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Die zunehmende Verbreitung digitaler Medien betrifft die Kunstgeschichte in zweierlei Hinsicht: Sie bringt eine Veränderung sowohl des Gegenstandsbereichs als auch der Arbeitsmittel und -methoden des Faches mit sich. Während sich einerseits Künstler zur Verwirklichung und Vermittlung ihrer Ideen seit jeher sämtlicher Medien bedienen, die ihnen dafür zur Verfügung stehen, verändern andererseits neue Medien auf nicht unerhebliche Weise die Arbeitsmittel und damit die Methoden der Kunstbetrachtung und -analyse: Das digitale Medium verändert – wie zuletzt der Druck – nicht nur die Möglichkeiten der Reproduktion von Kunst, sondern in besonderem Maße deren Verbreitung, Dokumentation und Kontextualisierung.

Gänzlich neue Kommunikations- (Diskussionsforen im Internet, Mailinglisten, E-Learning), Dokumentations- (Datenbanken) und Präsentationsformen (digitale Modelle, Animationen) bieten die Chance zu einer Erneuerung der 'Infrastruktur' der Kunstgeschichte, zu neuen Austauschformen und Wissenschaftsnetzen. Sie haben aber auch direkten Einfluss auf die Fragen, die Kunsthistoriker an ihre Gegenstände stellen und damit auf die Schwerpunkte und Methoden, an und mit denen das Fach arbeitet und mit denen es sich nach außen präsentiert.

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Nur selten wird erkannt, welch großen Einfluss die Struktur und Qualität der digitalen Dokumentation unseres Kulturerbes auf die Kulturgeschichte hat. Die digitalen Daten stellen in immer größerem Umfang das sichtbare 'Interface' zum aktuellen und historischen Kulturschaffen dar, und nur wenn bereits hier der Komplexität der Strukturen Rechnung getragen wird und ein angemessenes, aber auch verständliches und umsetzbares Darstellungsmodell gefunden wird, wird unser kulturelles Erbe auch in Zukunft angemessen wahrgenommen werden können – sonst läuft die Wissenschaft Gefahr, selbst ein eindimensionales, verzerrtes oder unstrukturiertes Bild ihrer Arbeit zu produzieren.

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Eine kritische Auseinandersetzung mit den medialen Bedingtheiten des Kunstschaffens und seiner Erforschung sollte somit selbstverständlicher Bestandteil der kunsthistorischen Arbeit sein. Dies erfordert entsprechende Kompetenzen, sowohl hinsichtlich der konkreten technischen Prozeduren als auch hinsichtlich einer methodischen Reflexion derselben. Daher bietet das Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München seinen Studierenden seit dem Sommersemester 2005 einen dreisemestrigen, promotionsbegleitenden Aufbaustudiengang an, in dem die Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien in der kunsthistorischen Arbeit vermittelt, praktisch erprobt und kritisch reflektiert werden. [1]

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Aus der Überzeugung heraus, dass ein Verständnis der neuen Medien im praktischen Umgang mit konkreten Aufgabenstellungen am besten erreichbar ist, steht im Mittelpunkt des Studiengangs ein Projekt, das gleichzeitig zahlreiche Schnittstellen zur Praxis des kunsthistorischen Berufslebens bietet. Im ersten Durchgang des Studiengangs bestand dieses Projekt in einem Relaunch der Website der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, der somit Aufgaben der musealen Kunstvermittlung und Öffentlichkeitsarbeit mit solchen der digitalen Bildbearbeitung, Datenbankerstellung und –pflege und des Webdesigns bis hin zur Konzeption eines Content-Management-Systems verband. [2]

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Begleitet wurde das Projekt durch Seminare zu den kunsthistorischen Schwerpunkten des Lenbachhauses. Der Lehrplan des Studiengangs umfasste weiterhin ergänzende Angebote zur methodischen Reflexion wie zum praktischen Umgang mit digitalen Medien.

Ersteres, die methodische Reflexion, war Schwerpunkt einer Einführung in die digitale Kunstgeschichte, in der unter anderem Websites und multimediale Werkbetrachtungen analysiert und unterschiedliche Datenbankmodelle diskutiert wurden: So gelten beispielsweise für Bilddatenbanken, die in erster Linie Reproduktionen zur Verfügung stellen, gänzlich andere Prämissen als für museumsspezifische Objektdatenbanken: Bei letzteren bildet die Abbildung lediglich einen Teil der Information, der genaue Daten zum Werk selbst, zu Ikonographie und stilistischer Einordnung, zu relevanter Literatur und ähnlichem begleitet. Die vergleichende Betrachtung von Datenbankmodellen, multimedialen Präsentationsformen und Internetangeboten ermöglicht die kritische Auseinandersetzung mit der Spezifik der jeweiligen Präsentationsform, etwa dem oft normativen Charakter von Datenbanken.

Während dieses Seminar noch recht nahe an praktischen Anwendungen war, bot eine Einführung in Positionen der Medientheorie einen größeren Kontext, stellte Fragen nach Begriffen wie Original und Reproduktion, Repräsentation und Simulation, Kommunikation und Information, jeweils konkretisiert an den durch die neuen Medien hervorgerufenen Veränderungen.

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Die stärker theoretisch, methodisch beziehungsweise kunsthistorisch ausgerichteten Seminare wurden von Mitarbeitern des Instituts angeboten, für EDV-praktische Kurse wurden jedoch externe Dozenten aus der Praxis eingeladen, etwa für eine zweisemestrige Einführung in Datenbanktechnologie und einen Kurs zu mobilen Informationssystemen.

Das Projektseminar selbst, die Konzeption und Erstellung der Webpräsenz des Lenbachhauses, wurde von einer Medienagentur begleitet, deren Geschäftsführer promovierter Kunsthistoriker ist und somit über eine für diese Aufgabe ideale Doppelqualifikation verfügt.

Ergänzt wurde der Studiengang durch eine Vortragsreihe, in der weitere Themen der digitalen Kunstgeschichte, von Urheberrecht über CAD-Modelle bis hin zu Barrierefreiheit, behandelt wurden.

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Das Institut für Kunstgeschichte der LMU München kann aufgrund langjährigen Engagements des Lehrstuhls von Prof. Hubertus Kohle in verschiedenen E-Learning, Datenbank- und Internetprojekten umfangreiche Erfahrungen an die Studierenden weitergeben. Wohl mit die wichtigste Erfahrung aus diesen Projekten ist, dass es den einen Königsweg der digitalen Kunstgeschichte nicht geben kann, sondern dass die Heterogenität der Methoden und Perspektiven auch und gerade im digitalen Medium gespiegelt werden sollte und kann. Ein zentral verwaltetes, auf normierten Eingabemodulen basierendes, datenbankgestütztes Wissensmodell – obwohl es auf den ersten Blick reizvoll erscheinen mag – wird die moderne Kunstgeschichte nur schwerlich repräsentieren können. Daher ist es Ziel des Studiengangs, die Studierenden nicht lediglich in eine vorgegebene Kombination von vermeintlich standard-bildenden Programmen einzuführen, sondern durch die Einbeziehung verschiedener Dozenten unterschiedliche Perspektiven auf die digitale Kunstgeschichte zu eröffnen, neben grundlegenden praktischen Fähigkeiten auch Problembewusstsein und effektive Arbeitsstrategien zu vermitteln, um sich auch in neue Projekte und Aufgaben schnell einarbeiten zu können.

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So soll ein Beitrag dazu geleistet werden, Kunsthistoriker nicht nur fachlich adäquat auszubilden, sondern ihnen auch moderne Techniken und Methoden der Wissenserzeugung und -vermittlung nahe zu bringen, die die differenzierten, vielschichtigen Perspektiven, die eine historische Wissenschaft heutzutage verlangt, in einem flexibel strukturierten Forschungsnetz voranbringen helfen.

Abbildungen

Abbildung 1
Website der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München, Launch durch die Studierenden des Aufbaustudiengangs digitale Kunstgeschichte am 10.04.2006.

Autorin:

Katja Kwastek
Institut für Kunstgeschichte
Georgenstr. 7
80799 München
kwastek@lmu.de



[1] Zum Aufbau des Studiengangs siehe die Homepage desselben unter http://www.digitale-kunstgeschichte.de <15.09.2006>. Zu Konzepten und Inhalten einer 'digitalen Kunstgeschichte' siehe Hubertus Kohle / Katja Kwastek: Computer, Kunst und Kunstgeschichte, Köln 2003, sowie Katja Kwastek: Medien und Wissenschaft. Kunstgeschichte im digitalen Zeitalter, in: Rundbrief Fotografie 12 (2005)/ 4, 31-34.

[2] Siehe http://www.lenbachhaus.de <15.09.2006>.

Empfohlene Zitierweise:

Katja Kwastek : Der Aufbaustudiengang 'digitale Kunstgeschichte' am Institut für Kunstgeschichte der LMU München , in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 3, [2006-12-03], URL: https://www.zeitenblicke.de/2006/3/Kwastek2/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-6544

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