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Georg Friedrich Ferdinand Prinz von Preußen wurde 1976 als Sohn von Louis Ferdinand Prinz von Preußen und Donata Gräfin zu Castell-Rüdenhausen geboren. Durch den frühen Tod seines Vaters wurde in der Erbfolge des Hauses eine Generation übersprungen, da Prinz Louis Ferdinand senior nun seinen Enkel Prinz Georg Friedrich zum Nachfolger als Chef des Hauses bestimmte. Mit dem Tod seines Großvaters, Prinz Louis Ferdinand senior am 25. September 1994, wurde er Chef des Hauses Hohenzollern. Nach zwei Jahren Militärdienst bei den Gebirgsjägern in Mittenwald nahm er das Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Bergakademie in Freiberg in Sachsen auf, das er in Kürze abschließen wird.

Gesprächspartner
 

 

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Was charakterisiert in Ihren Augen heutzutage den Adel?

Wenn es überhaupt möglich ist, einen typischen "Charakterzug" des Adels in der heutigen Zeit zu nennen, so sind es vielleicht Traditionsbewusstsein und das Bewahren von Werten. Aber auch das lässt sich nicht verallgemeinern. Ich möchte auch nicht Begriffe wie Pflichtbewusstsein, Bescheidenheit und Treue strapazieren, die so oft mit dem Begriff "Adel" in Verbindung gebracht werden.

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Welche Eigenschaften machen den Adel zum Adel – in heutigen Zeiten?
Hat sich hier ein Bedeutungswandel vollzogen, auch im adligen Selbstverständnis?
Gibt es heute noch den Adel?

Als Angehöriger einer Familie mit langem Namen, oder, wenn Sie wollen, als "Adliger", blickt man meist auf eine lange Familiengeschichte zurück, die eng mit der Geschichte des jeweiligen Landes verbunden ist. In vielen Fällen gilt es auch noch Besitz, vor allem auch Kunstbesitz, für die nächsten Generationen zu erhalten. In unserer Zeit bedeutet dies oft eine kaum mehr zu bewältigende Belastung, vor allem auch finanziell. Um dies zu bewerkstelligen, sind heute solide betriebswirtschaftliche Kenntnisse erforderlich – und harte Arbeit. Mit den herkömmlichen Vorstellungen eines "adligen Lebens", wie man es aus Überlieferungen vergangener Jahrhunderte kennt, hat das wenig zu tun.

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Der Adel galt in der Forschung lange Zeit als eine herrschende Schicht, die sich Neuerungen widersetzt hat. Entspricht dies auch der adligen Wahrnehmung? Und wie fühlt man sich heute als Adliger?

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich mich selbst nicht als "Adliger" fühle – und schon gar nicht verfüge ich über eine "adlige Wahrnehmung". Ich achte und schätze die Traditionen meines Hauses und gebe mir Mühe, diese auch weiterzuführen. Doch in der Praxis unterscheidet sich meine Rolle nicht von der eines bürgerlichen Unternehmers, der einen alteingesessenen Familienbetrieb übernommen hat, und diesen auch für künftige Generationen erhalten will. Dies bedeutet vor allem Verantwortung gegenüber der eigenen Familie, aber auch gegenüber Mitarbeitern.

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Zum Selbstverständnis als Adliger heutzutage:
Zweifelsohne stellte der Adel in früheren Zeiten eine Elite dar. Sehen Sie im Adel auch heute noch eine Elite? Welches Verständnis von Elite würden Sie dem – im positiven Fall – zugrundelegen?

Um zur Elite eines Landes zu gehören, braucht es weit mehr als einen langen Namen. Dies erreicht man durch Ausbildung, sehr viel Fleiß – und auch Glück. Ich bestreite nicht, dass auch in unserer heutigen Zeit ein bekannter Familienname manche Tür öffnen kann. Doch diese sind sehr schnell wieder geschlossen, wenn man sich nicht bewährt, wenn man den Aufgaben nicht gewachsen ist.

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Niemand wird bezweifeln, dass das Haus Preußen über Jahrhunderte hinweg Geschichte geprägt hat. Wie geht eine Dynastie mit dieser Geschichte um? Welche Bedeutung hat die Geschichte für den Adel heutzutage? Es ist eher eine Verpflichtung oder eine Bürde?

Meine Familie versucht, zeitgemäß mit der Geschichte unseres Hauses umzugehen. In meinem konkreten Fall bedeutet dies auch, dass ich vor zwei Jahren begonnen habe, ein Internetportal ( www.preussen.de ) zum Haus Hohenzollern einzurichten, das täglich von vielen Tausend "Usern" besucht wird. Die Geschichte spielt eine große Rolle, und wir versuchen sie zeitgerecht darzustellen. Es ist mir auch wichtig unsere Aufgabe als Bewahrer einer Kunstsammlung aufzuzeigen, die heute der Öffentlichkeit zugänglich ist. Wir beschränken uns nicht auf die Rolle eines Leihgebers, wir sind selbst Veranstalter und Initiatoren von erfolgreichen Ausstellungen. In Zukunft möchte ich durch internationale Tagungen zum Thema "Preußen" die Diskussion weiter anregen. Kontroverse Meinungen sind hierbei ausdrücklich erwünscht. Mir geht es um eine Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, die zum Teil auch die Geschichte meiner Familie ist.
Es ist sicher eine Verpflichtung, die ich aber gerne annehme und die ich als spannende Herausforderung sehe.

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Friedrich der Große hat (sinngemäß) einmal festgestellt, er wolle nicht, dass irgendein Archivar 100 Jahre nach seinem Ableben in seinen Papieren wühlt: So krass würde es heute wohl kaum ein Adliger formulieren, doch der Zugang zu Adelsarchiven oder zu den als privat deklarierten Beständen ist immer noch von der expliziten Genehmigung des betroffenen Hauses abhängig, teilweise immer noch schwierig. Ist historisches Arbeiten also – aus adliger Perspektive – auch heute noch ein Eindringen in familiäre Angelegenheiten, ist der Historiker ein potentieller "Nestbeschmutzer"?

Man kann das nicht verallgemeinern und es ist meiner Meinung nach auch davon abhängig, wie lange der zu erforschende Zeitraum zurück liegt und wie historisch relevant das Thema ist. Doch sollte man einer Familie das Recht zugestehen, sehr Privates von Angehörigen, die manche selbst noch kannten, nicht öffentlich zugänglich zu machen. Das ist für jedermann nachvollziehbar und würde in den sog. bürgerlichen Familien nicht anders gehandhabt. Ich sehe aber auch die Verpflichtung gegenüber der historischen Forschung. Das Haus Hohenzollern hat dies großzügig geregelt. Die Archivalien meines Hauses sind im "Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz" in Berlin für Forschungszwecke zugänglich.

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Einzelne Vertreter des Adels werden mit schöner Regelmäßigkeit von der Regenbogenpresse aufgespießt – bzw. nutzen selbst die Medien zur Erörterung privater Angelegenheiten. Ist das noch "standesgemäßes" Verhalten?

Das hat nicht mit "standesgemäß" zu tun – das ist ein Mangel von Stil, der bei Adligen wie bei Nicht-Adligen zu beobachten ist. Interessanterweise werden meistens gerade die Menschen verfolgt, die die Medien für eigene Zwecke einzusetzen versuchen.

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Für den frühneuzeitlichen Adel bedeutete das "gedechtnus" – also die Verpflichtung gegenüber den Vorfahren – eine zentrale Kategorie. Hat man "Lieblinge" in der eigenen Dynastie? Vorfahren, auf die man stolz ist? Und auch Ahnen, die man nicht mag, für die man sich vielleicht sogar schämt? Welche wären das? Und gibt es für diese Einschätzung besondere Kriterien?
Und weicht diese Einschätzung womöglich vom historischen Urteil der Fachhistoriker ab?

Natürlich gibt es Vorfahren, auf die man stolz ist, und auf manche weniger – auch das ist wohl in jeder Familie so. Stolz bin ich sicher auf Vorfahren wie Friedrich den Großen oder die legendäre Königin Luise. Ich schäme mich aber nicht explizit für einen Vorfahren, denn ich bin nicht verantwortlich für deren Tun und Handeln. Ich setze mich aber kritisch mit ihnen auseinander.
Ich lese Bücher von Historikern, die oft sehr gegensätzliche Meinungen vertreten und versuche mir so einen Überblick zu schaffen. Im Idealfall kann ich auf persönliche Erlebnisberichte zurückgreifen, wie beispielsweise bei meinem Ururgroßvater Kaiser Wilhelm II., den meine beiden Großväter noch kannten.

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Adlige Existenz war immer raumgebunden. Dies war schon durch Herrschaftsfunktion bedingt, die sich auf Räume, Territorien und Staaten bezogen hat. Gibt es auch heute noch diese Raumbezogenheit, auch Bindungen an ein Land, vielleicht sogar ein Gefühl der Verpflichtung für eine Region, einen Staat – auch wenn der Name Preußen heutzutage von der Landkarte verschwunden ist?

Mit Sicherheit fühle ich mich der Region Brandenburg und Berlin besonders verbunden – und ich freue mich, nun in Berlin zu leben. Doch ich sehe keine andere Verpflichtung als jeder Bürger, der sich mit seiner Heimat und deren Menschen verbunden fühlt.

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Der Adel hat stets darauf geachtet, sich als solcher darzustellen: Adel wollte immer inszeniert werden, lebte auch stark von der Repräsentation. Ist dies heute noch von Bedeutung? Und welche Formen der Selbstinszenierung sind dies: traditionelle oder moderne?

Immer und überall gab es Menschen, die sich inszeniert haben, wenn sie eine gewisse Rolle in der Öffentlichkeit spielten. Die große Mehrheit legt darauf keinen Wert – unabhängig davon, ob aus aristokratischen Familien oder nicht. Ich glaube nicht, dass es eine spezifisch adlige Selbstinszenierung gibt.

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Die Lebenswelt des Adels und auch seine typischen Tätigkeitsfelder haben sich im Laufe der Jahrhunderte stark gewandelt.
Spielt das Leben auf dem Land für den Adel heute noch eine besondere Rolle – im Gegensatz zum Leben in der Stadt, also dem "bürgerlichen" Lebensentwurf?

Das hängt davon ab, ob eine Familie noch Besitz auf dem Land hat, ob man ein landwirtschaftliches Unternehmen leitet, was ja häufig der Fall ist. Auch bei dieser Frage würde ich keinen Unterschied zwischen "adligem" und "bürgerlichen" Lebensentwurf machen. Ich glaube nicht, dass das Wochenende auf dem Landsitz, wie man es aus englischen Spielfilmen kennt, hier eine besondere Rolle spielt.

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Ein klassischer Lebensraum des Adels war der Hof. Was ist davon übriggeblieben – gibt es Nachfolgeformen oder ist diese Lebensform vollkommen untergegangen?

Ich glaube, davon ist nichts übrig geblieben.

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Haben noch typische Betätigungen wie die adlige Jagd einen relevanten Stellenwert im Leben des Adligen?

Jagd spielt insofern noch eine Rolle, als dass viele Familien noch Eigenjagden besitzen. Ob man daraus einen relevanten Stellenwert konstruieren kann, möchte ich bezweifeln.

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In der Vormoderne drohte dem Adligen fallweise der Verlust seiner Standesqualität, wenn er sich unstandesgemäß verhielt – besonders bei kaufmännisch-wirtschaftlichen Aktivitäten war dies der Fall. Heutzutage sind Adlige selbstverständlich unternehmerisch tätig, auch andere Formen beruflicher Aktivitäten sind problemlos möglich. Gibt es aber immer noch gewisse Beschäftigungen und Betätigungen, die in spezifischer Weise als "unadelig" gelten können? Darf ein Angehöriger des hohen Adels beispielsweise Fußballfan sein?

Ich sehe keine "unadelige" Beschäftigungen – es ist immer eine Frage der persönlichen Vorlieben und letztlich des Stils.

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Da der Adel für sich beanspruchte, der "Wehrstand" zu sein, stellte auch der Militärdienst lange Zeit eine Domäne des Adels dar. Ist dies heute immer noch so oder ist der heutige Adel völlig "unkriegerisch"?

Der Adel ist so "unkriegerisch" wie jeder andere Bürger dieser Republik.

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Auch die Bindung des Adels an die Kirche, unabhängig von der Konfession, war stets stark, freilich bedingt durch herrscherliche Aufgabe und Einflussmöglichkeiten. Besteht heute noch diese enge Verbindung oder ist der Adel in wachsendem Maße säkular geworden?

"Nihil sine deo – Nichts ohne Gott" lautet der Wahlspruch des Hauses Hohenzollern. Er wird von den meisten Familienmitgliedern sehr ernst genommen. Die Bindung an die Kirche ist aber eine sehr persönliche Entscheidung, die jeder für sich treffen muss und wird.

Empfohlene Zitierweise:

Georg Friedrich von Preußen / Gudrun Gersmann / Michael Kaiser : Adel heute – Fragen an Prinz Georg Friedrich von Preußen , in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 2, [2005-06-28], URL: https://www.zeitenblicke.de/2005/2/Interviewpr/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-1285

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