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  4 (2005), Nr. 1: Inhalt
Johannes Paulmann
Die Zukunft des Geschichtsstudiums: Zur Einführung
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Die Umstellung der Studiengänge an deutschen Hochschulen auf die neuen Abschlüsse Bachelor und Master gibt Anlass, über die Zukunft des Geschichtsstudiums nachzudenken. Zugleich berühren die Debatten um den Nutzen der Geisteswissenschaften die Geschichte als eine der Kerndisziplinen unmittelbar. Angesichts dieser doppelten Herausforderung kann die Einführung der neuen Studiengänge als Gelegenheit begriffen werden, sich über die Ziele, Anforderungen, Inhalte und Formen der universitären Ausbildung im Fach Geschichte zu verständigen. Mit der Absicht, diese Verständigung in einer breiteren Fachöffentlichkeit anzuregen, fand am 11. und 12. Juni 2004 am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung eine Tagung zur Zukunft des Geschichtsstudiums statt. Die Volkswagen-Stiftung förderte die Zusammenkunft, um damit zugleich exemplarisch für eine geisteswissenschaftliche Disziplin die Frage von Bachelor- und Masterstudiengängen diskutieren zu lassen.
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Die drei Organisatoren der Konferenz - Jürgen Kocka, Johannes Paulmann und Winfried Schulze - hatten Vertreterinnen und Vertreter der Geschichtswissenschaften aus allen Epochen, mit verschiedenen sachlichen und regionalen Schwerpunkten, von großen und kleinen, etablierten und neueren Universitäten, aus dem Inland, aber auch aus dem Ausland eingeladen. Schließlich waren unterschiedliche Altersgruppen vertreten, wenngleich die Veranstaltung überwiegend Professorinnen und Professoren ab 40 Jahren zusammenführte. Hinter der Auswahl stand nicht das Ziel, eine irgendwie repräsentative, Verlautbarungen legitimierende Versammlung einzuberufen. Die Absicht war vielmehr, eine offene Diskussion vor dem Hintergrund verschiedener Voraussetzungen, Erfahrungen und Interessen sowohl im Fach wie an unterschiedlichen Universitäten zu ermöglichen.
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Auf der Tagung wurden Grundfragen der Umstellung diskutiert, eine Bilanz der bislang erfolgten Reformschritte gezogen, aber auch Chancen und Risiken der weiteren Umsetzung aufgezeigt. Dabei wurde vermieden, über den drohenden Untergang der Disziplin im Speziellen und der Geisteswissenschaft im Allgemeinen zu klagen oder mitreißende Reformeuphorie zu verbreiten. Selbstverständlich debattierten die Anwesenden das prinzipielle Für und Wider, doch im Vordergrund der zwei Tage standen sachbezogene Fragen der Umsetzung von Studiengangsreformen in der Geschichtswissenschaft. Deutlich wurde der Bedarf an Erfahrungsaustausch, aber auch ein Abstimmungsbedarf in bestimmten Bereichen. So sehr die neuen Studiengänge von außerhalb der Universitäten allgemein gefordert werden, so vereinzelt verläuft doch die Umsetzung. Im Wesentlichen geschieht sie ohne oder nur mit wenig Informationen über das, was in anderen Fächern oder an anderen Universitäten abläuft. Die Hochschullehrer und Fachbereiche sind weitgehend mit allgemeinen Vorgaben alleingelassen worden, besaßen damit aber auch die Chance eigenständiger Gestaltung. Doch die Regelungsdichte scheint inzwischen merklich zuzunehmen. Staatliche und - durch die Akkreditierung - staatlich beauftragte, private Institutionen schränken den Handlungsspielraum zusehends ein. Das bislang weitgehend isolierte Vorgehen und die drohende Einschränkung von Gestaltungsspielräumen machen es dringend erforderlich, eine breitere Fachöffentlichkeit herzustellen. Die allgemeinen Gesichtspunkte der Studiengangsreform sollten für die besondere Situation der Geschichtswissenschaft intensiv erörtert werden.
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§ 19 des Hochschulrahmengesetzes von 1998 räumt die Möglichkeit neuer Studienabschlüsse ein (Bachelor/Master). Unter dem zusätzlichen Eindruck des sog. Bologna-Prozesses und ermutigt durch Stellungnahmen der HRK, der KMK und des Wissenschaftsrates haben viele Fachhochschulen und Universitäten inzwischen begonnen, ihre Studiengänge neu zu organisieren. Bis 2010 soll in Europa überall die gestufte Studienstruktur eingeführt sein. Auch im Fach Geschichtswissenschaft ist diese Bewegung jetzt vielerorts aufgenommen worden, nachdem zunächst nur einige Vorreiter tätig geworden waren (Erfurt, Bochum, Mannheim, Greifswald). Allerdings führen die Herausforderungen nicht notwendig zur Reflexion über Inhalte und Aufgaben des Fachs. Es ist eine Tendenz zu beobachten, bei Einführung der neuen Studiengänge lediglich Umetikettierungen und eine rein formale "Modularisierung" des Bestehenden vorzunehmen. Ein Grund hierfür liegt sicher auch in der unentschiedenen Haltung zum Reformvorhaben: Häufig wird selbst von der Politik neben der Einführung der neuen die Beibehaltung der traditionellen Lehramts- und Magisterstudiengänge gefordert. Die Einführung von BA- und MA-Studiengängen steigert dann lediglich die Bürokra¬tisierung und produziert ein Regelgewirr, das den universitären Betrieb, entgegen der Reformintention, nur lähmt. Auf diese Weise wird die Chance einer inhaltlichen Neukonzipierung erschwert, die mit der Reform der Studiengänge an sich gegeben ist. Die Einführung des Bachelors und Masters bietet dagegen tatsächlich die Möglichkeit der (neuen) Verständigung über eine inhaltlich-organisatorische Reform des Geschichtsstudiums.
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Viele wesentliche Gesichtspunkte, die bei der Neukonzeption im Rahmen der noch groben Strukturvorgaben, Berücksichtigung finden sollten, wurden auf der Tagung benannt. Hinsichtlich der inhaltlichen Positionsbestimmung wurden folgende Fragen diskutiert:

- Findet eine explizite oder auch implizite Kanonisierung der Inhalte in den Curricula statt?

- Wie beugt man einer zu starken Vernachlässigung von "Rand"-Bereichen und transdisziplinären Aspekten als einer typischen Folge von Studienstraffungen vor?

- Wie beugt man umgekehrt, bei fakultätsübergreifend gebildeten Studiengängen, einer falsch verstandenen Verwässerung des Faches Geschichte vor?

- Kann eine Reform zur Anpassung inhaltlicher Strukturen an geänderte Wissensordnungen genutzt werden? Hier ist vor allem an das Interesse für europäische und weltgeschichtlichen Themen zu denken und an eine kulturwissenschaftliche Neuorientierung der Studiengänge, die scharfe disziplinäre Grenzen überwinden möchte.
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Zahlreiche Fragen berührten die Praxis in den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen:

- Wie werden die Ausbildungsinhalte auf die Bachelor- und Masterphasen verteilt?

- Sind Bachelor-Studiengänge allgemeinbildend oder schon fachspezifisch angelegt?

- Welche Folgen haben die hohe Zahl der studienbegleitenden Prüfungen für die akademische Lehre?

- Welche Folgen ergeben sich für die Struktur der wissenschaftlichen Forschung in Promotionsstudiengängen, Graduiertenzentren und anderen Forschungsverbänden?

- Wie kann man im Fall des Festhaltens der Kulturpolitik an der Zwei- oder gar Dreigleisigkeit von BA/MA, Staatsexamen, Magister mit den gegebenen Ressourcen (Personal, Lehrdeputate) sinnvolle Lösungen schaffen?
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Die Antworten aus der Praxis fielen unterschiedlich aus. Es lohnte sich jedenfalls, die Erfahrungen an mehreren Orten in Deutschland, wo bereits Erfahrungen gesammelt wurden, und im Ausland zu betrachten. Die sich verändernde Praxis forderte ferner dazu heraus zu diskutieren, wie dies unser Selbstverständnis als Universitätshistoriker berührt und welchen Typ von Studierenden ein solches Studium eigentlich braucht (und hervorbringt).
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Das Thema der beruflichen Perspektiven von Geschichtsabsolventen beschäftigt Universitätshistorikerinnen und -historiker nicht erst seit der Einführung neuer Studiengänge, doch der öffentliche Druck verschärft zweifelsohne die Notwendigkeit, das Fachstudium zu rechtfertigen. Begrifflich herrschen allerdings Missverständnisse: Sollen "employability" und "berufsqualifizierend" tatsächlich dasselbe meinen? Sind wir mit "berufsbefähigend" oder "beschäftigbar" besser dran? Die Begriffsverwirrung spiegelt unklare Zielvorstellungen wieder, kann aber auch gezielt eingesetzt werden, wenn es um die Ausgestaltung von Studiengängen oder gar ihre grundsätzliche Rechtfertigung geht. Es lohnt, genauer nachzudenken:

- Welche berufsrelevanten Fähigkeiten sollte oder kann ein Geschichtsstudium vermitteln? Vergessen werden sollte dabei nicht, dass die traditionellen Studiengänge keineswegs vollkommen berufsfremd gewesen sind.

- Welche Rolle spielen Praktika im Geschichtsstudium?

- Wie kann die Akzeptanz vor allem von Bachelor-Abschlüssen Arbeitgebern vermittelt werden? Selbst öffentliche Arbeitgeber scheinen Aufklärung nötig zu haben.
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Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung am WZB diskutierten die genannten Problembereiche auf differenzierte Weise. So konnte ein Eindruck vermieden werden, der sich in Gesprächen über die Umstellung von Studiengängen gelegentlich aufdrängt: Dass nämlich alles mit allem zusammenhänge und gleichzeitig jeder Redner das Kardinalproblem identifiziert hat oder sein besonderes Reformanliegen vertritt und in den Mittelpunkt gerückt sehen möchte. Ganz bewusst haben die Organisatoren die inhaltliche und methodische Positionsbestimmung der deutschen Geschichtswissenschaft an den Anfang gestellt. Sie möchten die Verständigung mit einer Auseinandersetzung über den disziplinären Gegenstand eröffnen. Vielleicht liegt ja gerade hier auch eine Stärke der Geschichtswissenschaft. Eine Bestimmung der politischen Grundfragen der Neuordnung gehört gleichfalls an den Anfang. Die Praxis der Umstellung beschäftigt die meisten Universitätslehrer inzwischen im Alltag. Es bleibt zu wünschen, dass Perspektiven der Studiengangsreform dabei nicht gänzlich aus den Augen verloren gehen. Auch zu diesem Zwecke sind Beiträge der Konferenz vom 11./12. Juni 2004 an dieser Stelle dokumentiert.

Autor:
Prof. Dr. Johannes Paulmann
Helmut Schmidt Chair of International History
International University Bremen
Campus Ring 1
28759 Bremen
j.paulmann@iu-bremen.de

Empfohlene Zitierweise:

Johannes Paulmann: Die Zukunft des Geschichtsstudiums: Zur Einführung, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 1, [09.03.2005], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

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