Navigation
Christian Vajen
Die Durchsetzung der kaiserlichen Steuerpolitik vor dem Reichskammergericht
- dargestellt an einem Beispiel aus der Grafschaft Lippe
Einleitung
<1>
Die Bedeutung des Reichskammergerichts (RKG) für die Entwicklung des Verhältnisses von Reich und Territorium wird in diesem Beitrag anhand eines Beispiels aus der Grafschaft Lippe untersucht. Dabei handelt es sich um die Schilderung eines Verfahrens, in welchem vor dem Reichskammergericht um die Verpflichtung der Stadt Lemgo zur Zahlung von Reichssteuern und damit um die Frage ihrer Reichsunmittelbarkeit gestritten wurde. Dadurch soll gezeigt werden, auf welche Weise das Reichskammergericht in die Durchsetzung der kaiserlichen Steuerpolitik eingeschaltet wurde.
<2>
Lemgo lag in der Grafschaft Lippe, einem geschlossenen Herrschaftsgebiet in Ostwestfalen, das seit 1512 - zu diesem Zeitpunkt noch als Edelherrschaft - dem Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis angehörte. Die Grafen bzw. Edelherren waren seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts unmittelbarer Reichsstand. [1]
Der Verlauf der Auseinandersetzung um die Verpflichtung der Stadt Lemgo zur Entrichtung von Reichssteuern
<3>
Im Jahre 1549 strengte der kaiserliche Fiskal Licentiat Valentin Gottfried gemäß § 53 des Augsburger Reichsabschieds von 1548 ein Verfahren gegen die Vormünder des damals noch unmündigen Grafen Bernhard VIII. zur Lippe, deren Landräte sowie die Stadt Lemgo an und ließ sie vor das Reichskammergericht laden. [2] Die Klage war auf Feststellung der Reichsunmittelbarkeit Lemgos und auf Zahlung der auf dem Augsburger Reichstag von 1548 bewilligten Reichssteuern durch die Stadt gerichtet. [3] Es ging um die Abführung von "vorrat, munition und nothfestung" für den Krieg gegen das Osmanische Reich und die Entrichtung des Unterhaltes für das Reichskammergericht. [4] Den Vormündern wurde in der Ladung des Reichskammergerichts die Geltendmachung gräflicher Interessen zugestanden. [5]
<4>
Nach Ansicht des Fiskals war Lemgo Reichsstadt und damit reichssteuerpflichtig. Dies begründete er vor allem mit zwei Argumenten. [6] Zum einen stützte sich der Fiskal auf die Eintragung Lemgos in die Reichsmatrikeln, also in diejenigen Register, in denen Art und Umfang des jeweiligen Anteils der einzelnen Reichsstände an der Reichsanlage festgelegt war. [7] Denn § 48 des Regensburger Reichsabschiedes von 1541 bestimmte, dass diejenigen Reichsstände, die von alters her in den Reichsmatrikeln zu finden seien, notfalls auch auf prozessualem Wege zur Zahlung der Reichssteuern anzuhalten seien. Nach Ansicht des Fiskals versuchte die lippische Regierung zu Unrecht, Lemgo aus der Matrikel "auszuziehen". Zum anderen behauptete der Fiskal, Lemgo habe alle seine Privilegien, seinen Gerichtszwang und seine gesamte Obrigkeit "originaliter et principaliter" genauso wie andere Frei- und Reichsstädte von Kaiser und Reich erhalten.
<5>
Die Beklagten vertraten demgegenüber den Standpunkt, Lemgo sei eine mediate lippische Landstadt. [8] Ihre Aufnahme in die Reichsmatrikeln sei ohne Wissen und Wollen der lippischen Grafen erfolgt. Lemgo habe sämtliche Rechte von den Grafen zur Lippe erhalten, denen dort wie in allen anderen lippischen Städten die Landeshoheit zustehe.
<6>
Nach einer umfangreichen Beweiserhebung durch Vernehmung zahlreicher Zeugen gab das Reichskammergericht der Klage statt, erklärte Lemgo zur Reichsstadt und verurteilte es zur Entrichtung der vom Fiskal eingeforderten Reichssteuern. [9] Ob die Stadt dem Urteil Folge leistete, ließ sich nicht ermitteln.
Ergebnis
<7>
Die Gründe für die Entscheidung des Reichskammergerichts lassen sich der Prozessakte nicht entnehmen. Abgesehen von dem sicherlich vorhandenen Eigeninteresse des Gerichts an einem Beitrag Lemgos zu seinem Unterhalt [10] lässt sich nur vermuten, dass das entscheidende Kriterium die vom Fiskal geltend gemachte Verzeichnung Lemgos in den Reichsmatrikeln war.
<8>
Bei näherer Betrachtung dieses Umstandes sowie des weiteren Vorbringens der Parteien ergibt sich allerdings, dass der Fiskal sich argumentativ auf sehr unsicherem Boden bewegte. Zwar wurde Lemgo tatsächlich in den Reichsmatrikeln der Jahre 1431, 1467, 1480, 1487, 1489 und 1521 als Reichsstadt geführt. [11]. Aber bereits im frühneuzeitlichen juristischen Schrifttum findet sich der Hinweis, dass der Eintrag in den Reichsmatrikeln nicht zwangsläufig den Schluss auf die Reichsunmittelbarkeit der eingetragenen Gebiete ermöglichte. [12]
<9>
Gerade das Beispiel Lemgos zeigt, wie unbegründet die Aufnahme als Reichsstadt in die Matrikeln sein konnte. Die Stadt wurde vermutlich zu Ausgang des 12. Jahrhunderts vom lippischen Edelherren Bernhard II. in seinem Territorium gegründet. Sie lag also nicht auf königlichem Boden, auch Privilegien des Reichsoberhauptes hat sie nie erhalten, sondern nur von den Edelherren bzw. Grafen zur Lippe. [13] Lemgo stand nach dem "pactum unionis" von 1368 das entscheidende Votum bei Streitigkeiten über die Erbfolge im lippischen Herrscherhaus zu. Schließlich führte es sogar die lippische Rose im Stadtwappen und auf seinen Siegeln.
<10>
Die Möglichkeit, bei den Reichsabgaben auf nicht reichsunmittelbare Städte zurückzugreifen, wurde dem Kaiser durch die dem Hussitenfeldzug dienende Matrikel des Jahres 1427 eröffnet. Der Erhebungsmodus gestattete im Gegensatz zu späteren Matrikeln den unmittelbaren Zugriff auf vermögende Landstädte. [14] Im Schrifttum wird vermutet, dass diese Landstädte dann einfach in die Matrikel des Jahres 1431 als Reichsstädte übernommen wurden. [15] Die Eintragung Lemgos in die Reichsmatrikeln seit 1431 war demnach kein Beweis für seine Reichsunmittelbarkeit und seine generelle Reichssteuerpflicht. Die Klageerhebung des Fiskals ruhte somit auf einem juristisch wenig überzeugenden Fundament.
<11>
Wie kam der Fiskal dazu, Lemgo trotz dieser Umstände aufgrund der Matrikeleinträge als Reichsstadt zu bezeichnen? Es ist darin der Versuch zu sehen, die Anzahl der zahlungspflichtigen Reichsstände zu erhöhen. Dadurch hätten kurzfristig Zahlungsverweigerungen von Seiten anderer Stände zumindest teilweise aufgefangen werden können. Langfristig hätte vielleicht auch das Reichssteueraufkommen insgesamt erhöht oder doch zumindest der Widerstand gegen eine Erhöhung verringert werden können, weil diese sich dann auf eine höhere Anzahl Zahlungspflichtiger verteilt hätte.
<12>
In dem Bestreben des Fiskals, den Matrikeleintrag Lemgos für die Betreibung von Reichskammergerichtsverfahren nutzbar zu machen, zeigte sich der Versuch, das Reichskammergericht auch mit nicht sehr stichhaltigen Argumenten in den Dienst der kaiserlichen Steuerpolitik zu stellen. Diesem Versuch war insofern Erfolg beschieden, als das Reichskammergericht, wie oben bereits ausgeführt, der Klage stattgab, wenngleich wegen nicht vorliegender Entscheidungsgründe nicht festzustellen ist, sondern nur vermutet werden kann, dass es die Argumentation des Fiskals übernahm.
<13>
Das Beispiel Lemgos war kein Einzelfall. Andere Landstädte wie z.B. Göttingen und Warburg wurden im 16. Jahrhundert vom Fiskal unter Berufung auf ihre angebliche Reichsunmittelbarkeit gleichfalls auf Zahlung von Reichssteuern verklagt. Dabei wurde die Schwächung, die die Herauslösung dieser vom Fiskal als Reichsstädte angesehenen Landstädte aus einem Territorium für dessen Landesherrn bedeuten musste, in Kauf genommen, um die akuten finanziellen Nöte des Reiches zu lindern.
Anmerkungen
[1] Gerhard Köbler: Historisches Lexikon der deutschen Länder, 6. Aufl., München 1999; Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Bd. II, Berlin 1978, 2045 'Lippe'.
[2] Die Akte wird im nordrhein-westfälischen Staatsarchiv (StA) Detmold unter der Signatur L 82 Nr. 233 verwahrt.
[3] StA Detmold, L 82 Nr. 233, Bl. 13v (Petitio articulata des Fiskals).
[4] StA Detmold, L 82 Nr. 233, Bl. 15r (Originalvollmacht der lippischen Landräte).
[5] StA Detmold, L 82 Nr. 233, Bl. 9r.
[6] Zu den folgenden und weiteren, hier aus Platzgründen nicht zu berücksichtigenden Argumenten s. StA Detmold, L 82 Nr. 233, Bl. 11r-14v (Petitio articulata des Fiskals) und Bl. 43r-49v (Probationes des Fiskaladvokaten).
[7] Samuel Oberländer: Lexicon Juridicum Romano-Teutonicum, unveränderter Nachdruck der 4. Aufl., Nürnberg 1753, hg. von Rainer Polley, Köln / Weimar / Wien 2000, 468 'Matricula Imperii' und 603 'Reichs-Matricul'.
[8] Zu den Argumenten der Beklagten s. StA Detmold, L 82 Nr. 233, Bl. 20r-27v (Defensionalartikel Lippes und Lemgos).
[9] Zur Verurteilung der Beklagten Friedrich Copei, Lemgo und das Reich, in: Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde, Band XV, 1935, 163 (179f). Die Prozessakte enthält keinen Hinweis auf die Verurteilung, das Protokoll war teilweise unleserlich.
[10] Darauf wies der von der lippischen Regierung in einem anderen Reichskammergerichtsverfahren bevollmächtigte Prokurator Lic. Johann Helffmann bereits im Jahre 1543 hin, s. Friedrich Copei, Lemgo und das Reich, 163 (176).
[11] Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Neudruck der Ausgabe von 1747, Osnabrück 1967, 1. Teil, 139, 222, 271, 287, 293; 2. Teil, 228.
[12] Samuel Oberländer: Lexicon Juridicum Romano-Teutonicum, 468 'Matricula Imperii', mit weiteren Nachweisen.
[13] Friedrich Copei: Lemgo und das Reich, 163 (164-169).
[14] § 2 der Übereinkunft der Fürsten- und Stadträte im Rahmen des "Anschlages der Reichs-Stände zu dem Hussiten Krieg auf dem Reichstag zu Franckfurt Anno 1427"; §§ 1, 25 der "Verordnung wegen des gemeinen Pfennings auf dem Reichstag zu Franckfurt Anno 1427", in: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Neudruck der Ausgabe von 1747, Osnabrück 1967, 1. Teil, 123, 124, 127.
[15] Friedrich Copei: Lemgo und das Reich, 163 (170).

Autor:
Christian Vajen
Ruhr-Universität Bochum
Lehrstuhl v. Prof. Dr. Bernd Schildt
Gebäude GC 6/155
44780 Bochum
christian.vajen@ruhr-uni-bochum.de

Empfohlene Zitierweise:

Christian Vajen: Die Durchsetzung der kaiserlichen Steuerpolitik vor dem Reichskammergericht - dargestellt an einem Beispiel aus der Grafschaft Lippe, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, [13.12.2004], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse. Zum Zitieren einzelner Passagen nutzen Sie bitte die angegebene Absatznummerierung.

historicum.net Editorial Abonnement Archiv Richtlinien Impressum