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2 (2003), Nr. 1: Inhalt
Abstract
Das Museum lebt?
Netzkunst
Bilder des Vernetzt-Seins
Museale Visualisierungen der Vernetzung
Das Museum der Zukunft als intelligentes System
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Sabine Fabo

Das Museum lebt? Der Diskurs der Vernetzung im virtuellen Kunstraum

Abstract   

Kunstwerke sowie ihre Präsentation und Vermittlung werden zunehmend von digitalen Technologien unterstützt. Virtuelle Ausstellungen, Internet-Projekte und komplexe Datenarchive stellen das Kunstwerk in einen medialen Kontext, der weit über das Moment einer technischen Reproduzierbarkeit hinausgeht. Das allgegenwärtige Konzept der Vernetzung dynamisiert Kunst, ihre Rezipienten und Ausstellungsorte. Die Beziehungen zwischen diesen Feldern werden mit Hilfe physiologischer Metaphern definiert und visualisiert. Frühere Speicher und Archive geraten in einen prozessualen Sog, in dem alles fluktuiert, sich kurzweilig verknüpft, auflöst und in permanente Dialoge mit seiner Umgebung tritt - das virtuelle Museum gerät in aktuellen Standortbestimmungen in die definitorische Nähe des Künstlichen Lebens.

Das Museum lebt?

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Mit der zunehmenden Realisation digital gestützter Kommunikationsnetzwerke hat sich ein Diskurs der Vernetzung etabliert, der weit über die medialen Grenzen des Internets hinausgeht. Vernetzt-Sein ist inzwischen zu einer Lebenshaltung avanciert, die weite publizistische Verbreitung findet. Die große Akzeptanz des Netzmodells geht in ihrer zeitlichen Einbettung einher mit einem Diskurs über Künstliche Intelligenz und Künstliches Leben, der nicht mehr ausschließlich in Expertenkreisen geführt wird, sondern sich bildträchtig in unserer visuellen Kultur platziert. Die Renaissance der Positionierung des Gehirns als zentrales menschliches Organ führt zu einer Engführung von biologischem Leben und technisch gestützter Kommunikation. Die Prozesse neuronaler Informationsverarbeitung erfahren vor dem Hintergrund hochleistungsfähiger Parallelrechner eine Redefinition, die nichts Geringeres anstrebt als die Versöhnung des Humanen mit dem Technischen unter dem Vorzeichen des Digitalen. Neurologische und vitalistische Modelle, wie sie für viele Informationstheoretiker und KI-Forscher bedeutend sind, verlieren zum Teil ihren strengen wissenschaftlichen Bezugsrahmen und werden zum Gegenstand modischer Umsetzungen. Populärwissenschaftliche Interpretationen der Bionik bringen biologische Organisationsstrukturen in die Nähe gesellschaftlicher Phänomene und suchen in der "Kunst, vernetzt zu leben" neue Impulse für menschliches Zusammenleben. [1]

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Das konnektionistische Modell der Vernetzung lässt sich zwar nicht auf technische Innovationsleistungen verkürzen, es gewinnt aber erst vor dem Hintergrund fortgeschrittener Kommunikationsmedien seine nachhaltige Kontur. Bereits die Erfahrung einer umfassenden technischen Verknüpfung menschlicher Lebensräume führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Entwicklung von Netzmodellen in Literatur und Kunst. So sah sich Paul Valéry angesichts der Entwicklung des Radios veranlasst, an immaterielle zirkulierende Kunstwerke zu denken, die ähnlich wie die Radiomusik an jedem Ort abgerufen werden können:

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"Die Werke werden eine Art von Allgegenwärtigkeit gewinnen. Auf unseren Zuruf hin werden sie überall und zu jeder Zeit gehorsam gegenwärtig sein oder sich selber neu herstellen. Sie werden nicht mehr nur in sich selber da sein - sie alle werden dort sein, wo ein Jemand ist und ein geeigneter Apparat. [..] Wie das Wasser, wie das Gas, wie der elektrische Strom von weit her in unseren Wohnungen unsere Bedürfnisse befriedigen, [..] so werden wir mit visuellen und auditiven Bildern versorgt werden." [2]

Netzkunst

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Künstlerische Arbeiten, die im Diskurs der Vernetzung angesiedelt sind, stellen die prozessuale Struktur ihrer Werke in den Mittelpunkt. Nicht der abgeschlossene materielle Werkstatus ist entscheidend, sondern das Potential des Werks, andere Arbeiten, Künstler und Adressaten einzubeziehen. Netzkunst, wie diese künstlerische Auseinandersetzung mit dem Internet zu Beginn der neunziger Jahre genannt wurde, zeigt sich nicht in der sichtbaren Qualität hochauflösender Bilder am Monitor, sondern in der konsequenten Umsetzung von kommunikativer Vernetzung. Die Kriterien des Linzer Medienkunstfestivals ’Ars Electronica’, das seit 1995 Netzkunst prämiert, machen diese Schwerpunktverlagerung des telekommunikativen Kunstwerks deutlich. Nichtlineare Strukturen, die Transparenz von Navigationsregeln, die Offenheit der Programmiersprache sowie kooperative, gemeinschaftsbildende und öffentliche Strategien sind ausschlaggebend für den Netzcharakter einer Arbeit. [3]

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In diesem Sinne zielte die 1997 realisierte Arbeit Sensorium der japanischen Projektgruppe Taos auf eine Visualisierung und Offenlegung der virtuellen Beziehungen, die sich auf globaler Ebene zwischen Menschen und ihren medialisierten Kommunikationswegen im Internet etablieren. Navigationsstränge aktueller Nutzer können an Landkarten visuell nachvollzogen werden. Ein Ensemble von Webcams, die über den Erdball verstreut sind, suggeriert in dem Bild eines geschlossenen Kreises das Modell einer kontinent-umspannenden Netzgemeinschaft. "This interface shows countless visualizations of just connected moments. You might be able to grasp the Internet status" [4].



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Vernetzung im Kontext urbaner Kommunikationsstrukturen und Verkehrsströme steht im Mittelpunkt von IO dencies von Knowbotic Research. Das über Netzverbindungen eingeleitete Kommunizieren über einen real existierenden Stadtraum in Tokio oder Săo Paulo wird am Bildschirm als fluider Partikelstrom visualisiert, der sich stets neu konstituiert. Das 1997 begonnene Projekt verbindet die Topographie eines existierenden Stadtraumes mit den konzeptionellen Weiterführungen anderer Editoren, welche die vorgegebene Struktur hinsichtlich der Daten- , Verkehrs- und Informationsströme virtuell verändern und sich mit anderen Teilnehmern über diese Veränderungen austauschen können. Die Formen des gemeinsamen Nachdenkens visualisieren sich in der transformatorischen Dynamik kollaborativer Entwürfe.



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Das Netz als Inhalt künstlerischer Arbeit hat inzwischen den Status des innovativen Experiments hinter sich gelassen und erfreut sich einer breiteren Akzeptanz. Die visuell bislang spröde Netzkunst hat den Weg in die Museen gefunden, wo sie als Bestandteil virtueller Ausstellungen eine identifizierbare Position innerhalb der Webauftritte namhafter Museen wie dem Guggenheim Museum, dem Whitney Museum oder der Dia Art Foundation innehat.

Bilder des Vernetzt-Seins

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Die Unsichtbarkeit vernetzter Prozesse hat teilweise dazu geführt, dass man sich gängiger Vorstellungen der Vernetzung bedient, um der Immaterialität vernetzter Kommunikation ein Bild zu geben. Im Verkehr populärer Deutungen und Visualisierungen werden neuronale Strukturen und Verdichtungen zitiert, die über die Ebene einer attraktiven Illustration hinaus kaum Bestand haben, und auch der Kultur schaffende Bereich kann sich der Attraktivität biologischer Bezugsgrößen nicht entziehen.
So nimmt Synema, eine Arbeit einer Weimarer Künstlergruppe, das Thema der Synästhesie mit seiner neuronalen Koppelung unterschiedlicher sensueller Wahrnehmungsverarbeitung zum Anlass für ein einfaches Sound-Interface. Kreisähnliche Interaktionsflächen werden mithilfe neuronaler Zellkerne visualisiert, die linear nacheinander aktiviert werden können. Eine Vernetzung zwischen mehreren Klang- und Bilddaten findet nicht statt, die Vielschichtigkeit synästhetischer Verknüpfungen erschöpft sich an der Oberfläche eines Bildes von Vernetzung.



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Die am ZKM entwickelte Arbeit Web of Life stützt sich ebenfalls auf Visualisierungen des Netz-Gedankens, die populärtheoretisch von einer Publikation zum neuen Netzbewusstsein begleitet werden. Das Projekt fokussiert inhaltlich die simultane Verknüpfung menschlicher Datenspuren mit einer umfassenden Bilddatenbank und strebt eine Vernetzung fünf verschiedener globaler Standorte an, die zu einem gemeinsamen audiovisuellen Erlebnisraum führen sollen. Die in Echtzeit erzeugte Bildwelt wird als "ein organisches Geflecht aus visuellen und thematischen Beziehungen" beschrieben, welches "beispielsweise an das neuronale Netz des menschlichen Gehirns erinnert." Der Besucher "haucht" dem Kunstwerk durch die Bereitstellung seiner Körperdaten "neues Leben ein". [5] Die Architektur der Installation mit Netzen und Drähten veranschaulicht Netzhaftigkeit dort, wo eigentlich keine Vernetzung anzutreffen ist. Die Bildverknüpfungsprozesse, die über vernetzte Strukturen des Installationsprogramms erfolgen, werden assoziativ und nicht strukturell visualisiert.



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Museale Visualisierungen der Vernetzung

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Auch im musealen Ausstellungsbereich lässt sich die Popularität des Netzdiskurses beobachten. Die Ausstellung Connected Cities, 1999 vom Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg initiiert, bestand aus unterschiedlichen Ausstellungsprojekten ausgewählter Industriestandorte zwischen Duisburg und Paderborn, die zum Teil mithilfe einer vernetzten Live-Kamera und entsprechender Projektion miteinander verbunden waren. [6] Die simultane Erfahrung räumlich entfernter Ereignisräume verband in telematischen Installationen die Besucher. Dennoch eilte das Bild neuronaler Aktivität, das den Buchumschlag des Katalogs zierte, der erlebten vernetzten Wirklichkeit der Arbeiten um einiges voraus, zumal innerhalb des Veranstaltungsortes selbst keine Arbeiten vernetzt waren und jeder Künstler in dem ihm zugewiesenen Ausstellungsraum seine konnektivistischen Visionen ausführte.



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Im Feld virtueller Ausstellungen arbeitet Revealing Things der Smithsonian Museen auf der Ebene der Begriffssuche und Navigation mit Netzmodellen. Die Ausstellung verknüpft heterogene Sammlungsobjekte der Alltagskultur mit biografischen Skizzen, gesprochenen Texten und anderen zeitgeschichtlichen Kontexten. Der Benutzer orientiert sich anhand eines kontextuellen Menüs, in dessen Mittelpunkt ein zentraler Suchbegriff steht, der von einem konnotativen Begriffsumfeld umgeben ist. Die Beziehungsgeflechte zwischen den Begriffen können vom Benutzer stets neu variiert werden, wobei die leicht unruhigen Bewegungen der graphischen Verknüpfungslinien eine flexible Dynamik suggerieren, was der begrenzten Datenbank der Ausstellung nicht entspricht.



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Revealing Things folgt in seiner experimentellen Struktur der Software Thinkmap, die von der amerikanischen Designergruppe Plumb Design 1998 exemplarisch entwickelt und vor allem in der Anwendung des Visual Thesaurus bekannt wurde. Dieser greift auf die Datenbank der Worldnet Database des Cognitive Science Laboratory der Princeton University zu und umfasst 50 000 Wörter, 40 000 Phrasen und 700 000 Wortbedeutungen. Die Weite des Feldes der Begriffssuche sowie die Dichte der Verknüpfungen können über ein Reglermenü individuell eingestellt werden. Ferne und assoziative Nähe der Begriffe werden bei Thinkmap in einem bewegten 3D-Modell veranschaulicht, das eine Beziehungsstruktur schafft, die universal einsetzbar ist, ob als Interface für eine Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts (Sony Music Millennium), oder als Navigationshilfe durch die dunstige Geschichte des Rums (Bacardi). Die Visualisierung von Information beansprucht dabei Parallelen zur Struktur menschlicher Informationsverarbeitung: "Thinkmap tools animate and display complex sets of interrelated information, creating interfaces that transform data into insight and knowledge." [7]



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Der Versuch, mithilfe der Darstellung digitaler Informationsverarbeitung eine visuelle Entsprechung für Denkprozesse und die Schnelligkeit gedanklicher Verknüpfungen zu finden, geht zurück auf frühe definitorische Einkreisungen von vielschichtigen Navigationsstrukturen, die der Einführung des Begriffs ‚Hyperlink‘ von Theodor Nelson im Jahre 1974 folgen. Die Hyperlinks werden als dynamische Begriffe verstanden, die "verknüpfen, verketten, vernetzen und verbinden als operative und Knoten, Weg, Verzweigung, Bindeglied, Taste als systematische Messages [...] An die Stelle eines einfachen Datenaustausches treten soziale Interaktionen und prozessorientierte Aktivitäten." [8]

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Die Annäherung an die Komplexität menschlichen Denkens war strukturell begründet und ging nicht von dem Anspruch aus, ein elektronisches Äquivalent für geistige Prozesse zu entwickeln. Ende der 90er Jahre wird die prozessuale Struktur digitaler Navigation in einem Mapping als Menüoberfläche zitiert, ohne die Komplexität weitverzweigter Verknüpfungen überhaupt anzustreben: Der Cyberatlas, der auf der Guggenheim Website angewählt werden kann, bedient sich neuronaler Symbolik, um Kunstwerke, Daten und Texte im Internet zu bestimmten Themenstellungen zu verknüpfen.



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Eine Überblickskarte mit farbigen, miteinander verbundenen Knotenpunkten soll mögliche Verknüpfungsstrukturen und Relationen auf einer Ebene sichtbar machen. Die wechselseitigen Kontakte und begrifflichen Nähen der einzelnen Links erschöpfen sich in einer starren Verknüpfungskarte, welche die Hyperlinks lediglich bis zu einer hierarchischen Ebene sichtbar macht, danach befindet man sich wieder im unkontrollierten Klicktaumel des Netzes. Der Umstand, dass einige Links nicht aktualisiert wurden und somit ins Leere führen, könnte man vor dem Hintergrund der Hirnmetapher ironisch als Elemente des Vergessens ansprechen. Verknüpfungsdichte und -tiefe lassen sich nur auf der Ebene visueller Oberflächlichkeit erahnen, die tatsächliche Verknüpfungsbreite, die das Internet zweifelsohne bietet, bleibt auf dieser Navigationskartierung ohne sichtbares Pendant.

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Eine weitere Möglichkeit, die Nähe einer Internetanwendung zu biologischem Leben zu suggerieren, ist die Animation grafischer Inhalte, die oftmals die Navigation nicht befördern und von Interaktionspuristen kritisiert werden. [9] Das Webdesign der Ausstellung 010101 des San Francisco Museum of Modern Art wurde von der kalifornischen Agentur Perimetre-Flux entworfen. Das auf pixelartige Elemente reduzierte Interface reagiert auf jede Benutzeraktion mit Geräuschen und der rhythmischen Verdichtung bzw. Entzerrung graphischer Navigationselemente, deren schwarmähnliche Anordnung eine Linearität bewusst vermeidet. Jeder Pixel scheint sich in bedeutungsvoller Bewegung zu befinden, auch wenn nicht jedes sichtbare Element mit einer Funktion versehen ist. Es kommt zu Gruppierungen und Neukonstellationen der Menüelemente, die jede Entscheidung des Benutzers mit einer theatralischen Aktion und einem Übermaß an visuellem und akustischem Feedback begleiten.



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Das Interface verspricht permanente Reaktion und Lebendigkeit und das Ensemble agierender Einzelelemente führt eine pseudo-soziale Bildschirmexistenz vor. "Machines are social before being technical" - das Deleuze-Zitat, das die Ausstellung auch konzeptionell begleitete, ließe sich durchaus als Kommentar zum vermeintlich sozialen, lebendigen Charakter technisch gestützter Anwendungen lesen. Die Animation der pixelähnlichen Felder und ihr vordergründiger systemischer Bezug stellen darüber hinaus eine Interaktionsmaschine en miniature dar.

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Zeigten Vorstellungen des digitalen und virtuellen Museums in den neunziger Jahren noch eine eher technisch definierte Ausprägung, welche die Archivierung, Organisation und Distribution kultureller Information in den Mittelpunkt stellte, so trifft man heute auf eine Animationstendenz im wortwörtlichen Sinne. Eine assoziative Nähe zu biologischem Leben wird mit Begriffen wie Fluidität und Transformation nun zu einem bestimmenden Charakteristikum virtueller Museumskonzepte. Das Virtual Guggenheim, das Ende der 90er Jahre in Zusammenarbeit mit der Gruppe Asymptote Architects realisiert werden sollte, harrt immer noch seiner vollständigen Umsetzung im Netz. Erste Bilder des virtuellen Museums erlauben Assoziationen an komplex gedrehte, fluide Architekturen, die sich DNS-artig um die jeweiligen Suchbefehle der Nutzer winden sollen. Die sprachlichen Umkreisungen des Museumsentwurfs visionieren eine quasi-lebendige Architektur: "This is a new architecture of liquidity, flux and mutability predicated on technological advances and fuelled by a basic human desire to probe the unknown" [10]. Dahinter steht wohl auch die Überzeugung, dass erst das Attribut der Lebendigkeit einen anspruchsvollen Dialog mit dem Besucher gewährleisten kann. Bislang muss man sich mit einem daumennagelgroßen Bild begnügen, das die Lücke zwischen dem Anspruch eines Dialogs und einer Linkstruktur, die Vernetzungsversuche bereits im ersten Anlauf auf die Startseite verweist, nur dürftig schließt.

Das Museum der Zukunft als intelligentes System

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Die Museen, die hier visioniert werden, halten sich nicht mehr bei der Vorstellung eines imaginären Museums auf, das sich der individuellen gedanklichen Verknüpfung und Konstruktion einzelner verdankt oder auf ein kollektives Bildgedächtnis zurückgreift. Anders als im Konzept von André Malraux führt die Zunahme an Bildmedien und Bildreproduktionen nicht zu einer Intellektualisierung der Kunst, sondern zu einer Illustrierung der Institution Museum, während die Kunstwerke kaum noch explizit erwähnt werden. [11] Unter dem Eindruck des Digitalen materialisieren sich die Museen erst in einer visuellen Gestalt; sie nehmen selbständige kommunikative Formen an, die zunehmend an den Dialogpartner Mensch angeglichen werden. Der kommunikative Aspekt eines auf Besucherwünsche flexibel reagierenden Systems wird in Richtung digitaler Schöpfungsphantasien überschritten:
"Ich werde ein bisschen überheblich sein, wenn ich sage, dass ich die Zukunft gesehen habe - und die Zukunft ist feucht. Sie ist dort, wo sich das Künstliche Leben und das Künstliche Bewusstsein mit unserer eigenen nassen Biologie und unserer telematischen Gesellschaft des Geistes trifft." [12]

<18>
Roy Ascotts Fiktion über ein Museum der Zukunft geht weit über eine bloße visuelle Annäherung an biologische oder neurologische Metaphern hinaus. Für den Medienkünstler stellt das virtuelle Museum, das keines physischen Ausstellungsraumes mehr bedarf, lediglich einen Zwischenschritt zu einem geistigen Museum dar, das Modelle von künstlicher Intelligenz und künstlichem Leben in sich vereint. Zunächst wird auch in diesem Entwurf die fluide, transformatorische Qualität eines beweglichen, organischen Körpers entwickelt. Dem folgt eine Parallelisierung von Museum und Gehirn, wobei nicht nur an ein intelligentes Datensystem gedacht ist, sondern das Museum zum Inbegriff des Netzes überhaupt erhoben wird:

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"[...] das Museum muss intelligent werden. Ich spreche nicht nur, um nicht missverstanden zu werden, über eine ‚intelligente Architektur‘, über intelligente Schnittstellen, reagierende Innenräume oder interaktive Geräte oder Ausstattungen, so willkommen all dies in der ansonsten riesigen Trägheit unserer zeitgenössischen Museen auch wäre. Ich spreche über das Museum als ein Gehirn, das seine eigene assoziative Gedankenwelt verkörpert, als einen überaus sensiblen Kortex, den man eher einen Cyberkortex nennen sollte, als ein kognitives Netz all der Ideen, Formen, Strukturen und Strategien, die im Zwischenraum, durch das assoziative Denken, durch die Hyperlinks einer tiefreichenden Vermaschung erzeugt werden und die jenen Bereich des Werdens zwischen dem Virtuellen und dem Realen begründen, der unser globales Heim ist." [13]

<20>
Die Debatte um das Internet als die digitale Form eines weltumspannenden Gehirns wird hier deutlich zitiert. Das Konzept des ‚global brain‘ sieht die neuen Informationstechnologien als gemeinschaftsbildende Kräfte, die über die räumlichen Grenzen eines ‚global village’ hinaus ein kollektives weltbürgerliches Bewusstsein schaffen.
"Das Nervensystem des elektronischen Zeitalters wird sich nicht mehr auf den langsamen und von Missverständnissen bedrohten Prozess der gesprochenen und geschriebenen Kommunikation verlassen, sondern Informationen sofort und direkt übermitteln, speichern und verarbeiten, und dies ohne Verlust oder Minderung des Informationsgehalts. Ein derart intelligentes Netz, das den ganzen Globus umspannt, könnte man als ‚Global Brain‘, globales Gehirn, bezeichnen. Das Medium, das am besten geeignet scheint, ein solches dem Gehirn ähnliches, intelligentes Netz zu realisieren, ist das World Wide Web." [14]

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Seine Steigerung erfährt das Modell einer unabhängigen musealen Intelligenz in der Vorstellung eines autarken musealen Lebens, das mit den Eigenschaften organischen Lebens ausgestattet wird: "Ich will von einem Museum sprechen, das sein eigenes Leben besitzt, das selbst denkt, sich selbst ernährt, auf sich selbst aufpasst, das antizipiert und am Chaos und an der Komplexität der Kultur teilnimmt, das der Welt konstruktive Beiträge gibt." [15]

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Die autorenlosen Schöpfungsphantasien, die sich bei Ascott artikulieren, gehen über eine kommunikative oder systemtheoretische Erweiterung des Museums hinaus. Der massive Vitalismus, der den voreiligen Transfer biologischer Modelle auf kulturelle Systeme motiviert, gerät mit seinen Imagines von Lebendigkeit in die zweifelhafte Nähe spektakulärer Science-Fiction-Visionen. Man fühlt sich bei diesen Worten eher an ein wucherndes Alien erinnert als an ein Museum, dass sich mit Hilfe ‚smarter’ Technologien erweitern soll. Gleichzeitig simplifizieren Vorstellungen wie diese die Modellhaftigkeit der Artificial-Life-Forschung, auf die sich Ascotts Entwurf letztlich bezieht. Die Forschung im Bereich des Künstlichen Lebens nimmt ihren Ausgangspunkt vor allem in der Modellhaftigkeit biologischer Organisation, die für eine Strukturierung elektronischer Information explorativ untersucht wird. Die Theorie der Selbstorganisation ist ein Modell, dass der Biologie und Lebensforschung entlehnt ist, deren wesentliche Impulse sich Ende der siebziger Jahre Francisco J. Varelas systemorientiertem Ansatz über die Autonomie biologischer Prinzipien verdanken. [16] So definiert Christopher Langton, ein wesentlicher Vertreter der Artificial-Life-Forschung, die Charakteristika des Künstlichen Lebens wesentlich nüchterner als Ascott, der sich in seinem Aufsatz über das geistige Museum auf Langton bezieht.

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"Beim Künstlichen Leben beschäftigen wir uns mit dem ‚Leben-wie-wir-es-kennen‘ in dem größeren Kontext eines ‚Lebens-wie-es-sein-könnte‘. Es betrachtet Leben als eher eine Eigenschaft der Organisation von Materie als eine Eigenschaft der organisierten Materie. [..] Natürliches Leben entsteht aus der organisierten Interaktion einer großen Zahl von leblosen Molekülen ohne eine globale Steuerung, die für das Verhalten eines jeden Teils verantwortlich ist. Jeder Teil ist ein Verhalten, und Leben ist das Verhalten, das aus den ganzen lokalen Interaktionen zwischen einzelnen Verhaltensweisen entsteht." [17]

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Das Modell des Museums als selbstorganisiertes autopoetisches System, wie Michael Fehr es Mitte der 90er Jahre vorschlug, kommt dieser strukturellen Sicht näher, indem es auf deplazierte Lebensmetaphern verzichtet. [18]
Die Institution Museum gerät durch Einbettungen in den aktuellen Netzdiskurs in eine zwiespältige Problematik. Zum einen erfährt das Museum eine Dynamisierung und Flexibilität, die Archiv und Sammlung nicht länger als unveränderliche Größen begreift, sondern die Kommunikationsbeziehungen zum Betrachter in den Mittelpunkt stellt. Die Sammlungsobjekte werden mehr denn je in Rezeptionskontexten gesehen, deren Beziehungsgeflechte zum Ausgangspunkt des Umgangs mit Kunst werden. Kunstgeschichte versteht sich unter solchen Voraussetzungen mehr denn je zuvor als ein Prozess permanenter Rekonstruktion und Vergegenwärtigung. Diese Sicht auf das Museum hatte bereits in den institutionskritischen Ansätzen der siebziger Jahre eingesetzt und lässt sich nicht als eine technologiegebundene Reaktion auf den Einzug der elektronischen Medien verstehen.

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Der aktuelle Diskurs der Vernetzung verdichtet die kommunikative Ausrichtung des Museums und führt Malrauxs Projekt der Intellektualisierung der Kunst im Feld der neuen Medien fort. Nicht die Kunstobjekte als solche stehen im Vordergrund, sondern die zahlreichen Beziehungen, die sie zwischen Besuchern, Kritikern, Sammlern und Forschern veranlassen. Diese Dynamisierung der Kunstrezeption verhält sich zunächst innovativ und stellt institutionelle Verkrustungen in Frage. Das lebendige Museum jedoch, wie es teilweise propagiert wird, vollzieht mit spektakulärem Schwung den Schritt von der Aktualität zu einer fiktiven Welt, deren Ansprüche Museumsgestalter und Museumsbesucher gleichermaßen überfordern und das Verhältnis zur Kunst trivialisieren. In der propagierten Lebendigkeit des Kunstwerks werden trotz aller zeitgeistigen Digitaleuphorie romantische Sehnsüchte spürbar, die auch im Rahmen der Institution Museum auf einen Werkprozess hoffen, der Natur nicht nur abbildet, sondern parallel zur Natur im Gestus von natura naturans das Werk hervorbringt.

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Der Netzdiskurs führt hier stellenweise zur emphatischen Formulierung von Lebensmetaphern, die auch den nüchternen Alltag der Kunstvermittlung vitalisieren wollen und sich ihrer historischen Ankoppelung an affirmative Haltungen gegenüber neuen Technologien nicht bewusst sind. Bereits die Erfahrungen der Industrialisierung und der Großstadt wurden in der zweiten Phase ihrer Rezeption als moderne Inkarnationen des Lebensstroms verstanden, welche die bedrückende Vorstellung der Entfremdung des Menschen gegenüber seinen technischen Hervorbringungen ablösten. Die aktuelle Begeisterung für ein Prinzip der Vernetzung, das biologische und technisch implementierte Verknüpfungen widerspruchslos versöhnt, ist der Ausdruck quasi-religiöser Erwartungen. Technologie und Leben sollen distanzlos miteinander verbunden werden. Das lebendige Museum steht für die Verheißung, dass Kunst nun endlich ohne ihre Sperrigkeiten beim Rezipienten angekommen ist. Kunstrezeption als Anstrengung löst sich auf, stattdessen wird der Ort der Kommunikation über Kunst zu einem selbständigen dialogischen System erklärt, das dem Kommunikationspartner Mensch gleichgesetzt wird und lustvolle Unterhaltung bietet. Das Museum wird sich und seine Arbeit stets im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs verorten müssen, doch unter einer unreflektierten Zeitgeistigkeit lässt sich das Potential des virtuell erweiterten Kunstraums als stets neu zu erfahrene Grenzziehung zwischen Fiktion und Realität nicht realisieren.

Anmerkungen

1Siehe hierzu als Beispiel die Publikation von Michael Gleich: Web of Live. Die Kunst vernetzt zu leben. Zusammenfassung: http://www.web-of-life.de (3.10.2002). Darin heißt es: "Die Natur organisiert alles Leben in Netzwerken. [..] Auch der Mensch organisiert sein Leben in Netzen: Internet und Telekommunikation, Mobilität, und Energieversorgung, Wissenschaft und vor allem die globalisierte Wirtschaft. [..] Wir brauchen einen neuen Leitfaden beim Weben von Netzen und sollten dabei von der Natur lernen. Zur Bionik (wo Biologie die Technik inspiriert) muss als neue Disziplin eine Bionik der Netze kommen."
2Paul Valéry: Die Eroberung der Allgegenwärtigkeit, in: Paul Valéry: Werke, Frankfurter Ausgabe in 7 Bänden, Band 6, Frankfurt/ Main 1995, 479-483, hier 479-480.
3Connectivity!. Verbindungen schaffen, in: Hannes Leopoldseder / Christine Schöpf (Hg.): Cyberarts. International Compendium Prix Ars Electronica, Wien / New York 1997, 58-69.
4Cyberarts: Prix Ars Electronica 1997, hier: 71.
5Zitiert nach der Internetseite zum Projekt: http://www.web-of-life.de/wolsiteNew/artwork/contentDt.html, (7.10.2002).
6Söke Dinkla / Christoph Brockhaus (Hg.): Connected Cities. Kunstprozesse im urbanen Raum, Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg und ausgewählte Standorte der Industriekultur, 20.6.-1.8.1999, Ostfildern-Ruit 1999.
7Das Zitat folgt einer frühen Beschreibung der Software, die im Sommer 2000 auf der Website http://www.thinkmap.com zu finden war. Das dort als PDF vorliegende Thinkmap White Paper stellt in seinen Zielsetzungen die komplexe und visuell ansprechende Präsentation von Information in den Mittelpunkt. Der Visual Thesaurus liegt seit Oktober 2002 in einer aktualisierten Version vor, die im Vergleich zur frühen Website Begriffsbeziehungen stärker kategorisiert und farblich verdeutlicht.
8Heiko Idensen / Matthias Krohn: Kunst-Netzwerke. Ideen als Objekte, in: Florian Rötzer (Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt/Main 1991, 372-396, hier: 382.
9Tilman Baumgärtel: Die Zukunft macht plopp!, in: telepolis, 8.1.2001: http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/inhalt/sa/
4632/1.html&words=Plopp
(02.05.2003).
10Virtual Guggenheim, http://www.guggenheim.org (7.10.2002).
11André Malraux: Das imaginäre Museum (1947), Frankfurt/Main 1987, 12.
12Roy Ascott: Der Geist des Museums, in: telepolis, 09.12.1996: http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/special/
arch/6077/1.html&words=Ascott%20Geist
, Absatz 2 (7.10.2002).
13Frances Heylighen: Auf dem Weg zum Global Brain, in: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Vom Sinn der Sinne. Schriftenreihe Forum, Band 8, Göttingen 1998, 302-318, hier: 308. Auch der französische Kulturtheoretiker Pierre Lévy und Timothy Druckrey argumentieren in eine ähnliche Richtung; siehe Pierre Lévy: Cyberkultur, in: Stefan Bollmann, Christiane Heibach (Hg.): Kursbuch Internet, Mannheim 1996, 56-82; Timothy Druckrey: C++, in: Nettime (Hg.), Netzkritik. Materialien zur Internet-Debatte, Berlin 1997, 120-126.
14Ascott: Geist des Museums, Absatz 7.
15Ascott: Geist des Museums, Absatz 4.
16Francisco J. Varela: Principles of Biological Autonomy, New York 1979.
17Christopher Langton, zitiert nach Ascott: Geist des Museums, Absatz 27.
18Michael Fehr: Understanding Museums. Ein Vorschlag: das Museum als autopoetisches System, in: Michael Fehr (Hg.): Platons Höhle: das Museum und die elektronischen Medien, Köln 1995, 11-20.

Autor

Sabine Fabo
FH Aachen
E-Mail: fabo@fh-aachen.de
Web: http://www2.design.fh-aachen.de

Empfohlene Zitierweise:

Sabine Fabo: Das Museum lebt? Der Diskurs der Vernetzung im virtuellen Kunstraum, in: zeitenblicke 2 (2003), Nr. 1 [08.05.2003],
URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/01/fabo/index.html>

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