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Matthias Schnettger
Die Reichsgerichtsbarkeit in Italien in der Frühen Neuzeit.
Das Beispiel Ligurien [1]
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Der Beitrag skizziert die allgemeinen politischen und institutionellen Rahmenbedingungen für die Ausübung der Reichsgerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Italien. Mit einem Blick auf die Quellenbestände sowie auf das Fallbeispiel Ligurien zeigt er mögliche Richtungen für die weitere Forschung auf.
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Reichsgerichtsbarkeit in Italien in der Frühen Neuzeit? Einer Reichsgeschichtsschreibung, die sich in den vergangenen Jahrzehnten zumeist auf das Verfassungsleben des deutschen Reichsteils konzentriert, ja teilweise das Reich als "komplementären Reichs-Staat der deutschen Nation" beschrieben hat, mag dieses Thema zunächst fremd vorkommen. [2] Der Beitrag möchte jedoch zeigen, dass dieses auf den ersten Blick ein wenig 'exotisch' anmutende Thema im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der frühneuzeitlichen Reichsgerichtsbarkeit durchaus Interesse beanspruchen darf.
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Vorauszuschicken ist, dass es eine intensive, systematische Forschung, die auch nur entfernt mit der Erforschung der Reichsgerichtsbarkeit im deutschen Reichsteil zu vergleichen wäre, nicht gibt. Die folgenden Ausführungen können daher nicht mehr als eine Problemskizze sein. Der erste Teil soll eine knappe Vorstellung davon geben, was man sich unter Reichsitalien in der Frühen Neuzeit überhaupt vorzustellen hat. Der zweite Abschnitt widmet sich denjenigen Institutionen, die für die Ausübung der Jurisdiktion von Kaiser und Reich in Italien von Bedeutung waren. Es folgen einige Bemerkungen zu den Quellen. Abschließend soll das Fallbeispiel Ligurien zur Illustration des vorher Gesagten dienen.
Einleitung: Reichsitalien in der Frühen Neuzeit
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Überschreiten wir also die Alpen und begeben wir uns nach Reichsitalien, in die Reste des alten, ursprünglich langobardischen Regnum Italiae, das zusammen mit dem deutschen und dem burgundischen Königreich das mittelalterliche Imperium Romanum konstituierte und dessen Bindungen an Kaiser und Reich auch in der Neuzeit keineswegs abbrachen, das aber die im Kontext der Reichsreform seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert zu verortenden Modernisierungs- und Verdichtungstendenzen nicht mitvollzog. Insbesondere besaßen die italienischen Fürsten - mit Ausnahme des Herzogs von Savoyen [4] für seine zum Oberrheinischen Reichskreis zählenden Stammlande - keinen Sitz im Reichstag, [5] und eine Reichskreisorganisation gab es auf der Apenninenhalbinsel nicht. Vielmehr fußten die Beziehungen der oberitalienischen Reichsvasallen zu Kaiser und Reich nach wie vor auf einer feudalrechtlichen Grundlage. Diese Basis erwies sich allerdings, zumal was die kleinen Lehen betraf, als bemerkenswert stabil und tragfähig. 'Feudalrechtliche Grundlage' bedeutet in diesem Kontext keineswegs, dass sich die Beziehungen in beim Tode von Lehnsherrn bzw. Vasallen erforderlichen formalen Investiturerneuerungen erschöpft hätten - obwohl dieses Element keineswegs unterbewertet werden sollte! Vielmehr räumten die lehensrechtlichen Grundlagen Kaiser und Reich in Bezug auf die italienischen Vasallen auch finanzielle und nicht zuletzt jurisdiktionelle Kompetenzen ein.
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Kaiser und Reich beanspruchten also die Oberhoheit über weite Teile Ober- und Mittelitaliens. Im Wesentlichen erstreckten sich diese Ansprüche auf sämtliche Gebiete nordwestlich der Grenzen des Kirchenstaats und der Republik Venedig. Bisweilen wurden aber selbst Teile des Kirchenstaats als Reichslehen reklamiert, und auch die Erinnerung daran, dass die venezianische Terra ferma aus ehemaligen Feuda imperialia bestand, war noch keineswegs verblasst. Umgekehrt beanspruchte der Papst die Lehenshoheit über verschiedene Gebiete, die außerhalb des eigentlichen Kirchenstaats lagen, insbesondere das Herzogtum Parma-Piacenza. Außerdem strebten einige der größeren Principi die völlige Souveränität an. Dies gilt etwa für die Medici, deren 1569/76 erreichte Erhebung in den Großherzogsrang keineswegs nur Ausdruck einer leeren Eitelkeit war. [6] Interessant ist aber etwa auch der Fall der Republik Genua, die zunächst mit Hilfe kaiserlicher Privilegien ihre 'libertà' zu sichern suchte, ab 1637 jedoch aus eigener Machtvollkommenheit die volle Souveränität beanspruchte. [7]
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Doch auch in den größeren italienischen Territorien, die prinzipiell die Oberhoheit des Reich anerkannten, waren die Zugriffsmöglichkeiten von Kaiser und Reichshofrat offensichtlich gering. Einen König von Spanien als Herzog von Mailand vor den Reichshofrat zu zitieren, war ein schwieriges Unterfangen, und der Mailänder Senato wachte eifersüchtig über seine Jurisdiktionsrechte. Insbesondere wenn es um Fragen der 'Großen Politik' ging, war die Gefahr, dass Kaiser und Reich in eine Statistenrolle abgedrängt werden würden oder dass ihre Ansprüche von den europäischen Mächten beiseite geschoben werden würden, groß. Dies war nicht zuletzt der Fall bei den zahlreichen dynastischen Krisen, die die Geschichte des frühneuzeitlichen Italien so nachhaltig prägten. Doch sowohl beim Aussterben der Mantuaner Hauptlinie der Gonzaga in den 1620er-Jahren als auch in der Situation des absehbaren Erlöschens der Medici wie der Farnese führte der Kaiser seine Ansprüche als oberster Lehnsherr ins Feld. [8] Am nachhaltigsten vermochte er seinen Einfluss jedoch im Jahr 1708 in die Waagschale zu werfen, als nach der Ächtung Ferdinando Carlos von Gonzaga-Nevers das Herzogtum Mantua als heimgefallen eingezogen und den österreichischen Besitzungen in Italien zugeschlagen wurde. [9] Insbesondere das letztgenannte Beispiel zeigt, dass die Rechtsprechung des Reichshofrats in politisch brisanten Fällen von den jeweils aktuellen Konjunkturen beeinflusst wurde - und von den Interessen des Hauses Habsburg bzw. der Großmacht Österreich.
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Deutlich anders war die Situation in den kleinen Reichslehen. Diese bestanden zum Teil aus nicht mehr als ein oder zwei kleinen Dörfern irgendwo in einer entlegenen Bergregion. Der Eindruck einer in manchen Gegenden extremen territorialen Kleinteiligkeit verstärkt sich noch, wenn man sich vergegenwärtigt, dass selbst die kleinsten Lehen häufig noch unter verschiedene Besitzer aufgeteilt waren. Andererseits verfügten manche italienische Adlige gleich über eine ganze Reihe von feuda imperialia. Dass diese kleinen und kleinsten Ländchen der Reichsgerichtsbarkeit schon aus machtpolitischen Gründen ganz andere Zugriffsmöglichkeiten boten als die größeren italienischen Fürstentümer, versteht sich von selbst. So wie die territorial zersplitterten Landschaften des deutschen Südwestens gelegentlich als das eigentliche Reich verstanden wurden und werden, so erscheinen in den Quellen nicht selten die kleinen Lehen als die eigentlichen Feuda imperialia, man könnte vielleicht noch weiter gehen und sagen: als das eigentliche Reichsitalien. [10]
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Allerdings waren die kleinen Feuda imperialia in steigendem Maße dem Druck der benachbarten Principi ausgesetzt. Ein Vasall nach dem anderen verkaufte, teils mehr oder weniger freiwillig, teils eindeutig unter Zwang, sein Lehen oder erkannte die Superioritas territorialis eines größeren Fürsten an. Grundsätzlich suchte der Kaiserhof dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Um den Preis kurzfristiger politischer Vorteile Willen leistete er ihr allerdings selbst bisweilen Vorschub. So setzte schon Kaiser Leopold I., um den Herzog von Savoyen im Kampf gegen das Frankreich Ludwigs XIV. auf seine Seite zu ziehen, 1690/1703 die Vasallen in den Langhe dem Zugriff Turins aus, bevor Karl VI. sie im Wiener Präliminarfrieden von 1735 endgültig der Superioritas territorialis des nunmehrigen Königs von Sardinien unterstellte. [11]
Die Institutionen [12]
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Wie für den deutschen Reichsteil, beanspruchte der Kaiser auch für die italienischen Lehen den Status des obersten Richters. Anders als in den Gebieten nördlich der Alpen übte für die 'welschen Lehen' jedoch allein der Reichshofrat die oberste Gerichtsbarkeit aus; [13] das Reichskammergericht spielte hier praktisch keine Rolle. [14] Die konkurrenzlose Zuständigkeit des Reichshofrats erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass er das alleinige höchste Reichslehnsgericht war. Waren doch die Bindungen Italiens an das Reich, wie geschildert, in erster Linie feudalrechtlicher Natur. So beschäftigte sich der Reichshofrat mit allen Fragen der ordnungsgemäßen Belehnung der italienischen Reichsvasallen. Zugleich aber nahm er auch die Zuständigkeit für Streitigkeiten um den Besitz von Lehen, für Grenzkonflikte, für Untertanenprozesse, für Lehnsentzug und Felonie, kurz: für jede Art von Rechtsstreit, die mit den Feuda imperialia zusammenhing, in Anspruch und war die oberste Appellationsinstanz für ganz Reichsitalien. Obgleich die Zahl der Causae aus dem deutschen Reichsteil deutlich höher lag, war doch der Anteil der die nichtdeutschen Reichsgebiete betreffenden Fälle so groß, dass hierfür, analog dem Aufbau der Reichshofkanzlei, eine eigene lateinische Expedition bestand, die sich zum weitaus größten Teil mit italienischen Fällen befasste. Seit 1651 wurde sogar ein eigener Reichshofratssekretär für die lateinische Expedition beschäftigt. Die Prozessordnung für die italienische Lehen betreffenden Fälle unterschied sich nicht von der für die Fälle der deutschen Expedition. Die Bezeichnung 'lateinische Expedition' verweist allerdings darauf, dass die Verhandlungssprache in diesen Prozessen Lateinisch war. Italienische Eingaben der Parteien wurden in aller Regel zurückgewiesen.
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Dem Reichshofrat zugeordnet war der Reichshoffiskal, [15] eine Art Staatsanwalt in Reichssachen. Für dessen Arbeit spielte Italien eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Galt es unter anderem doch immer wieder, entfremdete oder verschwiegene Reichslehen ausfindig zu machen.
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Bekanntlich war schon im Mittelalter ein Hauptproblem der Italienpolitik der deutschen Könige und Römischen Kaiser gewesen, wie sie ihre Herrschaft auf der Apenninenhalbinsel zur Geltung bringen konnten, wenn sie persönlich abwesend waren. Diese Frage stellte sich, wenngleich unter stark veränderten Rahmenbedingungen, auch in der Frühen Neuzeit, denn Karl V. war nicht nur der letzte römisch-deutsche Kaiser, der sich 1530 zum König des Regnum Italiae krönen ließ, er war auch der letzte, der während seiner Regierung und offiziell überhaupt die Halbinsel besuchte. Und die deutschen, die Kaiserkrone tragenden Habsburger verfügten bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts über keine eigene territoriale Basis in Italien, die es ihnen ermöglicht hätte, ihrem Anspruch auf die oberstrichterliche Gewalt Nachdruck zu verschaffen. Dies änderte sich im Zuge des Spanischen Erbfolgekriegs, insbesondere durch den Gewinn Mailands und Mantuas, doch wurden die neuen Besitzungen, obzwar Reichslehen, in erster Linie als habsburgisch-österreichische Territorien betrachtet und entsprechend verwaltet.
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Um die Ansprüche des Reichs in Italien unter den geschilderten Voraussetzungen zu wahren, war das alte Institut der Reichsvikariate nur bedingt geeignet. Diente diese von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Übertragung der Kompetenzen von Kaiser und Reich, bezogen zumeist auf einen Teil der italienischen Lehen, an einen italienischen Fürsten doch je länger je mehr der Befestigung der Macht des begünstigten Principe, nicht des Kaisers. Eine einigermaßen schillernde Rolle spielte während der Frühen Neuzeit der Gedanke eines ganz Reichsitalien umfassenden Generalvikariats mit weit reichenden Vollmachten. Einer der Aspiranten auf dieses Amt war Philipp II. von Spanien, der sich insbesondere zu Beginn seiner Regierung bemühte, das Amt eines Generalvikars übertragen zu bekommen. Doch sein Onkel Ferdinand I. verweigerte ihm dies, wohl wissend, dass er damit zwar de jure die Rechte des Reichs gewahrt, sich selbst jedoch de facto jeglicher Einflussmöglichkeiten auf der Halbinsel begeben hätte. Ebensowenig drangen die Herzöge von Savoyen mit ihrem insbesondere im 18. Jahrhundert formulierten Anspruch durch, neben dem Vikariat für ihre eigenen Territorien ein allgemeines Reichsvikariat für Italien vacante throno, vergleichbar dem der deutschen Reichsvikare, zu besitzen. So plante der Turiner Hof zwar noch 1790 die Einrichtung eines Vikariatsgerichts für Italien, gelangte damit aber nicht zum Zuge. [16]
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Da das Reichsvikariat keine brauchbare Möglichkeit darstellte, die Reichsgerichtsbarkeit in Italien zur Geltung zu bringen, griffen die Kaiser des 16. und frühen 17. Jahrhunderts auf die Ernennung von Kommissaren zurück. Zu deren Aufgaben konnte es beispielsweise zählen, durch Untersuchungen vor Ort die Basis für die spätere Urteilsfindung des Reichshofrats zu legen, als Schlichtungsinstanz vor Ort zu wirken oder die Verwaltung eines umstrittenen Lehens im Namen des Kaisers zu übernehmen. Unter den Kommissaren finden sich sowohl Deutsche als auch Italiener. Insbesondere im 16. Jahrhundert spielte auch die Delegation von Rechtsstreiten an andere Gerichte eine wichtige Rolle. Am bekanntesten ist wohl der Konflikt um das ligurische Lehen Finale, dessen Untersuchung und Entscheidung Kaiser Ferdinand I. 1563 dem spanischen König in seiner Eigenschaft als Herzog von Mailand übertrug. [17]
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Angesichts unbefriedigender Erfahrungen mit den fallweise ernannten Kommissaren und nicht zuletzt auf der Basis des Berichts des Reichshofrats Paul Garzweiler, der 1603/1604 selbst als Kommissar in Italien geweilt hatte, ging der Kaiserhof zu Beginn des 17. Jahrhunderts dazu über, einen einzigen Generalkommissar für ganz Reichsitalien zu ernennen. Dieser entstammte jeweils einer vornehmen, doch nicht zu mächtigen italienischen Familie. Auf Empfehlung des Reichshofrats wurden ab 1639, als die Amtszeit Giovanni Andrea Dorias nicht verlängert wurde, Kommissare wieder fallweise eingesetzt. [18]
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Die Ernennung Carlo Borromeo Areses zum kaiserlichen Plenipotentiar 1715 markiert eine Zäsur in der Institutionengeschichte Reichsitaliens: [19] Nach der Vorgeschichte der Generalkommissare des 17. Jahrhunderts trat nunmehr eine wirkliche Zentralbehörde für die italienischen Lehen ins Leben. Die neue Institution war nicht nur, aber insbesondere auch für die Ausübung der Reichsgerichtsbarkeit in Italien von zentraler Bedeutung. Bereits seit 1690 wurde ein eigener Reichsfiskal für Italien ernannt, [20] der nunmehr der Plenipotenz zugeordnet wurde. Die praktische Bedeutung des Plenipotentiars in Fragen der Reichsgerichtsbarkeit ist beim derzeitigen Forschungsstand kaum präzise zu fassen. Es ist aber festzuhalten, dass der Reichshofrat dazu tendierte, den Plenipotentiar am kurzen Zügel zu halten, während jener bestrebt war, sich einen möglichst großen Freiraum zu erwerben. Zwar gelang es nie, die Plenipotenz zu einer vollwertigen, dem Reichshofrat vorgeschalteten Instanz für die italienischen Lehen auszubauen, im Rahmen der Durchführung von Lokalkommissionen und als Schlichtungsstelle spielte sie jedoch eine wichtige Rolle.
Die Quellen
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Aus dem, was über die Institutionen gesagt wurde, geht hervor, dass die zentrale Überlieferung für die Ausübung der Reichsgerichtsbarkeit in Italien im Archiv des Reichshofrats im Haus-, Hof und Staatsarchiv [www.oesta.gv.at/bestand/hharchiv/fr_1_hh.htm] (HHStA) in Wien zu suchen ist. Hier ist in allererster Linie der Bestand der Iudicialia latina von Interesse, der die Reichshofratsprozesse der lateinischen Expedition dokumentiert. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die Akten insbesondere für die das 16. und 17. Jahrhundert oft unvollständig sind, empfiehlt es sich jedoch, auch andere Bestände zu konsultieren. So kann ein Blick in die Reichshofratsprotokolle hilfreich sein, um den äußeren Verlauf eines Prozesses zu rekonstruieren. Die Lehensakten der lateinischen Expedition (Bestand Feuda latina) enthalten nicht nur wichtige Hintergrundinformationen zu den einzelnen Lehen, sondern bisweilen auch Material, das von direkter Relevanz für einen Straf- oder Zivilrechtsprozess ist, etwa wenn es um einen Besitzstreit ging. Zu einigen Causae liegen, teils in den Iudicialia oder Feuda latina, teils aber auch in besonderen Beständen [21] ausführliche Reichshofratsvoten oder -relationen vor, die nicht nur die Position des Reichshofrats selbst wiedergeben, sondern durch die detaillierte Schilderung des betreffenden Streitfalls und Prozessverlaufs eine zumindest partielle Rekonstruktion fehlender Akten ermöglichen. Für fiskalische Prozesse sind natürlich auch die Bestände des Fiskalarchivs hinzuzuziehen. Von Bedeutung sind ferner die Bestände Plenipotenz und Verfassungsakten Reichshofrat, namentlich die Kartons 45 bis 48, die das italienische Fiskalat betreffen. Aber es kann durchaus auch lohnend sein, andere Bestände des HHStA - etwa aus der Staatenabteilung - heranzuziehen. Bisweilen findet sich auch im Wiener Hofkammerarchiv [www.oesta.gv.at/bestand/fhk/fr1_fhk.htm], insbesondere in den Beständen Reichsakten und Gedenkbücher, Material, das ergänzend herangezogen werden kann.
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Die überlieferten Quellen spiegeln die Tatsache wider, dass die Prozesssprache für reichsitalienische Betreffe Latein war. Auf deutsch verfasst worden sind hingegen beispielsweise in der Regel die ausführlichen Reichshofratsrelationen und -gutachten. Es finden sich aber auch Quellen in italienischer, französischer und spanischer Sprache.
<18>
Von besonderer Bedeutung unter den italienischen Archiven ist das Archivio di Stato di Milano, in dessen Bestand Feudi imperiali unter anderem das Archiv der kaiserlichen Plenipotenz eingegangen ist. Ein Teil des Bestandes betrifft die Organisation der Plenipotenz sowie allgemeine, die Gesamtheit der Lehen betreffende Aspekte (wie zum Beispiel Kontributionen). Der Rest ist alphabetisch nach Betreffen geordnet. In der Plenipotenz bestand man offensichtlich weniger auf der korrekten, lateinischen, Prozesssprache. Jedenfalls ist der Anteil italienischsprachiger Quellen deutlich höher. Offizielle, für den Reichshofrat bestimmte Dokumente wurden allerdings auch hier lateinisch verfasst.
<19>
Neben den Archiven, die die Reichsüberlieferung bewahren, sind auch diejenigen zu berücksichtigen, in die die Akten der Prozessbeteiligten übergegangen sind. Dies können je nachdem die verschiedenen italienischen Staatsarchive sein, [22] doch auch Stadtarchive, kirchliche Archive und die Privatarchive italienischer Adelsgeschlechter kommen in Betracht. So vielfältig und disparat wie die Archivlandschaft ist auch das Quellenmaterial.
Das Fallbeispiel Ligurien [23]
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Das Fallbeispiel Ligurien ist insofern recht typisch für die Situation im frühneuzeitlichen Reichsitalien, als sich die Reichsinstitutionen hier neben einer ganzen Anzahl kleiner Lehen mit einem Staatswesen konfrontiert sahen, das nur schwer in das Reichssystem einzubinden war: Die Republik Genua, deren Territorium den weitaus größten Teil Liguriens ausmachte, beanspruchte die Libertà und seit den 1630er Jahren die Sovranità und stellte je länger je entschiedener jede Zuständigkeit des Reichshofrats für ihren 'souveränen' Besitz in Abrede. Schwieriger war die Position der Republik hinsichtlich einer Reihe von Neuerwerbungen seit dem 16. Jahrhundert - zum Beispiel Sassello, Zuccarello, Finale, Buzalla, die Hälfte von Campo freddo -, deren Status als Reichslehen auch genuesischerseits grundsätzlich nicht bestritten wurde, auch kaum bestritten werden konnte, stellten doch die immer wieder erneuerten kaiserlichen Investituren die zentrale Rechtsgrundlage für die genuesische Herrschaft in diesen Gebieten dar. Auch der in ihren unbestreitbaren Reichslehen ansässigen Bevölkerung versuchte die Republik den Weg der Appellation an den Reichshofrat zu verlegen. Die Versuche, die Untertanen durch Druckausübung oder auch partielles Entgegenkommen von einem Appell nach Wien (bzw. Prag) abzuhalten, hatten einen allenfalls gemischten Erfolg. Gänzlich scheiterten alle Versuche, durch die Übertragung der Superioritas territorialis oder des Dominium medium - diese Begriffe werden in den Quellen synonym verwandt - über die Lehen der Republik durch Kaiser und Reich reichsrechtliche Barrieren gegen eine Appellation der Untertanen an die Plenipotenz und den Reichshofrat aufzubauen. Die Superioritas territorialis strebte die Republik auch über die benachbarten, zumeist im Besitz genuesischer Geschlechter befindlichen Feudi imperiali an, allerdings gleichfalls vergeblich. Wenig erfolgreich waren insgesamt auch die Bestrebungen, die eigenen Nobili davon abzuhalten, Reichshofratsprozesse anzustrengen, und sie statt dessen zu bewegen, auch in solchen Fragen, die die Reichslehen betrafen, vor den genuesischen Gerichten zu prozessieren. War doch schließlich immer damit zu rechnen, dass die jeweils unterlegene Partei ihren Weg an den 'consiglio imperiale aulico' nehmen würde. Insgesamt ist zu konstatieren, dass der Reichshofrat seine Kompetenzen in den nicht Genua unterstehenden Lehen zu behaupten vermochte, prinzipiell auch in den im Besitz der Republik befindlichen feuda. Sehr schwierig war die Situation jedoch, wenn ein Gebiet der Republik betroffen war, bei dem es sich nicht um ein anerkanntes Reichslehen handelte. Erreichte doch ein solcher Prozess ipso facto eine sehr grundsätzliche Qualität, indem er an die Frage der genuesischen Souveränität rührte. Deutlich weniger problematisch war das Eingreifen der Reichsjustiz in den kleinen, von Genua unabhängigen Reichslehen, wo auch die Plenipotenz eine wichtige Rolle spielte. Grundsätzlich wurde die oberstrichterliche Gewalt von Kaiser und Reich hier nie in Frage gestellt - trotz aller immer wieder seitens der Republik vorgenommenen Vorstöße.
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Der angestrebten möglichst großen Distanz zu Kaiser und Reich entspricht der Befund, dass auch das Studium des Reichsrechts in Genua nicht eben gepflegt wurde. So beobachteten die genuesischen Gesandten am Kaiserhof zwar sorgfältig den deutschen Büchermarkt und übersandten Werke, welche die Republik betrafen, nach Hause. Aber auch wenn sich heute noch in den genuesischen Bibliotheken diverse Werke zum allgemeinen Reichsrecht finden, kann man von einer systematischen Anschaffungspolitik sicher nicht sprechen - zumal die heikelsten deutschen Publikationen geradezu als Arkana behandelt worden zu sein scheinen. [24]
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Wie hoch die Zahl der am Reichshofrat anhängigen Prozesse mit ligurischen Betreffen in der Frühen Neuzeit gewesen ist, lässt sich beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht sagen. Sicher ist jedoch, dass sie eine große thematische Bandbreite hatten, dass der Reichshofrat nicht nur als erste Instanz in Rechtsstreiten zwischen Reichsunmittelbaren fungierte, sondern dass die Auswirkungen seiner Tätigkeit auch bis in die Lebenswelt der Untertanen fühlbar wurden. Um den Stellenwert der Reichsgerichtsbarkeit in Ligurien zu verdeutlichen, sollen im Folgenden einige wichtige die Republik Genua betreffende Fälle skizziert werden, die Kaiser und Reichshofrat zum Teil über Jahrzehnte beschäftigten und von denen einige ein reichs-, ja europaweites Echo hervorriefen.
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Vorauszuschicken ist, dass man Phasen größerer oder geringerer Präsenz der Reichsgerichtsbarkeit in Ligurien feststellen kann. Ein erster zeitlicher Schwerpunkt liegt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als sich die Republik auf die Intervention Ferdinands I. genötigt sah, aus dem wichtigen Finale, das sie nach einem Aufstand der Einwohner gegen den Markgrafen aus dem Haus Del Carretto 1558 bereits besetzt hatte, wieder räumen musste. Ähnliches ereignete sich in den 1590er Jahren, als sie gezwungen war, sich aus den Reichslehen San Stefano und Zuccarello wieder zurückzuziehen. Der Fall Finale erregte insofern besonderes Aufsehen, als es in seinem Verlauf zu schroffen Zitationen Ferdinands I. an die Republik und zum Erscheinen eines kaiserlichen Herolds in Genua kam. Aufgrund der Intervention Philipps II. von Spanien zugunsten der Republik kam es zwar nicht zum Äußersten, sondern der Kaiser delegierte den Fall an den Katholischen König - der sich bekanntlich schließlich selbst in den Besitz der strategisch wichtigen Markgrafschaft setzte. [25]
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Erfreulicher für die Republik ging der Prozess aus, den die Fieschi um die Restitution der 1547 nach dem berühmten Aufstand eingezogenen und teils an Genua gefallenen Reichslehen anstrengten, denn 1574 wurde die Klage Scipione Fieschis abgewiesen. 1582 scheiterte dann auch der von dem Fürsten Landi angestrengte Prozess, indem der Reichshofrat die Ansprüche, die dieser gegen die Republik auf einen Teil der ehemaligen Fieschi-Lehen erhob, für nichtig erklärte. [26]
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Erwähnenswert in unserem Kontext ist ferner, wie bemüht man genuesischerseits darauf achtete, dass der Kaiser in dem Verfassungskonflikt des Jahres 1575/76 zwischen den beiden Adelsfraktionen der Nuovi und der Vecchi nicht als Richter agierte. An der Vermittlung in Casale waren zwar auch Kommissare Maximilians II. beteiligt, aber sie waren es eben nur neben den Gesandten des Papstes und des Katholischen Königs. [27]
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Dem Tiefpunkt, den der kaiserliche Einfluss in Italien im 17. Jahrhundert erlebte, korrespondiert die Tatsache, dass Genua in dieser Zeit mit weniger Reichshofratsprozessen konfrontiert wurde - mit weniger Prozessen, nicht mit keinen. 1622 klagte der Reichshoffiskal Immendorff gegen die Republik, weil sie es versäumt hatte, fristgerecht um die Erneuerung der Investitur mit dem Reichslehen Ponzano zu bitten. Dieser Rechtsstreit endete jedoch glimpflich für Genua, indem man glaubhaft machen konnte, dass die Bitte um Wiederbelehnung versehentlich unterblieben sei. [28]
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Heikler für Genua war ein sich an dem Fall San Cristofero entzündender Konflikt um die Jurisdiktion in den Reichslehen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts. Den genuesischen Gesandten am Kaiserhof gelang es mit erheblichen Anstrengungen zwar, einen förmlichen Prozess gegen die Republik zu verhindern. Diese musste es ihrerseits aber hinnehmen, dass das Urteil der genuesischen Rota kassiert wurde und der Reichshofrat hernach einen abweichenden Beschluss fasste. Ähnlich unangenehm war die Lage in den 1640er und 1650er Jahren, als die Republik in Streitigkeiten zwischen zwei Linien der Spinola im Reichslehen Arquata eingriff und die unterlegene Partei an den Kaiser appellierte. [29]
<28>
Wenn sich der Reichshofrat in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit genuesischen Problemen beschäftigte, geschah das meist in mehr oder weniger indirekter, aber für die Republik doch durchaus spürbarer Hinsicht. So schob er ihren Bemühungen um eine Expansion in die Lunigiana (Fosdenovo, Aulla) einen Riegel vor, indem er die Veräußerung der betreffenden Lehen an Genua untersagte. In diesem Kontext bediente sich aber auch die Republik der Möglichkeiten der Reichsgerichtsbarkeit, indem sie, ohne selbst als Prozesspartei in Erscheinung zu treten, ihrerseits durch die Unterstützung der Ansprüche der Agnaten einen Übergang der Lehen an die Toskana verhinderte. [30]
<29>
Mit geradezu einer neuen Welle von Reichshofratsprozessen sah sich die Republik im 18. Jahrhundert konfrontiert. Im Zentrum des einen stand - wieder einmal - die Markgrafschaft Finale, die man zwar 1713 - gegen den Widerstand der Einwohner - von Karl VI. gekauft hatte, wo aber die Beziehungen zu Kaiser und Reich auch weiterhin hochgehalten wurden. Nachdem es schon vorher Prozesse wegen genuesischer Zollforderungen auf dem Gebiet Finales gegeben hatte, appellierte 1729 die gleichzeitig in Aufstand getretene Gemeinde gegen die Einführung neuer Verbrauchsteuern nach Wien. Gegen den Widerstand der Republik nahm der Reichshofrat die Klage an. 1733 verurteilte ein Dekret Karls VI. zwar den Aufstand, ermahnte zugleich aber die Republik, eine Generalamnestie zuzugestehen und die Privilegien Finales zu respektieren. Die Finalesen wurden gedrängt, sich auf einen Vergleich einzulassen. Der Ausbruch des Polnischen Thronfolgekriegs jedoch verminderte den Druck auf die Republik, die ihrerseits wieder härter gegen die Finalesen vorging, die sich prompt im Herbst 1734 wieder erhoben. Nach Kriegsende nahm sich der Reichshofrat erneut der Angelegenheit an. Als 1740 Karl VI. starb, war der Fall jedoch noch nicht abgeschlossen, und in den Wirren des Österreichischen Erbfolgekriegs wurde er nicht wieder aufgenommen. Letztmals in den 1780er Jahren gab es wegen Finale eine Klage am Reichshofrat gegen die Republik, als ein Nachfahre des letzten spanischen Tesoriere in Finale darauf klagte, entweder wieder in das Amt seines Vorfahren eingesetzt oder entsprechend entschädigt zu werden. Von diesem Prozess wurde Genua jedoch durch den Tod des Klägers befreit. [31]
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Einen anderen Prozesstypus stellt der Konflikt zwischen den Untertanen des genuesischen Reichslehens Sassello und den Einwohnern des benachbarten Mioglia dar. Hier kam es zwar zu Ermittlungen vor Ort durch die Plenipotenz. Eine dauerhafte Regelung gelang jedoch nicht, zumal Mioglia 1728 an Sardinien verkauft wurde und sich damit die Kräfteverhältnisse zuungunsten Genuas änderten. Schließlich verlor sich der Streit zwischen Sassello und Mioglia in den Wirren eines größeren Konflikts, des Österreichischen Erbfolgekriegs. Nach dessen Ende hatte keine der beiden Konfliktparteien mehr ein Interesse, den Reichshofratsprozess zu betreiben. [32]
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Förmlich niedergeschlagen wurde dagegen ein fiskalischer Prozess wegen des angeblichen Reichslehens Linguilia. Der Reichshofrat räumte schließlich zwar ein, dass die Klage zu Unrecht erfolgt sei. Die Republik ihrerseits hatte sich aber nicht der Anerkennung der kaiserlichen Jurisdiktion in diesem Fall entziehen können. Für einen weitaus größer dimensionierten Prozess, in dem sich die Republik für die Okkupation einer ganzen Reihe von Reichslehen verantworten sollte, wurde zwar Material in Wien und bei der Plenipotenz gesammelt; eröffnet wurde er aber nicht. [33]
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Äußerst heikel für Genua aber waren zwei Fälle, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor den Reichshofrat gebracht wurden: Der wohl spannendste und auch unter den Zeitgenossen die weitaus größte Aufmerksamkeit findende Prozess, mit dem die Republik zu tun hatte, war der Fall San Remo: Die ligurische Hafenstadt, die schon seit Jahrzehnten im Konflikt mit der genuesischen Regierung lag, war Anfang 1753 in offenen Aufstand getreten, der wenig später energisch niedergeschlagen wurde. Vor den einsetzenden Zwangsmaßnahmen emigrierten nahezu die gesamten lokalen Eliten auf sardinisches Gebiet, von wo aus sie den bisherigen kaiserlichen (Vize-) Konsul Giambattista Sardi zu ihrem Prokurator am Kaiserhof ernannten. Dieser appellierte an den Reichshofrat, der auch keine Bedenken trug, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Abgesehen von dem ohnehin heiklen Faktum einer zu befürchtenden Unterstützung der Auffassung der eigenen Untertanen gewann dieser Fall seine besondere Brisanz dadurch, dass Genua San Remo als seinen souveränen Besitz betrachtete und damit auch den Reichshofrat nicht für zuständig hielt. Dass es nicht zu einer Exekution gegen die Republik kam, lag nicht an den Reichshofräten, deren Voten nichts an Entschlossenheit zu wünschen übrig ließen, sondern an den Problemen der Exekution. Zwar stand mit dem König von Sardinien als Reichsvikar in Italien ein durchaus bereitwilliger Vollstrecker bereit, die politischen Rahmenumstände waren einer Exekution aber alles andere günstig. Verfügte doch die Republik mit den Kronen Frankreich und Spanien über zwei Schutzmächte, gegenüber denen die Hofburg im Zeichen des Renversement des Alliances um äußerste Rücksichtnahme bemüht war - die Hofburg meint hier allerdings in erster Linie die Kaiserin-Königin und ihren Staatskanzler Kaunitz. Reichshofrat, Reichshofkanzlei und der junge Joseph II. waren da (ebenso wie Kurfürstenrat und Reichstag) wesentlich forscher, mussten sich aber schließlich den machtpolitischen Realitäten beugen. Letztlich war aber das Eingreifen von Kaiser und Reichshofrat nicht ganz vergeblich, denn schließlich fand sich die Superba zu einem durch Maria Theresia vermittelten Vergleich mit San Remo bereit. Dieser kam zwar dann nicht zustande, aber um die Gefahren von Seiten des Reichs abzuwenden, nahm die Republik die drückendsten Verfügungen gegen die Remenser zurück. [34]
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Etwa parallel zum Fall San Remo wurde der Reichshofrat mit einem weiteren Konflikt befasst, in den die Republik verwickelt war. Die Bevölkerung des Lehens Campo freddo, zu dessen Condomini Genua zählte, hatte gegen eine Reihe von Sanktionen, die gegen die im Österreichischen Erbfolgekrieg auf seiten Maria Theresias gestandene Gemeinde verhängt worden waren, bereits 1749 nach Wien appelliert. Auch hier waren die Zeitumstände einem entschiedenen Einschreiten von Kaiser und Reichshofrat nicht eben günstig. Aber bei Campo freddo handelte es sich unbestreitbar um ein Reichslehen, und alle genuesischen Bestrebungen, die klagende Gemeinde schlichtweg an ihre Condomini zu verweisen, scheiterten. Auch die Protektion Frankreichs konnte es schließlich nicht verhindern, dass die Republik in diesem Fall die Zuständigkeit des Reichshofrats anerkennen und sich zu einer Vermittlung durch eine Hofkommission bereit finden musste. Im Zusammenhang mit dem Fall Campo freddo, der aufgrund einer ganzen Reihe von Folgeklagen eigentlich ein ganzes Konglomerat von Fällen bildete, kam es 1749 übrigens zu Ermittlungen des italienischen Reichsfiskals vor Ort. Der Prozess dauerte bis zum Ende Reichsitaliens in den Revolutionskriegen an. [35]
Schluss
<34>
Der Überblick über die Reichsgerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Italien hat, wie ich hoffe, gezeigt, dass dies ein überaus spannendes, keineswegs nur 'exotisches', sondern für das Verständnis des Alten Reichs wichtiges Thema ist. Gleichzeitig dürfte aber auch deutlich geworden sein, dass hier noch große Wissenslücken bestehen.
<35>
Bevor man etwa zu einer Würdigung der Tätigkeit der kaiserlichen Generalkommissare und Plenipotentiare sowie des Stellenwerts der Reichsgerichtsbarkeit für Italien insgesamt gelangen kann, ist noch viel Forschungsarbeit im Kleinen zu leisten. Diese könnte so aussehen, dass man sich unter reichsitalienischen Fragestellungen intensiv mit bestimmten Epochen oder der Geschichte einzelner Lehen oder auch besonders profilierten Persönlichkeiten - wie etwa Carlo Borromeo Arese - beschäftigte. Erst eine größere Anzahl solcher Einzelstudien wird dazu beitragen, dass ein immer deutlicheres Bild Reichsitaliens in der Frühen Neuzeit fassbar wird. Wenn die obigen Ausführungen das Interesse an derartigen Forschungsarbeiten geweckt haben, haben sie ihren Zweck erfüllt. Die Quellen in Wien, Mailand und vielen anderen italienischen Archiven harren nur der Benutzung!
Anmerkungen
[1] Der folgende Beitrag stellt die bearbeitete Fassung eines Referats dar, das am 22. März 2002 anlässlich des Workshops "Annäherung an den komplementären Reichs-Staat. Reichskammergericht und Reichshofrat im Spannungsfeld von Kaiser und Territorium" gehalten worden ist. Dem Charakter einer Problemskizze entsprechend beschränken sich die Anmerkungen im Wesentlichen auf Hinweise auf Grundlagenliteratur.
[2] Vgl. zu dieser Diskussion den Sammelband: Matthias Schnettger (Hg.): Imperium Romanum - irregulare corpus - Teutscher Reichsstaat. Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 57; Abteilung für Universalgeschichte), Mainz 2002.
[3] Grundlegend für die Geschichte Reichsitaliens in der Frühen Neuzeit sind die Studien Karl Otmar Freiherr von Aretins, insbesondere: Reichsitalien von Karl V. bis zum Ende des Alten Reiches. Die Lehensordnungen in Italien und ihre Auswirkungen auf die europäische Politik, in: Ders.: Das Reich. Friedensordnung und europäisches Gleichgewicht 1648-1806, Stuttgart 1986, 76-163; sowie Das Alte Reich, 4 Bde., Stuttgart 1993-2000, hier: Bd. 1: Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648-1684), 112-115, 201-208, 310-312; Bd. 2: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684-1745), 85-96, 128-134, 194-215, 351-380, 458-467; Bd. 3: Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745-1806), 63-71, 168-171. An italienischen Titeln sei auf das alte Standardwerk von Salvatore Pugliese: Le prime strette dell'Austria in Italia, Milano 1932, verwiesen, dessen 2. Aufl. unter dem passenderen Titel "Il Sacro Romano Impero in Italia" 1935 erschien, sowie auf den neueren Sammelband von Marcello Verga (Hg.): Dilatar l'Impero in Italia. Asburgo e Italia nel primo Settecento (= Cheiron 21), Roma 1995.
[4] Zur Sonderrolle Savoyens noch immer unüberholt: Giovanni Tabacco: Lo stato sabaudo nel Sacro Romano Impero (R. Università di Torino, Pubblicazioni della Facoltà di Magistero), Torino u.a. 1939.
[5] Vgl. zu dieser Problematik Matthias Schnettger: Italienische Fürsten im deutschen Reichstag? Ein Projekt Friedrich Ludwig von Bergers aus dem Jahr 1723, in: Historisches Jahrbuch 118 (1998), 86-107.
[6] Die ausführlichste deutschsprachige Darstellung bietet Viktor Bibl: Die Erhebung Herzog Cosimos von Medici zum Großherzog von Toskana und die kaiserliche Anerkennung, in: Archiv für Österreichische Geschichte 103 (1913), 1-63. Elisa Panicucci: La questione del titolo granducale: il carteggio diplomatico tra Firenze e Madrid, in: Toscana e Spagna nel secolo XVI. Miscellanea di studi storici, Pisa 1996, 7-58, hier besonders 12f., 45-58; sowie Alessandra Contini: Dinastia, patriziato e politica estera: Ambasciatori e segretari medicei nel Cinquecento, in: Daniela Frigo (Hg.): Ambasciatori e nunzi. Figure della diplomazia in età moderna (= Cheiron 30), Roma 1999, 57-131, hier: 112-120, betonen den Zusammenhang von Rangerhöhung und Souveränitätsstreben.
[7] Dies fand seinen Ausdruck vor allem in zwei Königskrönungen, die 1637 in Genua stattfanden: Zunächst wurde im Frühjahr die Heilige Jungfrau zur Königin Liguriens gekrönt. Im Herbst folgte die erste Krönung eines genuesischen Dogen mit den königlichen Insignien. Außerdem wurde im selben Jahr die auf das Münzprivileg Konrads III. von 1138 Bezug nehmende Aufschrift "Conradus Rex" auf den genuesischen Münzen durch das Bild der Gottesmutter ersetzt. Vgl. Matthias Schnettger: Die Republik als König. Republikanisches Selbstverständnis und Souveränitätsstreben in der genuesischen Publizistik des 17. Jahrhunderts, in: Majestas 8/9 (2000/2001), 171-209, mit Literaturhinweisen.
[8] Vgl. zu Mantua Romolo Guazza: Mantova e Monferrato nella politica europea alla vigilia della guerra per la successione (1624-1627) (= Pubblicazioni della R. Accademia Virgiliana Serie II, Miscellanea 3), Mantova 1922; ders.: La guerra per la successione di Mantova e del Monferrato (1628-1631), 2 Bde., Mantova 1926; zu den Medici Matthias Schnettger: Dynastische Interessen, Lehnsrecht und Machtpolitik. Der Wiener Hof und die Anwartschaft der Kurfürstin Anna Maria Luisa von der Pfalz auf die toskanische Erbfolge (1711-1714), in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 108 (2000), 351-371.
[9] Ferdinando Carlo starb wenig später. Über die Ansprüche der Nebenlinien des Hauses Gonzaga ging die Wiener Hofburg souverän hinweg. Vgl. Daniela Frigo: Impero, diritto feudale e "ragion di Stato": la fine del ducato di Mantova (1701-1708), in: Verga: Dilatar l'Impero, 55-84.
[10] Einen recht plastischen Blick auf die kleinen Reichslehen erlaubt die Relazione dei nomi, qualità, disposizione, e sito de i feudi, e feudatari Imperiali, che si truovano al presente nella Val di Magra, e Lunigiana, 1656 XII 4 , in: Cinzia Cremonini (Hg.): Sacro Romano Impero, Monarchia Cattolica e feudalità imperiale italiana [http://www.stm.unipi.it/italiaspagna/Materiale/urbino/fontifeudiimperiali.htm] [Zugriff am 17.10. 2003]. Wichtig für die Geschichte der kleinen Lehen nach wie vor auch Alessandra Sisto: I feudi imperiali del Tortonese (Sec. XI-XIX) (= Università di Torino, Pubblicazioni della Facoltà di Lettere e Filosofia 8/5), Torino 1956.
[11] Vgl. Aretin: Das Alte Reich, Bd. 2, 86, 132f., 202-206, 371-374. Zum Prinzip der Superioritas territorialis in italienischer Lesart vgl. Luigi Bulferetti: Il principio della "superiorità territoriale" nella memorialistica piemontese del secolo XVIII. Carlo Ignazio Montagnini di Mirabello, in: Studi in memoria di Gioele Solari (= Pubblicazioni dell'istituto di scienze politiche dell'università di Torino 1), Torino 1954, 153-218.
[12] Vgl. zum Folgenden Matthias Schnettger: Das Alte Reich und Italien in der Frühen Neuzeit. Ein institutionengeschichtlicher Überblick, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 79 (1999), 344-420.
[13] Vgl. ebenda, 364-375.
[14] Ausnahmen bestätigen jedoch auch hier die Regel. Vgl. Roland Rölke: Die Grafen von Mirandola vor dem Reichskammergericht. Prozeßverlauf eines Familienstreits um die Grafschaft Concordia im Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Thomas Scharff / Thomas Behrmann (Hg.): Bene vivere in communitate. Beiträge zum italienischen und deutschen Mittelalter. Hagen Keller zum 60. Geburtstag überreicht von seinen Schülerinnen und Schülern, Münster / New York / München / Berlin 1997, 205-221.
[15] Vgl. Schnettger: Das Alte Reich, 375-377.
[16] Vgl. ebenda, 381-387.
[17] Siehe unten <23>
[18] Vgl. Schnettger: Das Alte Reich, 387-393.
[19] Vgl. ebenda, 393-397; Cinzia Cremonini: Carlo Borromeo Arese, un aristocratico lombardo nel "nuovo ordine" di Carlo VI., in: Verga: Dilatar l'Impero, 85-160.
[20] Vgl. Schnettger: Das Alte Reich, 397-400.
[21] Reichshofrat, Vota bzw. Relationes.
[22] Auf der Homepage des Ministero per le beni e le attività culturali findet man eine Aufstellung mit Adressen, Öffnungszeiten und teilweise Links zu den Homepages der einzelnen Archive. [wwwdb.archivi.beniculturali.it/UCBAWEB/indice.html ]
[23] Vgl. zum Folgenden meine Habilitationsschrift "Principe sovrano oder civitas imperialis? Die Republik Genua und das Alte Reich in der Frühen Neuzeit (1556-1797)", die im Sommersemester 2003 dem Fachbereich 8 der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main vorgelegt wurde, insbesondere Kapitel IV.
[24] Damit unterschied sich die genuesische grundsätzliche von der savoyischen Position. Erwarb der Turiner Hof doch nicht nur umfangreiche Grundlagenliteratur zu Fragen des Reichsrechts, sondern trug auch dafür Sorge, dass der Zugang der Studenten der Turiner Universität zu diesen Materialien und deren Schulung in Fragen des Reichsrechts sichergestellt war. Vgl. Donatella Balani: La Facoltà di legge di Torino nel '700: cultura giuridica e popolazione studentesca, in: L'educazione giuridica, Bd. 2: Profili storici, Perugia 1979, 454-471, hier: 459.
[25] Vgl Schnettger: Principe sovrano, Kapitel IV. 1; Friedrich Edelmayer: Maximilian II., Philipp II. und Reichsitalien. Die Auseinandersetzungen um das Reichslehen Finale in Ligurien (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 130; Abteilung für Universalgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 7), Stuttgart 1988.
[26] Zu diesem Fall vgl. auch Sisto: I feudi imperiali, 62, 66, 68 .
[27] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel IV. 2; Enrica Neri: "Quietud, conformidad y libertad". La Spagna e la crisi politico-istituzionale genovese del 1575, Milano 1990.
[28] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel II. 1.
[29] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel IV. 3.
[30] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel V. 2.2. und V. 2.3.
[31] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel IV. 6.
[32] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel IV. 4; Edoardo Grendi: La pratica dei confini: Mioglia contro Sassello, 1715-1745, in: Quaderni storici N. S. 63 (1986), 811-845.
[33] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel IV. 5.
[34] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel IV. 8; Nilo Calvini: La rivoluzione del 1753 a Sanremo (= Collana storico-archeologica della Liguria occidentale 12), 2 Bde., Bordighera 1953, insbesondere Bd. 2.
[35] Vgl. Schnettger: Principe sovrano, Kapitel IV. 7.

Autor:
PD Dr. Matthias Schnettger
Institut für Europäische Geschichte
Abteilung für Universalgeschichte
Alte Universitätsstraße 19
55116 Mainz
schnettger@ieg-mainz.de

Empfohlene Zitierweise:

Matthias Schnettger: Die Reichsgerichtsbarkeit in Italien in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel Ligurien, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, [13.12.2004], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

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