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1 (2002), Nr. 2: Inhalt
Abstract
Einleitung
Ego-Dokumente - Selbstzeugnisse - Autobiographien
Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion?
Schluss
Anmerkungen
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Andreas Rutz

Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion?
Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen

Abstract      

Der Beitrag führt in die methodologische Diskussion um Ego-Dokumente und Selbstzeugnisse ein. Diese zielt insbesondere im deutschsprachigen Raum auf eine adäquate Begrifflichkeit zur Charakterisierung beziehungsweise quellentypologischen Einordnung der betreffenden Texte. Trotz aller formalen Unterschiede, die sich aus einer solchen Typologisierung ergeben, werden Ego-Dokumente/Selbstzeugnisse in ihrer Gesamtheit als Quellen verstanden, die einen Zugang zum historischen Individuum und seinen Lebensäußerungen ermöglichen. Aber welche Art von 'Ich' begegnet uns in einem Tagebuch, einer Autobiographie, einem Brief oder einem Verhörprotokoll? Wie jeder historiographische Text ist eine Äußerung zur eigenen Person stets eine narrative Sinnkonstruktion, die das 'Ich' eines Menschen nicht unmittelbar oder unverfälscht zeigt. Vielmehr konstruiert sich das historische Subjekt im Text jeweils neu und begegnet letztlich immer nur als Bild seiner selbst. Diese Ich-Konstruktion spiegelt dennoch die historische Mentalität des jeweiligen Verfassers wider und ermöglicht im besten Fall Einblicke in seine individuelle Gedanken- und Gefühlswelt.

Einleitung

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Die fortschreitende Individualisierung der modernen (westlichen) Welt hat auch in den Geschichtswissenschaften bleibende Spuren hinterlassen: Autobiographien, Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente, die etwas über die (Selbst-)Wahrnehmung und Darstellung des Ich verraten, werden seit einigen Jahren wieder gelesen, teilweise ganz neu entdeckt und im Hinblick auf das Individuum, den Menschen in der Geschichte, analysiert. [1] Die Ursachen für diese Renaissance der personenbezogenen Geschichtsforschung liegen in der Entwicklung des Faches seit den 1970er und 80er Jahren und hier vor allem in der theoretischen Formulierung sowie der vielfältigen praktischen Einlösung eines historisch-anthropologischen Forschungsansatzes. [2] In Abgrenzung zur historischen Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgeschichte [3] stellt dieser den Menschen erneut in den Mittelpunkt des Interesses. Dabei geht es freilich nicht um die Reetablierung einer auf die 'großen Männer' beschränkten politischen Geschichtsschreibung. Vielmehr geraten Menschen und ihre Lebenswelten in den Blick, die vorher nicht oder nur als Ziffer in sozialwissenschaftlichen Statistiken auftauchten [4]: etwa die Bewohner des Katharerdorfes Montaillou, der Bäcker Menocchio aus dem Friaul, der Bauer Martin Guerre aus dem Languedoc oder in jüngerer Zeit die jüdische Kauffrau Glikl Judah bas Leib aus Hamburg und der Oberstorfer Roßhirt Chonrad Stoeckhlin. [5]

Ego-Dokumente - Selbstzeugnisse - Autobiographien

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Von historischen Individuen und ihren Lebensumständen erfahren wir in der Regel auf zweierlei Weise [6]: einerseits durch freiwillig, das heißt von sich aus niedergeschriebene oder diktierte Texte, die autobiographische Elemente enthalten, wie zum Beispiel Autobiographien und Memoiren [7], Tagebücher und Chroniken [8], Reiseberichte [9] oder Briefe [10]; andererseits durch nicht-intendierte beziehungsweise unfreiwillig entstandene Äußerungen zur Person im Rahmen administrativer, jurisdiktioneller oder wirtschaftlicher Vorgänge. Zu nennen wären hier Strafprozessakten [11], Steuererhebungen, Visitationen, Einstellungsbefragungen [12], Bittschriften [13], Testamente, aber auch Kaufmanns-, Rechnungs- und Anschreibebücher [14], die personenbezogene Informationen enthalten. Zusammengenommen ergeben die beiden Kategorien die von Winfried Schulze Anfang der 1990er Jahre definierte Quellengruppe der 'Ego-Dokumente':

"Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagepartikel vorliegen, die - wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form - über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren." [15]

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Schulze erweitert mit seiner Definition die ursprüngliche Bedeutung des von dem niederländischen Historiker Jacques Presser bereits in den 1950er Jahren geprägten und dann insbesondere von Rudolf Dekker für die neuere Geschichtswissenschaft fruchtbar gemachten niederländischen Begriffs 'egodocumenten' um die unfreiwilligen Aussagen zur Person. [16] Presser und in der Folge Dekker bezogen sich in ihren Begriffsbestimmungen vor allem auf Tagebücher, Autobiographien, Memoiren, Reiseberichte und Briefe, "die met elkaar gemeen hebben dat de auteur daarin iets meedeelt over zichzelf" [17] oder, wie Presser es 1958 in einem Lexikonartikel formulierte, "waarin de gebruiker zich gesteld ziet tegenover een 'ik', of een enkele keer [...] een 'hij', als schrijvend en beschrijvend subject voortdurend in de tekst aanwezig." [18] Dekker ergänzt diese eher formale Definition noch um eine inhaltliche und bezeichnet 'egodocumenten' als Texte, "waarin de auteur spreekt over eigen handelen en gevoelens of over zaken die hem persoonlijk bezighouden." [19] Der Aspekt der freiwilligen und bewussten Mitteilung wird hier ganz deutlich und rückt den niederländischen Begriff 'egodocument' in die Nähe des deutschen Terminus 'Selbstzeugnis'. Diesem entspricht er hinsichtlich seiner Bedeutung weit mehr als dem von Schulze definierten Begriff 'Ego-Dokument'.

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Letzterer ist von der Forschung auch eher kritisch aufgenommen worden. Kritikpunkte ergeben sich einerseits aus der kategoriellen Vermischung von freiwilligen und unfreiwilligen Aussagen zur Person und damit von selbstverfassten Texten und Verwaltungsschriftgut. [20] Andererseits wurde darauf hingewiesen, dass die mit dem Terminus Ego-Dokument verbundene Assoziation Freudscher Begrifflichkeit möglicherweise Erwartungen an die Quellen weckt, die diese - zumal vor dem 18. Jahrhundert - kaum befriedigen können. [21] Die frühneuzeitlichen Ichs, die uns in diesen Quellen entgegentreten, führen ja in der Regel keine tiefschürfenden Analysen ihrer selbst durch, wie dies zunehmend seit dem 18. Jahrhundert und vor allem im Jahrhundert nach Freud der Fall ist. [22] Vielmehr beschränken sich die Erkenntnismöglichkeiten weitgehend auf Aspekte, die nicht die Persönlichkeit als solche betreffen, sondern eher das Verhältnis einer Person zu ihrer Umwelt. [23] Es geht also nicht um Psychohistorie [24], wenn Historikerinnen und Historiker Ego-Dokumente oder Selbstzeugnisse nach dem Werteverständnis ihrer Verfasser, deren Glaubens- und Frömmigkeitsvorstellungen [25], Erfahrungen von Krieg und Gewalt [26], der Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen [27] und sozialer Beziehungsnetze [28], dem Verhältnis zum eigenen Körper [29], Gefühlen und Emotionen [30], Kindheitserfahrungen [31] sowie Selbst- und Fremdwahrnehmungen im Hinblick auf den Individualisierungsprozess der Moderne beziehungsweise das ganz andersartige Verständnis vom Ich in der Frühen Neuzeit [32] befragen. Es handelt sich hierbei um Fragen der Mentalitätsgeschichte oder - mit Blick auf die 'Entdeckung des Individuums beziehungsweise des Ich' [33] - der Historischen Anthropologie.

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Aufgrund der angeführten Kritik hat die Forschung Schulzes weiten Quellenbegriff nicht übernommen, sondern arbeitet quellenterminologisch weiterhin mit dem überkommenen Begriff 'Selbstzeugnis'. [34] Nicht-intendierte beziehungsweise unfreiwillig entstandene Aussagen zur Person bleiben damit in der aktuellen Diskussion weitgehend unbeachtet, was nicht zuletzt Konzeption und Titel verschiedener jüngerer Tagungsbände und neu entstandener Reihen verdeutlichen. [35] In dieser Beschränkung liegt sicherlich auch ein Stück weit Pragmatik, denn in den letzten Jahren wurde vor allem die Notwendigkeit einer systematischen Erfassung [36] und Publikation der Quellen [37] deutlich. Um diese Grundlagenforschung leisten zu können, bedarf es freilich einer stärker eingegrenzten Definition des Quellenkorpus, als sie der 'catch-all term' Ego-Dokument zu liefern vermag. Gleichwohl sollten darüber die Möglichkeiten, die Schulzes Definition bietet - etwa die Einbeziehung von Selbstaussagen illiterater Schichten und der ansonsten nur wenig vertretenen Frauen -, nicht in Vergessenheit geraten. [38]

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Benigna von Krusenstjern hat bereits 1994 in einem grundlegenden Aufsatz die "Selbstthematisierung durch ein explizites Selbst" als entscheidendes Kriterium zur Abgrenzung der Quellengruppe der Selbstzeugnisse hervorgehoben, das heißt "die Person des Verfassers bzw. der Verfasserin tritt in ihrem Text selbst handelnd oder leidend in Erscheinung oder nimmt darin explizit auf sich selbst Bezug" [39] In Abgrenzung zu Schulzes 'Ego-Dokumenten' betont von Krusenstjern darüber hinaus, dass Selbstzeugnisse "selbst verfaßt, in der Regel auch selbst geschrieben (zumindest diktiert) sowie aus eigenem Antrieb, also 'von sich aus', 'von selbst' entstanden sind." [40] Diese Abgrenzung will von Krusenstjern allerdings nicht als Entweder-Oder der Begriffe Ego-Dokument und Selbstzeugnis verstanden wissen. Vielmehr schlössen beide sich gegenseitig nicht aus, da Selbstzeugnisse als Teilmenge der umfassenderen Quellengruppe Ego-Dokumente angesehen werden könnten. [41]

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Von Krusenstjern nennt vier Typen von Selbstzeugnissen, die freilich auch in Mischformen auftreten können [42]: Typ A versammelt 'egozentrische' Zeugnisse, in denen der Bezug auf das Ich zentral ist und den überwiegenden Teil des Inhalts eines Textes ausmacht; Typ B bezeichnet Texte, in denen das Ich über sich selbst berichtet, aber auch darüber, was es interessiert, beschäftigt oder berührt; in der dritten Variante (Typ C) stehen diese 'Anteile von Welt' im Vordergrund, während die 'Anteile vom Ich' dahinter zurücktreten; Typ D schließlich ist eigentlich nur bedingt als Selbstzeugnis anzusehen, da hier kein explizites Selbst mehr wahrzunehmen ist. Stattdessen erscheint ein implizites Ich, etwa in Gestalt eines Stadtchronisten. Mit Blick auf ihren jeweiligen Ich-Bezug lassen sich die unter dem Begriff Selbstzeugnis subsumierten Texte also unabhängig von formalen Kriterien genauer klassifizieren.

<8>
Autobiographien, die vor allem in der literaturwissenschaftlichen Diskussion eine herausragende Stellung einnehmen [43], stellen in der Gruppe der Selbstzeugnisse lediglich eine Textform unter vielen dar. Sie lassen sich in von Krusenstjerns Typologie wohl am ehesten den beiden ersten Typen zuordnen, also den 'egozentrischen' Zeugnissen und den Texten, die sowohl über das Ich als auch über die Welt berichten. Sie unterscheiden sich allerdings erheblich von anderen Selbstzeugnissen, etwa Tagebüchern, Memoiren, Reisebeschreibungen oder Briefen, die ebenfalls in diese Kategorien fallen. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium ist laut von Krusenstjern der Lebenszusammenhang, der in einer Autobiographie dargestellt und erzählt wird. Im Gegensatz hierzu finden sich in anderen Selbstzeugnissen oft nur Berichte von einzelnen Erlebnissen oder unzusammenhängende Gedanken zu bestimmten Problemen mit punktuellen Bezügen zum Leben des Verfassers oder der Verfasserin. Eine zusammenhängende Lebensgeschichte wird hier dagegen nicht oder nur teilweise erzählt.

<9>
Die vorangegangenen Erläuterungen haben gezeigt, dass (Selbst-) Wahrnehmungen und Darstellungen des 'Ich' - und dies gilt nicht nur für die Frühe Neuzeit - in ganz unterschiedlichen Quellen begegnen. [44] Ein entscheidender Grund hierfür ergibt sich aus den sehr unterschiedlichen 'Selbstdarstellungs'-Intentionen und -Motivationen, die den einzelnen Texten zugrunde liegen. Aus diesen bewussten oder unbewussten Impulsen ergeben sich spezifische Textformen, wie auch umgekehrt vorgegebene Textmuster die Selbstthematisierung anregen und inhaltlich beeinflussen können. Dass in diesem Zusammenhang sozialhistorische Kategorien wie Geschlecht, Bildungsstand, gesellschaftliche Stellung et cetera eine wichtige Rolle spielen, muss nicht eigens betont werden. [45]

Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion?

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In der geschilderten Debatte um eine adäquate Bezeichnung für die hier behandelte Quellengruppe wurde deren formale Heterogenität betont und der Versuch unternommen, entsprechende Kriterien zur Unterscheidung der verschiedenen Arten von schriftlichen und mündlichen Äußerungen zur eigenen Person zu entwickeln. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage nach möglichen inhaltlichen Gemeinsamkeiten dieser Texte. Eine dieser Gemeinsamkeiten besteht in der häufig postulierten Ergiebigkeit von Ego-Dokumenten und Selbstzeugnissen für die mentalitätsgeschichtliche Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, dessen Wahrnehmungen, Befindlichkeiten, Erfahrungen und Deutungen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Authentizität der uns interessierenden Quellen: Handelt es sich hierbei, wie in der neueren Literatur teilweise optimistisch verkündet wird, um Dokumente, die "dem Leser einen besonders unmittelbaren Zugang zur Geschichte in ihren vielfältigen Erscheinungsformen eröffnen" [46] und durch die "der Historiker die Dinge so zu erleben und zu sehen lernt, wie die Zeitgenossen sie erlebt und gesehen haben" [47]? Oder dokumentieren die Ego-Dokumente gar nicht das historische 'Ich', den Menschen in der Geschichte, sondern stellen lediglich Ich-Konstruktionen dar, so dass sich die Begeisterung über den 'neuen' Quellentyp und die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten als übertrieben und methodisch unbegründet erweist? [48]

<11>
Der erste Blick auf Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente lässt tatsächlich erwarten, dass wir in diesen Quellen dem Menschen in der Geschichte näher kommen können als irgendwo sonst, haben wir es doch mit dem erkenntnistheoretisch einmaligen Fall zu tun, dass erkennendes Subjekt und erkanntes Objekt identisch sind [49]: Ein Mensch berichtet über das eigene Leben, das er natürlich wie kein anderer kennt und daher historisch wahrheitsgemäßer reproduzieren können sollte als ein nur von außen beobachtetes Ereignis oder Geschehen. Dies ist umso mehr zu erwarten, als der persönliche Erlebniszusammenhang sehr viel überschaubarer erscheint als zum Beispiel ein weltpolitisches Ereignis wie der 30-jährige Krieg. Wir trauen dementsprechend dem Tagebuch eines Söldners oder eines einfachen Handwerkers aus dieser Zeit mehr Wahrheitsgehalt bezüglich des unmittelbar Erlebten zu als seiner Schilderung der überregionalen politischen Ereignisse und gesellschaftlichen Zustände.

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Bei näherer Betrachtung erweist sich dieses Mehr an historischer Wahrheit oder Wahrhaftigkeit freilich als trügerisch. Dies gilt vor allem für retrospektiv angelegte Autobiographien und Memoiren, bei denen mit einem hohen Maß an Selbststilisierung, Verunklärung oder auch Verfälschung gerechnet werden muss, vermittels derer die Autoren ihren jeweiligen Intentionen entsprechende Selbstbilder zu zeichnen versuchen. Auch erfahrungsnah im Alltag entstandene Quellen, wie zum Beispiel Briefe oder Tagebücher, dokumentieren nicht unmittelbar das 'Ich' ihrer Verfasser, sondern sind ebenfalls von einer Vielzahl von Brechungen und Verfremdungen geprägt [50]: Zu nennen wären hier die mehr oder minder starke Anlehnung an literarische oder mündliche Vorbilder [51], die damit einhergehende (unreflektierte) Übernahme von Deutungen und Interpretationen der Welt und des eigenen Selbst sowie die Frage nach den jeweiligen Adressaten und den entsprechend variierenden Selbstcharakterisierungen, die etwa bei Briefen deutlich zum Tragen kommen kann.

<13>
Ein aufschlussreiches Beispiel hierfür liefert die frühe Korrespondenz der Schriftstellerin und Redakteurin Therese Huber (1764-1829), an der sich exemplarisch der "Prozeß der Erfahrung, Reflexion, Kritik und Konstruktion bürgerlicher Weiblichkeitsvorstellungen im Spannungsfeld von Tradition und Emanzipation im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert" ablesen lässt. [52] Während sich Huber in ihrem Briefwechsel mit der 18 Jahre älteren Freundin und Mentorin Luise Mejer kritisch mit ihren Erfahrungen und den gesellschaftlichen Normen auseinandersetzt und das gängige weibliche Rollenmodell hinterfragt, präsentiert sie sich in der Korrespondenz mit Samuel Thomas Soemmering, einem Freund ihres Verlobten Georg Forster, gerade in dieser Rolle traditioneller Weiblichkeit, in die sie sich schreibend einfügt. Dementsprechend verhält sich Huber auch in der Öffentlichkeit, wo sie - zumindest in jungen Jahren - versucht, ihr breites Wissen und ihr weites Interessenspektrum zu verbergen. So erwähnt sie in einem Brief an Mejer ihre derzeitige Lektüre im Bereich der Kirchengeschichte und schreibt: "Wie würden viehle junge Herrn vor mir zurük prallen wenn sie mich bei so einen Buche sähn; ich will wetten man merkt mir meine art Lectüre in zehn Unterredungen nicht an, ich nehm mich wohl in acht mirs merken zu laßen, ich möchte um alles in der Welt nicht für gelehrt gehalten sein." [53]

<14>

Mit derartigen Verstellungen oder Maskierungen der eigenen Person sowie des eigenen Denkens und Empfindens ist freilich auch in den in der Verwaltung oder im Gericht entstandenen Ego-Dokumenten zu rechnen. [54] Zwar hat Wolfgang Behringer darauf hingewiesen, dass "in der Dramatik des Verhörs [...] die Psychologie der Akteure unverfälschter zutage [tritt] als in jenen Ego-Documents, die der Klasse der 'Tradition' zuzurechnen sind - also Tagebücher, Chroniken etc." [55] Gerade die bereits für Briefe festgestellte Bedeutung des jeweiligen Adressaten für die (variable) Selbstdarstellung ihrer Verfasser spielt meines Erachtens aber auch hier eine entscheidende Rolle, ist doch die gelungene und das heißt überzeugend vermittelte Einpassung der eigenen Person und des eigenen Handelns in den Erwartungshorizont des Gegenübers gerade bei jurisdiktionalen und administrativen Vorgängen unter Umständen lebenswichtig. Dementsprechend zeigen auch Verhörprotokolle und andere unfreiwillige beziehungsweise nicht-intendierte Aussagen zur Person den Menschen nicht in einer wie auch immer gearteten Unmittelbarkeit oder Unverfälschtheit. Vielmehr haben die Autorinnen und Autoren ihre Wahrnehmungen, Erlebnisse, Erfahrungen und Gefühle hier wie in anderen Selbstzeugnissen bereits narrativ verarbeitet und zu einer 'Geschichte' gemacht, die je nach Leser/Zuhörer variieren und auf diesen abgestimmt sein kann. Das historische Subjekt konstruiert sich also im Text jeweils neu und begegnet uns letztlich immer nur als Bild seiner selbst. [56]

<15>
Im Hinblick auf die Analyse und Interpretation dieser Ich-Konstruktionen spielt nicht nur der eigentliche Text und das in diesem oder durch diesen implizit oder explizit Ausgedrückte eine Rolle. Vielmehr geht es auch um die Frage nach den Lücken und den Auslassungen einer Autobiographie, eines Tagebuchs oder eines unfreiwillig entstandenen Ego-Dokuments: Wo liegen Brüche und Widersprüche in den erzählten Geschichten? Was wird nur undeutlich oder in verschleierter Form mitgeteilt, was ganz offensichtlich ausgelassen? [57] Diese bewusst oder unbewusst unausgesprochenen, verdrängten oder versteckten Elemente eines das Ich seines Verfassers reflektierenden Textes sind wesentlicher Bestandteil der Ich-Konstruktion und können unter Umständen mehr über den Autor, seine Selbstwahrnehmung sowie den Sinn und die Bedeutung seiner Selbstdarstellung verraten als der eigentliche Wortlaut des Textes - oder, wie Alessandro Portelli es einmal für die Methodologie der Oral History formuliert hat: "the most precious information may lie in what the informants hide, and in the fact that they do hide it, rather than in what they tell." [58]

<16>
Eine Analyse des Prozesses der Selbstkonstruktion bei der Beschreibung des eigenen Lebens findet sich bereits bei Georg Simmel. In seiner Schrift "Die Probleme der Geschichtsphilosophie" (1905/07) geht Simmel der Droysenschen Frage nach, wie "aus dem Stoffe der unmittelbaren gelebten Wirklichkeit das theoretische Gebilde werde, was wir Geschichte nennen." [59] Wie sich in dieser Fragestellung bereits andeutet, gelangt Simmel zu der Einsicht, dass Geschichte stets eine Konstruktion darstellt, die zwar auf die tatsächliche Lebenswirklichkeit bezogen bleibt, indem sie verschiedene Elemente und Teile derselben aufnimmt. Von dieser unterscheidet sie sich jedoch grundsätzlich dadurch, dass sie, wie Hans Michael Baumgartner es einmal formuliert hat, "durch das Aufgreifen von in der Kontinuität der Lebenswirklichkeit weit auseinanderliegenden Momenten gerade die Diskontinuität des Lebens erzeugt und damit dessen Kontinuität zerstört." [60] Geschichte im Sinne von Historiographie eignet also immer ein konstruktiver Charakter und stellt keine Abbildung oder Reproduktion des tatsächlichen historischen Geschehens dar. Diesen Zusammenhang erläutert Simmel interessanterweise an der retrospektiven Schilderung des eigenen Lebens, der Autobiographie:

"Wenn wir unser Leben als ein ganzes überschauen, so heben wir es zunächst mit all den Umgebungen und Ereignissen, die es unseres Wissens beeinflußten, aus dem Weltgeschehen heraus, das es im weiteren Kreis umgibt und durchflicht, aber es nur in einer Weise bestimmt, die unserem Schicksal mit dem aller anderen Individuen gemeinsam ist; ebenso scheiden jene inneren Faktoren - der Intellektualität, der fundamentalen Bedürfnisse, der selbstverständlichen Gefühlsreaktionen - aus, die das allgemein menschliche Lebensinventar bilden." [61]

Der Zusammenhang des individuellen Lebens, den wir in einer Autobiographie oder einer anderen Form von Lebensbeschreibung darlegen, erfordert laut Simmel also zunächst "eine Isolierung der persönlich-differentiellen Elemente aus ihrem organischen Verwachsensein". [62] Im Anschluss daran erfolgt "eine Verknüpfung der so herausgehobenen [Elemente] zu einem neuen Gebilde." Dieses entsteht "keineswegs nur durch Zusammenpressen, wie eine kleine Photographie ein großes Gemälde reproduziert, sondern durch völliges Fortlassen von Teilen, ohne die die zurückbehaltenen und neu zusammengeformten niemals in der Form der Wirklichkeit hätten auftreten und sich in verständliche Zusammenhänge einordnen können."

<17>
Der autobiographische Text ist folglich nicht mehr dem eigentlichen Lebenszusammenhang gleichzusetzen, er bildet diesen nicht einfach nur ab. Vielmehr wertet der Autor einer Autobiographie die Elemente seines Lebens neu und in einer Weise, die im Augenblick des eigentlichen Geschehens nicht möglich gewesen wäre. Aus der Rückschau werden bewusst oder unbewusst andere Akzente gesetzt, manche Ereignisse stärker betont, andere heruntergespielt oder ganz fortgelassen, je nachdem wie sie sich in den gedachten Lebenszusammenhang einfügen. Hierbei ist es letztlich unerheblich, ob das Erzählte sich vor vielen Jahren oder nur wenigen Stunden ereignete, ob ein Mensch am Ende seines Lebens dasselbe in einer Autobiographie resümiert, am Ende eines Tages die Ereignisse desselben in ein Tagebuch einträgt, in einem Brief Gedanken und Erfahrungen mitteilt oder vor dem Richter über tatsächliche oder vermeintliche Verbrechen berichtet. Entscheidend ist vielmehr, dass sich in jeder noch so kurzen Retrospektive Bewertungen und Bedeutungen von Ereignissen, Empfindungen und Wahrnehmungen verschieben und dementsprechend andere Lebens- und Wirkungszusammenhänge gedacht beziehungsweise konstruiert werden als im unmittelbaren Erleben selbst. [63] Im Hinblick auf die Authentizität unserer Quellen ist freilich zu betonen, dass im erfahrungsnah entstandenen Selbstzeugnis - unabhängig vom narrativ konstruierenden Prozess der Verarbeitung des Geschehenen - die Mentalität des Verfassers der des beschriebenen Ich weitgehend entspricht und bestenfalls - zum Beispiel im über Jahre geführten Tagebuch - sogar Entwicklungen und Veränderungen derselben ablesbar sind. Im Gegensatz dazu setzt im retrospektiv erinnernden Text die schriftliche Verarbeitung erheblich später ein als die eigentliche Erfahrung, so dass hier vor allem die Empfindungen und Wahrnehmungen des schreibenden und nur ansatzweise die des beschriebenen Ich greifbar werden.

<18>
Der konstruktive Charakter von Geschichte, wie er von Simmel konstatiert wird, birgt ein gewaltiges Gestaltungspotential für den jeweiligen Autor, dessen wir uns auch in der Auseinandersetzung mit Selbstzeugnissen und Ego-Dokumenten bewusst sein müssen. Hierbei handelt es sich eben nicht um Dokumente, die das 'Ich' eines Verfassers oder einer Verfasserin objektiv und gleichsam photographisch für den Nachlesenden auf das Papier bannen. Vielmehr begegnen wir in Autobiographien, Selbstzeugnissen und Ego-Dokumenten Konstruktionen des Ich und seiner individuellen, subjektiven Wahrnehmungen von Welt. Diese sind wiederum abhängig von persönlichen Faktoren und äußeren Gegebenheiten, aber natürlich auch vom zeitgenössischen Diskurs, in den jeder Schreibende zwangsläufig eingebunden ist. [64] Damit bewegen sich die hier behandelten Texte und die in ihnen entwickelten Ich-Konstruktionen immer in den Grenzen des in einer Epoche Denk- und Empfindbaren. Selbstzeugnisse haben daher exemplarischen Aussagewert für die Mentalitätsgeschichte ihrer Zeit. Im besten Fall ermöglicht die je spezifische Korrelation von persönlichen Erfahrungen und vorgegebenen Diskurs- und Textmustern, die die Autoren von Ego-Dokumenten und Selbstzeugnissen herstellen, darüber hinaus Einsichten in ihr 'Ich' und ihre individuelle Gedanken- und Gefühlswelt. Dass gerade Texte vor 1750 in dieser Hinsicht häufig jedoch nur bedingt aussagekräftig sind, sollte die mitunter an frühneuzeitliche Selbstzeugnisse herangetragenen Erwartungen korrigieren. Die Möglichkeit einer Annäherung an den Menschen in der Geschichte gerade in diesen Quellen bleibt gleichwohl bestehen.

Schluss

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Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente sind trotz aller Schwierigkeiten, die sich bei ihrer Interpretation und Deutung ergeben, die wesentlichen Quellen für die Frage nach dem 'Ich' in der Frühen Neuzeit. Gerade in den jeweiligen Ich-Konstruktionen spiegelt sich die historisch bedingte Mentalität ihrer Verfasser. Hier werden die unter anderem durch Alter, Geschlecht, Herkunft, soziale Stellung, aber auch äußere Umstände geprägten persönlichen Erfahrungen analysiert, bewertet und zu einem mal mehr, mal weniger vollständigen 'Ich' zusammengefügt. Die Entschlüsselung dieser Ich-Konstruktionen ermöglicht anderswo kaum zu findende Einblicke in das Denken und die (Selbst)Wahrnehmung eines Menschen. Da kein Mensch außerhalb seiner selbst denkt (und schreibt), stehen wir beim Lesen eines Selbstzeugnisses tatsächlich dem Menschen in der Geschichte gegenüber - in all seiner Subjektivität und in dem offensichtlichen oder verschleierten Versuch, ein bestimmtes Bild seiner selbst, der eigenen Person und des eigenen Handelns zu vermitteln. [65]

Anmerkungen

1Winfried Schulze (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte (Selbstzeugnisse der Neuzeit 2), Berlin 1996; Magdalene Heuser (Hg.): Autobiographien von Frauen. Beiträge zu ihrer Geschichte (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 85), Tübingen 1996; Klaus Arnold / Sabine Schmolinsky / Urs Martin Zahnd (Hg.): Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 1), Bochum 1999 (mit Sammelbibliographie, 263-282); Kaspar von Greyerz / Hans Medick / Patrice Veit (Hg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quelle 1500-1800 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 9), Köln / Weimar / Wien 2001; Rudolf Dekker (Hg.): Egodocuments in History. Autobiographical Writing in its Social Context since the Middle Ages (Publicaties van de Faculteit der Historische en Kunstwetenschappen Maatschappijgeschiedenis 38), Hilversum 2002.
2Gert Dressel: Historische Anthropologie. Eine Einführung, Wien / Köln / Weimar 1996; Richard van Dülmen: Historische Anthropologie. Entwicklung - Probleme - Aufgaben, 2. Aufl., Köln / Weimar / Wien 2001.
3Ansätze zur sozialgeschichtlichen Auseinandersetzung mit Selbstzeugnissen bei Fritz Redlich: Autobiographies as sources for social history. A research program, in: VSWG 62 (1975), 380-390; Heide Stratenwerth: Selbstzeugnisse als Quellen zur Sozialgeschichte des 16. Jahrhunderts, in: Horst Rabe / Hansgeorg Molitor / Hans-Christoph Rublack (Hg.): Festgabe für Ernst Walter Zeeden zum 60. Geburtstag (Religionsgeschichtliche Studien und Texte, Supplementbd. 2), Münster 1976, 21-35.
4Vgl. Otto Ulbricht: Aus Marionetten werden Menschen. Die Rückkehr der unbekannten historischen Individuen in die Geschichte der Frühen Neuzeit, in: Erhard Chvojka / Richard van Dülmen / Vera Jung (Hg.): Neue Blicke. Historische Anthropologie in der Praxis, Köln / Weimar / Wien 1997, 13-32.
5Emmanuel LeRoy Ladurie: Montaillou. Ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 bis 1324, Berlin 1980 (franz. Orig. Paris 1975); Carlo Ginzburg: Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Frankfurt am Main 1979 (ital. Orig. Turin 1976); Natalie Zemon Davis: Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre, München 1984 (franz. Orig. Paris 1982); dies.: Drei Frauenleben. Glikl - Marie de l'Incarnation - Maria Sibylla Merian, Berlin 1996 (amerik. Orig. Cambridge, Mass. / London 1995); Wolfgang Behringer: Chonrad Stoeckhlin und die Nachtschar. Eine Geschichte aus der frühen Neuzeit, München 1994.
6Vgl. zum Folgenden Winfried Schulze: Ego-Dokumente - Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung 'Ego-Dokumente', in: Schulze: Ego-Dokumente, 11-30, hier: 21. Eine erste Fassung des Textes in: Bea Lundt / Helma Reimöller: Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters. Für und mit Ferdinand Seibt aus Anlaß seines 65. Geburtstages, Köln / Wien / Weimar 1992, 417-450.
7Vgl. u.a. Ralph-Rainer Wuthenow: Das erinnerte Ich. Europäische Autobiographie und Selbstdarstellung im 18. Jahrhundert, München 1974; Kenneth D. Barkin: Autobiography and History, in: Societas. A Review of Social History 6 (1976), 83-108; August Buck (Hg.): Biographie und Autobiographie in der Renaissance (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 4), Wiesbaden 1983; Anette Völker-Rasor: "Arbeitsam, obgleich etwas verschlafen..." - Die Autobiographie des 16. Jahrhunderts als Ego-Dokument, in: Schulze: Ego-Dokumente, 107-120; James S. Amelang: Spanish Autobiography in the Early Modern Era, in: ebd., 59-71; Michael Mascuch: Origins of the individualist Self. Autobiography and Self-Identitiy in England 1591-1791, Cambridge 1996; James Amelang: The Flight of Icarus. Artisan Autobiography in Early Modern Europe, Stanford 1998.
8Ralph-Rainer Wuthenow: Europäische Tagebücher. Eigenart, Formen, Entwicklung, Darmstadt 1990.
9Michael Harbsmeier: Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen. Überlegungen zu einer historisch-anthropologischen Untersuchung frühneuzeitlicher deutscher Reisebeschreibungen, in: Antoni Maçzak / Hans Jürgen Teuteberger (Hg.): Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte. Aufgaben und Möglichkeiten der historischen Reiseforschung (Wolfenbütteler Forschungen 21), Wolfenbüttel 1982, 1-31.
10Peter Bürgel: Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells, in: DVjS 50 (1976), 281-297. Aufgrund der unübersichtlichen und oftmals nur bruchstückhaften Überlieferung von privater Korrespondenz finden Briefe in der gegenwärtigen Selbstzeugnisforschung weit weniger Beachtung als Autobiographien, Tagebücher und Reiseberichte. Gleichwohl bieten sie aufgrund der wechselnden Adressaten und biographischen Entstehungskontexte aufschlussreiche Einsichten in die Selbstkonstruktion ihrer Verfasser, vgl. hierzu den instruktiven Beitrag von Magdalene Heuser: Die Jugendbriefe von Therese Heyne-Forster-Huber. Vergewisserung der (weiblichen) bürgerlichen Subjektivität, in: Greyerz / Medick / Veit: Von der dargestellten Person, 275-298. Einen außergewöhnlichen Fund analysiert Fritz Wolff: Feldpostbriefe aus dem Dreißigjährigen Krieg. Selbstzeugnisse der kleinen Leute, in: Walter Heinemeyer: Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897-1997 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 61), Bd. 1, Marburg 1997, 481-512.
11Wolfgang Behringer: Gegenreformation als Generationenkonflikt oder: Verhörsprotokolle und andere administrative Quellen zur Mentalitätsgeschichte, in: Schulze: Ego-Dokumente, 275-293; Gudrun Gersmann: "De Profundis..." Selbstzeugnisse des literarischen Untergrundes aus dem Bastille-Archiv, in: ebd., 327-339; Helga Schnabel-Schüle: Ego-Dokumente im frühneuzeitlichen Strafprozeß, in: ebd., 295-317; Winfried Schulze: Zur Ergiebigkeit von Zeugenbefragungen und Verhören, in: ebd., 319-325; kritisch jetzt Martin Scheutz: Frühneuzeitliche Gerichtsakten als 'Ego-Dokumente'. Eine problematische Zuschreibung am Beispiel der Gaminger Gerichtsakten aus dem 18. Jahrhundert, in: Thomas Winkelbauer (Hg.): Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 40), Horn / Waidhofen 2000, 99-134.
12Sigrid Jahns: Das Generalexamen der Kammergerichtsassessoren als 'Ego-Dokument'?, in: Schulze: Ego-Dokumente, 191-205.
13Natalie Zemon Davis: Den Kopf in der Schlinge. Gnadengesuche und ihre Erzähler, Berlin 1988 (amerik. Orig. Stanford 1987 mit dem bezeichnenden Titel Fiction in the Archives. Pardon Tales and their Tellers in 16th Century France); Thomas Sokoll: Selbstverständliche Armut. Armenbriefe in England 1750-1834, in: Schulze: Ego-Dokumente, 149-271; Otto Ulbricht, Supplikationen als Ego-Dokumente. Bittschriften von Leibeigenen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Beispiel, in: ebd., 149-174. Vgl. zum Kölner Quellenbestand: Gerd Schwerhoff: Das Kölner Supplikenwesen in der Frühen Neuzeit. Annäherungen an ein Kommunikationsmedium zwischen Untertanen und Obrigkeit, in: Georg Mölich / Gerd Schwerhoff (Hg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 4), Köln 2000, 473-496.
14Jan Peters: Zur Auskunftsfähigkeit von Selbstsichtzeugnissen schreibender Bauern, in: Schulze: Ego-Dokumente, 175-190; Klaus-J. Lorenzen-Schmidt: Bibliographie zur Literatur über europäische bäuerliche Schreibebücher, URL: <http://www.sfn.uni-muenchen.de/schreibkultur/index.htm> (07.08.2002).
15Schulze: Vorüberlegungen, 28.
16Jacques Presser: Memoires als geschiedbron (1958), in: M. C. Brands / J. Haak / Ph. de Vries (Hg.): Uit het werk van dr. J. Presser (Literair-wetenschappelijke serie), Amsterdam 1969, 277-282; Rudolf M. Dekker: Egodocumenten. Een literatuuroverzicht, in: Tijdschrift voor geschiedenis 101 (1988), 161-189. Ein erster Ansatz zur Rezeption Pressers erfolgte mit Herman van den Dunk: Over de betekenis van ego-documenten, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 83 (1970) (= Themenheft 'Egodocumenten. Een bijzonder genre van historische bronnen'), 147-161.
17Dekker: Egodocumenten, 161.
18Presser: Memoires, 277.
19Dekker: Egodocumenten, 161.
20Ralf Pröve: Violentia und Potestas. Perzeptionsprobleme von Gewalt in Söldnertagebüchern des 17. Jahrhunderts, in: Markus Meumann / Dirk Niefanger (Hg.): Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, Göttingen 1997, 24-42, hier: 28; Kaspar von Greyerz: Deutschschweizerische Selbstzeugnisse (1500-1800) als Quellen der Mentalitätsgeschichte. Bericht über ein Forschungsprojekt, in: Arnold / Schmolinsky / Zahnd: Das dargestellte Ich, 147-163, hier: 150; Sebastian Leutert / Gudrun Piller: Deutschschweizerische Selbstzeugnisse (1500-1800) als Quellen der Mentalitätsgeschichte. Ein Forschungsbericht, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 49 (1999), 197-221, hier: 204.
Diesen Einwand erwidert Schulze, indem er zum einen auf den konstruktiven Charakter und damit die möglichen Verfremdungen und Verfälschungen auch in klassischen Selbstzeugnissen verweist. Zum anderen betont er die Frage nach den jeweiligen Interessen der sich in Ego-Dokumenten äußernden Menschen, die die Frage nach Freiwilligkeit und Zwang in den Hintergrund rücke, Schulze: Vorüberlegungen, 23-27; ders.: Schlußbemerkungen zur Konferenz 'Ego-Dokumente', in: ders.: Ego-Dokumente, 343-345, hier: 343-344.
21Kaspar von Greyerz: Spuren eines vormodernen Individualismus in englischen Selbstzeugnissen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Schulze: Ego-Dokumente, 131-145, hier: 132, Anm. 4; Sabine Schmolinsky: Selbstzeugnisse im Mittelalter, in: Arnold / Schmolinsky / Zahndt: Das dargestellte Ich, 19-28, hier: 25.
22Zur 'Psychologisierung' des Selbstzeugnisses im 18. Jahrhundert vgl. Fabian Brändle u.a.: Texte zwischen Erfahrung und Diskurs. Probleme der Selbstzeugnisforschung, in: Greyerz / Medick / Veit, Von der dargestellten Person, 3-31, hier: 20-24.
23Einen guten Einstieg in die aktuelle Themenvielfalt bietet der Sammelband Greyerz / Medick / Veit: Von der dargestellten Person. Vgl. außerdem den Überblick von Harald Tersch: Vielfalt der Formen. Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit als historische Quellen, in: Winkelbauer (Hg.): Lebenslauf, 69-98. Darüber hinaus nenne ich in den folgenden Anmerkungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige jüngere Titel.
24Eine faszinierende Ausnahme bildet Lyndal Roper: Ödipus und der Teufel. Körper und Psyche in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1995 (engl. Orig. London 1994). Zur psychoanalytischen Deutung von Selbstzeugnissen vgl. Stefan Goldmann: Leitgedanken zur psychoanalytischen Hermeneutik autobiographischer Texte, in: Jahrbuch der Psychoanalyse 23 (1989), 242-260.
25Kaspar von Greyerz: Vorsehungsglaube und Kosmologie. Studien zu englischen Selbstzeugnissen des 17. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 25), Göttingen 1990; Inge Bernheiden: Die Religion im autobiographischen Schrifttum des 17. Jahrhunderts, in: Dieter Breuer (Hg.): Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 25), Wiesbaden 1995, Bd. 2, 735-744.
26Peter Burschel: Himmelreich und Hölle. Ein Söldner, sein Tagebuch und die Ordnungen des Krieges, in: Benigna von Krusenstjern / Hans Medick (Hg.): Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 148), 2. Aufl., Göttingen 2001, 181-194; Benigna von Krusenstjern: Seliges Sterben und böser Tod. Tod und Sterben in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: ebd., 469-496; Martin Scheutz: "... im Rauben und Saufen allzu gierig." Soldatenbilder in ausgewählten Selbstzeugnissen katholischer Geistlicher aus der Zeit des 30-jährigen Krieges, in: L'Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 12 (2001), 51-72.
27Linda Pollock: Forgotten Children. Parent-Child Relations from 1500 to 1900, Cambridge 1983; Steven Ozment: Magdalena & Balthasar. Briefwechsel der Eheleute Paumgartner aus der Lebenswelt des 16. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1989 (amerik. Orig. New York 1986); Richard van Dülmen: Heirat und Eheleben in der Frühen Neuzeit. Autobiographische Zeugnisse, in: Archiv für Kulturgeschichte 72 (1990), 153-171; Matthias Beer: Eltern und Kinder des späten Mittelalters in ihren Briefen. Familienleben in der Stadt des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung Nürnbergs (1400-1550) (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 44), Neustadt a. d. Aisch 1990; ders.: "Wenn ych eynen anrren het zu eynem man, da fragen dye freund nyt vyl danach". Private Briefe als Quelle für die Eheschließung bei den stadtbürgerlichen Familien des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Hans-Jürgen Bachorski (Hg.): Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Literatur Imagination Realität 1), Trier 1991, 71-94; Anette Völker-Rasor: Bilderpaare - Paarbilder. Die Ehe in Autobiographien des 16. Jahrhunderts, Freiburg im Breisgau 1993.
28Gabriele Jancke: Autobiographische Texte - Handlungen in einem Beziehungsnetz. Überlegungen zu Gattungsfragen und Machtaspekten im deutschen Sprachraum von 1400 bis 1620, in: Schulze: Ego-Dokumente, 73-106; dies.: Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in deutschsprachigen Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts (Selbstzeugnisse der Neuzeit 10), Köln / Weimar / Wien 2002.
29Martin Dinges: Soldatenkörper in der Frühen Neuzeit. Erfahrungen mit einem unzureichend geschützten, formierten und verletzten Körper in Selbstzeugnissen, in: Richard van Dülmen (Hg.): Körper-Geschichten (Studien zur historischen Kulturforschung 5), Frankfurt am Main 1996, 71-98; Christoph Lumme: Höllenfleisch und Heiligtum. Der menschliche Körper im Spiegel autobiographischer Texte des 16. Jahrhunderts (Münchener Studien zur neueren und neuesten Geschichte 13), Frankfurt am Main / Berlin / Bern 1996; Gudrun Piller: Krankheit schreiben. Körper und Sprache im Selbstzeugnis von Margarethe E. Milow-Hudtwalcker (1748-1794), in: HA 7 (1999), 212-235; Vera Jung / Otto Ulbricht: Krank sein. Krankheitserfahrung im Spiegel von Selbstzeugnissen von 1500 bis heute. Ein Tagungsbericht, in: HA 9 (2001), 137-148.
30Harald Tersch, Melancholie in österreichischen Selbstzeugnissen des Späthumanismus. Ein Beitrag zur Historischen Anthropologie, in: MIÖG 105 (1997), 130-155; Elizabeth Clarke: 'A heart terrifying sorrow'. The Deaths of Children in Seventeenth-Century Women's Manuscript Journals, in: Gillian Avery / Kimberley Reynolds (Hg.): Representations of Childhood Death, New York 2000, 65-87.
31Irene Hardach-Pinke: Kinderalltag. Aspekte von Kontinuität und Wandel der Kindheit in autobiographischen Zeugnissen von 1700 bis 1900, Frankfurt am Main 1981; Steven E. Ozment: Three Behaim Boys. Growing up in Early Modern Germany: A Chronicle of their Lives, New Haven / London 1990; Bodo von Borries (Hg.): Vom 'Gewaltexzeß' zum 'Gewissensbiß'. Autobiographische Zeugnisse zu Formen und Wandlungen elterlicher Strafpraxis im 18. Jahrhundert (Forum Psychohistorie 5), Tübingen 1996; Rudolf M. Dekker: Childhood, Memory and Autobiography in Holland from the Golden Age to Romanticism, London 1999 (nl. Orig. Amsterdam 1995); Jan Peters: Beamtenkinder. Zur kindlichen Selbstwahrnehmung in Familienbriefen aus Pommern im 17. Jahrhundert, in: Werner Buchholz (Hg.): Kindheit und Jugend in der Neuzeit 1500-1900. Interdisziplinäre Annäherungen an die Instanzen sozialer und mentaler Prägung in der Agrargesellschaft und während der Industrialisierung. Das Herzogtum Pommern (seit 1815 preußische Provinz) als Beispiel, Stuttgart 2000, 113-146.
32Ursula A. J. Becher: Weibliches Selbstverständnis in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts, in: Dies. / Jörn Rüsen (Hg.): Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, Frankfurt am Main 1988, 217-233; Greyerz: Spuren; Otto Ulbricht: Ich-Erfahrung. Individualität in Autobiographien, in: Richard van Dülmen (Hg.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln / Weimar / Wien 2001, 109-144; Vera Lind / Otto Ulbricht: Individuality and Early Modern Autobiography before 1750 (Bericht über die gleichnamige Sektion der Annual Conference of the German Studies Association, Washington D.C. 5.-8.10.2001), in: German Historical Institute Bulletin 30 (2002), 177-180. Kritisch zur diesbezüglichen Aussagefähigkeit von Selbstzeugnissen jetzt Martin Scheutz / Harald Tersch: Individualisierungsprozesse in der Frühen Neuzeit? Anmerkungen zu einem Konzept, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 1 (2001), Heft 2, 38-59.
33Richard van Dülmen: Die Entdeckung des Individuums 1500-1800, Frankfurt am Main 1997; ders. (Hg.): Entdeckung des Ich. Vgl. aus ideengeschichtlicher Perspektive: Roy Porter (Hg.): Rewriting the Self. Histories from the Renaissance to the Present, London / New York 1997.
34Mit Blick auf Autobiographien, Memoiren und Tagebücher bereits Marianne Beyer-Fröhlich: Die Entwicklung der deutschen Selbstzeugnisse (Deutsche Selbstzeugnisse 1), Leipzig 1930.
35Arnold / Schmolinsky / Zahnd, Das dargestellte Ich; Greyerz / Medick / Veit, Von der dargestellten Person; Selbstzeugnisse der Neuzeit, Berlin 1991-1996, Köln / Weimar / Wien 1999ff.; Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, Bochum 1999ff.; Selbst-Konstruktion: Schweizerische und oberdeutsche Selbstzeugnisse 1500-1850, Basel 2001ff.
36Ein hilfreiches, wenn auch nicht immer vollständiges Verzeichnis der Verzeichnisse bietet Philippe Lejeune: Verzeichnisse autobiographischer Texte, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 11 (1998), 103-130 (franz. Orig. in: Histoire, Economie et Société 15 (1996), 299-322). Vorreiter bei der Erfassung sowohl gedruckter als auch handschriftlicher Quellen war die niederländische Forschung: Rudolf M. Dekker / Ruud Lindeman / Yvonne Scherf: Verstoppte bronnen: egodocumenten van Noord-Nederlanders uit de 16de tot 18te eeuw, in: Nederlands Archieven Blad 86 (1982), 226-235; dies.: Egodocumenten van Noord-Nederlanders van de zestiende tot begin negentiende eeuw. Een chronologische lijst, Rotterdam 1993; dies.: Reisverslagen van Nord-Nederlanders uit de zestiende tot begin negentiende eeuw. Een chronologische lijst, Rotterdam 1994; Rudolf M. Dekker: Verzeichnen und Edieren niederländischer Ego-Dokumente vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert, in: Editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft 30 (1995), 80-95. Für den deutschsprachigen Raum: Benigna von Krusenstjern: Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis (Selbstzeugnisse der Neuzeit 6), Berlin 1997; Harald Tersch: Das autobiographische Schrifttum Österreichs in der Frühen Neuzeit - ein Projektbericht, in: MIÖG 102 (1994), 409-413; ders.: Österreichische Selbstzeugnisse des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (1400-1650). Eine Darstellung in Einzelbeiträgen, Köln / Weimar / Wien 1997; Greyerz, Deutschschweizerische Selbstzeugnisse; Leutert / Piller, Deutschschweizerische Selbstzeugnisse.
37Vgl. die verschiedenen Reihen, die mittlerweile Editionen von Selbstzeugnissen publizieren. Für die Niederlande: Egodocumenten, Hilversum 1986ff.; Deutschland: Selbstzeugnisse der Neuzeit, Berlin 1991-1996, Köln / Weimar / Wien 1999ff.; Schweiz: Selbst-Konstruktion: Schweizerische und oberdeutsche Selbstzeugnisse 1500-1850, Basel 2001ff. Editionen von Reiseberichten bietet die Reihe Fremde Kulturen in alten Berichten, Stuttgart 1996ff. Ein Klassiker im deutschsprachigen Raum ist Gerd Zillhardt: Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles 'Zeytregister' (1618-1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium. Ein Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 13), Ulm 1975. Vgl. außerdem (Auswahl): Jan Peters / Hartmut Harnisch / Lieselott Enders: Märkische Bauerntagebücher des 18. und 19. Jahrhunderts. Selbstzeugnisse von Milchviehbauern aus Neuholland (Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam 23), Weimar 1989; Magalene Heuser u.a. (Hg.): "Ich wünschte so gar gelehrt zu werden." Drei Autobiographien von Frauen des 18. Jahrhunderts. Texte und Erläuterungen, Göttingen 1994; Martin Scheutz / Harald Tersch: Das Salzburger Gefängnistagebuch und der letzte Wille des Zeller Pflegers Kaspar Vogl (hingerichtet am 8. November 1606), in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 135 (1995), 689-748; Peter-Michael Hahn: Kriegswirren und Amtsgeschäfte. Ferne adlige Lebenswelten um die Mitte des 17. Jahrhunderts im Spiegelbild persönlicher Aufzeichnungen (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches 4), Potsdam 1996; Wilhelm A. Eckhardt / Helmut Klingelhöfer (Hg.): Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636-1667 (Beiträge zur Hessischen Geschichte 13), Marburg 1998; Roswitha Jacobsen (Hg.): Friedrich I. von Sachsen-Gotha und Altenburg. Die Tagebücher 1667-1686, 2 Bde. (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven 4), Weimar 1998-2000; Holger Th. Gräf (Hg.): Söldnerleben am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Lebenslauf und Kriegstagebuch 1617 des hessischen Obristen Caspar von Widmarckter (Beiträge zur hessischen Geschichte 16), Marburg 2000.
38Vgl. Schulze: Vorüberlegungen, 25-26; Claudia Ulbrich: Zeuginnen und Bittstellerinnen. Überlegungen zur Bedeutung von Ego-Dokumenten für die Erforschung weiblicher Selbstwahrnehmung in der ländlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, in: Schulze: Ego-Dokumente, 207-226.
39Benigna von Krusenstjern: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: HA 2 (1994), 462-471, hier: 463.
40Ebd., 470. Unbenommen ist, wie Leutert / Piller: Deutschschweizerische Selbstzeugnisse, 204-206, ausführen, dass die Freiwilligkeit und der eigene Antrieb zur Abfassung eines Selbstzeugnisses immer von gesellschaftlichen und sozialen Strukturen sowie der jeweiligen Lebenssituation des Individuums determiniert sind: "Traditionen oder Gepflogenheiten, auch Rechtfertigungs- bzw. Erklärungsbedürfnisse gehören in den Bereich einer derart verstandenen Freiwilligkeit." (206)
41Krusenstjern: Was sind Selbstzeugnisse?, 470.
42Ebd., 463-467.
43Zur Autobiographie als literarischer Gattung vgl. Georg Misch: Geschichte der Autobiographie, 4 Bde., Frankfurt am Main 1949-1969; Günter Niggl: (Hg.): Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, 2. Aufl., Darmstadt 1998 (mit Sammelbibliographie, 539-592); Martina Wagner-Egelhaaf: Autobiographie (Sammlung Metzler 323), Stuttgart / Weimar 2000 (mit Sammelbibliographie, 202-221). Mit Blick auf die Vielfalt autobiographischer Schreibformen in der Frühen Neuzeit Hans Rudolf Velten: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 29), Heidelberg 1995.
44Ich beschränke mich hier auf schriftliche Zeugnisse, zur Bedeutung von Bildquellen in diesem Zusammenhang vgl. die betreffenden Beiträge in: Gunther Schweikhart (Hg.): Autobiographie und Selbstportrait in der Renaissance (Atlas. Bonner Beiträge zur Renaissanceforschung 2), Köln 1998; Arnold / Schmolinsky / Zahnd: Das dargestellte Ich.
45Vgl. etwa Peters: Auskunftsfähigkeit; Ulbrich: Zeuginnen; Michael von Engelhardt: Geschlechtsspezifische Muster des mündlichen autobiographischen Erzählens im 20. Jahrhundert, in: Heuser: Autobiographien von Frauen, 369-392.
46Tersch: Österreichische Selbstzeugnisse, 3.
47Hartmut Lehmann: Geleitwort, in: Krusenstjern / Medick, Zwischen Alltag und Katastrophe, 9-10, hier: 9.
48Erhebliche methodische Zweifel äußert Andreas Pečar: Innovation des Strukturbegriffs. Ein soziologischer Modellversuch aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, in: GG 27 (2001), 350-362, hier: 361-362. Eine etwas altertümlich anmutende, positivistische Skepsis dagegen bei Eckart Henning: Selbstzeugnisse, in: Friedrich Beck / Eckart Henning (Hg.): Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung (Veröffentlichungen des brandenburgischen Landeshauptarchivs 29), Weimar 1994, 107-114, hier: 113: "Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Brauchbarkeit der Selbstzeugnisse als Quellen zur Tatsachenkenntnis zwar unterschiedlich, im ganzen aber zweifelhaft ist. Ihr Gehalt an Wahrheit im Sinne nachprüfbarer Richtigkeit ist gering; die Ursache dafür liegt in dem gesteigerten Subjektivismus, der allen autobiographischen Formen eigen ist."
49Dies betont im Anschluss an Wilhelm Dilthey vor allem Georg Misch: Begriff und Ursprung der Autobiographie (1907/1949), in: Niggl: Autobiographie, 33-54, hier: 40-41: "Auf dieser Identität des darstellenden mit der dargestellten Person beruht das große Interesse, das unsere Zeit an der Autobiographie nimmt. [...] Der Autobiograph verfügt über eine Kenntnis der Tatsächlichkeiten seines Lebenslaufes, die der Heterobiograph (wenn man diesen Ausdruck bilden darf) sich erst spät durch mühsames Studium erwerben muß und niemals so vollständig besitzen kann."
50Vgl. mit Blick auf Selbstzeugnisse aus dem bäuerlichen Milieu Peters: Auskunftsfähigkeit, 175-176.
51Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang der Tagebucheintrag der Baselerin Anna-Maria Preiswerk-Iselin, die 1815 notiert, dass sie bei der neuerlichen Hölderlin-Lektüre "Jdeen fand die mit dem übereinstimmten was ich vor einiger Zeit H. F. hierüber geschrieben. Beym Nachdenken wurde meine Freude gedämpft, in dem ich mir sagte vermutlich waren deine Jdeen hierüber eine Folge dessen was du in vorigen Zeiten aus diesem Aufsatz geschöpft, obwohl du dich dessen gar nicht mehr erinnertest, und nicht aus dir selbst genommen!", zitiert nach Esther Baur: "Sich schreiben". Zur Lektüre des Tagebuchs von Anna Maria Preiswerk-Iselin (1758-1840), in: Greyerz / Medick / Veit: Von der dargestellten Person, 95-109, hier: 104.
52Vgl. zum Folgenden Heuser: Jugendbriefe; das Zitat ebd., 298.
53Ebd., 295-296.
54Vgl. Schulze: Vorüberlegungen, 27; Schnabel-Schüle: Ego-Dokumente, 300; Behringer: Gegenreformation, 282-283; Scheutz: Gerichtsakten, passim.
55Behringer: Gegenreformation, 293.
56Hinzu kommt, dass bei Texten, die nicht selbst, sondern von einem Schreiber oder Protokollanten niedergeschrieben wurden, die Dimension der Fremdkonstruktion mit ins Spiel kommt und bei der Interpretation berücksichtigt werden muss, vgl. Ulbrich: Zeuginnen, 212, 216-217; Scheutz: Gerichtsakten, 100, 109.
57Vgl. Jan Peters: Wegweiser zum Innenleben? Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchung popularer Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit, in: HA 1 (1993), 235-249, hier: 240; ders.: Auskunftsfähigkeit, 175-176; Ulbrich: Zeuginnen, 218. Eine Einbeziehung dieser Dimension in die Interpretation von Selbstzeugnissen findet sich u.a. bei Ingrid Guentherodt: Autobiographische Auslassungen: Sprachliche Umwege und nichtsprachliche Verschlüsselungen zu autobiographischen Texten von Maria Cunitz, Maria Sibylla Merian und Dorothea Christiane Erxleben, geb. Leporin, in: Heuser: Autobiographien von Frauen, 135-151; Krusenstjern: Seliges Sterben, 477, 491, 496.
58Alessandro Portelli: What makes Oral History different?, in: ders.: The Death of Luigi Trastulli and other Stories. Form and Meaning in Oral History, Albany 1991, 45-58, hier: 53. Die grundlegende Arbeit in diesem Zusammenhang stammt von Luisa Passerini: Work Ideology and Consensus under Italian Fascism, in: History Workshop 8 (1979), 84-92, wieder abgedruckt in: Robert Perks / Alistair Thomson (Hg.): The Oral History Reader, London / New York 1998, 53-62; vgl. auch dies.: Fascism in Popular Memory. The Cultural Experience of the Turin Working Class, Cambridge, Mass. 1987.
59Georg Simmel: Die Probleme der Geschichtsphilosophie. Eine erkenntnistheoretische Studie (2. Fassung 1905/1907), in: ders.: Gesamtausgabe, hrsg. v. Otthein Rammstedt, Bd. 9, Frankfurt am Main 1997, 227-419, hier: 229.
60Hans Michael Baumgartner: Kontinuität und Geschichte. Zur Kritik und Metakritik der historischen Vernunft, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1996, 116.
61Simmel: Probleme der Geschichtsphilosophie, 277.
62Ebd., 278, die folgenden Zitate ebd.
63Den für Erinnerung konstitutiven Aspekt der Konstruktion aus der unmittelbaren Gegenwart des Erinnernden heraus betont die kognitive Psychologie, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten intensiv mit der 'autobiographical memory' auseinandergesetzt hat, vgl. Martin A. Conway u.a. (Hg.): Theoretical Perspectives on Autobiographical Memory (Behavioural and Social Sciences 65), Dordrecht / Boston / London 1992; Norbert Schwarz / Seymour Sudman (Hg.): Autobiographical Memory and the Validity of Retrospective Reports, New York / Berlin / Heidelberg 1993; David C. Rubin (Hg.): Remembering our past. Studies in autobiographical memory, Cambridge 1996. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden bislang vor allem von der Oral History aufgegriffen, vgl. Ulrike Jureit: Authentische und konstruierte Erinnerung - Methodische Überlegungen zu biographischen Sinnkonstruktionen, in: Werkstatt Geschichte 6 (1997), Heft 18, 91-101.
64Sebastian Leutert: "All dies, was mir mein Genius vorgezeigt hatte." Zur Psychologisierung des Traumes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts, in: Greyerz / Medick / Veit: Von der dargestellten Person, 251-73, hier: 254, versteht Selbstzeugnisse als "diskursive Schnittstellen; als Texte, in denen Diskurse vor allem im Hinblick auf das eigene Leben verarbeitet, modifiziert, ja regelrecht erprobt werden und von dort aus wiederum diskursverändernd wirken können." Vgl. auch Scheutz / Tersch: Individualisierungsprozesse, 51.
65Vgl. Krusenstjern: Selbstzeugnisse, 10. Mit Blick auf Autobiographien schon Roy Pascal: Die Autobiographie. Gehalt und Gestalt, Stuttgart / Berlin 1965 (engl. Orig. London 1960), 11: "Selbst wenn das, was sie uns mitteilen, nicht buchstäblich, selbst wenn es nur zum Teil wahr ist, so ist es doch immer wahrer Ausdruck ihrer Persönlichkeit." Ähnlich auch Portelli: What makes Oral History different?, 51, im Hinblick auf mündlich erzählte Selbstzeugnisse: "The importance of oral testimony may lie not in its adherence to fact, but rather in its departure from it, as imagination, symbolism, and desire emerge. Therefore, there are no 'false' oral sources. Once we have checked their factual credibility [...], the diversity of oral history consists in the fact that 'wrong' statements are still psychologically 'true', and that this truth may be equally as important as factually reliable accounts."


Andreas Rutz
Adolfstraße 71
53111 Bonn
uzs660@uni-bonn.de
http://www.igl.uni-bonn.de/personal/dt.htm#rutz

Empfohlene Zitierweise:

Andreas Rutz: Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20.12.2002], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/rutz/index.html>

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ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459
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