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  3 (2004), Nr. 3: Inhalt
Sabine Ullmann
Kommissionen
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Kommissionen spielten als Formen delegierter Gerichtsbarkeit an den Reichsgerichten in der Frühen Neuzeit eine zentrale Rolle. Während am Kammergericht Kommissionen nur bei der Zeugenbefragung zum Einsatz kamen, unterscheidet die rechtshistorische Forschung für das Wiener Gericht mehrere Kommissionstypen in verschiedener Gestalt und Zielsetzung: hinsichtlich ihrer Besetzung die allein aus Reichshofräten bestehenden sog. 'Hofkommissionen' und die den Reichsständen übertragenen Lokalkommissionen; hinsichtlich der zugeteilten Aufgaben innerhalb eines Verfahren z.B. die Kommissionen zur Beweisaufnahme, zur Exekution der Urteile oder zur vorläufigen Verwaltung strittiger Güter. Die wechselnden Typologisierungsversuche der zeitgenössischen Rechtsliteratur spiegeln die Vielgestaltigkeit der Einsatzmöglichkeiten und die variable Handhabung der einzelnen Verfahrenselemente durch das Gericht wider.
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Kommissionen wurden in Wien allerdings nicht nur für begrenzte und situationsgebundene Aufträge eingesetzt, sondern ihnen wurden auch komplette Verfahren übertragen, mit denen meist auf rechtlichem oder gütlichem Weg ein Vergleich erzielt werden sollte. Der breite Handlungsspielraum, der ihnen damit eingeräumt wurde, schloss lediglich eine Urteilsfällung aus. Diese so genannten Commissiones 'zu Güte und / oder Recht' sind von der Forschung nicht nur als wesentlicher Bestandteil des reichshofrätlichen Verfahrens, sondern mittlerweile auch als eigenständige Institutionen der Konfliktregelung im Alten Reich erkannt worden. Über einen formal standardisierten Kommissionsbefehl erhielten dabei einzelne Reichsstände die kaiserliche Gewalt zugesprochen, die Ermächtigung zur Ladung und Anhörung der Parteien sowie zur Durchführung von Vergleichsverhandlungen. In der Regel umfasste der Auftrag auch die Möglichkeit, die Verhandlungsarbeit an ihnen unterstellte Räte, sog. Subdelegierte, zu übertragen. Anschließend hatten sie über die geführte Kommission zu berichten und ein entsprechendes Gutachten zu erstellen, das meist einen Vergleichsvorschlag enthielt.
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Als exemplarisches Beispiel kann der Auftrag im Streitfall zwischen der Fürstabtei Essen und dem dortigen Rat herangezogen werden. Anfang der 1560er-Jahre gewannen mit der Formierung einer reformierten und einer lutherischen Gemeinde die städtischen Unabhängigkeitsbestrebungen gegenüber dem Damenstift eine neue Dynamik, die 1564 in einer Klage des Stifts gegen die Stadt mündeten. Die Reichshofräte setzten darauf den Erzbischof von Köln und Herzog Wilhelm V. von Jülich als Kommissare ein. Überliefert ist die Ausfertigung des Kommissionsbefehls an den Kurfürsten mit den typischen Sprachformeln: "[...] geben derselben auch vnnsern volkommen gewallt vnd wellen das dein lieb sich den sachen guetwillig belade [...] vnd beede Partheyen auf ainen oder iner gelegne Täg vnnd mallstat [...] in vnnserm namen für sich erfordern, sy gegenainander notturfftigelich wie sich geburt verhören, vnnd alsdann allen nuzlichen vleiß fürwende sy mitainander [...] gütlich zuverainen vnnd zuvergleichen. [...] Im fall da solche gütliche handlung und vergleich je nit stat haben oder verfenglich sein wollte uns folgends gelegenheit vnd gestalt der sachen vnd woran auch bey welchem teillen die guete entstanden in schriften berichten." [1]
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Die Möglichkeit zu Vergleichsverhandlungen vor den Kommissaren, brachte für die Parteien vor allem den Vorzug mit sich, dass Reputationsverluste sowie Kosten durch die Umgehung des formalen Prozessweges vermieden wurden. Wenn eine gütliche Einigung nicht erzielt werden konnte, blieb als nächste Stufe immer noch der Rechtsweg, bei dem das Schlichtungsgremium oftmals in gleicher Besetzung kraft kaiserlichem Befehl in eine 'Commissio zu recht' übergeführt wurde.
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In der Literatur haben früh einige prominente Einzelfälle kaiserlicher Kommissionen Aufmerksamkeit gefunden, etwa anlässlich der innerstädtischen Unruhen in Frankfurt 1705-1732 oder der Fürstenabsetzung in Nassau-Siegen 1706. Da der Schwerpunkt zunächst in der sachbezogenen Auswertung der Kommissionsfälle lag, wurde der Aussagewert der Kommissionsakten in erster Linie für spezifische thematische Blickwinkel erprobt - mit einem deutlichen Schwerpunkt bei der Erforschung der reichsstädtischen Verfassungskontroversen sowie der Agrarkonflikte. Die Fixierung auf die reichsstädtische Thematik und die sozialen Konflikte ist in einem allgemeinen Forschungsinteresse der bäuerlichen Widerstandsforschung bzw. der Stadtgeschichte begründet. In der Gesamtheit der durch Kommissionen behandelten Streitfälle, die sich mehrheitlich um Territorial- und Besitzkonflikte sowie um Streitigkeiten aus dem Bereich des adeligen Familienverbandes (Erbschaftskonflikte, Vormundschaftssachen, Witwenunterhalt) drehten, spielten diese Themenkomplexe allerdings eine marginale Rolle.
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Die jüngsten Arbeiten erfassen das Phänomen aus einem sachlich übergeordneten Blickwinkel. Während sich die Rechtsgeschichte auf die prozessrechtliche Einordnung und verfahrensrechtlichen Handhabung der Kommissionen an den beiden Reichsgerichten konzentriert, legt die fachhistorische Forschung ihr Augenmerk auf die politik- und sozialgeschichtliche Einordnung im Kontext der frühmodernen Reichsgeschichte. Dabei wird das Kommissionswesen mittlerweile als institutionalisierter Mechanismus der frühmodernen Verfassungsgeschichte begriffen, der nicht nur in Einzelfällen zum Einsatz kam, sondern durch entsprechende Verbreitung für die innere Stabilität tatsächlich relevant war, folglich einen wesentlichen Bestandteil des politischen Alltags im Alten Reich ausmachte. Kommissionen waren somit nicht nur eine spezifische Verfahrensform delegierter Gerichtsbarkeit, sondern bildeten über die engere prozessrechtliche Funktion hinaus einen zentralen Regelungsmechanismus für die Friedens- und Rechtswahrung im Alten Reich. Existenz und Erfolgsbilanz dieser Einrichtung ist nur aus den zeitbedingten Strukturen zu begreifen. Mit der Modernisierung bzw. Zentralisierung der Rahmenbedingungen politischen Handelns sowie nicht zuletzt aufgrund der verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten verschwand sie wieder aus der deutschen Verfassungsgeschichte.
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Zentral für ein besseres Verständnis des frühmodernen Rechtssystems erscheinen die folgenden Merkmale des Phänomens: Mit der Einsetzung von Kommissionen delegierten die Reichshofräte in Wien einen Großteil des Prozessverfahrens an einzelne Reichsstände. Die systematische Analyse des Phänomens für das 16. sowie das 17. Jahrhundert hat gezeigt, dass zumeist benachbarte Reichsstände mit entsprechender Sachkenntnis der Konfliktsituation als Schlichter tätig wurden. Die damit erzielte Entlastung des Wiener Gerichtshofes führte folglich dazu, das diese Eingriffe der Reichsjustiz zu einem regionalen Ereignis wurden. Somit erwuchsen aus der Tätigkeit des Reichshofrats regionale Schlichtungsinstanzen, die zugleich mit der Zentrale im permanenten Kontakt standen und von dort ihre Instruktionen erhielten.
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Vergleichbar den Reichskreisen und den reichsständischen Bündnissen deutet sich damit auch im Bereich der Reichsjustiz eine semizentrale Ebene an, die zwischen dem Reich und den reichsständischen Gliedern anzusetzen ist. Folglich handelt es sich um einen Mechanismus, der typisch ist für den doppelstaatlichen Charakter der Reichsverfassung. Das kaiserliche Gericht in Wien und die unterschiedlichsten Reichsstände wirkten im Bereich der Friedenssicherung und Rechtsfindung komplementär. Im Detail gestaltete sich diese Kooperation - die durch das Verfahrensrecht am Reichshofrat gesteuert wurde - freilich äußerst komplex und keineswegs immer konfliktfrei. Zahlreiche Kommissionsbefehle des Wiener Gerichts wurden durch die Verweigerung der beauftragten Kommissare nicht umgesetzt und oftmals waren mehrere Anläufe in unterschiedlicher Besetzung erforderlich. Dementsprechend divergierten auch die Intentionen: Während der Kaiserhof seine Kommissionen für eine reichspolitische Einflussnahme instrumentalisierte, verfolgten die Kommissare nicht selten eigene, regionalpolitische Interessen.
Anmerkungen
[1] HHStA, RHR, Comm. Fasz. 1, Buchstabe E; HHStA, RHR, Res.prot. XVI/23, fol. 79v.
Literatur
Martin Fimpel: Reichsjustiz und Territorialstaat. Württemberg als Kommissar von Kaiser und Reich im Schwäbischen Kreis (1648-1806) (= Frühneuzeit-Forschungen 6), Tübingen 1999.
Reinhard Hildebrandt: 'Rat contra Bürgerschaft'. Die Verfassungskonflikte in den Reichsstädten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege 1 (1974), 236-240.
Paul Hohenemser: Der Frankfurter Verfassungskonflikt (1705-1732) und die kaiserlichen Kommissionen (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Frankfurt 8), Frankfurt/M. 1920.
Eva Ortlieb: Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637-1657) (= Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 38), Köln u.a. 2001.
Volker Press: Von den Bauernrevolten des 16. zur konstitutionellen Verfassung des 19. Jahrhunderts. Die Untertanenkonflikte in Hohenzollern-Hechingen und ihre Lösungen, in: Hermann Weber (Hg.): Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, 85-112.
Georg Schmidt: Rebellion oder legitime Gegenwehr? Ein Agrarkonflikt in Mühlhausen am Neckar, die kaiserliche Kommission der Reichsstadt Esslingen und das Urteil der Tübinger Juristenfakultät (1600-1620), in: Esslinger Studien 29 (1990), 37-59.
Wolfgang Sellert: Prozessgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (= Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 18), Aalen 1973.
Werner Trossbach: Fürstenabsetzungen im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 13 (1986), 425-454.
Sabine Ullmann: Friedenssicherung als Kommunikationsereignis: Zur Arbeitsweise des Reichshofrats unter Kaiser Maximilian II, in: Carl A. Hoffmann / Rolf Kießling (Hg.): Kommunikation und Region (= Forum Suevicum 4), Konstanz 2001, 203-228.
Sabine Ullmann: Geistliche Stände als Kommissare und als Parteien am Reichshofrat in der Regierungszeit Kaiser Maximilian II., in: Wolfgang Wüst (Hg.): Geistliche Staaten in Oberdeutschland im Rahmen der Reichsverfassung. Kultur - Verfassung - Wirtschaft - Gesellschaft. Ansätze zu einer Neubewertung (= Oberschwaben - Geschichte und Kultur 10), Tübingen 2002, 85-106.
Raimund J. Weber: Die kaiserlichen Kommissionen des Hauses Württemberg in der Neuzeit, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 43 (1984), 205-236.

Autorin:
Dr. Sabine Ullmann
Wiss. Assistentin
Universität Augsburg
Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte
Universitätsstraße 10
86135 Augsburg
sabine.ullmann@phil.uni-augsburg.de

Empfohlene Zitierweise:

Sabine Ullmann: Kommissionen, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, [13.12.2004], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

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