DiPP NRW
zeitenblicke
Direkt zum Inhalt
Sektionen

Abstracts

Hans-Jürgen Bömelburg:
Forschungen zur Ständegeschichte des östlichen Europa, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

Der Beitrag leistet einen Überblick über Forschungstendenzen der Ständeforschung zum östlichen Europa: Institutionengeschichtlich erlauben neue Akteneditionen eine genauere Markierung des Übergangs von spätmittelalterlichen Ständen zu frühneuzeitlichen Repräsentativverfassungen. Zudem bieten prosopographische Arbeiten zur Beamtenstruktur und die Beschäftigung mit der Rechts- und Verwaltungskultur interessante Einblicke in die Ständesysteme. Schwerpunktmäßig nehmen jüngste Arbeiten bei der Erforschung des Verhältnisses zwischen der Krone und den Ständen die frühneuzeitliche Finanzpolitik, Aushandlungsprozesse zwischen Monarch und Ständen, sowie Kommunikationsstrukturen in den Blick. Neu ist auch ein Akzent auf der Kulturgeschichte des Rechts. Was die Akteure betrifft, so rücken neben der traditionellen Adelsforschung in den letzten Jahren auch andere Stände wie die Geistlichkeit – in wesentlich geringerem Maße das Bürgertum und die Städte – in das Zentrum des Interesses. Die Ausweitung der Untersuchungen zu den theologisch-konfessionellen und bündischen Denkweisen der Akteure kann zu einer "neuen Geistesgeschichte" der ostmitteleuropäischen Partizipation beitragen. In zwei abschließenden Bemerkungen wird betont, dass die Einschätzung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten erheblich von der nationalen Historiographie abhängt, und dass der deutschen Geschichtswissenschaft eine besondere Rolle bei einer vergleichenden und transnationalen Perspektive zukommt.

 

Peter Haslinger:
Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in der historischen Forschung zum östlichen Europa, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

Einleitend zu einem Überblick über die Literatur zur Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in Ostmitteleuropa muss festgestellt werden, dass dieser Zugang selten von der ostmitteleuropäischen Historiographie selbst verwendet wird, obwohl dies für Ostmitteleuropa nach 1989 besonders nahe liegend erscheint. Unter das erste Themenfeld, die Instrumentalisierung von Erinnerung durch politische Systeme, fällt zunächst die Beschäftigung mit der repressiven Seite des kommunistischen Systems, verbunden mit der Schuldfrage, die Gefahr läuft, zum "politischen Kampfplatz" zu werden. Daneben werden in diesem Zusammenhang Historiographiegeschichte und die Instrumentalisierung tradierter Vergangenheit durch das kommunistische Regime untersucht. Hinsichtlich des zweiten Themenfeldes, der Forschung zu Erinnerungsorten bzw. vor allem ihrer Entnationalisierung, steht die ostmitteleuropäische Forschung noch am Anfang. Vor allem mit Bezug auf das ehemalige Jugoslawien wurde die Rolle von Erinnerungsmanagement für die Eskalation interethnischer Konflikte in den Blick genommen. Deren erinnerungskulturelle Folgewirkungen werden im Gegensatz zu denjenigen der Shoah eher selten betrachtet. Zuletzt werden Arbeiten zur Visualisierung und Materialisierung von Erinnerung in Form von Museen, Gedenkstätten, Festen und Denkmälern vorgestellt.

 

Laura Hölzlwimmer:
Emigration in und aus Osteuropa, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

Migrationsbewegungen prägten die Bevölkerungsentwicklung, die Politik und die Gesellschaften Osteuropas in erheblichem Maße. Angesichts der Vielseitigkeit dieser Wanderungsbewegungen wird zunächst eine Arbeitsdefinition vorgestellt, welche die Besonderheit des Migrationsvorgangs 'Emigration' beziehungsweise 'Exil' deutlich machen soll. Entsprechend der großen Anzahl von Emigrationen im 19. und 20. Jahrhundert gibt es viele verschiedene Ansätze zur Erforschung dieses transnationalen Phänomens. In den Abschnitten zwei bis fünf werden dementsprechend einige der unterschiedlichen Herangehensweisen in der Osteuropäischen Geschichte aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum aufgezeigt und einschlägige Arbeiten dazu umrissen. Abschließend geht es um die noch ausstehenden Fragestellungen und Untersuchungsgegenstände und die Frage, inwiefern die Osteuropäische Geschichte die Emigrationsforschung im Allgemeinen voranbringen kann.

 

Damien Tricoire:
Von der anderen Staatlichkeit: Geschichte der internationalen Politik und Osteuropäische Geschichte, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

Das Anliegen des Beitrags ist es, einzelne Ansätze der Diplomatiegeschichte Osteuropas vorzustellen und sie theoretisch zu reflektieren. Zunächst wird ein Überblick über die Ansätze im Fach Internationale Beziehungen und in der Geschichtswissenschaft geboten. Darin werden der so genannte 'realistische' Ansatz der klassischen Geschichtsschreibung, seine neuere, verfeinerte Version, der rationalistische Ansatz, sowie der Konstruktivismus besprochen. Im zweiten Teil werden Ansätze zur Erforschung der Geschichte der internationalen Politik in der Osteuropäischen Geschichte vorgestellt. Obwohl das Interesse an der internationalen Politik in dieser Teildisziplin relativ schwach ist, wurde wohl besonders aufgrund der Präsenz von Imperien in der Region ein eigener Beitrag zu Grundfragen der internationalen Politik geleistet: die Konstruktion von Politik hinsichtlich der zwischenstaatlichen Verflechtungen, des langfristigen staatlichen Selbstverständnisses und der Erfindung von Europa- und Weltordnungen. In einem dritten Schritt werden die Thesen aufgestellt, dass Geschichte der internationalen Politik nicht mit internationaler Geschichte gleichzusetzen ist und dass sowohl der konstruktivistische als auch der rationalistische Ansatz notwendig sind. Obwohl diese auf verschiedenen und teilweise konträren Prämissen ruhen, sind sie kompatibel. Die kulturgeschichtlichen Ansätze sowie die Ansätze der Überwindung der Nationalfixiertheit der Historiographie sind gegenüber dem rationalistischen Ansatz nachgeordnet.

 

Joachim von Puttkamer:
Nationalismus in Ostmitteleuropa – eine Zwischenbilanz, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

Die offensichtliche Konjunktur nationaler Denkmuster in der aktuellen politischen Kultur Ostmitteleuropas, aber auch deren Relevanz für die "nation-building-Prozesse" des frühen 20. Jahrhunderts legen eine intensive Nationalismusforschung für diese Region nahe. Auf der Grundlage der Nationalismusansätze von Hroch, Stourzh, Hobsbawm und Anderson entstand in den letzen Jahren eine Fülle von Studien, die an verschiedene Aspekte des Nationalismus kultur- und diskursgeschichtlich herangehen. Stellvertretend werden einige neuere Arbeiten zu Polen, Ungarn und Rumänien im 19. und 20. Jahrhundert diskutiert. Untersucht werden dabei einerseits Stereotype, Geschichtsbilder, nationale Narrative, Feste und Orte. Andererseits werden Fragen nach der Modernität von Nationalismus, dessen Gewalt begründender Dynamik und seiner religiösen Dimension gestellt. Damit trägt die neuere Nationalismusforschung paradoxerweise selbst zur Demontage ihres Untersuchungsgegenstandes, der Nation als politisches Ordnungsprinzip, bei.

 

Frithjof Benjamin Schenk:
Das Paradigma des Raumes in der Osteuropäischen Geschichte, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

In diesem Beitrag werden Forschungsfelder bzw. neuere Debatten innerhalb der Osteuropäischen Geschichte vorgestellt, die im weitesten Sinne als Indikatoren für ein wachsendes Interesse an räumlichen Zusammenhängen in historischer Perspektive gewertet werden können. Es finden sowohl Arbeiten Berücksichtigung, die sich für die Geschichte von Raumdiskursen und für die Verortung von Osteuropa und seiner Teilräume auf entsprechenden kognitiven Landkarten ('mental maps') interessieren, als auch Forschungsprojekte, die sich im Kontext der Stadt-, Verkehrs-, Technik-, Kommunikations- oder Tourismusgeschichte mit Praktiken befassen, die zur Gestaltung und Ausgestaltung und Veränderung sozialer Räume beitragen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf neuere Arbeiten zur russischen und sowjetischen Geschichte gelegt.

 

Martin Zückert:
Krieg und Militär in Forschungen der osteuropäischen Geschichte Fragestellungen, Ergebnisse, Desiderata, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

Seit den neunziger Jahren hat die Beschäftigung mit Militär und Krieg in der Geschichte des östlichen Europa deutlich zugenommen. Dazu beigetragen haben zum einen äußere Einflüsse: Das Ende das 'Kalten Krieges' sorgte dafür, dass die Rolle von Militär in Staat und Gesellschaft in einer langen Perspektive neu hinterfragt wurde. Militärische Auseinandersetzungen wie in den neunziger Jahren infolge des Auseinanderbrechens Jugoslawiens wurden in Europa wieder möglich, was nach verbreiteter Einschätzung auch die Suche nach Hintergründen und Parallelen von Krieg und Gewalterfahrung evozierte. Zum anderen bot die Erweiterung der Militärgeschichte um Ansätze, die über eine reine Operations- und Organisationsgeschichte hinausgehen, der osteuropäischen Geschichte in Kombination mit dem sich inzwischen bietenden Zugang zu Archiven die Möglichkeit neue Themenfelder zu erschließen. Neuere Forschungen zu Krieg, Kriegserfahrung und der gesellschaftlichen Rolle von Militär ermöglichen nicht nur neue Sichtweisen auf Leitfragen der Geschichte des östlichen Europas, sondern stellen auch ein wichtiges Korrektiv zur allgemeinen militärgeschichtlichen Forschung, etwa über die beiden Weltkriege, dar.

 

Ricarda Vulpius:
Das Imperium als Thema der Russischen Geschichte. Tendenzen und Perspektiven der jüngeren Forschung, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

Nachdem lange Zeit entweder die Geschichte der Zentrale oder die Nationalgeschichte einer Ethnie des Russländischen Reiches geschrieben wurde, hat Andreas Kappeler eine erste wegweisende Gesamtschau der Geschichte der Völker des Russländischen Reiches vorgelegt. Die Forscher um die Zeitschrift "Ab Imperio", die sich der 'Novaja Imperskaja Istorija' verschrieben haben, fordern seither neben ethnischen Kategorien auch supranationale Identitäten stärker in den Blick zu nehmen und sowohl vertikale – von der Zentrale in die Peripherie –, als auch horizontale Strukturen zwischen den Völkern aufzeigen. Die kulturgeschichtliche Herangehensweise an die Imperiumsforschung rückt die Frage ins Zentrum, wie die Zeitgenossen selbst in der Literatur, in der Historiographie oder in offiziellen Dokumenten das Imperium und seinen Raum wahrgenommen haben. Die bis ins 20. Jahrhundert vorherrschende Deutung der Erschließung neuer Gebiete als kontinuierliche Erweiterung eines russischen Einheitsstaates wirft die Frage nach Unterschieden zwischen den Rhetoriken von Imperien und Nationalstaaten auf, für die Osterhammel acht idealtypische Merkmale herauskristallisiert hat; sie werden hier auf den russischen Fall angewandt. Abschließend wird der Erkenntniswert komparativer sowie beziehungsgeschichtlicher Imperiumsforschung hervorgehoben.

 

Matthias Braun:
Die Vermessung der Diktatur. Zwischen "archival revolution" und "new cultural history": Neuere Literatur über die Sowjetunion vor dem Zweiten Weltkrieg:, in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2.

Die umfangreiche Stalinismusforschung wird seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion von zwei Aspekten geprägt. Aufgrund der "archival revolution" sind umfangreiche, bisher unzugängliche Archivmaterialien verfügbar geworden. Und in Abgrenzung von Vertretern der Totalitarismustheorie und deren Revisionisten hat auch in diesen Forschungsbereich die "new cultural history" Einzug gehalten, so dass Repräsentationen, Sinnzuschreibungen, diskursive Praktiken und Aushandlungsprozesse im Mittelpunkt stehen. Untersucht werden die Entscheidungsträger und die Ausführenden des stalinistischen Terrors, ihre Netzwerke, Motivationen und Vorstellungswelten. Zudem erlaubt das neue Archivmaterial die Diktatur an ihren räumlichen Grenzen – auf dem Dorf und in der Peripherie des Reiches – und den inneren Grenzen der Durchsetzbarkeit zu untersuchen. Das Gerüst der Diktatur bilden schließlich die Kader, deren oft vielschichtige Loyalitäten sich in der Übernahme der Herrschaftssprache oder in der em "übergeordneten päpstlichen Willen" untergeordnet.Verortung der eigenen Biographie in den stalinistischen Gesamtdiskurs ausdrücken können.

 

Erstellt von: RedaktionZB
Zuletzt verändert: 2007-12-22 04:26 PM