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1 (2002), Nr. 2: Inhalt
Abstract
Themenabsage und Themenansage
Hermeneutische Schwierigkeiten mit dem 'Ich'
'Ichhaltige' Texte und literaturwissenschaftliche Forschungssystematik
Zum Abschluss noch ein versöhnliches Wort
Anmerkungen
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Stefan Elit

'Ich' war einmal
Literaturwissenschaftliche Problemhorizonte bei Subjektivität in Texten

Abstract      

Dieser Einführungsbeitrag versucht, literaturwissenschaftliche Problemhorizonte bei der Auseinandersetzung mit Subjektivität in Texten zu thematisieren, wie sie sich für diese Disziplin in den letzten Jahrzehnten ergeben haben. Dafür werden zum einen grundsätzliche hermeneutische 'Schwierigkeiten mit dem Ich' ins Feld geführt. Zum anderen wird versucht zu zeigen, inwiefern auch forschungs- oder disziplinsystematische Grunddispositionen und Fragestellungen zumindest für eine 'Literaturwissenschaft in einem engeren Sinn' den Umgang mit dem textuellen 'Ich' deutlich weniger populär gemacht haben als in der Geschichtswissenschaft. - Trotz einer solchermaßen in zwei Hinsichten postulierten Distanz der Literaturwissenschaft kann jedoch konzediert werden, dass jüngste literaturwissenschaftliche Positionen, etwa zur 'Rückkehr des Autors' oder zur Literaturwissenschaft als anthropologischer Disziplin, aber auch eine ständige praktische Transgression der Literaturwissenschaft hin zu genuin biographischen oder kulturgeschichtlichen Interessen die hier skizzierte Maximalskepsis immer wieder relativieren.

Themenabsage und Themenansage

<1>
In diesem einführenden Beitrag soll es nicht so sehr darum gehen, wie nun die Neuere Deutsche Literaturwissenschaft mit den in Frage stehenden Textformen Autobiographie, Selbstzeugnis oder gar der viel weiter gefassten Größe der 'Ego-Dokumente' im Detail umgeht. Das kann hier kaum geleistet werden, und ein solches Unterfangen müsste nach dem voranstehenden Beitrag von Andreas Rutz auch zu einem permanenten "hier aber, im Vergleich zur Geschichtswissenschaft" führen. Einen viel plastischeren und vermutlich auch spannenderen Vergleich können zudem die in diesem Band versammelten Analysen und Fallbeispiele in ihrer praktischen Gegenüberstellung bieten.

<2>
Doch von der Themenabsage zu einer wirklichen Themenansage, die aber zugleich auch schon wieder eine Art Absage ist: Wenn hier "literaturwissenschaftliche Problemhorizonte bei Subjektivität in Texten" thematisiert werden sollen, so sind damit zwei miteinander verbundene, aber auch ganz unterschiedliche Hinsichten gemeint, nämlich zum einen eine hermeneutische und zum anderen eine forschungssystematische; alle beide tun sich für eine Literaturwissenschaft in einem engeren Sinn als zentrale Problemaspekte auf, wenn es um Subjektivität in Texten geht.

<3>
Unter einer 'Literaturwissenschaft in einem engeren Sinn' sei hier eine Disziplin verstanden, die sich vor allem für die Verfasstheit und Existenzbedingungen einer bestimmten Form von Texten interessiert. Es handelt sich dabei um Texte, die im Rahmen historisch ganz unterschiedlicher Diskurssysteme und Textproduktionstraditionen zumindest in einer Grundtendenz als sprachliche Artefakte an sich konzipiert worden sind, oder anders: deren dominante Funktion nach Roman Jakobson die 'poetische' ist, das heißt, sie bezeugen eine Auseinandersetzung mit der Sprache selbst. (Diese Auseinandersetzung sei hier jedoch nicht gleich sprachphilosophisch verstanden, sondern breiter, nämlich als jeglicher Umgang mit Sprache, der zumindest partiell entpragmatisiert ist, das heißt, aus gesellschaftlichen Verwendungszusammenhängen heraustritt und von bestimmten Kulturtraditionen her Sprache als Material formt um der Ausstellung des so Geformten selbst willen.)

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Es wird hier also davon ausgegangen, dass es diesen Umgang mit Sprache über weite Zeiträume der europäischen Kulturgeschichte gegeben hat, also etwa schon von den Homerischen Epen bis zum Barock. Es gab diese 'Literarizität' trotz hier nicht zu leugnender starker Pragmatisierungen, trotz gesellschaftlicher Einbindungen, und es gab eine 'Literatur in einem engeren Sinn' daher auch bereits vor der Autonomisierung der Kunst ab etwa 1750. Wenn sich schließlich eine 'Literaturwissenschaft in einem engeren Sinn' im Kern einem Verständnis dieser Literatur in ihrer Sprachlichkeit widmet, so heißt das, dass diese Disziplin nur in einem weiteren Sinn auch kulturhistorisch oder historisch-anthropologisch interessiert sein kann.

Hermeneutische Schwierigkeiten mit dem 'Ich'

<5>
Mit einem allgemein kulturhistorischen oder anthropologischen Interesse insbesondere an sogenannten subjektiven oder 'ichhaltigen' Texten hat die hier gemeinte Literaturwissenschaft ein grundsätzliches hermeneutisches Problem: Aufgrund von Entwicklungen innerhalb der vergangenen Jahrzehnte, die mit Namen wie Michel Foucault, Roland Barthes, Paul de Man oder Jacques Derrida verbunden sind, hat sich bekanntlich eine 'neue Skepsis' gegenüber der Auslotbarkeit von Textaussagen und damit natürlich auch dem 'individuellen Ausdruck' eingestellt. Man ist daher allgemein sehr vorsichtig geworden, wenn es etwa um die Bestimmung von 'Ich'-Positionen und insbesondere der Autor-Position in Texten geht.

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Gar nicht mehr näher eingegangen werden muss (und kann) hier auf die verschiedenen einzelnen Theoreme aus diesen Literaturtheorien, die die neue Grundskepsis speisen - wie etwa: das Rhetorizitätspostulat Paul de Mans, die allgemeine Absage gegenüber der kohärenten Lesbarkeit von Texten gemäß der Dialogizitäts- respektive Intertextualitätsproblematik nach Michael Bachtin und Julia Kristeva oder die radikale historische Relativierung der Autorposition nach Michel Foucault.

<7>
Neben diesen allgemeinen Literarizitätsproblematiken ist es für die hier gemeinte Literaturwissenschaft auch aus konkreteren literarhistorischen Erwägungen fraglich geworden, inwiefern Subjektivitätspositionen zu jeder Zeit in gleicher Weise anzusetzen sind oder inwieweit diese überhaupt Texten eingeschrieben sind, nicht zuletzt, wenn man sich vor den Beginn der ersten europäischen Moderne um 1750 zurück bewegt. Denn es erscheint vielen Literaturwissenschaftlern heute so, dass ein emphatischer Anspruch, Individualität in Kunstwerken auszudrücken, erst zu Zeiten der mittleren Aufklärung aufgekommen sei und dass man dementsprechend einen solchen Ausdrucksanspruch von der klassischen Antike bis zu Barock und Frühaufklärung nur selten erwarten dürfe.

<8>
Wenn also 'Ich'-Positionen in Texten dieser älteren Zeiträume begegnen, ist vielmehr sehr genau zu bestimmen, im Kontext welcher geregelten Redeweisen und Diskursformationen (Stichwort: das Paradigma der europäischen Rhetoriktradition) sie stehen und wie sie daher jeweils 'funktionieren'. Zu bestimmen ist also für sie vor allem, was für ein 'Ich', was für ein Personalitätskonzept, im alten Sinn von Rollenkonzept, jeweils anzusetzen ist, sprich: Was für eine Form von 'Selbst' in diesem oder jenem Text überhaupt Zeugnis von sich ablegen sollte respektive konnte.

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Statt dem emphatischen Ausdruck eines unverwechselbaren und individuellen 'fühlenden Selbsts', wie es erst seit der Genieästhetik des späten 18. Jahrhunderts in literarischen Texten gefordert war, kann für die Zeit davor demnach nur mit großen Abstrichen hinter dem 'Ich' an der textuellen Oberfläche ein umfassendes 'Selbst' gesucht werden: Die 'Personen' (wie lateinisch 'personae', 'Masken'), die in Texten von der antiken Adelspoesie bis zur frühneuzeitlichen Gelehrtenliteratur begegnen, müssen vielmehr als historisch je spezifische Rollenpositionen und höchstens 'Selbst'-Entwürfe im Rahmen vorgegebener Rollenspektren und Diskursformationen verstanden werden - und mehr oder weniger partiell erscheinen diese Entwürfe dementsprechend, gemessen zumindest an dem, was wir seit der mittleren Aufklärung als Modellierung einer individuellen oder auch 'ganzen' Persönlichkeit verstehen.

<10>
Literaturwissenschaften, von der Altphilologie bis zur Neueren Germanistik haben sich aber noch immer davor zu hüten, nicht weiter spätneuzeitliche emphatische 'Ich'-Vorstellungen und Autorkonzeptionen auf Zeiträume von der Antike bis zum Ende 'Alteuropas' zurückzuprojizieren. (Insbesondere die Altphilologie hat diese anachronistische Projektion seit ihrer Neuformation im späten 18. Jahrhundert für ihre Ich-Erzähler und Autoren betrieben, und sie hat sich mitunter bis heute nicht richtig davon gelöst, obwohl gerade die aus der Antike überlieferten Textsorten die besten Voraussetzungen dafür böten.)

<11>
Wendet man den Blick aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive auf den hier interessierenden Bereich autobiographischer Texte, so ist meines Erachtens analog Folgendes zu monieren: Auch heute noch richten sich allgemeine, auf überzeitliche Deskription angelegte Analysen der Gattung Autobiographie und benachbarter Textformen vornehmlich nach prominenten Texten nach 1750, und sie nehmen so nach einem kurzen Blick auf die Augustinischen 'Confessiones' (und unter Ausblendung von Mittelalter und Früher Neuzeit) konkret deren Rousseausches Pendant und vergleichbare Texte zum Ausgangspunkt für eine Theorie jeglicher Autobiographik. [1]

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Erweitert man das Blickfeld von intentionalen Selbstdarstellungen oder auch 'Selbstzeugnissen' auf die hier interessierenden 'Ego-Dokumente', wird für eine Literaturwissenschaft das Eis noch glatter und dünner: Was an 'Selbst' kann hier überhaupt noch mit einiger Sicherheit extrapoliert werden? - Kommen doch die rein rollenspezifischen Vorgaben in den Ego-Dokumenten im weitesten Sinn, also in den nicht intendiert 'ichhaltigen' Texten, vermutlich noch stärker zum Tragen, und füllt doch hier das Ego neben seiner schlicht grammatischen Funktion pragmatisch kaum mehr als solche allgemeinen Rollenpositionen aus.

<13>
Es bleibt daher bei den zuletzt in die Betrachtung einbezogenen 'Ego-Dokumenten' für ein allgemeineres anthropologisches Interesse auf literaturwissenschaftlicher Basis vielleicht nur folgende Alternative: Entweder man betreibt eine synchronische Differenzanalyse hin zu einer Gesamtsystematik der vorgefundenen Rollenpositionen, oder man versucht einen diachronischen Vergleich hinsichtlich eines möglichen Wandels der historisch aktualisierten Rollenpositionen. Ein echter Durchbruch zum 'Ich' ist jedoch mit beiden Methoden nicht zu erreichen, geht es doch immer nur um diskursiv gebundene Subjektivitätsmodelle. Genau in der Erforschung solcher historischen 'Diskurse vom Ich' kann jedoch schließlich die Literaturwissenschaft ein ihr gemäßes Interesse finden, so etwa in der Dissertation von Hans Rudolf Velten zum "selbst geschriebenen Leben" als einer "Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert". [2]

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Mit sehr viel Vorsicht und eher gegen Ende einer solchen Untersuchung kann dann vielleicht die Frage gestellt werden, wie nicht rollengebundene, individueller erscheinende Subjektivitätsstellen gleichsam in 'diskursiven Bruchstellen' zu entdecken sind. Zumindest in dem für diese Frage notwendigen Gegen-den-Strich-Lesen treffen sich eine postmoderne Literaturwissenschaft und eine anthropologisch interessierte Kulturgeschichte dann auch wieder.

<15>
Nach all den Fragezeichen und Vorsichten mag jedoch am Ende dieser ersten Problemhorizontbestimmung auch noch eine Art Hoffnungsschimmer für historisch-anthropologische Interessen erwähnt werden, denn die postmoderne Skepsis gegenüber Subjektivität in Texten hat in jüngster Zeit in der Literaturwissenschaft auch eine Gegenbewegung erfahren: Diese manifestierte sich zum Beispiel in dem 1999er Tagungsband zur "Rückkehr des Autors". [3] Dort wurde nichts anderes versucht, als den postmodernen Abschied von der Position des Autors und damit verbundenen Subjektivitätsannahmen selbst einer kritischen Analyse zu unterziehen. Das Ergebnis ist zum einen, dass der Autor in postmoderner Analyse entgegen den allgemeinen theoretischen Forderungen keineswegs verabschiedet zu sein scheint, ja vielmehr auf subtile Weise wieder bemüht wurde. Auch ein Roland Barthes etwa muss genau wissen, was Autoren wollten, wenn er deren Texte dekonstruktiv behandelt, und wenn Michel Foucault in seinen Diskursanalysen den emphatischen Verzicht einzelner moderner Autoren auf ihre Autorität zum Zeugen für seine Relativierungsbestrebungen anruft, erscheint der performative Selbstwiderspruch zum Greifen nah.

<16>
Solche konkreten Einwände lassen sich nun vielleicht noch als Hinweise auf ein bedauerliches Verfehlen an sich hilfreicher Theoreme in der eigenen Praxis der Postmodernen abtun. Der Band "Rückkehr des Autors" zeigt jedoch zum anderen auch, dass zentrale postmoderne Grundaussagen zum Autor (als bloß einer von vielen Diskursfunktionen oder als gänzlich unhaltbarer Subjektivitätsannahme) prinzipiell nicht haltbar sind. Im Gegenteil, zumindest der Autor scheint als eine intentionale Position gegenüber dem Text angesehen werden zu müssen, ohne die zumindest literarische Texte vielleicht gar nicht gedacht werden können. In einer Schriftkultur wird damit die Autorposition so nach Meinung einer der Beiträger des Bandes geradezu zu einer 'anthropologischen Konstante'.

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Mit diesen jüngsten Revisionsbemühungen in der Literaturwissenschaft ist natürlich noch nicht viel über die Möglichkeiten von 'Ich'-Positionen in Texten überhaupt gesagt, aber wenigstens erscheint eine generelle Absage gegenüber anthropologischen und anderen breiteren Interessen an Subjektivitätsstellen in Texten nicht mehr ganz so zwingend.

'Ichhaltige' Texte und literaturwissenschaftliche Forschungssystematik

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Ein zweiter Problemhorizont hinsichtlich Autobiographien, Selbstzeugnissen und Ego-Dokumenten ergibt sich für die postulierte 'Literaturwissenschaft in einem engeren Sinn' jedoch bereits forschungs- oder disziplinsystematisch, und zwar aufgrund des primären Erkenntnisinteresses, das hinter ihrer speziellen Beschäftigung mit Texten im Vergleich zu Interessen anderer Disziplinen steht: Eine genuin kulturhistorische oder auch anthropologische Wissenschaft versucht, Texte als Quelle für etwas anderes auszuwerten, etwa für historische Mentalitäten oder Züge eines Menschen zu bestimmten Zeiten. Die Literaturwissenschaft hingegen liest Texte, und vor allem literarische Texte, zunächst einmal per se, denn sie liest diese Texte genuin als Artefakte, die geprägt sind von internen und gattungsbezogenen Form- und Bedeutungsspielen, und die entsprechenden 'Spielregeln' werden nun einmal primär von innerliterarischen Traditionen bestimmt und erst sekundär von pragmatischen Kontexten. Das erste Interesse der Literaturwissenschaft ist es auch gegenüber Texten autobiographischen oder ego-dokumentarischen Zuschnitts folglich in der Regel nicht, diese als Quelle für etwas anderes zu behandeln, sondern sie wird zunächst immer erst die jeweils spezifische textuelle Formung in ihrem 'Funktionieren' sowie in ihrer literarhistorischen Position zu analysieren versuchen.

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Wenn sich diese Literaturwissenschaft daher ferner Fragen einer breiteren historischen Kulturwissenschaft widmet, so kann sie das, will sie nicht ihre Grundausrichtung, und damit ihre genuine Leistungsfähigkeit, aufgeben, nur in sehr vorsichtigen weiteren Schritten tun. Jede Ausdehnung des Erkenntnisinteresses gegenüber dem literarischen Text verknüpft dessen Interpretation mit Annahmen, die die Literaturwissenschaft immer weniger selbst 'in der Hand hat' und die sie Aussagewerte postulieren lässt, die nurmehr als sehr implizit textinhärent bezeichnet werden können.

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Das soll allerdings nicht bedeuten, dass diese Literaturwissenschaft nicht mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten kann, zumal wenn es um eine gebotene Integration von Wissensbeständen und Verstehenshorizonten geht. Es ist jedoch vermutlich zu erwarten, dass auch eine kulturwissenschaftlich oder historisch-anthropologisch interessierte Literaturwissenschaft durch ihre spezifische Ausgangshaltung Texte nicht sehr leicht als Quellen etwa für mentalitätsgeschichtliche Forschungen heranziehen kann.

<21>
Darüber hinaus sollte schließlich kurz an eine weitere basale Problemebene des literaturwissenschaftlichen Umgangs vor allem mit dem Subjekt 'Autor' erinnert werden: Spätestens seit den Neueren Literaturtheorien steht eine Literaturwissenschaft, die ihre Analysen zu sehr auf die Lebensbedingungen der Autoren der sie interessierenden Texte richtet, latent unter dem Verdacht des Biographismus, und eine Literaturwissenschaft mit starkem kulturhistorischen Interesse kann sich daher meines Erachtens aktuell analog noch einen weiteren Verdacht einhandeln, nämlich den des Anthropologismus.

Zum Abschluss noch ein versöhnliches Wort

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Die Analysen und Fallbeispiele in diesem Band werden die hier prognostizierten Unterschiede im Erkenntnisinteresse sowie im konkreten Herangehen an Texte durch Geschichtswissenschaftler und Literaturwissenschaftler zwar vermutlich noch einmal im Detail vor Augen führen, sie werden darüber hinaus aber sicherlich die angemahnten schroffen Oppositionen auch wieder reduzieren oder abmildern. Denn natürlich interessieren sich auch Literaturwissenschaftler immer wieder für Lebensbilder und Biographien an sich und nicht nur für innerliterarische Effekte, und auch sie pendeln ja in der Praxis oft zwischen literaturwissenschaftlichem, anthropologischen und anderen Erkenntnisinteressen hin und her. Die skeptizistische 'reine Lehre', wie sie hier für eine 'Literaturwissenschaft in einem engeren Sinn' postuliert wurde, dürfte demgegenüber eher selten zu finden sein. Sie sollte jedoch als Fluchtlinie einer prinzipiell möglichen Absageposition vorgeführt werden, und nur dafür hat sich der Verfasser dieser Einführung selbst gleichsam eine Maske aufgesetzt, nämlich die eines germanistischen Advocatus diaboli, der alles 'Ich' verneint.

Anmerkungen

1Wichtige Ausnahmen neueren Datums sind hier allerdings auch zu verzeichnen, so vor allem Martina Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, Stuttgart / Weimar 2000 (Sammlung Metzler, 323); Ralph-Rainer Wuthenow: Das erinnerte Ich. Europäische Autobiographie und Selbstdarstellung im 18. Jahrhundert, München 1974. Vgl. ferner in geraffter Form: ders.: Autobiographie, autobiographisches Schrifttum, in: Gerd Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Tübingen1992, Sp. 1267-1276.
2Hans Rudolf Velten: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert, Heidelberg 1995 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik, 29).
3Fotis Jannidis / Gerhard Lauer / Matias Martinez / Simone Winko (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 71)


Dr. Stefan Elit
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Langzeitvorhaben "Goethe-Wörterbuch"
Jägerstraße 22/23
10117 Berlin
elit@bbaw.de

Empfohlene Zitierweise:

Stefan Elit: 'Ich' war einmal. Literaturwissenschaftliche Problemhorizonte bei Subjektivität in Texten, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20.12.2002], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/elit/index.html>

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ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459
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