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2 (2003), Nr. 2: Inhalt
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Zu dieser Ausgabe

 

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Wohin führt der Weg der Fachzeitschriften? Wohin führt unser Weg als Leser und Abonnent gedruckter Fachperiodika? Unter den alltäglichen Belastungen des Universitätsbetriebs wird sich der eine oder andere Historiker diese Frage vielleicht nie stellen. Die wichtigen Zeitschriften, so mag er denken, hat es immer gegeben. Und daran wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nichts ändern. Ein Leben ohne die 'Historische Zeitschrift'? Ohne die 'Zeitschrift für Historische Forschung'? Ohne die 'Annales', ohne 'Geschichte und Gesellschaft', ohne 'Past & Present'? Undenkbar. Kein Grund zur Besorgnis also, und erst recht kein Anlass, sich mit so exotischen Dingen wie historischen E-Journals zu befassen. In Bibliotheken, Ministerien und bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft sieht man die Sache allerdings ein bisschen anders – und weit weniger optimistisch.

 
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„Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst heißt Bibliothekskrise“, nicht ohne Grund wurde auf einem großen Bibliothekarstag des Jahres 2002 ein berühmter Ahnherr zitiert. Denn tatsächlich ziehen in den Instituten und Forschungsinstitutionen düstere Zeiten herauf: Dort, wo die Bibliotheksregale früher prall mit Fachzeitschriften gefüllt waren, herrscht heute nur allzu oft gähnende Leere. Angesichts der teilweise grotesk gestiegenen Preise für Zeitschriftenabonnements haben viele (Seminar)bibliotheken traditionsreiche Zeitschriften abbestellen müssen. Man fühle sich gezwungen, zu stornieren, was entweder doppelt vorhanden oder aber "nicht unbedingt nötig" sei, so lautet häufig das Argument. Was bleibt im Zuge der notwendigen Streichungsaktionen am Ende aber übrig von der anregenden Vielfalt der Fachzeitschriften? Und wo setzt der 'Rotstift' an?
 
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Die Apologeten des elektronischen Publizierens glauben die Antwort auf die Zeitschriftenkrise zu kennen: Rettung in höchster Not versprächen die elektronischen Journale, wie sie sich bereits mit Erfolg in den Naturwissenschaften etabliert hätten. Ihre Vorzüge seien unbestritten, ob in Bezug auf die Schnelligkeit der Veröffentlichung, die Einbindung multimedialer Materialien, den Einbau interaktiver Funktionen, die Platzersparnis oder eben auch die zu erwartende Kostensenkung. Hinzu kämen die – auch in wissenschaftshistorischer Perspektive – durchaus aufregenden Möglichkeiten eines Rollenwechsels': In den Zeiten des Internet hindere interessierte Wissenschaftler nichts daran, in Kooperation mit Hochschulbibliotheken und Universitätsrechenzentren ihre eigenen Verleger zu werden, mithin alternative, unabhängige Publikationsformen zu entwickeln.
 
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Anders als noch vor einiger Zeit beginnen solche Argumente auch in den Geisteswissenschaften allmählich auf fruchtbaren Boden zu fallen. In den vergangenen Jahren ist eine ganze Reihe neuer, experimenteller und kreativer E-Journals mit historischem Schwerpunkt entstanden, die sich ihre Leserschaft erobert haben. Andere Projekte – wie ein an der Universität Konstanz von Prof. Rudolf Schlögl initiiertes E-Journal zum Thema Mediengeschichte befinden sich in der Vorbereitungsphase.
 
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Doch bieten E-Journals schon jetzt eine realistische Alternative zu den gedruckten
Fachzeitschriften, das Patentrezept für die Lösung der Zeitschriftenkrise? Die vorliegende Ausgabe der zeitenblicke lädt zu einer kritischen Bestandsaufnahme ein. Es geht darum, einerseits die Potentiale historischer E-Journals, andererseits aber auch die 'Kinderkrankheiten' des elektronischen Publizierens zu benennen, die gerade in den Projektberichten immer wieder zum Ausdruck kommen: Nur in der Theorie tragen sich EJournals 'von selbst', auch der größte Enthusiasmus scheitert nach wie vor an den materiellen Bedingungen. In Hinsicht auf das Problem der Schaffung einer soliden technischen Grundlage mangelt es häufig noch ebenso an Erfahrung wie in Hinsicht auf die Langzeitarchivierung etc. So leicht es ist, ein entsprechendes Unternehmen – vielleicht sogar mit einer Anschubfinanzierung aus dritter Hand – auf den Weg zu bringen, so schwer fällt es den meisten Unternehmungen, den erforderlichen langen Atem aufzubringen. Von den Inhalten einmal ganz zu schweigen: Wie können 'Peer-Review'-Verfahren implementiert werden, die die Qualität der betreffenden Journale sichern? Wie gewinnt man 'gute' Schreiber für ein junges, gewöhnlich noch nicht mit der gleichen Attraktionskraft wie eine altehrwürdige Fachzeitschrift ausgestattetes E-Journal?
 
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Die in dieser Ausgabe publizierten Beiträge gehen zum Teil auf eine anlässlich des Historikertages in Halle 2002 veranstaltete Podiumsdiskussion zu den 'E-Journals in der Geschichtswissenschaft' zurück. Sie wollen das Thema aus einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven beleuchten, angefangen bei einem Streifzug durch die Geschichte der historischen Fachzeitschriften (Winfried Schulze) bis hin zu Versuchen, den 'state of the art' elektronischer Fachveröffentlichungen zu umreißen (Alice Keller, Matthias Schnettger). Der Bogen spannt sich von Erfahrungsberichten über den Umgang mit elektronischen Rezensionsmagazinen (Peter Helmberger) und Universitätsschriftenservern (Volker Schallehn) bis hin zu systematischen Nutzerevaluierungen (Sven Kuttner). Die Sicht des Verlegers findet dabei ebenso Beachtung (Vittorio Klostermann) wie die in letzter Zeit viel beschworene Forderung nach 'Open-Access'-Konzepten (Klaus Graf). Praxisberichte runden das Ganze ab. Für die internationale Erweiterung des Horizonts sorgt der amerikanische Historiker Robert Darnton, 'eigentlich' Spezialist für die Geschichte des Buchhandels und der verbotenen Bücher im Zeitalter der Aufklärung, der in einem virtuellen Interview beweist, dass die Liebe zu alten Büchern keineswegs mit der Passion für das Internet kollidieren muss ("I like contradictions").
 
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Den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus möchten wir überdies auch mit der neuen 'Forums'-Rubrik in den zeitenblicken verankern. In den zwei Versuchen, einmal aktuelle Trends und Tendenzen in der dänischen, zum anderen in der australischen Geschichtswissenschaft zu bestimmen, geht es auch, aber nicht nur um den Bereich der elektronischen Fachinformation. Dem geneigten Leser sei eine anregende Lektüre gewünscht.
 
Aachen und Mainz, im Oktober 2003
Gudrun Gersmann / Matthias Schnettger
 


ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459