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"Totgesagte leben länger" entgegnete Dietrich Beyrau vor zehn Jahren auf die Diagnose Jörg Baberowskis über "Das Ende der osteuropäischen Geschichte". Heute kann man eine Reihe von Indikatoren dafür anführen, dass die Geschichte Osteuropas den Vergleich mit anderen Subdisziplinen oder Teilbereichen der Geschichtswissenschaft nicht zu scheuen braucht: Wer die über elektronische Medien verbreiteten Tagungsprogramme, Konferenzberichte und Colloquiumsankündigungen verfolgt, wird eine außergewöhnlich hohe Präsenz der Geschichte Osteuropas in den Geschichtswissenschaften feststellen, was sich z.B. auch in den Veranstaltungsprogrammen der letzten deutschen Historikertage spiegelt. Auch die internationale Wahrnehmung der Geschichte Osteuropas ist beachtlich. Zumindest zur Geschichte Ostmitteleuropas trägt das Fach, abgesehen von den Historiographien der Länder Ostmitteleuropas selbst, im internationalen Vergleich am meisten bei; bezüglich der Geschichte Russlands und der Sowjetunion ist sicherlich Jörg Baberowskis Urteil nach wie vor gültig, dass die US-amerikanische Forschung aufgrund ihrer höheren Spezialisierung dominiert.

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Die in der Fachkontroverse vor zehn Jahren empfohlene Auflösung des Fachzusammenhangs zugunsten einer Spezialisierung auf einzelne Nationalgeschichten des östlichen Europa ist heute selbst zu historisieren: Das neue Interesse an transnationalen Fragestellungen lässt nationalspezifische Kompetenzen heute als ungenügend erscheinen. Die Matrix des Fachs der osteuropäischen Geschichte hat sich in den vergangenen zehn Jahren tendenziell zugunsten von grenzüberschreitenden Fragestellungen verschoben, welche die einzelnen Teilregionen (Ostmitteleuropa, Südosteuropa, Osteuropa) verbinden, aber auch über das östliche Europa hinausweisen. Für eine neue Essentialisierung von "Osteuropa" gibt es keinen Grund, für den Rückzug in die Nationalgeschichten freilich auch nicht.

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In dieser Ausgabe der zeitenblicke werden einige Einblicke in Themenfelder und institutionelle Arbeitsprogramme geboten. Gerade Fragestellungen mit transnationalen Dimensionen spielen dabei eine große Rolle, sei es in dem Beitrag von Ricarda Vulpius über Imperien, Benjamin Schenks Ausführungen über Raumgeschichte, Laura Hölzlwimmers Forschungsüberblick zur Geschichte von Emigrationen oder Damien Tricoires Überlegungen zu einer neuen Geschichte der Außenpolitik. Das Heft der zeitenblicke beansprucht nicht, einen vollständigen oder auch nur repräsentativen Überblick über die Forschungsfelder der Geschichte Osteuropas zu geben. Eine Reihe von Themengebieten, die im Fach aktuell eine große Rolle spielen, konnten nicht berücksichtigt werden (etwa die Geschlechtergeschichte, Musikgeschichte oder Religionsgeschichte). Für viele hier nicht diskutierte Fragen sei auf eine von Stefan Troebst herausgegebenes Diskussionsforum bei HSozKult über zur "Europäizität des östlichen Europa" verwiesen (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=744&pn=texte; 20.12.2007).

München, im Dezember 2007

Martin Schulze Wessel

Empfohlene Zitierweise:

Martin Schulze Wessel : Zu dieser Ausgabe , in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2, [24.12.2007], URL: https://www.zeitenblicke.de/2007/2/editorial/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-12509

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