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Michael Stephan
Steuer-, Devisen- und Einziehungsakten als neue Quellen der Zeitgeschichtsforschung
Abstract
Die Unterlagen der Finanzverwaltung sind in den letzten Jahren verstärkt als neue Quellengattung in das Blickfeld zeithistorischer Forschungen geraten. Für den Themenkomplex 'Raub und Wiedergutmachung' sind die zeitgenössischen Quellen besonders der Jahre 1933 bis 1945 vor allem wegen ihrer Unmittelbarkeit von großer Bedeutung. Zur verstärkten Nutzung der Finanzakten in der Forschung hat nicht zuletzt die liberaler gehandhabte Archivbenützungspraxis entscheidend beigetragen, die deswegen in diesem Beitrag näher erläutert wird. Zudem werden exemplarisch drei Quellengruppen aus dem Bereich der bayerischen Finanzverwaltung näher beleuchtet: Steuer-, Devisen- und Einziehungsakten. Sie dokumentieren den schrittweisen Vermögensentzug der jüdischen Bevölkerung von der Erfassung über die Entziehung bis zur Verwertung aus der Täterperspektive und werden hier nach Inhalt, Quantität, Aufbau und Aussagewert analysiert. Der Beitrag konzentriert sich dabei auf die Überlieferung dieser Akten in den staatlichen Archiven Bayerns.
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In den letzten Jahren sind - nicht zuletzt durch eine liberaler gehandhabte Archivbenützungspraxis - verstärkt die Unterlagen der Finanzverwaltung als neue Quellen in das Blickfeld zeitgeschichtlicher Forschungen getreten. Im Hinblick auf den speziellen Themenkomplex 'Raub und Wiedergutmachung' kommt bei diesen Unterlagen gerade den primären, zeitgenössischen Quellen aus den Jahren 1933 bis 1945 wegen ihrer Unmittelbarkeit eine besondere Bedeutung zu.
Im folgenden werden mit den Steuer-, Devisen- und Einziehungsakten aus dem Bereich der bayerischen Finanzverwaltung drei Quellengruppen exemplarisch hervorgehoben, die den schrittweisen Vermögensentzug der jüdischen Bevölkerung von der Erfassung über die Entziehung bis zur Verwertung quasi aus der Täterperspektive dokumentieren. Ausgangspunkt ist die heutige Überlieferung dieser Akten in den staatlichen Archiven Bayerns (mit Schwerpunkt Staatsarchiv München). Die einzelnen Aktengruppen werden nach Inhalt, Quantität, Aufbau und Aussagewert vorgestellt. Den Abschluss bilden einige Ausführungen über die momentan gültigen rechtlichen Grundlagen ihrer Benützung in den staatlichen Archiven Bayerns.
Überlieferung der Unterlagen der bayerischen Finanzverwaltung im Staatsarchiv München
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In der Finanzverwaltung werden wie bei der Arbeitsverwaltung allgemeine Vorschriften, Erlasse, Verfügungen und Schriftstücke von besonderer Bedeutung als 'Allgemeine Akten' (A-Akten) geführt. A-Akten werden nur bei den Oberfinanzdirektionen, nicht aber bei den Finanzämtern auf ihre Archivwürdigkeit hin überprüft. In dieser eher normativen Hinsicht ist im Bereich der Oberfinanzdirektion München (OFDM) für die Zeit vor 1945 (Landesfinanzamt München 1919-1937, Oberfinanzpräsident 1937-1945) aber ein weitgehender Überlieferungsverlust durch den Bombenangriff vom 23. April 1944 auf das Dienstgebäude in der Sophienstraße zu konstatieren.
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Um die Verluste bei der OFDM im Bereich der A-Akten auszugleichen, wurde im Staatsarchiv München (StAM) das Finanzamt Pfaffenhofen für den oberbayerischen Raum als Ersatzüberlieferung gewählt (Bestellsignatur: FinA 12805-13006; Laufzeit ab 1928). Das Findbuch mit Orts-, Sach- und Personen-/Institutionenregister ist nach dem Aktenplan der Finanzverwaltung gegliedert: Organisation und Verwaltung (O), darunter auch Geschäftsverteilungspläne der Oberfinanzdirektion München (FinA 12814); Personalangelegenheiten (P); Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen (H); Steuern (S), u.a. auch zur Reichsfluchtsteuer (FinA 12902, 12937), zur Judenvermögensabgabe (FinA 12978) und zur Ostarbeitersteuer (FinA 12938); Landessteuern, Gemeindesteuern usw. (L).
Als Ergänzung für den normativen Bereich sind auch ausgewählte Unterlagen der Finanzämter Burghausen (FinA 19863-19865), Dachau (FinA 19876), Fürstenfeldbruck (FinA 19883) und Wasserburg (FinA 19840-19846) heranzuziehen.
Steuerakten von Juden in den staatlichen Archiven Bayerns
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Unter den Massen der parallelen Sachakten der Finanzämter nehmen aus rechtlichen und historischen Gründen die Steuerakten von Juden einen besonderen Stellenwert ein. In den Jahren zwischen 1964 und 1969 wurden die bei den Finanzämtern im OFD-Bezirk München (in Niederbayern, Oberbayern und Schwaben) noch vorhandenen Akten der im 'Dritten Reich' aus rassischen Gründen verfolgten Steuerpflichtigen von der Bezirksfinanzdirektion (BFD) München angefordert, da die BFD München als Vertretungsbehörde des Freistaats Bayern in Rückerstattungsverfahren diese Unterlagen benötigte und auswertete. Von der BFD München wurden die Akten aller Steuerarten eines Steuerpflichtigen zu einem Steuerakt mit einer Signatur - unter Wahrung der ursprünglichen Einzelakten - zusammengefügt; insgesamt entstanden so bei der BFD München 4.175 Akten (alte Signatur im Staatsarchiv München: BFD II + Nr.). In aller Regel enthalten diese Gesamt-Steuerakten pro steuerpflichtigem Bürger, gelegentlich auch Ehepartner, häufig Geschäfts- oder Firmeninhaber, Unterlagen über die Einkommen-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer. Darüber hinaus finden sich in zahlreichen Fällen Akten mit den Betreffen 'Stundungen, Erlasse, Niederschlagungen', sodann 'Einheitswert'- und 'Firmenakten' sowie 'Betriebsprüfungsberichte'. Mit dieser Aktenvielfalt sollten von den zuständigen Finanzämtern die Vermögenswerte aller Auswanderungswilligen und Juden erfasst werden. Entsprechend betreffen die Akten in überwältigender Mehrheit deutsche jüdische Bürger, und deshalb enthalten diese Steuerakten in großer Häufigkeit 'Reichsfluchtsteuerakten' (ca. 700) und sogar mehr als doppelt so viele Akten zur Judenvermögensabgabe (ca. 1.600).

Abb. 1
(und in der Bildgalerie bis Abb. 5)

       
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Die BFD München hat den ganzen Komplex mit einer alphabetischen Kartei der Namen der Steuerpflichtigen (u.a. mit Angabe des zuständigen Finanzamtes) im Jahr 1973 an das Staatsarchiv München abgegeben. Nach einer Provenienzanalyse wurde der Bestand BFD II im Jahr 2000 auf die zuständigen Staatsarchive aufgeteilt zur Einordnung in die jeweiligen Finanzamtsbestände.
An das Staatsarchiv Augsburg wurden Steuerakten folgender Finanzämter abgegeben (8 lfd. m): Augsburg-Stadt, Augsburg-Land, Donauwörth, Günzburg, Illertissen, Kempten, Krumbach, Lindau, Mindelheim, Neu-Ulm, Nördlingen und Wertingen. An das Staatsarchiv Landshut wurden Steuerakten folgender Finanzämter abgegeben (0,80 lfd. m): Deggendorf, Dingolfing, Griesbach, Kötzting, Landshut, Neustadt/Donau, Straubing und Zwiesel. Im Staatsarchiv München verblieben die Zentralkartei und 3.188 Steuerakten folgender Finanzämter: Bad Tölz, Berchtesgaden, Laufen, Miesbach, München-Land, München-Nord, München-Süd, Pfaffenhofen, Rosenheim und Wolfratshausen (jetzt: FinA 16621-19808). Weitere 22 Steuerakten, die 1964 nicht an die BFD München abgegeben worden waren, kamen ins Staatsarchiv München über Abgaben des Finanzamtes München IV im Jahr 1988 (FinA 16013-16023), des Finanzamtes München II im Jahr 1996 (FinA 16458-16467) und des Finanzamts Starnberg im Jahr 1999 (zu FinA 18206).
Eine größere Anzahl von Steuerakten liegt noch als Anlage bei den in der OFD Nürnberg verwahrten Rückerstattungsakten (zu den ebenfalls dort liegenden Einziehungsakten s.u.).
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Ganz analog verlief die Archivierung der Steuerakten von ehemaligen rassisch verfolgten Steuerpflichtigen der nordbayerischen Finanzämter (OFD-Bezirk Nürnberg). Diese wurden ab 1964 bei der BFD Ansbach zentralisiert. Im August 1996 wurden diese Akten mit einem Abgabeverzeichnis an das Staatsarchiv Nürnberg abgegeben (Umfang: 79 lfd. m, 3.784 laufende Nummern) und im Jahr 1997 an die zuständigen Staatsarchive weitergegeben.
Das Staatsarchiv Amberg erhielt 332 Steuerakten (8,20 lfd. m) folgender Finanzämter: Amberg, Cham, Neumarkt/OPf., Neunburg v. W., Regensburg, Schwandorf, Waldsassen und Weiden.
Das Staatsarchiv Bamberg erhielt 1.376 Steuerakten (32,20 lfd. m) folgender Finanzämter: Bamberg, Bayreuth, Forchheim, Hof, Kulmbach, Lichtenfels und Wunsiedel.
Das Staatsarchiv Coburg erhielt 32 Steuerakten (0,40 lfd. m) des Finanzamtes Coburg.
Das Staatsarchiv Würzburg erhielt 923 Steuerakten (10,60 lfd. m) folgender Finanzämter: Amorbach (mit Klingenberg), Aschaffenburg, Brückenau, Ebern, Gerolzhofen, Hofheim, Bad Kissingen (mit Hammelburg), Kitzingen, Lohr, Marktheidenfeld, Bad Neustadt/S., Schweinfurt und Würzburg.
Beim Staatsarchiv Nürnberg verblieben 1.140 Steuerakten (27,60 lfd. m) folgender Finanzämter: Dinkelsbühl, Eichstätt, Feuchtwangen, Fürth, Gunzenhausen, Hersbruck, Hilpoltstein, Nürnberg-Ost, Nürnberg-West, Zentralfinanzamt (ZFA) Nürnberg und Schwabach.
Devisenakten in den Staatsarchiven München und Nürnberg
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Am 15. Juli 1931 war für das Deutsche Reich "zum Schutz der Währung und zwecks Verhinderung von Kapitalflucht" die Devisenbewirtschaftung eingeführt worden. Dazu wurden Devisenstellen bei den Landesfinanzämtern (ab 1937 Oberfinanzpräsidenten) eingerichtet, die die Ausfuhr von Geldvermögen von Auswanderungswilligen kontrollierten und gegebenenfalls mit den Zollfahndungsstellen gegen Verstöße vorgingen. Ähnlich wie die Überwachung des Devisenverkehrs war die so genannte 'Reichsfluchtsteuer', die auf der Basis einer Notverordnung vom Dezember 1931 von den Finanzämtern erhoben wurde, eine Maßnahme gegen Kapitalflucht.
Beide Normen erfuhren ab 1933 allerdings massive Verschärfungen in Inhalt und Vollzug und führten zur Zusammenarbeit mit der politischen Polizei bei der Überwachung der genehmigten und ungenehmigten Emigration.
Von den bei den Landesfinanzämtern (ab 1937 Oberfinanzpräsidenten) München und Nürnberg eingerichteten und zum Teil in Genehmigungs- und Überwachungsabteilungen gegliederten Devisenstellen ist jeweils umfangreiche Überlieferung vorhanden.
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Das Staatsarchiv München hat im Jahr 1978 von der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung der OFD München Unterlagen der 1947 neu errichteten Devisenstelle übernommen. Bei dieser Abgabe wurden auch Reste der älteren Überlieferung aus der Zeit vor 1945 übernommen, soweit diese nicht im Dezember 1944 bei dem Bombenangriff auf das Gebäude der Devisenstelle in der Arcostraße 2 vernichtet worden sind. Zu den Verlusten zählen vor allem die Strafakten der Überwachungsabteilung.
Gut dokumentiert ist der normative Bereich zum Devisenrecht (OFD 307-395). Hier finden sich die einschlägigen Devisengesetze, -verordnungen und -bestimmungen; weiter Runderlasse, Mitteilungen und Bekanntmachungen des Reichswirtschaftsministers, der Oberfinanzpräsidenten Berlin und München.
Der Organisation und dem Arbeitsablauf der Devisenstelle München ist ein eigener Abschnitt gewidmet (OFD 396-486). Hier finden sich auch - als Überlieferungsrest - zehn Akten zu jüdischem Vermögen (OFD 413-423), wobei die Devisenüberwachung der Familie Bernheimer in München am besten dokumentiert ist (OFD 414-419).
Für die Jahre 1932 bis 1942 liegen Devisenprüfungsberichte vor (OFD 2263-2328); hierbei handelt es sich um Sammelakten über einzelne Firmen, die nach Wirtschaftszweigen geordnet sind. Explizit jüdische Firmen sind in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst (OFD 2318-2320).
Aus den Jahren 1941 bis 1945 sind weiter 713 Einzelfallakten überliefert, in der Regel Ermittlungsverfahren wegen Devisenvergehen von Einzelpersonen (OFD 487-1180).
In diesem Zusammenhang ist noch auf ein devisenrechtliches Gutachten des ehemaligen Leiters der Devisenstelle, Dr. Georg Laforet, hinzuweisen, das 1949 im Strafverfahren gegen Hans Wegner, den berüchtigten Leiter der 'Arisierungsstelle' München, Berücksichtigung fand (StAM, Staatsanwaltschaft 17856/2, fol. 191-199).

Abb. 6

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Beim Staatsarchiv Nürnberg sind aus den Jahren 1931 bis 1945 1.710 Devisenprüfungsakten überliefert. Dabei handelt es sich um nach Firmennamen geordnete Einzelfallakten samt Betriebsprüfungen. Die Unterlagen im Staatsarchiv Nürnberg (wie auch im Staatsarchiv München) enthalten auch Korrespondenzen mit den ansonsten bestandsmäßig nicht mehr greifbaren Zollfahndungsstellen München und Nürnberg.
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Die entsprechende Überlieferung des Oberfinanzpräsidiums Mainfranken muss hingegen als verloren gelten, wie ja die Akten dieser Behörde insgesamt bis auf Restbestände im Staatsarchiv Würzburg und im Landesarchiv Speyer als vernichtet angesehen werden.
Einziehungsakten bei der Oberfinanzdirektion Nürnberg
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Mit dem Gesetz über den 'Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit' vom 14. Juli 1933 konnte Vermögen von Reichsangehörigen, die sich im Ausland aufhielten, bei der Einleitung eines Aberkennungsverfahrens beschlagnahmt und nach der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit als dem Reich verfallen erklärt werden. Mit der Durchführung der Beschlagnahmungen wurde zentral das Finanzamt Berlin Moabit-West beauftragt, das eng mit den Staatspolizeistellen und den zuständigen Finanzämtern zusammenarbeitete.
Die Überlieferung dieses Finanzamtes, das auch Vermögensfeststellungen für emigrierte bayerische Juden dokumentiert, gelangte 1989 in das Berliner Landesarchiv.
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Anders verfuhr man bei der 'Einziehung' (in den Aktenbetreffen auch als 'Verwaltung und Verwertung' bezeichnet) des Vermögens von zur Deportation anstehenden Juden. Dafür wurde nach einem geheimen Erlass vom 4. November 1941, der für die 'Abschiebung der Juden' genaue Anweisungen gab, und nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, demzufolge das Vermögen jüdischer Bürger mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Deutschen Reich verfiel, eine zentrale Sonderdienststelle eingerichtet: die Vermögensverwertungsstelle bei dem Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg. 1942 wurde die Zuständigkeitsregelung nach dem Wohnsitzprinzip geändert, so dass bei den einzelnen Oberfinanzpräsidien zur Erfassung dieser Vermögen eigene Dienststellen für Vermögensverwertung gebildet wurden.
Die Akten der zentralen Sonderdienststelle sind im Landesarchiv Berlin überliefert, die regionalen Einzelfallakten sind bei den Unterlagen der einzelnen Oberfinanzpräsidien zu suchen.
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Die so genannten 'Einziehungsakten' der Dienststelle für Vermögensverwertung beim Oberfinanzpräsidenten in München sind erhalten geblieben. Sie gingen nach Kriegsende in die Akten ein, die die OFD München in ihrer Eigenschaft als Vertreterin des ehemaligen Deutschen Reichs in den Verfahren zur Rückerstattung feststellbarer Vermögenswerte anlegte (nun wird der Vorgang durchweg als 'Entziehung' bezeichnet). Mitte der 1970er-Jahre wurden sie mit dem Übergang der Zuständigkeit für Rückerstattungsangelegenheiten an die OFD Nürnberg abgegeben, wo sie derzeit noch liegen.
Im so genannten 'Münchner Keller' der OFD Nürnberg befinden sich ca. 13.000 Fallakten, von denen ca. 5.000 reine Rückerstattungsakten sind. Die knapp 8.000 übrigen Akten sind zum einen Rückerstattungsakten, denen jeweils ein originaler Einziehungsakt beiliegt, zum anderen bestehen sie nur aus dem Einziehungsakt (etwa 60 Prozent). Etwa 10 Prozent dieser Akten enthalten als Anlage auch noch die originalen Steuerakten der Finanzämter, sind also nicht über die Bezirksfinanzdirektionen München und Ansbach an die Staatsarchive München und Nürnberg gelangt.
Die zum Zwecke der Beweiserhebung den Rückerstattungsakten beigefügten Einziehungsakten spiegeln den gesamten fiskalischen Verfolgungs- und Ausplünderungsprozess wider. Sie enthalten neben der Überlieferung der Dienststelle für Vermögensverwertung auch Unterlagen von Gestapo, Finanzämtern (z.B. im Akt BA 1274 über Prof. Dr. Otto Neubauer aus München alle Steuerakten als Anlage), Devisenstellen, Zollfahndungsstellen, Kommunalverwaltungen und Banken. Niederschlag findet darin auch das Handeln der 'Arisierungsprofiteure' wie etwa Speditionsfirmen, Treuhänder, Rechtsanwälte und Schätzer.
Eine Abgabe der Einziehungsakten und auch der teilweise beiliegenden Steuerakten an das dafür zuständige Staatsarchiv München ist noch nicht erfolgt. Mitarbeiter des Forschungsprojekts 'Die Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern' haben aber im November 2001 einen ausführlichen Bericht über diese Aktengruppe vorgelegt. Der Bericht enthält eine alphabetisch nach den Namen der Verfolgten angelegte Übersicht, die diesen Bestand erschließt. Eine Kopie im Staatsarchiv München dient derweil als Findmittel.
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Die Einziehungsakten des Oberfinanzpräsidenten in Nürnberg müssen als verloren gelten. In den Parteiakten zu den Rückerstattungsverfahren im nordbayerischen Bereich konnten keine Einziehungsakten festgestellt werden. In den Akten enthaltene Auskünfte lassen darauf schließen, dass diese Unterlagen während der Zeit des Zweiten Weltkriegs in den Räumen des Nürnberger Zentralfinanzamts ein Opfer der Luftangriffe wurden.
Rechtliche Grundlagen für die Benützung von Unterlagen der Finanzverwaltung
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Das Bayerische Staatsministerium der Finanzen hat mit Schreiben vom 15. Februar 1999 die Oberfinanzdirektionen München und Nürnberg gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass - sofern nicht schon in früheren Jahren geschehen - folgende Unterlagen noch im 1. Halbjahr 1999 an die Staatsarchive abgegeben werden:
Sämtliche Unterlagen der Oberfinanzdirektionen und der Finanzämter, die Aufschluss über die Behandlung rassisch Verfolgter geben können, insbesondere Vorgänge zur Reichsfluchtsteuer, zur Judenvermögensabgabe, zur Mitwirkung der Steuerverwaltung bei der Erfassung und beim Einzug jüdischen Vermögens sowie einschlägige allgemeine Anweisungen, Rundschreiben und statistische Zusammenstellungen.
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Wenn es auch in Folge dieses Schreibens nicht zu der erwarteten Abgabeflut von entsprechenden Unterlagen kam, war doch im Bereich des Archivbenützungsrechts auf die vermehrten Anfragen zu diesem Themenbereich zu reagieren. In einem Rundschreiben der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns vom 19. Juli 1999 wurden alle Staatsarchive über die Benützung von Steuerakten informiert:
Die Benützung von Archivalien, die dem Steuergeheimnis (§ 30 der Abgabenordnung) unterliegen, ist für den Bereich der staatlichen Archive in Art. 10 des Bayerischen Archivgesetzes geregelt. Danach greifen hier die Bestimmungen von § 5 des Bundesarchivgesetzes, d.h. dieses Archivgut durfte erst 80 Jahre nach Entstehen benutzt werden. Eine Verkürzung der Schutzfrist war nicht vorgesehen.
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Hier ist mittlerweile durch das Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes vom 5. Juni 2002 eine wesentliche Verbesserung eingetreten. In dem langwierigen Gesetzgebungsverfahren zur Änderung von § 5 ist es zwar nicht gelungen, die unverkürzbare 80jährige Schutzfrist durch eine auf 50 Jahre verkürzbare Schutzfrist zu ersetzen, wie ursprünglich intendiert. Die neue gesetzliche Regelung stellt jedoch einen auch für die archivarische Praxis vertretbaren Kompromiss dar: Die Schutzfrist wurde von 80 auf 60 Jahre reduziert; diese Frist kann jedoch auch in Zukunft nicht verkürzt werden. Eine zusätzliche Stichtagsregelung mit Beginn der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (die Schutzfrist gilt nicht für Unterlagen aus der Zeit vor dem 23. Mai 1949) ermöglicht aber bereits jetzt den Zugang für bestimmte wissenschaftliche Forschungsarbeiten und zur Wahrnehmung berechtigter Belange.
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Nicht dem Steuergeheimnis nach § 30 der Abgabeordnung unterliegen dagegen (und sind daher auch frei benutzbar) solche Akten der Finanzbehörden oder sonstiger Stellen, die nicht mit einem Steuerverfahren in Verbindung zu bringen sind. Vermögenskontrollakten und Entschädigungsakten fallen in der Regel nicht unter das Steuergeheimnis.
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Ebenfalls nicht unter das Steuergeheimnis fallen Akten der Finanzbehörden über deren Mitwirkung bei der Verwertung von eingezogenem Vermögen, Akten zur Judenvermögensabgabe sowie zu sonstigen Maßnahmen gegen Juden (beispielsweise: Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 - Reichsgesetzblatt (RGBl) I 414; Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12. November 1938 - RGBl I 1579; Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden vom 21. November 1938 - RGBl I 1638; 2. Durchführungsverordnung über Sühneleistung der Juden vom 19. Oktober 1939 - RGBl I 2054; Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 - RGBl I 1580; Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben vom 12. November 1938 - RGBl I 1581).
Die Judenvermögensabgabe, in den Akten gelegentlich auch kurz 'Juva' genannt, wird in § 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden vom 21. November 1938 so definiert: "Die Kontribution von einer Milliarde Reichsmark wird als Vermögensabgabe von den Juden deutscher Staatsangehörigkeit und von den staatenlosen Juden eingezogen (Judenvermögensabgabe)" (RGBl I, 1938, 1638).

Abb. 7

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Auch die von Juden vorsorglich einbehaltene Reichsfluchtsteuer muss spätestens seit 1938 nicht mehr als dem Steuergeheimnis unterliegende Steuer, sondern als besondere Form der Vermögensabgabe angesehen werden. Die Reichsfluchtsteuer war bereits - wie oben ausgeführt - 1931 eingeführt worden (veröffentlicht unter dem vollständigen Titel 'Reichsfluchtsteuer und sonstige Maßnahmen gegen die Kapital- und Steuerflucht' als Bestandteil der 'Vierten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen zum Schutze des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931' - RGBl I, 1931, 731).

Autor:
Dr. Michael Stephan
Archivdirektor
Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns
Schönfeldstr. 5-11
80539 München

michael.stephan@gda.bayern.de

Empfohlene Zitierweise:

Michael Stephan: Steuer-, Devisen- und Einziehungsakten als neue Quellen der Zeitgeschichtsforschung, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 2, [13.09.2004], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2004/02/stephan/index.html>

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