Abstracts
Walter Demel: Die Spezifika des europäischen Adels. Erste Überlegungen zu einem globalhistorischen Thema, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
Der Beitrag versucht die Besonderheiten des europäischen Adels zu eruieren, indem er ihn mit Eliten in Russland, dem Osmanischen Reich, Indien, China und Japan vergleicht. Folgende Eigenheiten erscheinen demnach als spezifisch für den europäischen Adel: Er war zu einer besonderen ("standesgemäßen") Lebensweise verpflichtet, genoss rechtlich fixierte Privilegien und übte in erblicher Form Herrschaft aus. Überdies war er in abgeschlossenen Korporationen organisiert ("Stände"), und im Rahmen dieser "ständischen" Korporationen pochte er auf politische Partizipation. Dabei erscheint gerade die vielfältige, "verfassungsmäßig" abgesicherte politische Mitsprache adeliger Korporationen als das, was den Adel Europas im globalen Vergleich bis gegen 1900 als einzigartig kennzeichnete.
Heike Düselder / Olga Sommerfeld: Adel an der Peripherie? Kultur und Herrschaft des niederen Adels in Nordwestdeutschland. Bericht über ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt der Universität Osnabrück und des Niedersächsischen Freilichtmuseums Museumsdorf Cloppenburg, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
Der Beitrag skizziert den Inhalte und Perspektiven eines Forschungs- und Ausstellungsprojekts zu Kultur und Herrschaft des niederen Adels in Nordwestdeutschland. Dabei werden zunächst die drei Adelslandschaften Osnabrück, Münster und Ostfriesland in ihren sehr heterogenen Strukturen und der Entstehungsgeschichte des Adels skizziert und in aller Kürze die Bedeutung des Adels als Herrschaftsstand und kultureller Impulsgeber erörtert werden. Anschließend werden die projektierten Untersuchungsfelder der seit Juni 2005 laufenden zweiten, wiederum zweijährigen Projektphase vorgestellt. Hierzu gehört auch das Thema eines Dissertationsvorhabens von Olga Sommerfeld, das im Rahmen des Gesamtprojektes durchgeführt wird. Anschließend wird mit kurzen Erläuterungen zu ausgewählten Exponaten ein Einblick in die neue Dauerausstellung "Adel auf dem Lande" im Museumsdorf Cloppenburg gegeben. Ein Tagungsbericht über den erst kürzlich an der Universität Osnabrück abgehaltenen Workshop "Frühneuzeitliche Adelsforschung in Niedersachsen und angrenzenden Regionen " rundet den Beitrag schließlich ab.
Jeroen Duindam: Vienna and Versailles. Materials For Further Comparison and Some Conclusions,
in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
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following text provides materials about the courts in
Ewald Frie: Adel um 1800. Oben bleiben?, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
Der Aufsatz nutzt die Probleme, die die neuere Geschichte
mit der Adelsdefinition hat, um das Problem des Wandels um 1800 in den Blick zu
bekommen. Dieser wird in Anlehnung an Luhmann als "evolutionäre 'Katastrophe'
(oder besser vielleicht 'Anastrophe')" beschrieben. Daraus ergab sich eine
relativ offene historische Situation auf der Ebene von Adelsfamilien,
Adelslandschaften und Staaten. Für die Jahre 1790-1830 kann man von einem "Laboratorium
vor der Moderne" sprechen.
Vor diesem Hintergrund erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit der
Schlüsselfrage, die Rudolf Braun vor 15 Jahren der Adelsgeschichte gestellt
hat: "Welches sind die Bereiche, Medien und Strategien, um nach oben zu
kommen und oben zu bleiben?" Im 19. Jahrhundert entstanden immer mehr "obens" in immer mehr funktionalen Systemen, und der
Erfolg in jedem einzelnen von ihnen war mit systembedingten Zumutungen
verbunden. Der Erfolg vieler Adeligen beruhte – neben ihrem aus der Frühneuzeit
stammendem "Vorsprung" – auf ihrer Fähigkeit, sich auf die Erfordernisse
von Funktionssystemen einzustellen, die die Überschreitung überkommener
Adelsvorstellungen verlangten. Parallel dazu verblasste die rechtliche
Sonderqualität des Adels. Als Gegenbewegung zur Einpassung in die funktional
differenzierte Gesellschaft können Familienverbände, Adelsgesellschaften,
Adelsgeschichten und Mythen verstanden werden, die vor allem in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewannen. "Adel" wurde
allmählich zur Selbst- und Fremdbeschreibung, wurde zur Metapher.
Katrin Keller: Frauen in der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts: Amtsinhabe und Netzwerke am Wiener Hof, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
Welche sozialen Handlungsspielräume ergaben sich für adlige Frauen in der ständischen Gesellschaft? Dieser Frage wird anhand der Situation am Wiener Hof nachgegangen. Eine spezielle Form solcher Handlungsräume eröffnete sich den Frauen, die als Amtsträgerinnen zum Hofstaat der Kaiserin gehörten. Unter diesen Ämtern ragte das Amt der Hofmeisterin heraus. Das Motiv für die Präsenz am Hof und das Streben nach Ämtern war weniger finanzieller Gewinn als vielmehr der Zuwachs an Ehre und Partizipationsmöglichkeiten am höfischen Heiratsmarkt. Der Zugang zum Kaiser bzw. der Kaiserin eröffnete weitere Möglichkeiten; besonders wichtig war die Netzwerkbildung, wie sie hier am Beispiel der Kaiserin Eleonora Gonzaga d. Ä. vorgeführt wird. Soziale Netzwerke, an der auch die meist landfremde Kaiserin interessiert war, ermöglichten eine gezielte Ämtervergabe und die Förderung der eigenen Familie. Ohnehin war das Ziel der Statussicherung des eigenen Hauses und Beförderung und Stabilisierung der Karriere des Mannes und der Kinder das entscheidende Ziel für diese Netzwerke. Von Patronage der adligen Hofdamen zu sprechen, erscheint dabei wenig sinnvoll, da mit dem Begriff immer hierarchisch gedachte Beziehungen eine Rolle spielten, die für Frauen im Kontext höfischer Hierarchien aber nur schwierig zu realisieren waren. Adäquater ist es daher von Netzwerkstrukturen zu sprechen, auch weil dieser Begriff flexiblere Verhältnisse umfassen kann.
Claudia Kollbach:
Karoline Luise von Baden-Durlach als Mutter ihrer
kranken Kinder:
Medizinische Praktiken als Teil der Prinzenerziehung in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
Der Aufsatz geht der Praxis der 'physischen' Erziehung am Hof von Baden-Durlach in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach. Diese ist entgegen der zeitgenössischen Hofkritik gekennzeichnet durch das Engagement der Markgräfin als Mutter ihrer kranken Kinder. Damit entsprach die Fürstin einerseits den neu artikulierten 'bürgerlichen' Ansprüchen, die an Frauen in ihrer Rolle als Mütter gestellt wurden. Andererseits verdankte sich ihr medizinischer Einsatz maßgeblich dem Interesse an der Dynastiesicherung, mitunter sogar dem Streben nach standesinterner Distinktion bzw. fürstlicher Repräsentation. Die Realisierung vermeintlich 'bürgerlicher' Vorgaben durch den Fürstenstand wird ferner in den größeren Kontext der 'Medikalisierung' gestellt. Neben der Disziplinierung der Frau als Mutter war diese Entwicklung gekennzeichnet durch die Unterwerfung des kindlichen Lebens unter ein medizinisches Reglement. Beide Vorgänge sollten schließlich zur Formierung des 'Kindes' als Erziehungsobjekt führen. Zugleich waren sie Ausdruck eines neu entstehenden überständischen Elitekonzepts, das Angehörige des Adels ebenso umfasste wie Teile des Bürgertums.
Ute Küppers-Braun: Anmerkungen zum Selbstverständnis des hohen Adels - Katholische Hochadelsstifte als genossenschaftliche Kontrollinstanzen für Ebenbürtigkeit und Missheirat, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
Der hohe Adel definierte sich bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts primär über die Abstammung und nicht - wie zeitgenössische es Juristen es nahe legten - über die Reichsstandschaft. Für diese Festlegung spielt der Begriff 'Stiftsmäßigkeit' eine wichtige Rolle. Erst die Einbeziehung der hochadligen freiweltlichen (katholischen) Damenstifte, die in der Adelsforschung bisher völlig ignoriert wurden, zeigt, dass es verschiedene Arten von Stiftsmäßigkeit gab. Die Einrichtungen in Essen, Elten, Köln (St. Ursula), Vreden und Thorn/NL waren ebenso wie die Domstifte in Köln und Strassburg nur dem hohen Adel (d. h. alten reichsgräflichen und fürstlichen Häusern) vorbehalten. Diese Reichsstifte verlangten eine völlig andere Adelsqualität als Stifte des niederen Adels und bildeten genossenschaftliche Kontrollinstanzen für Ebenbürtigkeit und Konnubium. Deren Selbstverständnis, das auch von protestantischer Seite geteilt wurde, wird erst im späten 18. Jh. zurück gedrängt und unter dem Druck der kaiserlichen Zentralbehörden den römisch-rechtlichen Normen der Juristen angepasst. Standeserhöhte Familien brauchten ca. 100 Jahre, um hier Zugang und Anerkennung zu finden.
Wolfgang Neugebauer: Konfessionelle Klientelpolitik
im 17. Jahrhundert. Das Beispiel der Reichsgrafen von Sayn-Wittgenstein,
in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
Der Beitrag greift den Ansatz nach Patronagestrukturen und Klientelverhältnissen im frühneuzeitlichen Reich auf und untersucht, ob und wie der Faktor der Konfession auf eine Patron-Klientel-Beziehung konstituierend und stabilisierend über größere räumliche Distanzen und generationentranszendierend gewirkt hat. Als Beispiel werden die Grafen von Sayn-Wittgenstein herangezogen, die im Kreis der Wetterauer Reichsgrafen dem Calvinismus zuneigten und damit von einer einstmals kaisernahen Position abrückten. In der Krisenzeit des Dreißigjährigen Kriegs erfolgte zunächst ein Anschluss an die schwedische Macht, doch Graf Johann VIII. bewirkte eine Neuorientierung, indem er in die Dienste des ebenfalls calvinistischen Kurfürsten von Brandenburg trat. Das neue Protektionsverhältnis, das durch Patenschaften bekräftigt wurde, bescherte dem Kurfürsten einen verlässlichen Gefolgsmann und stabilisierte die politische Position des Sayn-Wittgensteiner. Auch andere Angehörige des Grafenhauses machten, stets unter Rekurs auf das Konfessionsargument, Karriere im Militär und am Hof der Hohenzollern. Erst im Gefolge des Sturzes des Grafen Wartenberg zu Beginn des 18. Jahrhunderts, der auch einen Graf von Sayn-Wittgenstein in Ungnade fallen ließ, erfolgte eine Abkehr von den calvinistischen Hohenzollern. Nachdem bereits im 17. Jahrhundert der Bezug zu Kaiser und Reich stets ein wichtiges Korrektiv des Klientelverhältnisses zu Brandenburg dargestellt hatte, lehnten sich die Reichsgrafen nun wieder stärker an den Kaiserhof an. Im 18. Jahrhundert haben Untertanen in Auseinandersetzungen mit den Grafen diese Raumbeziehungen aufleben lassen.
Michael Sikora: Ungleiche Verbindlichkeiten. Gestaltungsspielräume standesverschiedener Partnerschaften im deutschen Hochadel der Frühen Neuzeit, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3.
Die zentrale Bedeutung der Eheverbindungen
für den Transfer von Besitz, Rang und Stand durch die Generationen unterwarf
die Partnerwahl des Adels hohen strategischen Anforderungen. Die Option,
ständische Rücksichten in außerehelichen Beziehungen mit minderrangigen
Partnerinnen zu umgehen, war zwar weit verbreitet. Sie stand aber unter dem
Odium moralischer Verwerflichkeit und beließ die Partnerinnen in ungesicherter
Abhängigkeit. Der Blick auf alternative Lösungen dieses Dilemmas offenbart eine
breite Palette von Möglichkeiten mit fließenden Übergängen. In ihnen werden
einerseits die Normkonflikte erst realisiert und artikuliert. Sie enthüllen
andererseits einen großen Spielraum, den Mitglieder des deutschen Hochadels zur
Befriedigung ihrer Bedürfnisse wahrzunehmen sich im Stande sahen. Die
radikalsten unter ihnen gingen selbst vollgültige Ehen mit unstandesgemäßen
Partnerinnen ein. Kirchenrechtlich standen sie den anerkannten
Adelsverbindungen damit eigentlich gleich. Es war vielmehr der Mangel an
standesgemäßer Inszenierung, der das entscheidende ständische Defizit
unüberwindbar markierte.