochmals explizit formuliert, indem er erklärt, nur festzuhalten, was er mit eigenen Augen gesehen habe. [29] Fan beugt damit dem Vorwurf, in seinen Bericht Phantastisches oder Unwahres einfließen zu lassen, vor. [30] Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass verschiedene institutionelle Bindungen darauf einwirkten, welche Beobachtungen Fan in seinen Bericht einfließen ließ und wie er diese Inhalte darstellte. Als Untertan des chinesischen Kaisers sowie zugleich als Mitglied der Gesellschaft Jesu hatte er darauf zu achten, weder den Kaiser noch seine religiösen Vorgesetzten vor den Kopf zu stoßen und seinen Bericht entsprechend an deren Erwartungen anzupassen. Dieser Umstand lässt sich am "Shenjianlu" ablesen. [31]

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So ist darin einerseits deutlich ein Adressatenbezug erkennbar. In chinesischer Sprache an die chinesische Obrigkeit gerichtet, berichtet er aus einer dezidiert chinesischen raum-zeitlichen Perspektive und wird damit für ein chinesisches Lesepublikum auch erst nachvollziehbar. Der "Shenjianlu" rechnet, wie im traditionellen chinesischen Kalender üblich, nach dem chinesischen Mondkalender und den kaiserlichen Regierungsdevisen. Europa taucht darin als 'Äußerster' oder 'Ferner Westen' auf – Bezeichnungen, die sinozentrisch, also vom 'Mittleren Reich' (Zhongguo) [32] aus gedacht sind. Dies wird besonders im Vorwort des "Shenjianlu" deutlich, wo Fan sich bei der Beschreibung der Umstände seiner Reise zwar unumwunden als Christ zu erkennen gibt, der die Welt aber von China aus denkt: "Mein Familienname ist Fan und mein Eigenname Shouyi. Ich bin in Ping'an in der Provinz Shanxi geboren worden und dort aufgewachsen. Ich diene mit Hingabe dem Wahren Herrn [dem christlichen Gott, N. A.] [...]. Meine Erinnerungen setzen im letzten Wintermonat des Dinghai-Jahres in der Regierungsdevise Kangxi ein, als der verstorbene Herr Ai [Provana, N. A.], ein Mönch aus dem Fernen Westen, den Auftrag empfing, in den Äußersten Westen zurückzukehren und ich ihn dabei begleitete." [33] Doch nicht nur der raum-zeitliche Rahmen, sondern auch gewisse Inhalte des Berichts sind auf seinen offiziellen Charakter abgestimmt. So dürften etwa die zahlreichen Hinweise auf die geographische Lage der besuchten Orte und deren wirtschaftliche Situation mit Blick auf das kaiserliche Interesse an herrschaftsrelevantem Wissen in den Bericht eingeflochten worden sein, erklärt doch Fan gleich zu dessen Beginn, er schreibe diesen, da er nach seiner Rückkehr von der Obrigkeit "über Bewohner, Güter und Sitten des Großen Westlichen Ozeans befragt" worden sei. [34]

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Gleichzeitig sind auch die starken Bindungen Fans zum Jesuitenorden deutlich zu erkennen. Er zeichnet ein äußerst positives Bild von Italien, das von den Beschreibungen der Pracht katholischer Monumentalbauten insbesondere in Rom und der großen Zahl jesuitischer Einrichtungen sowie sozialer und Bildungsinstitutionen geprägt ist. So erwähnt Fan nicht nur an zahlreichen Stellen die Kollegien (xuegong) der Jesuiten, sondern geht im Speziellen auch auf die römischen Wohlfahrtsinstitutionen ein: "In der Stadt gibt es viele Hospize: Es gibt ein Hospiz für Soldaten, eines für Reisende und eines für Arme und unheilbar Kranke. Allen wird geholfen." [35] Fan bemerkt außerdem, dass diese Institutionen von den Reichen und Noblen der Stadt finanziert würden – eine Form der Wohltätigkeit, die im China der späten Kaiserzeit wohlbekannt war. [36] Kritische Bemerkungen hingegen, etwa Hinweise auf soziale Missstände oder politische Konflikte, sucht man im "Shenjianlu" vergebens. Erstaunlich flach bleibt dementsprechend auch die Beschreibung von Fans Papstaudienz. Die Querelen rund um den chinesischen Ritenstreit, die während Fans Aufenthalt in Rom ausgetragen wurden, werden in seinem Bericht nicht erwähnt. [37]

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Dieses einseitige Narrativ, welches das Bild eines prosperierenden, wohlgeordneten, gebildeten und vor allem den Gesetzen der katholischen Religion (tianzhujiao) folgenden 'Fernen Westens' zeichnet, mag einerseits auf Fans Verinnerlichung jesuitischer Normen zurückzuführen sein. Immerhin durchlief er in Italien das (jesuitische) Noviziat, das gerade bei der Gesellschaft Jesu stark darauf ausgelegt war, über die spirituellen Exerzitien und die theologische Bildung eine Art 'corporate identity' zu schaffen. [38] Andererseits wurde wohl auch der "Shenjianlu" wie alle zur Veröffentlichung vorgesehenen jesuitischen Berichte einer ordensinternen Zensur unterzogen, bevor er an die chinesischen Behörden weitergeleitet wurde. [39] Die jesuitischen Vorgesetzten dürften dabei daran interessiert gewesen sein, dass das stark idealisierte Bild eines im katholischen Glauben geeinten und von katholischen Tugenden tief geprägten Europa, das die Jesuiten in China zu Zwecken der Selbstlegitimierung konstruiert hatten, intakt blieb, und entsprechend in den Text eingegriffen haben. [40] Diese Vermutung drängt sich umso mehr auf, als dass Fan in seiner späteren Rolle als Übersetzer während der päpstlichen Legation Carlo Ambrogio Mezzabarbas (1719-1721) von seinen jesuitischen Brüdern für seine unorthodoxen Aussagen, etwa die Infragestellung der Autorität des Papstes, gerügt wurde. So soll er etwa während einer Audienz beim Kaiser den Vorschlag geäußert haben, die Missionare sollten ohne Rücksicht auf den Papst selbst Lösungen für die Fragen des Ritenstreits finden, da dieser "nicht einmal den Engländern und Holländern befehlen kann und vorgibt, in China Anweisungen geben zu können." [41] Solche Aussagen widersprachen dem von den europäischen Jesuiten in chinesischen Darstellungen konstruierten Europa-Bild und waren insofern bei der China-Mission nicht willkommen.

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Dies zeigt, dass die chinesische Autorschaft des "Shenjianlu" nicht vor europäischer (genauer in diesem Falle: jesuitischer) Einflussnahme auf den Text schützte. Auch für von nichteuropäischen Akteuren verfasste Texte stellt sich also die Frage, die Michael Harbsmeier in Anlehnung an Carlo Ginzburg an europäische Quellen herangetragen hat: wie nämlich außereuropäische Stimmen "trotz […] aller literarischen Konventionen und politischer Übermacht" oder zumindest starker Einflussnahme von europäischer Seite aus Texten herausgehört werden können. [42] Eine mögliche Methode dafür ist, wie Ginzburg gezeigt hat, die Suche nach "Rissen" oder Inkonsistenzen in Texten, durch welche außereuropäische Stimmen durchklingen. [43] Hier soll jedoch ein anderer Weg gegangen werden. Anstelle des Versuchs, die "Authentizität" von Fans Stimme zu belegen, soll gezeigt werden, dass Fans Schreiben in einen spezifischen Deutungshorizont eingebettet war, der Aufschluss über seinen Blickwinkel auf das frühneuzeitliche Italien gibt. [44] Fan hält nämlich über Europa viele Details fest, die ein europäischer Jesuit niemals in einem Bericht über Europa angemerkt hätte, da sie erst aus ihrer chinesischen Perspektive gedacht und in ihrer Differenz zum Herkunftsland bemerkenswert erscheinen. Gleichzeitig verdeutlichen sie aufgrund ihrer religiösen Ausrichtung die große Nähe Fans zum Katholizismus. Diese auf eine eigensinnige Weise in chinesische und christliche Referenzsysteme eingebetteten Aussagen über Italien führen uns, da sie erst im Kontext des Erfahrungshorizonts des chinesischen Christen Sinn ergeben, an Fans chinesisch-christliche Perspektive auf Italien heran.

Fans chinesisch-christlicher Blick auf Italien

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So dringt an manchen Stellen das schiere Staunen eines Konvertiten durch, der von einem peripheren Missionsgebiet, in dem die katholische Religion im veränderten kulturellen Kontext eine eigene Dynamik entwickelt hatte, [45] zum Zentrum des Katholizismus gelangte und von den gewaltigen Dimensionen, welche dieser hier annahm, überwältigt war. Fan, der in China zwar wohl Kirchenmusik, nicht aber den raumfüllenden Effekt der spätbarocken Orgelmusik kennengelernt hatte, zeigte sich ergriffen von den Klängen, die in Rom während der Messen erklangen: "Am Sonntag während der Messe erfüllt sich jede Kirche auf wunderbare Weise mit Musik. Man kommt sich vor, als wäre man im Paradies – es ist schwer zu beschreiben!" [46] Tief beeindruckt war er auch von den Massen der Gläubigen, die sich in den Kirchen zur Messe versammelten sowie von den Dimensionen mancher Kirchenbauten. So berichtete er, dass sich erwachsene Menschen im mächtigen Bau des Petersdoms klein vorkämen wie Kinder. [47] War der Petersdom bereits im europäischen Vergleich ein Bau imposanten Ausmaßes, so musste er einem chinesischen Christen, in dessen Heimat Gemeinden aufgeteilt und Kirchenbauten klein gehalten wurden, um das Misstrauen der lokalen Beamten nicht auf sich zu ziehen, umso größer erscheinen. [48] Dies mag vielleicht auch das große Interesse Fans für katholische Sakralbauten erklären. Er umreißt im "Shenjianlu" eine regelrechte 'sakrale Topographie' Roms und Italiens, in der eine große Zahl wichtiger Kultstätten – so etwa Roms vier 'Basilicae Maiores', der sich noch im Bau befindende Dom von Mailand oder das Geburtshaus Jesu von Loreto – und deren reiche Ausstattung eingehend beschrieben werden.

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In diesen Textstellen, welche um das Thema der katholischen Religion kreisen, spricht Fan allerdings nicht als beliebiger chinesischer Reisender. Vielmehr tritt hier seine Zugehörigkeit zum Christentum deutlich zu Tage. Diese wird nebst der chinesischen Herkunft zu einer wichtigen Deutungsdimension für den "Shenjianlu", die sich mit ersterer mitunter verwebt, werden der italienische Katholizismus und seine sakrale Topographie doch gleichzeitig stolz als etwas Eigenes und erstaunt als etwas Neues präsentiert. Die chinesische Herkunft wird demgegenüber bisweilen außerhalb des Bereichs des Religiösen maßgebend für Fans Perspektive auf Italien. So hebt Fan manche Beobachtungen offensichtlich hervor, um sie mit seinen Erfahrungen im Heimatland China zu kontrastieren.

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Diese wahrgenommene Differenz bezieht sich kaum auf gesellschaftlich-politische Phänomene, die Fan in seinem Bericht – eventuell aufgrund der oben angesprochenen Zensurmechanismen – nur oberflächlich streift. Eine Ausnahme bildet dabei höchstens seine Beschreibung der diplomatischen Vertretungen in Rom, deren Streben nach Prunk um des Prestiges ihrer Souveräne willen ihm auffiel. Einem Untertanen des chinesischen Kaisers, der sich als Träger des 'Mandats des Himmels' verstand und diplomatische Delegationen nur als Gesandte Tribut entrichtender Vasallen empfing, musste die Konkurrenzsituation unterschiedlicher europäischer Souveräne ungewöhnlich erscheinen. [49] Ansonsten zeigt sich die chinesische Herkunft aber besonders deutlich bei Fans Beschreibungen italienischer Bauten. So erwähnt er etwa bei der Schilderung von Bauwerken jeweils explizit, dass sie aus Stein gefertigt seien. In China, dessen traditionelle Baukunst überwiegend weniger beständige Materialien verwendete, muss diese Information als außergewöhnlich gewertet worden sein. [50] Ferner hebt Fan auch die Höhe vieler Bauten hervor. Die chinesische Architektur der späten Kaiserzeit kannte – abgesehen von der (aus Indien stammenden) Bauform der buddhistischen Pagode – vor allem flächige Bauformen. Daraus ergab sich für Fan übrigens ein begriffliches Problem. Er verwendet für hohe Bauten nämlich durchweg denselben Begriff 'ta', der ursprünglich die buddhistische Bauform der Stupa bzw. Pagode bezeichnete und schließlich zu einer allgemeineren Bezeichnung für Turm wurde. [51] Dies führt nicht nur dazu, dass im "Shenjianlu" so unterschiedliche Bauwerke wie der Schiefe Turm von Pisa, das Kolosseum und der Obelisk auf dem Petersplatz unter dieselbe begriffliche Kategorie gefasst werden, [52] sondern impliziert auch, dass in diesem Begriff die nicht-christliche Dimension der buddhistischen Pagode mitschwingt – eine von Fan (und den jesuitischen Zensoren) wohl kaum beabsichtigte Folge seiner Begriffswahl.

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In Fans Beschreibung von Italien treten die chinesische Herkunft und die Zugehörigkeit zum Katholizismus als maßgebliche Deutungsdimensionen an verschiedenen Stellen unterschiedlich stark hervor. Gänzlich können sie aber nicht voneinander getrennt werden. Dies spricht mitunter aus Fans respektvoller Grunddisposition gegenüber den kulturellen Leistungen des frühneuzeitlichen Italien. So lobt er etwa immer wieder die "Eleganz der Bauwerke, die Schönheit der Paläste, den Überfluss an Geist und den Reichtum der adligen Familien […]." [53] Es ist auffallend, dass der "Shenjianlu" völlig frei von kultureller Überheblichkeit oder auch nur Befremden gegenüber dem 'Fernen Westen' ist, ja ihm ganz im Gegenteil mit Interesse und Sympathie begegnet. Diese große Offenheit des Autors gegenüber dem bereisten Land, die sich im "Shenjianlu" spiegelt, wird wohl kaum ausschließlich auf die jesuitische Zensur zurückzuführen sein. Vielmehr scheint sie vergleichbar mit der neugierigen, bewundernden Einstellung der europäischen Jesuiten zu Fans Heimatland, die in ihren Relationen die kulturellen Errungenschaften Chinas mit großem Respekt beschrieben und im 'Reich der Mitte' – sah man von dem Fehlen des Christentums ab – ein den europäischen Staaten ebenbürtiges Reich sahen. [54] Dies war nicht selbstverständlich. Andere chinesische Autoren standen in der späten Kaiserzeit dem aus ihrer Sicht barbarischen 'Fernen Westen' weitaus feindlicher gegenüber, so etwa die Beamten Yin Guangren und Zhang Rulin, die Mitte des 18. Jahrhunderts bei einem Besuch in Macao nicht viel Gutes über dessen Bewohner, die 'falanqi' (Franken) zu berichten wussten und sie nach dem traditionellen chinesischen Weltbild herablassend als tributpflichtige Vasallen Chinas klassifizierten. [55] Solche in chinesischen Quellen oft anzutreffenden, ausgeprägt sinozentrischen Konzepte des Anderen, die dieses Andere herabwürdigen, fehlen im "Shenjianlu". Fans Affinität zum Christentum erscheint hier als 'Türöffner' für eine unvoreingenommenere Auseinandersetzung mit dem 'Fernen Westen'. So wie die Jesuiten aufgrund der konfuzianischen Lehre, welche sie als Kern des chinesischen Gemeinwesens wahrnahmen, Sympathien für China hegten, stand Fan den italienischen Gemeinwesen offen gegenüber, da er in der 'Lehre des Herrn des Himmels' deren religiöses und ethisches Fundament erkannte. [56]

Schluss

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Als christlicher Reisebegleiter gehörte Aloysius Fan Shouyi einer Gruppe chinesischer Europareisender an, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Katholizismus und ihrer Bindungen zu einem katholischen Missionsorden ein besonderes Verhältnis zum christlichen Europa hatten, das ihnen, trotz kultureller Differenzen, nahe stand. Fans Perspektive auf das frühneuzeitliche Italien wurde durch diesen Umstand maßgeblich bestimmt. Um sich aber dieser Sichtweise im "Shenjianlu" annähern zu können, müssen zuerst die Grenzen seiner Aussagekraft als Quelle für einen "außereuropäischen" Blick auf Italien reflektiert werden. Institutionelle Bindungen – Fans Rolle als Berichterstatter des Kaisers, aber insbesondere auch seine Zugehörigkeit zum Jesuitenorden – beeinflussen den Text und führten zu einer spezifischen Darstellung des frühneuzeitlichen Italien. Mochte Fan auch tatsächlich berichten, was er "mit eigenen Augen" gesehen hatte, so wählte er doch die Informationen, die er im "Shenjianlu" verarbeitete, mit Blick auf diese zwei institutionellen Bindungen aus und verschloss dabei wohl auch vor manchem die Augen, etwa um mit seinem Bericht das Europabild, das die Jesuiten in der chinesischen Literati-Elite verbreitet hatten, nicht zu gefährden.

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Und doch weicht sein Europabild insofern von jenem der Jesuiten europäischer Herkunft ab, als dass er nicht von einer europäischen Warte aus, sondern aus der Perspektive eines chinesischen Christen berichtet. Die beiden Elemente der katholischen Religion und der chinesischen Herkunft spielten dabei gleichermaßen eine zentrale Rolle, sodass im "Shenjianlu" Europa gleichzeitig als etwas Fremdes (der geographisch wie kulturell weit von China entfernte 'Ferne Westen') und etwas Vertrautes (das Zentrum von Fans religiöser Zugehörigkeit) erscheint. Der "Shenjianlu", der in seinem Titel bereits den Anspruch eines personalisierten Augenzeugenberichts zum Ausdruck bringt, steht insofern in keiner Weise für 'den' chinesischen Blick auf 'das' frühneuzeitliche Europa, sondern spiegelt die hybride kulturelle Zugehörigkeit Fans und seine daraus resultierende persönliche Perspektive auf Europa wider: jene eines zwischen christlichen und chinesischen Normen vermittelnden Beobachters, der zuweilen mit großer Empathie auf eine ihm gleichzeitig vertraute und fremde Gesellschaft, das frühneuzeitliche Italien, blickt.

Autorin:

Nadine Amsler M.A.
Historisches Institut der Universität Bern
Abteilung für Neuere Geschichte
Länggassstrasse 49
CH-3000 Bern 9
nadine.amsler@hist.unibe.ch



[*] Chinesische Ausdrücke und Textpassagen werden in der Pinyin-Umschrift wiedergegeben. Die Übersetzungen von Quellenzitaten ins Deutsche stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, von der Autorin. Ich danke Wu Huiyi für ihre Hilfe bei den chinesischen Textstellen.

[1] Vgl. Kumkum Chatterjee / Clement Hawes (Hg.): Europe Observed. Multiple Gazes in Early Modern Encounters, Lewisburg 2008; Hans-Jürgen Lüsebrink (Hg.): Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt (= Das achtzehnte Jahrhundert, Supplementa 11), Göttingen 2006 (vor allem die Beiträge von Michael Harbsmeier, Wiebke Röben de Alencar Xavier und Jörg Esleben); sowie für das 19. Jahrhundert Beate Eschment / Hans Harder (Hg.): Looking at the Coloniser. Cross-Cultural Perceptions in Central Asia and the Caucasus, Bengal, and Related Areas, Würzburg 2004. Zu konzeptionellen Schwierigkeiten der Fragestellung, etwa dem Fehlen allgemein verwendbarer Raum- und Zeitbegriffe vgl. Kumkum Chatterjee / Clement Hawes: Introduction, in: dies.: Europe Observed (wie Anm. 1), 1-43, hier: 3f.

[2] Vgl. Chatterjee / Hawes: Introduction (wie Anm. 1), 14. Zu Reisenden aus dem Osmanischen Reich und dem arabischen Raum vgl. Nabil Matar: Europe Through Arab Eyes, 1578-1727, Irvington 2008; sowie den Beitrag von Johannes Stephan in dieser Ausgabe.

[3] Für einen Überblick über das Phänomen chinesisch-christlicher Europareisender vgl. Nicolas Standaert: Chinese Christians Going Abroad, in: ders. (Hg.): Handbook of Christianity in China, Bd. 1: 635-1800, Leiden / Boston / Köln 2001, 449-455. Als Überblick über die China-Mission der Jesuiten im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts vgl. Liam Matthew Brockey: Journey to the East. The Jesuit Mission to China, 1579-1724, Cambridge Mass. / London 2007.

[4] Demgegenüber ist die wichtige Rolle, welche chinesische Christen innerhalb der Mission in China selbst spielten, gut dokumentiert und wurde in den vergangenen Jahren vermehrt untersucht. Jüngst sind zwei exemplarische Studien aus dieser Forschungsperspektive entstanden: Vgl. Eugenio Menegon: Ancestors, Virgins, and Friars. Christianity as a Local Religion in Late Imperial China, Harvard 2009; Ronnie Po-chia Hsia: A Jesuit in the Forbidden City. Matteo Ricci 1552-1610, Oxford 2010.

[5] Zu Aloysius Fan Shouyi existiert keine Biographie. Folgende Nachschlagewerke enthalten stichwortartige Angaben zu seiner Person: Joseph Dehergne: Répertoire des Jésuites de Chine de 1552 à 1800, Rom 1973, 86; sowie Fang Hao: Zhongguo tianzhujiaoshi renwuzhuan, Hong Kong 1970, Bd. 3, 33-35.

[6] Zu Jean Hu vgl. Jonathan Spence: The Question of Hu, New York 1988; zu Michael Shen Fuzong vgl. Theodore N. Foss: The European Sojourn of Philippe Couplet and Michael Shen Fuzong 1683-1692, in: Jerome Heyndrickx (Hg.): Philippe Couplet, S.J. (1623-1693). The Man Who Brought China to Europe, Nettetal 1990, 121-142.

[7] Aloysius Fan Shouyis "Shenjianlu" (s.d.s.l.) ist in einer längeren und einer kürzeren Version in der Biblioteca Nationale Centrale (BNC) 'Vittorio Emanuele II', Rom, bzw. in der Bibliothèque Nationale de France (BNF), Paris erhalten. Im Folgenden verwende ich die längere Ausgabe der BNC, Ms. Or. 264/2, reproduziert in Giuliano Bertuccioli: Fan Shouyi e il suo viaggio in Occidente, in: Michele Fatica / Francesco D'Arelli (Hg.): La missione cattolica in Cina tra i secoli XVIII-XIX. Matteo Ripa e il collegio dei Cinesi, Neapel 1999, 341-419 (chinesischer Text 376-403, italienische Übersetzung 352-375. Die Zitate wurden aus dem chinesischen Originaltext übersetzt). Die Rezeption des "Shenjianlu" in China liegt, wie Marion Eggert feststellte, weitgehend im Dunkeln: Bis jetzt ist kein Exemplar in chinesischen Bibliotheken bekannt. Vgl. Marion Eggert: Vom Sinn des Reisens. Chinesische Reiseschriften vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert, Wiesbaden 2004, 284. Allerdings verweist eine Denkschrift, welche der Generalgouverneur (zongdu) und der Provinzialgouverneur (xunfu) Kantons im Juli 1720 an den Kangxi-Kaiser richteten, auf die kürzere Version des "Shenjianlu". Vgl. Kangxi chao hanwen zhupi zouzhe huibian 8, Beijing 1985, 711, abgedruckt und übersetzt in Bertuccioli: Fan Shouyi (wie Anm. 7), 416f. Die kürzere Version des Berichts, transkribiert von einem Exemplar der BNF, wurde von Antonio Sisto Rosso ediert. Vgl. Antonio Sisto Rosso: Apostolic Legations to China of the Eighteenth Century, South Pasadena 1948, 331-334.

[8] Obwohl Fan die meiste Zeit seines Europa-Aufenthalts in Italien verbrachte, spricht er in der Einleitung seines Berichts nicht von einer Reise nach Italien (Yidaliya, ein Begriff, den Fan ebenfalls verwendet), sondern von seiner Reise in den 'Fernen' oder 'Äußersten Westen' (Yuanxi, Taixi), womit er wahrscheinlich jenes Gebiet meinte, das die Jesuiten als Europa bezeichneten. Vgl. dazu auch Bertuccioli: Fan Shouyi (wie Anm. 7), 353 (Anm. 32).

[9] Vgl. Eggert: Vom Sinn des Reisens (wie Anm. 7), 283-289. In China war hingegen das Genre des Reiseberichts, dessen Gegenstand insbesondere innerchinesische Reisen waren, schon lange verbreitet und erlebte gerade in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einen Höhepunkt. Vgl. ebd., insbesondere 162-192.

[10] Giuliano Beruccioli beschränkt sich in der Einleitung seiner Übersetzung des "Shenjianlu" auf eine grobe Kontextualisierung des Berichts. Vgl. Giuliano Bertuccioli: Introduzione, in: ders.: Fan Shouyi (wie Anm. 7), 341-351. Paul Rule interessiert sich insbesondere für Fans Rolle im chinesischen Ritenstreit. Vgl. Paul A. Rule: Louis Fan Shou-I. A Missing Link in the Chinese Rites Controversy, in: Edward Malatesta (Hg.): Echanges culturels et religieux entre la Chine et l'Occident (Actes du VIIe colloque international de sinologie, Chantilly 1992), San Francisco 1995, 277-294; ders.: Louis Fan Shouyi and Macao, in: Review of Culture 21 (1994), 249-258. Ronnie Po-Chia Hsia widmet Fan in seinem Aufsatz über chinesische Reisende im frühneuzeitlichen Europa einen Abschnitt: Vgl. Ronnie Po-chia Hsia: The Question of Who. Chinese in Europe, in: Chatterjee / Hawes: Europe Observed (wie Anm. 1), 83-101, hier: 88f.

[11] Vgl. Bertuccioli: Introduzione (wie Anm. 10), hier: 347; und Hsia: The Question of Who (wie Anm. 10), 89.

[12] Für eine Studie über die erste Propagandareise eines Prokurators der China-Mission nach Europa vgl. Edmond Lamalle: La propagande du P. Nicolas Trigault en faveur des missions de la Chine (1616), in: Archivum Historicum Societatis Iesu 9 (1940), 49-120. Für eine Liste der Prokuratoren der China-Mission vgl. Dehergne: Répertoire des Jésuites de Chine (wie Anm. 5), 314-315. Eine neue Art chinesischer Europareisender entstand ab 1732, als mit der Gründung des Collegio dei Cinesi in Neapel chinesische Christen zur Priesterausbildung nach Italien kamen. Vgl. dazu Francesco D'Arelli: The Chinese College in Eighteenth-Century Naples, in: East and West 58 (2008), 283-312.

[13] Vgl. Hsia: The Question of Who (wie Anm. 10), 92, 100.

[14] Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts benutzten die Portugiesen teilweise chinesische Gefangene als Übersetzer, und um 1700 kam der chinesische Christ Jean Hu als Übersetzer des Jesuiten Jean-François Foucquet nach Frankreich. Vgl. Charles Boxer: Notes on Chinese Abroad in the Late Ming and Early Manchu Periods Compiled from Contemporary European Sources (1500-1750), in: T'ien Hsia Monthly (1939), 447-469; Spence: The Question of Hu (wie Anm. 6). Zu den finanziellen Problemen der China-Mission vgl. Brockey: Journey to the East (wie Anm. 3), 100, 118f., 322.

[15] Vgl. Foss: The European Sojourn of Philippe Couplet and Michael Shen Fuzong (wie Anm. 6), 126f. Wu Li hat über seine nicht zustande gekommene Europareise ein Gedicht geschrieben. Vgl. Jonathan Chavez: Singing of the Source. Nature and God in the Poetry of the Chinese Painter Wu Li, Honolulu 1993, Nr. 29. Zur Rolle Wu Lis in der China-Mission vgl. The Macau Ricci Institute (Hg.): Culture, Art, Religion. Wu Li (1632-1718) and His Inner Journey, Macao 2006.

[16] Vgl. Constant-Phillipe Serrure: Het Leven van Pater Petrus-Thomas van Hamme, Missionnaris in Mexico en in China (1651-1727), Gent 1871, 13-15.

[17] Vgl. Sehr wehrte und angenehme newe Zeitung von der Bekehrung zum Catholischen Glauben des jungen Königs in China / und anderer Fürstlichen Personen und von der Legation des Ehrw. P. Michaelis Bouyn der Societàt IESU Priestern Polnischer Nation / zu ihrer Päbstl. Heyligkeit nach Rohm [sic!] […], Köln 1653. Zu Andreas Chen vgl. Edward Malatesta: The Tragedy of Michael Boym, in: Edward J. Maltesta / Yves Raguin (Hg.): Images de la Chine. Le contexte occidental de la Sinologie naissante (Actes du VIe colloque international de Sinologie de Chantilly 1989), Taipei / Paris 1995, 353-370.

[18] Zu ihnen gehört nebst Aloysius Fan Shouyi auch Arcade Huang Jialüe, der sich nach seiner Ankunft in Europa gegen die für ihn vorgesehene Priesterlaufbahn entschied und in Paris dank seiner Sprachkenntnisse eine Anstellung in der königlichen Bibliothek fand. Huang hinterließ französische Tagebuchaufzeichnungen, die den Eindruck vermitteln, dass ihr Verfasser in Paris ein Leben als Pariser führte, sodass der Blick auf das 'Andere' darin kaum noch greifbar ist. Vgl. Jonathan Spence: The Paris Years of Arcadio Huang, in: ders. (Hg.): Chinese Roundabout. Essays in History and Culture, New York 1992; sowie das allerdings stark zum Literarischen tendierende Werk von Danielle Elisseeff: Moi, Arcade Huang, interprète chinois du Roi-Soleil, Paris 1985. Huang scheint Montesquieu zu seinen "Lettres persanes" inspiriert zu haben: Vgl. André Masson: Un Chinois inspirateur des Lettres persanes, in: Revue des deux mondes 1951, 348-354.

[19] Vgl. Dehergne: Répertoire des Jésuites de Chine (wie Anm. 5), 221f., 86. Zum chinesischen Ritenstreit vgl. George Minimaki: The Chinese Rites Controversy from its Beginning to Modern Times, Chicago 1985. Zu Provanas Rolle im Ritenstreit vgl. Edward J. Malatesta: A Fatal Clash of Wills. The Condemnation of the Chinese Rites by the Papal Legate Carlo Tommaso Maillard de Tournon, in: Daniel E. Mungello (Hg.): The Chinese Rites Controversy. Its History and Meaning (= Monumenta Serica 23), Nettetal 1994, 211-233, hier: 229-231; sowie Paul Rule: Towards a History of the Chinese Rites Controversy, in: ebd., 249-266, hier: 258-263.

[20] Vgl. Rule: Louis Fan Shou-I (wie Anm. 10), 284. Für eine chronologische Darstellung von Fans Italienreise vgl. Bertuccioli: Fan Shouyi (wie Anm. 7), 404-408.

[21] Vgl. Dehergne: Répertoire des Jésuites en Chine (wie Anm. 5), 86.

[22] Zur Rolle der Jesuiten chinesischer Abstammung in der China-Mission vgl. Isabel M. Pina: Jesuítas Chineses e mestiços da Missão da China (1589-1698), Lissabon 2011.

[23] Vgl. Thomas Maillard de Tournon an Fabrizio Paulucci, Macao, 30.11.1708, Biblioteca Casanatense, Rom, Ms. 1645, fol. 123r-138r, hier: 128r. Maillard de Tournons Aussagen müssen allerdings mit Blick auf seine antijesuitische Haltung mit Vorsicht behandelt werden. Zu seiner Rolle im Ritenstreit vgl. Francis A. Rouleau: Maillard de Tournon, Papal Legate at the Court of Peking. The First Imperial Audience (31 December 1705), in: Archivum Historicum Societatis Iesu 31 (1962), 264-323.

[24] Glaubt man Maillard de Tournon, so war dieser Brief gefälscht. Vgl. aber Rule: Louis Fan Shouyi (wie Anm. 10), 279 für Argumente, die für die Authentizität des Patentbriefs sprechen.

[25] Vgl. Thomas Maillard de Tournon an Fabrizio Paulucci, Macao, 30.11.1708, Biblioteca Casanatense, Rom, Ms. 1645, fol. 123r-138r, hier: 128r.

[26] Eine Zusammenstellung der wenigen und nicht sehr aussagekräftigen römischen Quellen, die Fans Rom-Aufenthalt dokumentieren, findet sich in Fortunato Margiotti: Il Cattolicismo nello Shansi dalle origini al 1738, Rom 1958, 286. Allerdings wurde in letzter Zeit vermehrt darauf hingewiesen, dass die chinesischen Christen in China durchaus auch Einfluss auf den Verlauf des Ritenstreits hatten. So stellen nach Nicolas Standaert und Adrian Dudink chinesisch-christliche Texte die Sichtweise, der Ritenstreit sei hauptsächlich ein europäisches Problem gewesen, in Frage. Vgl. Nicolas Standaert / Adrian Dudink: Preface, in: dies. (Hg.): Yesu hui Luoma dang'anguan Ming Qing tianzhujiao wenxian (Chinese Christian Texts from the Roman Archives of the Society of Jesus), Bd. 1, Taibei 2002, i-iii, hier: iii; sowie die chinesischen Quellen der Bände 10 und 11.

[27] Vgl. Rule: Louis Fan Shou-I (wie Anm. 10), 291.

[28] Die folgende Analyse konzentriert sich auf Fans Italienaufenthalt. Die Zwischenstationen seiner Schiffsreise in Batavia, an der brasilianischen Küste und in Lissabon werden nur am Rande berücksichtigt.

[29] Vgl. Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 377. Ich übersetze den Begriff 'lu' in Anlehnung an Marion Eggert als 'Bericht'. Vgl. Eggert: Vom Sinn des Reisens (wie Anm. 7), 28-30. Für eine Einordnung des 'lu' in die Gattung chinesischer Reiseberichte vgl. ebd.

[30] Das Ideal der Zuverlässigkeit der Information scheint in chinesischen Reiseberichten der späten Kaiserzeit eine weniger wichtige Rolle gespielt zu haben als in europäischen Reiseberichten der Frühen Neuzeit, stand doch insbesondere im klassischen Mingzeitlichen Reisebericht die Kultivierung von Selbsterfahrung im Mittelpunkt des Interesses. Trotzdem wird es in Reiseberichten thematisiert. Vgl. Eggert: Vom Sinn des Reisens (wie Anm. 7), 134f. Zur Bedeutung des Ideals in europäischen Reiseberichten vgl. Jürgen Osterhammel: Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, 176-208. Als zuverlässiges Mittel zur Erkenntnis gilt Fan zuvorderst das Sehen; er unterlässt es aber, etwa auf seine in Italien erlangten Sprachkenntnisse zu verweisen, die sicherlich zu einem tieferen Verständnis des bereisten Landes beigetragen haben.

[31] Dies ist wohl der Grund für die etwa von Giuliano Bertuccioli und Ronnie Po-Chia Hsia bedauerte fehlende Tiefe des "Shenjianlu" (vgl. Anm. 11).

[32] Fan bezeichnet sein Heimatland selbst als 'Mittleres Reich' (Zhongguo). Vgl. Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 403. Zu chinesischen Vorstellungen des geographischen Raums und der Konzeption Chinas als 'Mittleres Reich' vgl. Joanna Waley-Cohen: The Sextants of Beijing. Global Currents in Chinese History, New York / London 1999, 13-16.

[33] "Yu xing Fan shi ming Shouyi. Shengzhang Shanshi Ping'an. Qian shi Zhenzhu [...]. Yi zi Kangxi dinghai sui jidong zhi yue yuanxi xiushi Ai xiansheng hui zhe fengming zhuiwang Taixi xie yu tong." Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 377 (Übersetzung 352f.). Nach Bertuccioli entspricht der genannte Zeitraum der Spanne zwischen dem 24.12.1707 und dem 22.1.1708. Vgl. Bertuccioli: Fan Shouyi (wie Anm. 7), 352.

[34] "[…] xun yi Daxiyang renwufengtu." Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 378 (Übersetzung 353). Vgl. dazu auch Rule: Louis Fan Shou-I (wie Anm. 10), 281.

[35] "Chengnei you duo yangjiyuan, you bingyi yangjiyuan, guoke yangjiyuan, qiongmin ji gubing yangjiyuan. Jie shouyi." Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 392 (Übersetzung 366).

[36] Zu Formen der Wohltätigkeit in der späten Kaiserzeit vgl. Joana F. Handlin Smith: Benevolent Societies. The Reshaping of Charity during the Late Ming and Early Ch'ing, in: The Journal of Asian Studies 46/2 (1987), 309-337. Zu chinesisch-christlicher Wohltätigkeit vgl. Gail King: Christian Charity in Seventeenth-Century China, in: Sino-Western Cultural Relations Journal 22 (2000), 13-30.

[37] Fan begnügt sich mit der Bemerkung, der Papst hätte sie freundlich empfangen. Vgl. Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 386.

[38] Vgl. John W. O'Malley: The First Jesuits, Cambridge Mass. 1993, 48.

[39] Ein eindrückliches Beispiel editorischen Eingreifens in jesuitische China-Berichte von Seiten der Gesellschaft Jesu stellen die "Lettres édifiantes et curieuses" dar. Vgl. dazu Alexandre Brou: Les Jésuites sinologues de Pékin et leurs éditeurs de Paris, in: Revue d'histoire des missions 11 (1934), 556-561; und Virgile Pinot: La Chine et la formation de l'esprit philosophique en France 1640-1740, Genève 1971, 141-185.

[40] Die Jesuiten vermittelten in mehreren chinesischen Schriften Wissen über Europa nach China: So etwa Giulio Aleni in seinem "Xifang dawen" (Fragen und Antworten über den Grossen Westen). Vgl. John L. Mish: Creating an Image of Europe for China. Aleni's Hsi-Fang Ta-Wen, Introduction, Translation, and Notes, in: Monumenta Serica 23 (1964), 1-87. Zur Idealisierung des jesuitischen Europabildes in China vgl. Chen Min-sun: Mythistory in Sino-Western Contacts. Jesuit Missionaries and the Pillars of Chinese Catholic Religion, Thunderbay, Ontario 2003. Zur Verbreitung jesuitischer chinesischer Texte in China vgl. Ad Dudink / Nicolas Standaert: Apostolate through Books, in: Standaert: Handbook of Christianity in China (wie Anm. 3), 600-631, insbesondere 601-606.

[41] "Non può comandare agl'Inglesi, ed Olandesi, e pretende di comandare in Cina?" Vgl. Servita Viani: Istoria delle cose operate nella China da Monsignor Gio. Ambrogio Mezzabarba, Patriarca D'Alessandria, Legato Appostolico [sic!] in quell'Impero, e di presente Vescovo di Lodi, Paris 1739, 62f. An solchen Stellen schimmert in den Aufzeichnungen von Hofjesuiten nicht nur Fans Drang zur Richtigstellung gewisser Verzerrungen des jesuitischen Europabildes, sondern auch eine originelle Eigeninterpretation des Christentums durch Fan durch, welche die Loyalität zum Jesuitenorden über jene zum Papst stellt.

[42] Michael Harbsmeier: Pietisten, Schamanen und die Authentizität des Anderen. Grönländische Stimmen im 18. Jahrhundert, in: Lüsebrink: Das Europa der Aufklärung (wie Anm. 1), 355-370, hier: 355. Harbsmeier bezieht sich mit seiner Fragestellung auf Carlo Ginzburg: Die Stimmen des Anderen. Ein Aufstand der Eingeborenen auf den Marianen, in: ders.: Die Wahrheit der Geschichte. Rhetorik und Beweis, Berlin 2001, 81-101.

[43] Vgl. Ginzburg: Die Stimmen des Anderen (wie Anm. 42), 94.

[44] Nach Kaspar von Greyerz geht es beim Ausloten des Verhältnisses von (persönlicher) Erfahrung und Diskurs in als Selbstzeugnisse gedeuteten Reiseberichten "um die Referentialität historischer Texte, aber ausdrücklich nicht um die falsch konstruierte Dichotomie von Diskursivität und Authentizität." Vgl. Kaspar von Greyerz: Erfahrung und Konstruktion. Selbstrepräsentation in autobiographischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Susanna Burghartz (Hg.): Berichten, Erzählen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte Europas, Frankfurt a.M. 2003, 220-239, hier: 220.

[45] Die Missionsforschung hat in letzter Zeit vermehrt die Eigendynamik lokaler Katholizismen in den Blick genommen. Vgl. für China Menegon: Ancestors, Virgins and Friars (wie Anm. 4); für Südindien Ines Županov: Missionary Tropics. The Catholic Frontier in India (16th-17th Centuries), Ann Arbor 2005; und für Persien Christian Windler: Konfessioneller Anspruch und kulturelle Vermittlung. Katholische Missionare im Safavidenreich, in: Mark Häberlein / Alexander Keese (Hg.): Sprachgrenzen – Sprachkontakte – kulturelle Vermittler. Kommunikation zwischen Europäern und Aussereuropäern (16.-20. Jahrhundert) (= Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte 97), Stuttgart 2010, 75-93.

[46] "Li ri ge tang yinyue dacheng shi yangyang chongman huangruo tianguo nan yi yan." Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 393 (Übersetzung 367). Zur Verwendung liturgischer Barockmusik in der China-Mission vgl. François Picard: Music, in: Standaert: Handbook of Christianity in China (wie Anm. 3), 851-860, hier: 854-856; zum liturgischen Gebrauch von Musik im Italien des frühen 18. Jahrhunderts vgl. John Walter Hill: Baroque Music. Music in Western Europe, 1580-1750, New York / London 2005, 406-419.

[47] Vgl. Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 388, 391.

[48] Vgl. exemplarisch die Beschreibung der fragmentarischen Kirchenorganisation in Shanghai unter Francesco Brancati S.J. in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Brockey: Journey to the East (wie Anm. 3), 336.

[49] Vgl. Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 388. Vgl. zur Konzeption des 'Mandats des Himmels' Waley-Cohen: The Sextants of Beijing (wie Anm. 32), 13-16. Diese unterschiedliche diplomatische Kultur führte 1793 auch zum Missverständnis der britischen Macartney-Mission am chinesischen Kaiserhof. Vgl. Sabine Dabringhaus: Einleitung, in: dies. (Hg.): Johann Christian Hüttner. Nachricht von der britischen Gesandtschaftsreise nach China, 1792-94, Sigmaringen 1996, 7-92, hier: 72-81.

[50] Gleich zu Beginn der Italienbeschreibung erwähnt Fan, dass in diesem Land alle Gebäude aus Stein gebaut seien: "Nach zwei Monaten [Schiffsreise von Portugal, N. A.] erreichten wir Italien. Wir erreichten damit ein Land, in dem die Königspaläste und andere wichtige Gebäude alle aus Stein gebaut waren […]." ("Liang yue hou nai zhi Yidaliya guojie. Ceng ru yi guo gongcheng gongshi fan yi shi zao […].") Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 384 (Übersetzung 359). Zu den Grundzügen der chinesischen Architektur vgl. Anita Rolf: Kleine Geschichte der chinesischen Kunst, Köln 1985, 252-257.

[51] Zum buddhistischen Sinngehalt des Begriffs vgl. William Edward Soothill / Lewis Hodous: A Dictionary of Chinese Buddhist Terms with Sanskrit and English Equivalents and a Sanskrit-Pali Index, London 2004 (1. Aufl. 1937), 398.

[52] Vgl. Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 386, 389, 390.

[53] "Suo gai zhi jing, gongshi zhi mei, rencai zhi sheng, shijia zhi fu […]." Fan: Shenjianlu (wie Anm. 7), 385 (Übersetzung 360).

[54] Zur jesuitischen China-Wahrnehmung vgl. Joachim Eibach: Annäherung – Abgrenzung – Exotisierung. Typen der Wahrnehmung 'des Anderen' in Europa am Beispiel der Türken, Chinas und der Schweiz (16. bis frühes 19. Jahrhundert), in: ders. / Horst Carl (Hg.): Europäische Wahrnehmungen 1650-1850. Interkulturelle Kommunikation und Medienereignisse (= The Formation of Europe 3), Hannover 2008, 13-73, hier: 42-45.

[55] Vgl. Hsia: The Question of Who (wie Anm. 10), 95-99.

[56] Zum Stellenwert der konfuzianischen Lehre für die China-Jesuiten vgl. Lionel M. Jensen: Manufacturing Confucianism. Chinese Traditions and Universal Civilization, Durham / London 1997, 31-133.

Empfohlene Zitierweise:

Nadine Amsler : Der 'Ferne Westen' – mit chinesisch-christlichen Augen gesehen. Aloysius Fan Shouyi (1682-1753) als Mittler zwischen China und Italien , in: zeitenblicke 11, Nr. 1, [07.11.2012], URL: https://www.zeitenblicke.de/2012/1/Amsler/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-33813

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