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1 (2002), Nr. 1: Inhalt
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Torsten Reimer

Impressionen aus dem Salem Witch Museum oder "witchcraft sells"

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Das Salem Witch Museum ist die meistbesuchte historische Stätte eines Ortes an der amerikanischen Ostküste. Dieses Besucherinteresse verwundert nicht, präsentiert das Museum doch - seiner eigenen Darstellung nach - Einblicke in "one of the most tragic and emotional events in American history." Gemeint ist damit die Geschichte der berüchtigten Hexenprozesse des Jahres 1692, die den Höhepunkt der Hexenverfolgungen im kolonialen Amerika darstellten. Bereits in Boston wird man gerne nach Salem verwiesen, und der Ranger des örtlichen Visitor Centers empfiehlt das Salem Witch Museum gar als "extremely exciting". Wenn der Bürgermeister im Vorwort des Besucherführers 1999/2000 vermeldet, "die Geschichte Amerikas" werde in Salem "lebendig", so ist diese Ankündigung Konzept: Die Stadt wird von einer großen Zahl von Attraktionen wie dem Witch Dungeon Museum oder dem New England Pirate Museum durchzogen, die sich dem Wiedererwecken alter Zeiten verschrieben haben - genau wie das in einem "memorable gothic revival building" untergebrachte Witch Museum.

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Das 1972 von Holly und Tom Mulvihill gegründete Museum wird seit 1980 von der BPM Productions Inc betrieben und ist ganzjährig täglich geöffnet. Erstaunt stellt man beim Betreten des Gebäudes nicht nur fest, dass der Weg zu Kasse durch den Museumsladen führt, sondern auch, dass man nach diesen wenigen Schritten bereits fast das gesamte Gebäude durchquert hat. Immerhin lässt sich die - in einem Raum nahe der Kasse untergebrachte - Ausstellung "Witches. Evolving Perceptions" umsonst besichtigen. Ziel der Ausstellung ist es zu verdeutlichen, dass einerseits schon weit vor und andererseits noch lange nach 1692 Menschen wegen ihrer Überzeugungen verfolgt und getötet worden sind. Erreicht werden soll dies beispielsweise mit einer Zeitleiste, die unter anderem die Verfolgungen der McCarthy Ära als eine der letzten großen Hexenjagden präsentiert. Neben dieser fragwürdigen Konstruktion sind eine Reihe von Installationen die einzige "Informationsquelle" der Ausstellung. In einem Handzettel werden sie folgendermaßen beschrieben: "You are invited into the exhibit space by a picture of Macbeth's three witches, examples of the stereotype. Next you see nine images on a wall - all can be labelled "witch" but by their variety you conclude that the definition of the word has changed as our beliefs and customs have evolved. The images range from the witch in Hansel and Gretel to the Wicked Witch in Wizard of Oz to Joan of Arc and John and Elisabeth Proctor of the Salem trials."

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Mag eine Darstellung von Hänsel und Gretel vielleicht noch eine bekannte literarische Adaption des Hexenmotivs repräsentieren, hinterlässt das unkommentierte Standbild zweier - direkt neben einer klassischen Hexendarstellung mit Katze und Besen - positionierter keltischer Druiden den bedenklichen Eindruck einer Hexer- und Hexengemeinschaft mit seit Urzeiten einheitlichen Wurzeln. Weder wird die offensichtliche Motivrezeption im Märchen von tatsächlicher Verfolgung unterschieden, noch wird kenntlich gemacht, dass die einzige Gemeinsamkeit der dargestellten Figuren in der dem Beobachter suggerierten Einheit liegt. Die Ausstellung versäumt es auf sträfliche Weise, darauf hinzuweisen, dass sich Hexenverfolgungen in aller Regel gegen unschuldige Frauen und Männer richteten, die sich in keiner Weise einer solchen, wie auch immer gearteten "Gemeinschaft" zugehörig fühlten. Die Betreiber der Ausstellung sind sich aber auch keineswegs zu schade, die Hexen als legitime Nachfolger keltischer Hebammen und Kräutersammlerinnen zu präsentieren; so wird die Hexe im Handzettel zur Ausstellung schlicht als "the transformation of the strong Celtic woman, diminished and demonized by the church fathers in the middle ages" beschrieben. Den Besuchern wird damit nicht nur fälschlicherweise einmal mehr vermittelt, dass Hexenverfolgungen vor allem ein Phänomen des Mittelalters gewesen seien, sondern vielmehr noch zusätzlich die oft widerlegte Geschichte der Verfolgung der weisen Frauen durch die Kirche als historische Wahrheit präsentiert. Was hat dies alles mit Aufklärung zu tun?

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Nach einem erneuten Gang durch den Museumsladen hat der neugierige Besucher schließlich noch die Möglichkeit, eine halbstündige "Multimedia-Show" zu erleben, die Hauptattraktion des Museums. In einem großen dunklen Raum nimmt man um einen von acht Pfeilen durchzogenen Kreis Platz. Nachdem sich die Tür geschlossen hat, erklingt Musik, eine tiefe, pathetische Tonbandstimme führt dann in die Ereignisse des Jahres 1692 ein. In dreizehn Episoden - vertreten durch dreizehn nacheinander geschickt ausgeleuchtete Bühnenbilder - wird die schauerliche Geschichte des Verfolgungswahns erzählt, der 20 Menschen ihr Leben kostete und Dutzende mehr vor den Richter brachte. Scharfe Kontraste zwischen hell und dunkel, verschiedene Lichteffekte und plötzlich eingespielte Geräusche fesseln die Aufmerksamkeit der Besucher. Man hört den Wind um die Häuser puritanischer Siedler heulen, in denen es, wie der Erzähler berichtet, nicht viel Freude gegeben habe (!). Obwohl sich einige Kritik an der gezielt geschaffenen Atmosphäre des 'Einfühlens' üben ließe, wird zumindest die Ereignisgeschichte dabei doch auf durchaus fesselnde Weise vermittelt. Wie kaum überraschen dürfte, werden die komplexen Hintergründe und Erklärungsansätze für die Ereignisse des Jahres 1692 allerdings weitgehend ausgeblendet: Man erfährt wenig bis nichts über die Rivalität zwischen Salem Town und Salem Village (dem heutigen Danvers) oder über die Konflikte zwischen den Dorfbewohnern, die, wie die einschlägige Forschung gezeigt hat, den Gang der Geschehnisse deutlich bestimmten. Das mag vielleicht bei der Ausrichtung der Show noch zu verschmerzen sein, die ständigen überflüssigen Verweise auf dunkle Zeiten, diffuse Existenzängste frühneuzeitlicher Menschen und die zum Abschluss aufgetischte, längst widerlegte Legende von den in Europa zu Millionen verbrannten Hexen wären jedoch vermeidbar gewesen. Ein wenig drängt sich der Eindruck auf, Salem diene in der amerikanischen Popkultur als Ersatz für das in Europa oft bemühte "finstere" Mittelalter.

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Spätestens nach dem Ende der Show entdeckt man auf dem Weg zum Ausgang das im Hintergrund fast etwas verschämt präsentierte Buchsortiment, das neben einer Reihe wissenschaftlicher Werke auch Texte zweifelhafterer Provenienz enthält. Angeboten wird beispielsweise ein Buch über Foltermethoden im kolonialen Amerika, dessen Autor ein ehemaliger County-Sheriff und pensionierter Vorstand eines lokalen Gefängnisses ist. Zum Abschluss erwirbt man vielleicht noch einen Kaffeebecher mit der Aufschrift "stop by for a spell", einen Hexenbesen oder magische Glaskugeln und einige Kräuter. Das Sortiment ist reichhaltig, die Preise sind beeindruckend. Die Popularisierung von Hexenglauben ist nichts Neues und besitzt mit Sicherheit einen hohen Unterhaltungswert. In Salem muss man sich aber vorwerfen lassen, dabei auf bedenkliche Weise Klischees nicht nur zu bedienen, sondern teilweise unter aufklärerischem Deckmäntelchen sogar noch zu forcieren.

Literaturhinweise zu Salem

Paul Boyer / Stephen Nissenbaum: Salem Possessed. The Social Origin of Witchcraft, Cambridge, Mass. 1974.
Elaine G. Breslaw: Tituba, Reluctant Witch of Salem. Devilish Indians and Puritan Fantasies (=The American Social Experience Series; Bd. 35), London / New York 1996.
John Putnam Demos: Entertaining Satan. Witchcraft and the culture of early New England, New York u.a. 1982.
Carol F. Karlsen: The Devil in the Shape of a Woman. Witchcraft in Colonial New England, New York / London 1987.
Marc Mappen (Hg.): Witches and historians: interpretations of Salem, 2. Aufl., Huntington 1996.

Links

The Salem Witch Museum: http://www.salemwitchmuseum.com/
Quellensammlung Witchcraft in Salem Village: http://etext.virginia.edu/salem/witchcraft/

Empfohlene Zitierweise:

Torsten Reimer: Impressionen aus dem Salem Witch Museum oder "witchcraft sells", in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 1 [08.07.2002], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/01/reimer/reimer.html>

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