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Imperiumsforschung hat Konjunktur, die Dominanz der Nationalismusforschung der späten achtziger und der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts ist gebrochen. Nicht nur das Auseinanderfallen der Sowjetunion, die von vielen vor allem im Nachhinein als letztes Imperium 'der alten Art' wahrgenommen wurde, hat dazu beigetragen. Neue Technologien und Medien haben darüber hinaus den Prozess der Globalisierung im letzten Jahrzehnt exponentiell beschleunigt und das Interesse an transnationalen Zusammenhängen und Phänomenen steigen lassen. [1] Die Literatur zu Imperien, allem voran zum British Empire, ist mittlerweile unüberschaubar geworden. [2] Immer deutlicher klingt das Interesse an, auch die USA seit ihrer singulären Supermachtstellung mit zu berücksichtigen. [3]

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Gerade die Vielzahl der in der Vergangenheit und Gegenwart gemeinhin als 'Imperien' bezeichneten Herrschaftsgebilde erschwert es, eine Definition zu finden, die 'vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten' jedem Fall gerecht wird. Die Einsicht, dass es "zwar Allgemeines gibt, aber immer nur in der Gestalt von Besonderem" [4], macht sowohl Fallstudien wie komparative Imperiumsforschung unentbehrlich, um sich dem Phänomen weiter zu nähern. Definitionsangebote zum Imperium sind in der Literatur Legion. [5] Die Definitionen reichen vom Kennzeichen der unabdingbaren Größe sowie der Herrschaft über zahlreiche Völker über das Gebot, Spuren in der jeweiligen Ära international hinterlassen zu haben bis zu einem ausdifferenzierten Kriterienkatalog, der räumliche, gesellschaftliche, politische und ideologische Aspekte umfasst. [6] An dieser Stelle soll es genügen, unter 'Imperium' einen zusammengesetzten Herrschaftsverband zu verstehen, dessen Metropole mehrere periphere Territorien und deren kulturell fremde Bevölkerung kontrolliert sowie universale Ansprüche erhebt. [7]

Die Imperiumsforschung zum Russländischen Reich im 20. Jahrhundert

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Auch die aktuelle Historiographie zum Russländischen Zaren- wie Sowjetreich spiegelt das gestiegene Interesse am Phänomen des Imperiums wider. Historiker hatten sich vor Ende des kurzen 20. Jahrhunderts von wenigen Ausnahmen abgesehen entweder nur auf die Metropole konzentriert, und das hieß vor allem auf die Titularnation, die Peripherie wurde, wenn überhaupt, dann nur als Objekt wahrgenommen – die sogenannte 'Top-Down-Perspektive', [8] oder aber es standen einzelne Nationalitäten (meist in ihrer 'Opferrolle') ohne analytischen Bezug zur Titularnation im Zentrum des Interesses. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion setzte ein reges Interesse an der Geschichte der Nachfolgestaaten ein. Vor allem Historiker aus den jüngst gegründeten Staaten machten die Bevölkerung der Peripherie des ehemaligen Russländischen Reiches und der Sowjetunion zum 'Subjekt' einer russländischen Geschichte und ergänzten damit den früheren 'Top-Down-Blickwinkel' um eine sogenannte 'Bottom-Up-Perspektive'.

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In dem Bestreben, die neuen Staatsgründungen historisch zu legitimieren, unterlagen dabei jedoch viele Historiker der Versuchung, die nationale Meistererzählung der jeweiligen nicht-russischen Ethnie zum einzigen Gegenstand zu machen, alternative Entwicklungsmöglichkeiten zu leugnen und die jeweilige Nationsbildung in Form eines linearen Fahrplanes zu beschreiben. In diesen Fällen erhielten die nationalen Meistererzählungen der nicht-dominanten Nationen dieselbe ethnozentrische Logik, welche zuvor der Erzählung von der 'russischen' Nation zu Grunde lag. Der Begriff einer 'imperialen Historiographie' verlor in diesen Fällen seinen Sinn. [9]

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Zeitgleich zu dieser Entwicklung, also Anfang der neunziger Jahre, setzte sich mit dem wegweisenden Buch von Andreas Kappeler der Blick auf die Interaktion von russischem Zentrum und multiethnischer Peripherie, von Titularnation und nicht-dominanten Ethnien durch. [10] Mit diesem neuen Ansatz wurde der Blick frei für alternative Konzeptualisierungen historischer Erfahrung, die jenseits einer ethnozentrischen Meistererzählung entweder der russischen oder einer nicht-russischen Nation liegen und sowohl die russische Titularnation als auch die nicht-dominanten Ethnien zum Subjekt einer russländischen Geschichte erklären. [11]

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Anderthalb Jahrzehnte nach Erscheinen dieses großen Werkes, das in zahllose Sprachen übersetzt wurde, ist es selbst zum Gegenstand von Kritik geworden. Diese Kritik hat zwei Stoßrichtungen. Zum einen wird Kappeler vorgeworfen, bei seinem Ansatz, der Bevölkerungsvielfalt des Reiches gerecht zu werden, erneut einem ethnozentrischen Blickwinkel verfallen zu sein. Statt die Frage der Ethnien in den Vordergrund zu stellen, müssten Regionen und einzelne Territorien ins Zentrum des Interesses rücken. Die Nationalitätenpolitik im Russländischen Reich sei von der Territorialpolitik der Regierung abhängig gewesen und nicht umgekehrt. Deutliches Zeichen sei hierfür die Tatsache, dass anders als in der späteren Sowjetunion das Zarenreich keine Titularnationen für seine administrativen Einteilungen auswählte, sondern bewusst rein territorialen Prinzipien den Vorzug gab. [12]

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Auch die zweite Kritikerfront bemängelt, dass bei Kappeler nicht das Problem des imperialen 'Raumes', sondern vielmehr die Summe nationaler Erfahrungen der Völker behandelt werde, die in das Russländische Reich inkorporiert wurden. Die Summe einzelner Nationalgeschichten aber bilde nicht aus sich heraus eine imperiale Perspektive. Die komplexen Konfigurationen nationaler, konfessioneller und ständischer Beziehungen würden zu sehr auf die binären Oppositionen eines tendenziell russifizierenden Zentrums und der nationalen Grenzländer reduziert. Kappelers Arbeit bilde zweifellos еine wichtige Vorbеdingung für weiterführende Studien. Eine generalisierende imperiale Sicht aber könne nur entstehen, wenn auch supranationale Identitäten ins Auge gefasst werden. Diese könnten entweder als Ergebnis der Ko-Existenz verschiedener ethnischer Bevölkerungsgruppen in einer Region entstanden sein oder als Ergebnis davon, dass das Reich versuchte, durch soziale und politische Praktiken eine Art imperialer Staatsbürgerschaft herzustellen. [13]

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Die Vertreter dieser Kritik sehen sich als Vorreiter einer neuen Forschungsrichtung, der sogenannten 'Neuen Imperialgeschichte' bzw. 'Novaja Imperskaja Istorija'. Sie fordern ein, den imperialen Raum und das Imperium selbst 'sichtbar' zu machen und zudem die theoretisch-konzeptionellen Defizite des Phänomens Imperium in der Historiographie zum Russländischen Reich zu beseitigen. Diese 'Novaja Imperskaja Istorija' ist dabei kein russisches Eigengewächs. Sie hat sich unter dem Einfluss der sogenannten Post-Colonial-Studies und insbesondere der 'New Imperial History' der britischen Imperiumsforschung herausgebildet, die bereits seit einem Jahrzehnt die bis dahin weitgehend separate Betrachtung von britischem Mutterland und überseeischen Kolonien hinter sich gelassen hat. Im Sinne der Verflechtungs- und Beziehungsgeschichte hat hier die Forschung vor allem ans Licht gebracht, welch tiefgreifende Wirkung imperiale Politik und deren Rezeption in den Kolonien auf britische Eliten und britische Politik im Mutterland hatte. [14] Die 'New Imperial History' der britischen Imperiumsforschung geht so weit, dass sie einer Geschichtsschreibung Englands, die imperiale Denkweisen bzw. Einflüsse des Empire nicht als strukturierendes Prinzip erkenne, ihre Berechtigung abspricht – ein Gedanke, der in abgemildeter Form auch von der Imperiumsforschung zum Russländischen Reich aufgegriffen worden ist, wenn man an die Debatte zwischen Willard Sunderland und Boris Mironov denkt. Auch in dieser Debatte ging es um die Frage, ob nicht selbst eine Sozialgeschichte Russlands, wie sie Mironov vorgelegt hat, weitaus stärker von der imperialen Kategorie durchdrungen sein müsste. [15]

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Während Forscher der britischen 'New Imperial History' jedoch nahezu ausschließlich kulturgeschichtlich arbeiten, plädieren Vertreter der 'Novaja Imperskaja Istorija' dafür, die Wahrnehmungsperspektive strukturgeschichtlich zu ergänzen. Insbesondere kritisieren sie an der britischen Imperialforschung und am Postkolonialismus insgesamt, dass das Problem horizontaler Interaktionen zwischen den nicht-dominanten Bevölkerungsgruppen ignoriert werde. Gegenseitige Einflüsse zwischen einzelnen Gruppen, Institutionen, Nationen und Staaten des Imperiums seien aber zentral, um zusammen mit den vertikalen Verbindungen Gesellschaft im imperialen Kontext beschreiben zu können. [16]

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Es liegt nahe, die Ursache für die unterschiedlichen Akzente der britischen und russländischen Neuen Imperialgeschichte in der unterschiedlichen Verfasstheit der untersuchten Imperien zu sehen – maritimes Imperium mit einer klar von den Kolonien geschiedenen Metropole hier, Kontinentalimperium mit fließenden Übergängen zwischen Kernland und Peripherien dort. Die fehlenden natürlichen Grenzen führten im Russländischen Reich zwangsläufig zu einer stärkeren Interaktion der Peripherien untereinander – ein Beispiel sind hierfür die Versuche polnischer Nationalbewegter im 19. Jahrhundert, Unterstützung für ihre sezessionistischen Anliegen gegenüber der russischen Zentrale bei national bewegten Ukrainern zu finden.

Die Sprache der Selbstbeschreibung

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Dennoch stehen auch für die Herausgeber der im Jahr 2000 gegründeten Zeitschrift "Ab Imperio", die Keimzelle der 'Novaja Imperskaja Istorija', Fragen der Wahrnehmung und Deutungen im Vordergrund – wie für fast alle der derzeit vor allem kulturgeschichtlich inspirierten Imperiumsforscher. Hinter dem Plädoyer, sich sprachlich-semantisch dem untergegangenen Zarenreich anzunähern und damit eine tatsächliche oder hypothetische Sprache der Selbstbeschreibung des Reiches herauszuarbeiten, steht der Versuch, das Phänomen Imperium zu entnormativieren. [17] Weder kann es demnach als hilfreich gelten, Imperien in der Tradition des 19. Jahrhunderts und seiner Nationalbewegungen als ein zu überwindendes bzw. überwundenes Entwicklungsstadium anzusehen; noch sollen Imperien mit imperialer Nostalgie als per se friedenswahrende, ethnische und religiöse Konflikte ausgleichende Strukturen betrachtet werden, deren Ende zuvor unterdrückte Gewaltpotentiale freisetzte. [18]

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Vielmehr geht es gerade auch im russländischen Fall darum, die Herausforderung zu meistern, sich dem Imperium als einem genealogisch vor-modernen Phänomen mit der modernen Sprache und den Konnotationen der Moderne anzunähern. Wie kann man vermeiden, in das Imperium etwas einzuschreiben, was für dasselbe vielleicht gar nicht charakteristisch war? Stichworte wie Imperium und zivilisatorische Leistungen, wie Toleranz und Teilhabe fremder Eliten an der imperialen Herrschaftsausübung sowie die Bedeutung des Imperiums als Vermittler supranationaler politischer Identitäten mögen hier stellvertretend für Facetten des imperialen Phänomens genannt sein, an die aus heutiger Perspektive nicht einfach heranzukommen ist. [19]

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Zur Lösung des Übersetzungsproblems plädiert Anthony Pagden – Autor des bedeutenden Werkes "Lords of all the World. Ideologies of Empire in Spain, Britain and France, 1500-1800" – dafür, zu untersuchen, wie die Zeitgenossen selbst das Wort 'Imperium' verwandten und welche Bedeutung sie der Bezeichnung und seinen Erscheinungsformen gaben. [20] Auch wenn im russländischen Falle für die vormoderne Zeit keine entwickelte Selbstreflexion der Eliten auszumachen ist, können dennoch 'Visionen' in geographischen Vorstellungen, in literarischen Diskursen und in der Geschichtsschreibung, in der Gesetzgebung, in Denkschriften und Expansionsprojekten herausgearbeitet werden.

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Mark Bassin hat in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen den bislang wichtigsten Beitrag zu den 'kognitiven Landkarten' ('Mental Maps') der russländischen Eliten des 18. und 19. Jahrhunderts geleistet. Bassin zeigt, dass sich russische Intellektuelle in dem Maße, in dem sich Russland 'europäisierte', ein Gegenüber in der Gestalt Asiens schufen. Im Zuge dieser Verwestlichung gewann die Idee an Zustimmung, den Ural als Grenze des europäischen Russlands und als Abgrenzung gegenüber Asien einzuführen sowie Sibirien mit einer Zivilisierungsmission entgegenzutreten. [21] Claudia Weiss hat diesen Gedankenstrang jüngst in ihrer Arbeit über die "Russische Geographische Gesellschaft" aufgegriffen und die Bedeutungsverschiebungen Sibiriens als asiatische Kolonie für das russische 'Mutterland' im späten Zarenreich bestätigt. Demnach wandelte sich das Bild von einer nutzlosen Kolonie, die Russland nur dazu verhelfen sollte, europäischer auszusehen, hin zu einer Vorstellung, wonach Sibirien als integrierter Teil dem Imperium neben wirtschaftlichem Aufschwung auch eine positive imperiale Identität bescherte. Russland war nun im Selbstverständnis der Eliten das Land einer zugleich europäischen und asiatischen Macht geworden. [22]

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Auch die Literatur als Spiegel (und Produzent) imperialer Selbstbilder im 18. und 19. Jahrhundert ist jüngst Gegenstand mehrerer Monographien geworden. [23] Sie zeigen einmal mehr, dass Literatur und Politik mindestens im 18. und frühen 19. Jahrhundert nicht voneinander zu trennen sind: Literatur konnte als Quelle und Inspiration für das Entstehen staatlicher Ideologie fungieren, oder den Resonanzboden für imperiale Ideen und Projekte bilden und damit im Dienst der Politik und imperialer Ambitionen stehen.

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Der Akteurstatus gilt in ähnlicher Form für die Historiographie. Vasilij Nikitič Tatiščev war nicht nur der Begründer der wissenschaftlichen russischen Historiographie, sondern zugleich auch Gouverneur von Orenburg von 1737-39 und damit Mitgestalter einer zentralen Phase der Expansion in die kasachische Steppe. Es war Tatiščevs Einteilung des Landes in eine russische Metropole und eine asiatische Kolonie entlang des Urals, die die 'kognitiven Landkarten' der Menschen noch Generationen nach ihm prägte. [24] Auch der konservative Hof-Historiograph und Akademie-Wissenschaftler Michail Michajlovič Ščerbatov hielt sich nicht aus der Politik heraus und bietet zusammen mit den Werken von Ivan Boltin und Nikolaj Michajlovič Karamzin Einsichten, die mit Blick auf das jeweilige imperiale Selbstverständnis der Zeit noch zu wenig erforscht sind. [25]

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Eine Sprache der Selbstbeschreibung des Imperiums, der Wahrnehmung von sich und den Anderen lässt sich am direktesten in Gesetzestexten, politischen Denkschriften und Schriftwechseln zu Fragen der Expansion und Integration fremder Völker finden. Hier ragt vor allem Yuri Slezkine's Arbeit zur russischen Wahrnehmung der indigenen Völker des Nordostens hervor. In der Monographie "Arctic Mirror", aber auch in seinem viel beachteten Aufsatz "Naturalists versus Nations: Eighteenth-Century Russian Scholars Confront Ethnic Diversity" zeigt er, wie sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die Wahrnehmungen und die Kategorien verschoben, mit denen der expandierende russische Staat und die in seinem Namen ausgesandten Wissenschaftler den indigenen Völkern Sibiriens im 17., 18. und 19. Jahrhundert begegneten. [26]

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Die vertikale Beziehung, die Begegnungen zwischen der russischen Regierungszentrale und den multi-ethnischen Peripherien mit all ihren Missverständnissen und grundlegend verschiedenen Deutungswelten, steht auch im Zentrum der Pionierarbeiten von Michael Khodarkovsky. Khodarkovsky demonstriert am Beispiel der 'Jasak'-Zahlungen und der Friedensverträge (šert'), mit denen Moskau seit dem 15. Jahrhundert die Begegnungen mit den Völkern des Ostens und Südens zu regeln suchte, dass der russische Staat und die Eingeborenen bis ins späte 18. Jahrhundert hinein von jeweils völlig anderen Dingen sprachen. [27]

Das Verhältnis von Nation und Imperium

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Besondere Aufmerksamkeit verdient angesichts des Fehlens natürlicher Grenzen zwischen einer imperialen Metropole und kolonialer Peripherie nach wie vor die Frage, wie das Verhältnis zwischen russischer Titularnation und russländischem Imperium wahrgenommen wurde. Das Thema, ob die Grenzen des Reiches mit denen eines russischen Nationalstaates zusammenfielen und damit die Unterscheidung in imperiale Metropole und Peripherie sich erübrige, oder ob Russen von ihrem angestammten Gebiet aus über ein Imperium herrschten, und was dies jeweils für Konsequenzen habe, beschäftigte die Gemüter bis ans Ende des Zarenreiches. [28] Das Problem des Verhältnisses von Staat, Nation und Imperium blieb ungelöst und lädt der Russländischen Föderation bekanntermaßen bis heute eine große Bürde auf.

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Einen wesentlichen Anteil an diesem ungeklärten Verhältnis hatte die über Jahrhunderte hinweg kontinuierliche Expansion des Moskauer Staates und späteren Petersburger Reiches. Die allmähliche Ausdehnung führte bei großen Teilen der russischen Gesellschaft zum Eindruck, es habe sich bei der Expansion des Vielvölkerstaates um einen 'natürlichen', einen organischen Prozess gehandelt, der nicht durch bewusste Politik, sondern durch die allmähliche Siedlungsbewegung russischer Bauern stattgefunden habe.

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Eine bedeutende Arbeit zur Dekonstruktion dieses Mythos hat jüngst Willard Sunderland mit seiner Monographie "Taming the Wild Field" vorgelegt. [29] Wie Khodarkovsky analysiert auch Sunderland die Inkorporation der südlichen Steppen in das Russländische Reich. Ihm geht es jedoch nicht um die Interaktion mit den 'Kolonisierten', sondern um die Gedankenwelt und die Erfahrungen der Kolonisierer. Sunderland stellt die These auf, dass es sich bei der russischen Expansion in die südliche Steppe um die gezielte Projektion und Konsolidierung imperialer Macht gehandelt habe. Zwar habe die russische Seite die eroberten Regionen bis Mitte des 19. Jahrhunderts nie zu einer 'Kolonie' erklärt. Auch hätten viele 'Kolonisierte' ihre Sprache und ihre Religion behalten können. Doch ließen die Eingriffe in die Selbstorganisation und das Wirtschaftsleben der Nomaden keinen Zweifel am imperialen Charakter des Kolonisationsprozesses. Zugleich räumt Sunderland ein, wie verständlich es ist, dass die Ausdehnung des Reiches nach Süden auch von Zeitgenossen eher unter dem Aspekt einer landwirtschaftlichen und demographischen Expansion betrachtet wurde. Zum einen machten Bauern den größten Anteil der Kolonisten aus (und dies ohne das Bewusstsein, ein ihnen fremdes Territorium zu entwickeln und zu inkorporieren), zum anderen betonten auch russische Staatsmänner die militärische Sicherheit, die Zentralisierung sowie die administrative Integration in das Reich mehr als die Beibehaltung einer territorial verschiedenen und ausbeutbaren Peripherie. [30]

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Wenn aber die russische Politik bei ihrer Expansion in die Steppe vorrangig nach dem Muster von Staatsbildung und Integration vorging, stellt sich erneut die Frage, was dann noch das Russländische Imperium von einem russischen Nationalstaat unterschied. Es ist zugleich die zentrale Problematik von Landimperien, die sie von den maritimen Imperien westeuropäischer Provenienz grundlegend trennt. Als einer der ersten in der Imperiumsforschung hat Jürgen Osterhammel jüngst acht Themenfelder herausgearbeitet, in denen sich die Rhetoriken von Imperium und Nationalstaat bzw. ihrer sich artikulierenden Eliten unterscheiden. [31] Mit Hilfe der Sprache der Selbstbeschreibung von Imperien können diese Themenfelder (idealtypisch verfasst) der Forschung weitere wichtige Impulse geben, die nicht nur die Imperiumsdefinition (in Abgrenzung zur Definition des Nationalstaats) präzisieren helfen, sondern auch fruchtbare Grundlagen für die komparative Imperiumsforschung – insbesondere die der Kontinentalimperien – bieten.

Idealtypische Unterscheidung der Rhetoriken von Nationalstaaten und Imperien

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(1) Während Nationalstaaten in der Regel von deutlich fixierten Grenzen ("border") zu anderen, ähnlich strukturierten Nationalstaaten umgeben sind, haben Imperien weniger deutlich bestimmte Außengrenzen dort, wo sie auf 'Wildnis', 'Barbaren' oder ein anderes Imperium treffen. Imperien legen zwischen sich und das Nachbarimperium am liebsten Pufferstreifen ("frontier"), Gebiete also, die sich jenseits von Regionen befinden, die in die Imperien integriert sind. [32] Auf derartige Frontier-Zonen einigten sich auch das Russländische und das Osmanische Reich in ihrem Friedensvertrag von 1739. [33]

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(2) Während der Nationalstaat Wert auf seine Homogenität und Unteilbarkeit legt, betont das Imperium die Heterogenität und die Unterschiede aller Art. Das Russländische Imperium verwies mit Beginn des 18. Jahrhunderts mit Stolz auf die Vielzahl und Vielfalt der im Reich vorhandenen Völker. Gerade in der Selbstrepräsentation anlässlich von Feierlichkeiten, zum Beispiel bei Thronbesteigungen, wurde dieser Vielfalt mit steigender Intensität Ausdruck verliehen. [34] Im Laufe des 19. Jahrhunderts erhielten zuvor neutrale Termini wie jene der "inorodcy" (Fremdstämmige) jedoch eine zunehmend negative Konnotierung und bezeichneten im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur eine rechtliche Kategorie sondern auch Minderwertigkeit. [35]

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(3) Im Nationalstaat wird die Idee einer Legitimierung politischer Herrschaft 'von unten' und in Berufung auf die Interessen der Nation oder des Volkes gepflegt. Das Imperium, "undemocratic by definition" [36], "a sovereignty that lacks a community" [37], muss sich mit einer Legitimierung 'von oben' begnügen. Als wichtigste Bindekraft und Ort symbolischer Verdichtung des Imperiums diente der Monarch und die Monarchie, bzw. im russländischen Fall der Autokrat und die Autokratie. Daneben versuchte der russländische Staat, durch die vorübergehende Anerkennung des Status quo der politischen Selbstorganisation eroberter Völker sowie durch Verwaltungsleistungen oder Sonderbegünstigungen von Klientelgruppen die Herrschaft bei seinen Untertanen positiv zu konnotieren. [38] Gleichwohl konnte keine Rhetorik darüber hinwegtäuschen, dass die Bindung der einzelnen Peripherien an das Zentrum in erster Linie auf latenter Gewaltandrohung beruhte.

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(4) Während man dem Nationalstaat unmittelbar als Bürger angehört und die Staatsangehörigkeit Rechtsgleichheit und Staatsunmittelbarkeit mit sich bringt, sehen Imperien statt einer gleichen Bürgerschaft eine Hierarchie abgestufter Berechtigungen vor. Im Russländischen Fall knüpfte diese Hierarchie abgestufter Pflichten und Rechte bis ins späte 19. Jahrhundert an Sonderbeziehungen zu den verschiedenen inkorporierten politischen Gebilden oder zu einzelnen Ethnien. [39] Die Unvereinbarkeit von Staatsbürgerschaft innerhalb eines Imperiums, ein angestrebtes, aber unerreichtes Ideal der Liberalen im späten Zarenreich, bleibt nach wie vor ein viel diskutiertes Forschungsthema. [40]

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(5) Im Nationalstaat werden kulturelle Gemeinsamkeiten wie Sprache, Religion, Sitten und Gebräuche tendenziell von der gesamten Bevölkerung geteilt, im Imperium hingegen beschränken sie sich auf die imperiale Elite im Zentrum und deren Ableger in der Peripherie. Unterschiede zwischen den reichsweit und den regional gepflegten Traditionen bleiben erhalten. Aufgrund ihrer multi-ethnischen Verfasstheit neigen Imperien zu bewusst geduldeter religiöser und sprachlicher Pluralität.

Im Russländischen Reich bestand bis zum Zusammenbruch 1917 ein Spannungsverhältnis zwischen Toleranz und Duldung auf der einen und Assimilierungsbemühungen auf der anderen Seite. Zu keinem Zeitpunkt gab es eine in allen Teilen des Reiches durchgeführte konsequente Russifizierungspolitik. Zugleich nahm sie jedoch gegen Ende des Zarenreiches systematischere Formen an und verweist damit auf die zunehmende Fusion von russisch-nationaler und russisch-imperialer Identität. [41]

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(6) Bei aller Duldung und Toleranz verbindet die Eliten der Imperien das Bewusstsein, aufgrund eigener zivilisatorischer Überlegenheit zu irgendeiner Art von Zivilisierungsmission gegenüber 'Fremdstämmigen' berufen zu sein. Diese hat meist zum Ziel, eine akkulturierte Bildungsschicht in den Peripherien zu schaffen. Im Nationalstaat gibt es nichts Vergleichbares. Maßnahmen wie die allgemeine Schulversorgung und gute "Policey" sollen dort zur Anhebung des Lebensstandards von allen und in gleicher Weise führen.

Im Russländischen Reich lassen sich Ansätze einer Zivilisierungsmission in der petrinischen Zeit finden. Im Kontext (früh-) aufklärerischer Ideen beinhalteten sie vor allem die systematische Heranführung Andersgläubiger an das Christentum sowie der Nomaden an die Sesshaftigkeit. [42]

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(7) Während der Nationalstaat für seine Genese auf die Anfänge der mit ihm korrespondierenden Nation oder gar auf eine gemeinsame biologische Abstammung rekurriert, führen sich Imperien auf Gründungsakte erobernder Kriegskönige zurück und bedienen sich oft der Idee imperialer Fortsetzung. Mit dem Aufkommen essentialistischer und teleologischer Nationalhistoriographien geraten Imperien freilich in Schwierigkeiten – sie können ihre eigene Geschichte und Entwicklung nicht organisch (re-)konstruieren. Während Nationalbewegungen daher ihren Zusammenhalt primär mit dem Rückblick in die Vergangenheit beschwören, suchen und beziehen Imperien ihre Inspirationen vor allem in und aus Zukunftsvisionen. [43]

Im Russländischen Reich nutzte Peter I. den Sieg über die Schweden, der im Frieden von Nystad (1721) seinen Niederschlag fand, dazu, um sich als "Imperator Vserossijskij" auszurufen – der offizielle Gründungsakt des Imperiums mit deutlichen Bezügen auf das Imperium Romanum. [44] Zudem deutete schon die Annahme des Zarentitels von Ivan IV. 1547 im Zusammenhang mit der Eroberung von Kazan auf den Anspruch, mittels des Sieges über die ehemaligen Herren das Erbe des Mongolenreiches anzutreten. [45] Trotz der Übernahme von Thronfolge- und Hochzeitszeremonien aus Byzanz spielte der Gedanke, in der Nachfolge des Byzantinischen Reiches zu stehen, hingegen kaum eine Rolle. [46] Das Aufkommen nationaler Bewegungen mit ihren Abstammungs- und Ursprungsmythen im 19. Jahrhundert entzog der russländisch-imperialen Identität zunehmend den Boden. [47]

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(8) Während der Nationalstaat für sich in Anspruch nimmt, besondere Beziehungen zu einem bestimmten Gebiet, seinem 'angestammten' Territorium, zu besitzen und diese Beziehungen mit teilweise sakralisierten Erinnerungsorten pflegt, haben Imperien ein eher extensives als intensives Verhältnis zum Boden. Boden dient als verfügbare Fläche der Herrschaftsausübung.

Im Falle des Russländischen Staates ist eine Beziehung zum eroberten Grund und Boden bis zum 18. Jahrhundert tatsächlich kaum auszumachen. [48] Mit Peter I. aber und erst recht unter Katharina II. trifft dieses Verhältnis nicht mehr zu. Willard Sunderland hat für die petrinische und post-petrinische Zeit ein wachsendes territoriales Bewusstsein herausgearbeitet, wonach die politischen und kulturellen Eliten mehr und mehr versuchten, das Territorium des Reiches zu kategorisieren, abzugrenzen und sich anzueignen. Aufgrund der generell territorialen Bezogenheit nationalen Denkens führte dies freilich zu dem Ergebnis, dass die Vorstellung von einem russischen nationalen und einem imperialen Territorium zunehmend miteinander fusionierten. [49] Das Verhältnis zum Territorium bildet daher eine besonders fruchtbare Analyseebene, um den Weg in die unauflösliche Verbindung und konzeptionelle Überlappung von russischer Nation (russischem Nationalstaat) und russländischem Imperium nachzuvollziehen. [50]

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Auch wenn die hier auf das Russländische Reich angewandte typisierende Gegenüberstellung von Themenfeldern, bei denen sich die Rhetorik des Nationalstaates von der des Imperiums unterscheidet, grundsätzlich für See- und Landimperien Geltung hat, vermag sie doch aufgrund der größeren Abgrenzungsproblematik in erster Linie die Erkenntnis über letztere zu fördern.

Komparative Imperiumsforschung und Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte

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Für beide Imperientypen lassen sich hingegen eine Reihe anderer struktureller Merkmale benennen, die als Anknüpfungspunkte für den Vergleich dienen können, wie er bislang vor allem von Historikern des Russländischen und des Habsburger Reiches angestellt wurde und wird. [51] Hierzu zählen Fragen nach der für Imperien stabilisierenden oder destabilisierenden Rolle der imperialen Bürokratie, der Grenzlandpolitik, der des Fernverkehrs und der weiträumigen Informationsübertragung, nach der Rolle religiöser Bindungen sowie der Bedeutung des Rechts zur Vereinheitlichung einer imperialen Gesellschaft. [52] Die grundsätzliche Kritik an einer komparativen Imperiumsforschung, auch Imperiologie genannt, wie sie von Vertretern der 'Novaja Imperskaja Istorija' geübt wird, kann hingegen in keiner Weise überzeugen. [53] Erst der Vergleich fördert zu Tage, wo die Spezifika jedes Imperiums liegen und lagen und wo Verallgemeinerungen über den Einzelfall hinaus möglich sind.

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Diese grundsätzliche Einsicht in den Wert des Vergleichs gewinnt eine zusätzliche Bedeutung vor dem Hintergrund, dass zeitgenössische Akteure unter den imperialen Eliten selbst den Vergleich mit Herrschaftspraktiken und Erfahrungen anderer Imperien anstellten oder suchten. [54] So warb der Orenburger Gouverneur Ivan Kirillov in den 1730er Jahren bei der Zarin für seine Große Orenburger Expedition in die kasachische Steppe mit dem Verweis auf den Tatendrang und die Konkurrenz der westeuropäischen Imperien; die Expeditionen der Russischen Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert waren Teil einer imperialen Rivalität europäischer Großmächte um die Erforschung noch unbekannter Teile der Welt; die zeitweilig vorherrschende russische Perzeption Sibiriens als asiatische Kolonie lässt sich auf einen Nachahmungseffekt westeuropäischer imperialer Praktiken zurückführen, und zur Klärung der Frage, wie die schulische Bildung für Russlands östliche Nationalitäten zu gestalten war, entsandte der Volksaufklärungsminister D.A. Tolstoj in den späten 1860er Jahren eine Delegation ins britisch beherrschte Indien und französisch eroberte Algerien. Die interimperiale Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte, die Frage, inwieweit Begegnungen, Interaktionen und Transfers zwischen den europäischen Imperien stattgefunden und das jeweilige imperiale Selbstverständnis beeinflusst, geformt oder verändert haben, bietet daher über den Vergleich hinaus wenig bearbeitete, reizvolle Forschungsfelder. [55]

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Wie eingangs festgestellt wurde, hat Imperiumsforschung zwar einerseits Konjunktur, andererseits steht sie in vielen Themenfeldern noch am Anfang. Der größte Schritt zu weiterer Erkenntnis ist getan, wenn Imperien nicht länger nur unter dem Gesichtspunkt von 'Rise and Fall' und damit stets unterschwellig mit der Frage betrachtet werden, wann der Beginn ihres Niedergangs anzusetzen ist. [56] Stattdessen sollten ihre Strukturen ins Zentrum des Interesses rücken, damit sie mit der Frage untersucht werden können, die einst Paul Kennedy für das Britische Weltreich stellte: "Why did the Empire last so long?" [57]

Autorin:

Dr. Ricarda Vulpius
Ludwig-Maximilian-Universität München
Historisches Seminar
Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München
rvulpius@web.de



[1] Zum Zusammenhang von Globalisierung und dem gestiegenen Interesse für Imperien siehe Michael Hardt / Antonio Negri: Empire, Cambridge (Mass.) 2000.

[2] Einen guten Literaturüberblick bietet der Anhang in Kathleen Wilson (Hg.): A New Imperial History. Culture, Identity and Modernity in Britain and the Empire, 1660-1840, Cambridge 2004, 363-373. Zu Imperien allgemein: Stephen Howe: Empire: A Very Short Introduction, Oxford 2002; James Muldoon: Empire and Order: The Concept of Empire. 800-1800, New York 1999; Shmuel Eisenstadt: The Political Systems of Empires, New Brunswick 1992; Michael Doyle: Empires, Ithaca 1986. Für die Zeit vor 1800: Anthony Pagden: Peoples and Empires: A Short History of European Migration, Exploration, and Conquest, from Greece to the Present, New York 2001; James Muldoon: Empire and Order.

[3] Siehe exemplarisch Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005.

[4] Wolfgang Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, 19-20.

[5] Als Literatur zur Definition von Imperien seien hier neben der bereits erwähnten Literatur nur Titel genannt, die ihrerseits einen Überblick über Definitionen vermitteln: Alexander J. Motyl: Imperial Ends. The Decay, Collapse, and Revival of Empires. New York 2001, besonders 15-30; Jürgen Osterhammel: Imperialgeschichte, in: Christoph Cornelißen (Hg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, Frankfurt a.M. 2000, 221-232; Alexander J. Motyl: Thinking About Empire, in: Karen Bareky / Marc v. Hagen (Hg): After Empire. Multiethnic Societies and Nation-Building. The Soviet Union and the Russian, Ottoman, and Habsburg Empires. Boulder 1997, 19-29. Einen hilfreichen Einstieg in die Begriffsgeschichte von 'Imperium' bietet Dominic Lieven: Empire. The Russian Empire and Its Rivals, London 2000, bes. Kap. 1: Empire: A Word and its Meanings, 3-26; daneben Seymour Becker: Russia and the Concept of Empire, in: Ab Imperio 3-4 (2000), 329-342. Zur Abgrenzung von Imperium, Imperialismus und Kolonialismus Jürgen Osterhammel: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 1995; Wolfgang Reinhard: Kleine Geschichte des Kolonialismus, Stuttgart 1996.

[6] Eine solche komprimiert-komplexe Definition stammt von Jürgen Osterhammel. Demnach ist ein Imperium "ein großräumiger, hierarchisch geordneter Herrschaftsverband polyethnischen und multireligiösen Charakters, dessen Kohärenz durch Gewaltandrohung, Verwaltung, indigene Kollaboration sowie durch die universalistische Programmatik und Symbolik einer imperialen Elite (zumeist mit monarchischer Spitze) gewährleistet wird, nicht aber durch gesellschaftliche und politische Homogenisierung und die Idee allgemeiner Staatsbürgerrechte." Jürgen Osterhammel: Europamodelle und imperiale Kontexte, in: Journal of Modern European History 2 (2004) 2, 157-182, hier: 172.

[7] Diese einfache und doch den Kern treffende Definition orientiert sich an Ausführungen von Andreas Kappeler: Vortrag zum Vergleich des Russischen, Habsburger und Osmanischen Reiches am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, 26.11.2004.

[8] Die wenigen Ausnahmen sind Boris Nolde: La formation de l’Empire russe. Études, notes et documents, Bd. 1-2, Paris 1952-53; Georg von Rauch: Rußland: Staatliche Einheit und nationale Vielfalt. Föderalistische Kräfte und Ideen in der russischen Geschichte, München 1953; Marc Raeff: Patterns of Russian Imperial Policy Toward the Nationalities, in: Edward Allworth (Hg.): Soviet Nationality Problems, New York 1972, 22-42; Frederick S. Starr: Tsarist Government: The Imperial Dimension, in: Jeremy R. Azrael (Hg.): Soviet Nationality Policies and Practices, New York u.a. 1978, 3-38; Edward C. Thaden: Russia’s Western Borderlands, 1710-1870. With the Collaboration of Marianna Forster Thaden, Princeton 1984. Für die Sowjetunion verfasste Gerhard Simon eine Untersuchung, die seinerzeit einer Pionierstudie gleichkam: Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion. Von der totalitären Diktatur zur nachstalinschen Gesellschaft, Baden-Baden 1986.

[9] Ein kritischer Überblick über die historiographischen Tendenzen in den postsowjetischen Staaten findet sich in K. Eimermacher / G. Bordjugov (Hg.): Nacional’nye istorii v sovetskom i postsovetskich gosudarstvach, Moskau 1999. Daneben Thomas Saunders (Hg.): Historiography of Imperial Russia. The Profession and Writing of History in a Multinational State. Armonk / London 1999. Die Probleme der postsowjetischen ukrainischen Historiographie thematisiert Georgij Kas'janov: Sovremennoe sostojanie Ukrainskoj istoriografii: Metodologičeskie i institucional’nye aspekty, in: Ab Imperio 2 (2003), 491-519.

[10] Andreas Kappeler: Rußland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall, München 1993.

[11] Zu den Arbeiten, die infolge der neuen Sichtweise entstanden, siehe Andreas Kappeler: "Rossija – mnogonacional’naja Imperija": Nekotorye razmyšlenija vosem’ let spustja posle publikacii knigi, in: Ab Imperio 1 (2000), 9-21; sowie vor allem die kommentierten Bibliographien zur Imperiumsforschung in der russländischen, deutschsprachigen, französischen und anglo-amerikanischen Historiographie der letzten Jahre in I.V. Gerasimov / S.V. Glebov / A.P. Kaplunovskij / M.B. Mogil'ner / A.M. Semenov (Hg.): Novaja Imperskaja Istorija Postsovetskogo Prostranstva: Sbornik statej, Kazan' 2004, 575-628.

[12] Siehe etwa Kimitaka Macuzato: General-gubernatorstva v Rossijskoj imperii: ot ėtničeskogo k prostranstvennomu podchodu, in: Gerasimov u.a.: Novaja Imperskaja Istorija (wie Anm. 11), 427-458. Als Beispiel, wie dieser geographisch-territoriale Ansatz umgesetzt werden kann, siehe Anatolij V. Remnev: Rossija Dal'nego Vostoka. Imperskaja Geografija Vlasti XIX-načala XX vekov, Omsk 2004.

[13] I.V. Gerasimov / S.V. Glebov / A.P. Kaplunovskij / M.B. Mogil'ner / A.M. Semenov: V Poiskach Novoj Imperskoj Istorii, in: dies. (Hg.): Novaja Imperskaja Istorija (wie Anm. 11), 7-32, hier: 20.

[14] Kathleen Wilson: Introduction: Histories, Empires, Modernities, in: dies. (Hg.): A New

Imperial History. Culture, Identity and modernity in Britain and the Empire, 1660-1840, Cambridge 2004, 1-26; Catherine Hall: Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Imagination, Oxford 2002. Der Postkolonialismus hat längst alle 'westlichen' Historiographien erreicht. Zum Ursprung: Stuart Hall: Wann war 'der Postkolonialismus'? Denken an der Grenze, in: Elisabeth Bronfen (Hg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Mit einer Einführung von Elisabeth Bronfen und Benjamin Marius, Tübingen 1997, 219-246.

[15] Willard Sunderland: Empire in Boris Mironov’s 'Sotsial’naia istoriia Rosii', in: Slavic Review 60 (2001) 3, 571-578; Boris N. Mironov: Response to Willard Sunderland’s "Empire in Boris Mironov’s 'Sotsial’naia istoriia Rosii'", in: Slavic Review 60 (2001) 3, 579-583; zur Dominanz des imperialen Faktors in allen Feldern der russischen Geschichte siehe auch Martin Aust: Writing the Empire: Russia and the Soviet Union in Twentieth-Century Historiography, in: European Review of History-Revue européenne d’Histoire 10 (2003) 2, 375-391.

[16] I.V. Gerasimov u.a.: V Poiskach Novoj Imperskoj Istorii (wie Anm. 13), 16 f.

[17] Im Rahmen eines 2006 bewilligten Drittmittelprojekts an der Universität Mainz, Lehrstuhl von Jan Kusber, arbeitet die Ab Imperio-Redaktion derzeit zum Thema "Sprachen der Selbstbeschreibung und Selbstrepräsentation im imperialen Rußland" mit den folgenden Einzelprojekten: Ilia Gerasimov: Das Imperium umdefinieren: Projekte und Praxis des social engineering in Rußland am Anfang des 20. Jahrhunderts; Sergei Glebov: Das Imperium kulturell definieren: Begegnung mit dem Subalternen. Indigene Völker und das Rußländische Imperium im Nordöstlichen Sibirien, 18.-20. Jahrhundert; Alexander Kaplunovskiy: Das Imperium sozial definieren: Die 'Angestellten' im soziokulturellen Kontext des späten Zarenreiches; Marina Mogilner: Das Imperium anthropologisch definieren: Politische Sprache der russischen physischen Anthropologie im 19. und im 20. Jahrhundert; Hans-Christian Petersen: Das Imperium fremddefinieren. Selbstbeschreibungen und Wahrnehmungen des Zarenreiches im Königreich Polen und in der 'Großen Emigration' (1815-1863/64); Alexander Semyonov: Das Imperium politisch (um-) definieren: Die Rationalisierung der imperialen Situation in liberalen Diskursen und Praktiken in Rußland am Anfang des 20. Jahrhunderts; Jan Kusber: Das Imperium im Raum definieren: Räumliche Zuschreibungen im späten Zarenreich und in der frühen Sowjetunion am Beispiel Sibiriens.

[18] Zur Überwindung beider Sichtweisen ruft Mark von Hagen auf: Writing the History of Russia as Empire: The Perspective of Federalism, in: Catherine Evtuhov u.a. (Hg.): Kazan, Moscow, St. Petersburg: Multiple Faces of the Russian Empire (zweisprachige Ausgabe), Moskau 1997, 393-410. Zur Subjektivität des Konzepts 'Imperium', das als Konstrukt wie die Nation von der Wahrnehmung und kollektiven Vorstellung abhängig ist, siehe Mark R. Beissinger: The Persisting Ambiguity of Empire, in: Post-Soviet Affairs 11 (1995) 2, 149-184; Ronald Grigor Suny: Ambiguous Categories: States, Empires and Nations, in derselben Zeitschriftenausgabe 185-196; Terry Martin: The Soviet Union as Empire: Salvaging a Dubious Analytical Category, in: Ab Imperio 2 (2002), 91-105.

[19] Ab-Imperio Redaktion: Jazyki Samoopisanija Imperii i Nacii kak issledovatel'skaja Problema i Političeskaja Dilemma, in: Ab Imperio 1 (2005), 11-22.

[20] Anthony Pagden: Lords of all the World. Ideologies of Empire in Spain, Britain and France, 1500-1800, Yale 1995.

[21] Mark Bassin: Russia between Europe and Asia: The Ideological Construction of Geographical Space, in: Slavic Review 50 (1991), 1-17; ders.: Inventing Siberia: Visions of the Russian East in the Early Nineteenth Century, in: The American Historical Review 96 (1991) 3, 763-794; ders.: Imperial Visions: Nationalist Imagination and Geographical Expansion in the Russian Far East, 1840-1865, Cambridge (U.K.) 1999; ders.: Imperialer Raum / Nationaler Raum. Sibirien auf der kognitiven Landkarte Rußlands im 19. Jahrhundert, in: Geschichte u. Gesellschaft 28 (2002), 378-403; ders.: 'Classical' Eurasianism and the Geopolitics of Russian Identity, in: Ab Imperio 2 (2003), 257-266; ders.: Geographies of Imperial Identity, in: Dominic Lieven (Hg.): The Cambridge History of Russia. Bd. II: Imperial Russia, 1689-1917, Cambridge 2006, 45-66.

[22] Claudia Weiss: Die Russische Geographische Gesellschaft und ihr Einfluss auf die Bilder und Vorstellungen von Sibirien im 19. Jahrhundert, Habilitationsschrift der Universität Hamburg von 2006, erscheint 2007; dies.: 'Nash', Appropriating Siberia for the Russian Empire, erscheint voraussichtlich in: Sibirica. Interdisciplinary Journal of Siberian Studies 5 (2006) 1, 95-107; dies.: Die Kaiserliche Russische Geographische Gesellschaft und die russische Sibirienpolitik, in: Sibirienbilder. Konzeptualisierungen des russischen Nord-Ostens in den Kulturwissenschaften – Obrazy Sibiri. Konceptualizacija russkogo Severo-Vostoka v kul’turologii (zweisprachige Ausgabe), Irkutsk 2005, 167- 178.

[23] Harsha Ram: The Imperial Sublime. A Russian Poetics of Empire, Wisconsin 2004; Andrej Zorin: Kormja Dvuglavnogo Orla. Literatura i gosudarstvennaja ideologija v Rossii v poslednej treti XVIII – pervoj treti XIX veka, Moskau 2001; siehe dazu auch die Diskussion um das Buch in Ab Imperio 1 (2002), 470-554; M. Shkandrij: Russia and Ukraine: Literature and the Discourse of Empire from Napoleonic to Postcolonial Times,Montreal 2001; Susan Layton: Russian Literature and Empire. Conquest of the Caucasus from Pushkin to Tolstoy, Cambridge 1994.

[24] Bassin: Russia between Europe and Asia (wie Anm. 21).

[25] Ščerbatov unterbreitete 1776 der Regierung einen Vorschlag zur Einteilung der Völker des Reiches in sechs Kategorien. Statistika v razsuždenii Rossii, in: Čtenija v Imperatorskom obščestve istorii i drevnostej rossijskich pri Moskovskom uniersitete (ChOIDR) Sbornik 3, pt. 11 (1859), 46. Boltin zeichnete das Bild von Russland als das eines friedlich in seine benachbarten, gering bevölkerten Ländereien vordringenden Landes und legte im Kontrast zu den Vorstellungen von Tatiščev das Fundament für die Auffassung vom Russländischen Reich als einem russischen Nationalstaat.

[26] Yuri Slezkine: Arctic Mirrors. Russia and the Small Peoples of the North, Ithaca 1994; ders.: Naturalists versus Nations: Eighteenth-Century Russian Scholars Confront Ethnic Diversity, in: Daniel R. Brower / Edward J. Lazzerini (Hg.): Russia’s Orient: Imperial Borderlands and Peoples, 1700-1917, Bloomington 1997, 27-57; ders.: The Sovereign’s Foreigners: Classifying the Native Peoples in Seventeenth-Century Siberia, in: Russian History 19 (1992), 475-486; ders.: Savage Christians or Unorthodox Russians? The Missionary Dilemma in Siberia, in: Galya Diment / ders. (Hg.): Between Heaven and Hell: The Myth of Siberian in Russian Culture, New York 1993, 15-31.

[27] Michael Khodarkovsky: Russia’s Steppe Frontier: The Making of a Colonial Empire, 1500-1800, Bloomington (Ind.) 2002; ders.: The Conversion of Non-Christians in Early Modern Russia, in: Robert P. Geraci / ders. (Hg.): Of Religion and Empire. Missions, Conversion, and Tolerance in Tsarist Russia, Ithaca / London 2001, 115-143; ders.: "Ignoble Savages and Unfaithful Subjects": Constructing Non-Christian Identities in Early Modern Russia, in: Daniel R. Brower / Edward J. Lazzerini (Hg.): Russia’s Orient (wie Anm.26), 9-26; ders.: Where Two Worlds Met: The Russian State and the Kalmyk Nomads, 1600-1771, Ithaca 1992.

[28] Vera Tolz: Russia. Inventing the Nation, London / New York 2001, bes. Kap. 5.; Aleksej Miller: The Empire and the Nation in the Imagination of Russian Nationalism. (Notes on the Margins of an Article by A.N. Pypin), in: ders. / Alfred J. Rieber (Hg.): Imperial Rule, Budapest 2004, 9-26.

[29] Willard Sunderland: Taming the Wild Field: Colonization and Empire on the Russian Steppe, Ithaca / New York 2004; zur Auseinandersetzung mit dem Kolonialismusbegriff in Anwendung auf das Russländische Reich und die Sowjetunion siehe auch Jörg Baberowski: Rußland, die Sowjetunion und der Kolonialismusbegriff, in: W. Köpke / B. Schmelz (Hg.): Das gemeinsame Haus Europa. Handbuch zur europäischen Kulturgeschichte, München 1999, 197-210.

[30] Sunderland: Taming the Wild Field (wie Anm. 29), bes. 223-228; siehe auch ders.: Empire without Imperialism? Ambiguities of Colonization in Tsarist Russia, in: Ab Imperio 2 (2003), 101-114.

[31] Jürgen Osterhammel: Expansion und Imperium, in: Peter Burschel u.a. (Hg.): Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, Berlin 2002, 382-384; einige der Gedanken finden sich auch im anregenden virtuellen 'Roundtable' zum Thema: Political History of Empire – Political History of Nation: Towards a Synthetic Method?, in: Ab Imperio 2 (2002), 89-132.

[32] Zum Phänomen der Frontier im Russländischen Reich siehe Andreas Kappeler: Južnyj i vostočnyj frontier Rossii v XVI-XVIII vekach, in: Ab Imperio 1 (2003), 47-64, sowie das Vorwort der "Ab Imperio"-Herausgeber in derselben Ausgabe: "Probing the Limits of Historical Metanarratives: Imperial Boundaries", 17-22. Daneben Eva-Maria Stolberg: Siberia – Russia's Wild East: Some Notes on Frontierism, 1890-1915, in: Sibirskaja Zaimka 29 dekabrja (2000); Michael Khodarkovsky: From Frontier to Empire: The Concept of the Frontier in Russia. Sixteenth-Eighteenth Centuries, in: Russian History 19 (1992), 115-128.

[33] Sunderland: Taming the Wild Field (wie Anm. 29), 51.

[34] Richard Wortman: Simvoly imperii: Ėkzotičeskie narody v ceremonii koronacii rossijskich imperatorov, in: Gerasimov: Novaja Imperskaja Istorija (wie Anm. 11), 409-426. Die Frage nach dem Vorhandensein bzw. dem Entstehen eines imperialen Bewusstseins (eines Bewusstseins für die eigene Heterogenität) sowie einer imperialen Ideologie im Zarenreich ist umstritten. Aleksandr Filjuškin bezeichnet das Zarenreich im 16. und 17. Jahrhundert aufgrund des Fehlens eines imperialen Bewusstseins noch als ein "neonatales Imperium" – bildlich gesprochen, als "einen Säugling in seinen ersten Lebenstagen". Aleksandr Filjuškin: Problema Genezisa Rossijskoj Imperii, in: Gerasimov: Novaja Imperskaja Istorija (wie Anm. 11), 375-408. Jaroslaw Pelenski meint hingegen bereits bei Zar Ivan IV. eine "imperiale Ideologie" zu erkennen, Edward Keenan und Günther Stökl haben entschieden widersprochen. Jaroslaw Pelenski: Russia and Kazan: Conquest and Imperial Ideology (1438-1560s), The Hague 1974; Edward Keenan: Rezension zu Jaroslaw Pelenski: Russia and Kazan. Conquest and Imperial Ideology (1438-1560s), in: Slavic Review 34 (1975), 585-588; Günther Stökl: Imperium und imperiale Ideologie: Erfahrungen am Beispiel des vorpetrinischen Rußland, in: Der Russische Staat im Mittelalter und früher Neuzeit, Wiesbaden 1981 (Erstabdruck 1978). Zur imperialen Ideologie des späten Zarenreiches David Schimmelpenninck van der Oye: Toward the Rising Sun: Russian Ideologies of Empire and the Path to War with Japan, DeKalb 2001.

[35] John W. Slocum: Who, and When, Were the Inorodtsy? The Evolution of the Category of 'Aliens' in Imperial Russia, in: The Russian Revue 57 (1998), 173-190.

[36] Charles Tilly: How Empires End, in: After Empire. Multiethnic Societies and Nation-Building. The Soviet Union and the Russian, Ottoman, and Habsburg Empires. Boulder (Col.) 1997, 1-11, hier: 7.

[37] Michael W. Doyle: Empires, Ithaca / London 1986, 36.

[38] Zu den zielgerichtet eingesetzten 'Geschenken' und anderen Distributionen der Regierung bzw. 'des Zaren' gegenüber den Kasachen siehe Khodarkovsky,:Russia's Steppe Frontier (wie Anm. 27).

[39] Einen Überblick bietet Kappeler: Rußland als Vielvölkerreich (wie Anm. 10); zur Entwicklung der Kategorie der 'Inorodcy' siehe Slocum: Who, and When, Were the Inorodtsy? (wie Anm. 35).

[40] Siehe dazu die jüngsten Ausgaben von Kritika 7 (2006), H. 2 und 3; besonders Eric Lohr: The Ideal Citizen and Real Subject in late Imperial Russia, 173-194 und Jane Burbank: An Imperial Rights Regime: Law and Citizenship in the Russian Empire, 397-432. Daneben Dov Yaroshevski: Empire and Citizenship, in: Daniel R. Brower / Edward J. Lazzerini (Hg.): Russia's Orient: Imperial Borderlands and Peoples, 1700-1917, Bloomington 1997, 58-79.

[41] Weiterhin unübertroffen der Überblick in Andreas Kappeler: Rußland als Vielvölkerreich (wie Anm. 10); siehe daneben auch die anderen Arbeiten von Kappeler: ders.: Bemerkungen zur Nationsbildung der Russen, in: ders. (Hg.): Die Russen. Ihr Nationalbewußtsein in Geschichte und Gegenwart. Köln 1990, 19-36; ders.: Some Remarks on Russian National Identities (Sixteenth to Nineteenth Centuries), in: Ethnic Studies 10 (1993), 147-155; ders.: Nationsbildung und Nationalbewegungen im Rußländischen Reich, in: Archiv für Sozialgeschichte 40 (2000), 67-90. Daneben Aleksej Miller: Imperija Romanovych i Nacionalizm. Ėsse po metodologii istoričeskogo issledovanija, Moskau 2006; Ronald Grigor Suny: The Empire Strikes Out! Imperial Russia, 'National' Identity, and Theories of Empire, in: ders. / Terry Martin (Hg.): A State of Nations: Empire and Nation-Making in the Age of Lenin and Stalin, New York 2001, 23-66; Geoffrey Hosking: Russia. People and Empire, 1552-1917, Cambridge (Mass.) 1997. Die russisch-ukrainischen Beziehungen nahmen als Folge des Projekts der 'Großen-Russischen-Nation' eine Sonderstellung innerhalb des Imperiums ein. Dazu Aleksej Miller: 'Ukrainskij vopros' v politike vlastej i russkom občestvennom mnenii (vtoraja polovina XIXv.), St. Petersburg 2000. Zur Politik des Russländischen Reiches gegenüber den "Westlichen Gebieten" (die heutigen Gebiete Polens, Litauens, Weißrusslands und der westlichen Ukraine) siehe Michail Dolbilov / Aleksej Miller (Hg.): Zapadnye Okrainy Rossijskoj Imperii, Moskau 2006.

[42] Jürgen Osterhammel macht für die meisten westeuropäischen Imperien den Beginn der Zivilisierungsmission erst im frühen 19. Jahrhundert aus, jedoch gibt es zahlreiche Anhaltspunkte, das Entstehen einer russischen Zivilisierungsmission – das aktuelle Forschungsprojekt der Autorin – im 18. Jahrhunderts anzusiedeln. Ricarda Vulpius: Das imperiale Selbstverständnis. Vortrag auf dem 46. Deutschen Historikertag in Konstanz, 20.9.2006; Kerstin Jobst/ Julia Obertreis/ Ricarda Vulpius: Imperiumsforschung in der Osteuropäischen Geschichte, in: Peter Haslinger (Hg.): Wie europäisch ist die osteuropäische Geschichte? (im Druck); Jürgen Osterhammel: 'The Great Work of Uplifting Mankind'. Zivilisierungsmission und Moderne, in: Boris Barth / ders. (Hg.): Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert. Konstanz 2005, 363-426. Zur Zivilisierungsmission des späten Zarenreiches und der Sowjetunion siehe Jörg Baberowski: Auf der Suche nach Eindeutigkeit: Kolonialismus und zivilisatorische Mission im Zarenreich und in der Sowjetunion, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 47 (1999), 482-504.

[43] Ich danke Martin Schulze Wessel für diesen auf dem Deutschen Historikertag in Konstanz geäußerten Gedanken.

[44] Richard Wortman: Scenarios of Power: Myth and Ceremony in Russian Monarchy. Bd. I.: From Peter the Great to the Death of Nicholas II., Princeton 1995, 63 f.; Reinhard Wittram: Peter I. Czar und Kaiser, Bd. 2, Göttingen 1964, 462 f.; Isabel de Madariaga hingegen sieht in der Übernahme des Imperator-Titels durch Peter I. das Bemühen, Russlands Anspruch auf das byzantinische Erbe und seine Autorität über die größere orthodoxe Ökumene zu unterstreichen. Dagegen argumentieren Liah Greenfeld und Willard Sunderland. Isabel de Madariaga: Tsar into Emperor: the Title of Peter the Great, in: Robert Oresko / G.C. Gibbs / Hamish M. Scott (Hg.): Royal and Republican Sovereignty in Early Modern Europe. Essays in Memory of Ragnhild Hatton, Cambridge 1997, 351-381; Liah Greenfeld: Nationalism: Five Roads to Modernity, Cambridge (Mass.) 1992, 195; Willard Sunderland: Becoming Territorial: Ideas and Practices of Territory in 18th-Century Russia, in: Jane Burbank / Mark von Hagen (Hg.): Geographies of Empire: Ruling Russia, 1700-1939, University of Indiana Press (in der Druckvorbereitung). Allgemein zum Versuch, an das 'alte Rom' anzuknüpfen Stephen L. Baehr: From History to National Myth: Translatio imperii in Eighteenth Century Russia, in: Russian Review 37 (1978) 1, 1-13.

[45] Andreas Kappeler: Formirovanie Rossijskoj imperii v XV – načale XVIII veka: nasledstvo Rusi, Vizantii i Ordy, in: Aleksej I. Miller (Hg.): Rossijskaja Imperija v Sravnitel’noj Perspektive. Sbornik Statej, Moskau 2004, 94-112.

[46] Filjuškin: Problema Genezisa Rossijskoj Imperii (wie Anm. 34).

[47] Dominic Lieven: Dilemmas of Empire, 1850-1918. Power, Territory, Identity, in: Journal of Contemporary History 34 (1999), 163-200.

[48] Yuri Slezkine: The Sovereign’s Foreigners: Classifying the Native Peoples in Seventeenth Century Siberia, in: Russian History 19 (1992), 475-486; Willard Sunderland: Becoming Territorial (wie Anm. 44).

[49] Willard Sunderland: Becoming Territorial (wie Anm. 44). Zur Aneignung der Krim in der russischen Perzeption als eines 'eigenen' Territoriums siehe Kerstin S. Jobst: Die Perle des Imperiums. Der russische Krimdiskurs im Zarenreich. Habilitationsschrift der Universität Hamburg von 2004, erscheint 2007; dies.: Die Taurische Reise von 1787 als Beginn der Mythisierung der Krim. Bemerkungen zum europäischen Krim-Diskurs des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Archiv für Kulturgeschichte 83 (2001), 121-144. Zur Frage, inwieweit auch im russländischen Falle von 'Orientalismus' im Said'schen Sinne gesprochen werden kann: dies.: 'Orientalism', E.W. Said und die Osteuropäische Geschichte, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 51 (2000), 2. Hbbd., 250-266.

[50] Miller weist darauf hin, dass es nie eine Mehrheit gegeben habe, die das ganze Russländische Imperium in einen russischen Nationalstaat hätte verwandeln wollen. Aleksej Miller: The Empire and the Nation (wie Anm. 28), 13.

[51] Dominic Lieven: Empire. The Russian Empire and Its Rivals, London 2000; Miller: Rossijskaja Imperija (wie Anm. 45); ders. / Alfried J. Rieber (Hg.): Imperial Rule, Budapest 2004; Karen Barkey / Marc v. Hagen (Hg.): After Empire. Multiethnic Societies and Nation-Building. The Soviet Union and the Russian, Ottoman, and Habsburg Empires, Boulder 1997; Richard L. Rudolph / David F. Good (Hg.): Nationalism and Empire: The Habsburg Empire and the Soviet Union, New York 1992. Vergleiche von Historikern westeuropäischer Imperien lassen das Russländische Reich bzw. die Sowjetunion häufig außen vor. Dabei gäbe es gerade für einen Vergleich zwischen Großbritannien (mit der englisch-britischen Identitätsproblematik) und dem Russländischen Reich (mit der russisch-russländischen Identitätsproblematik) reizvolle Ansatzpunkte. Vorlagen hierfür bieten: David G. Rowley: Imperial versus National Discourse: The Case of Russia, in: Nations and Nationalism 6 (2000) 1, 23-42, und Ben Wellings: Empire-Nation: National and Imperial Discourses in England, in: Nations and Nationalism 8 (2002) 1, 95-109.

[52] Das Projekt zur komparativen Geschichte von Imperien, das 2001 an der Central European Universtiy unter der Federführung von Aleksej Miller begonnen wurde, ist in dieser Hinsicht vielversprechend. Die im Rahmen des Projekts organisierte Konferenz von 2003 mit dem Thema "Rossijskaja Imperija v Svranitel’noj Perspektive" hatte sechs Vergleichsebenen zum Thema: die Genesis von Imperien, die imperiale Ideologie, die Geschichte der Grenzen und Grenzländer, imperiale Herrschaftsformen, Eliten und Verwaltungsmechanismen der Imperien sowie Gruppen innerhalb von Imperien, die nicht zur Elite gehören. Alfred Rieber macht in dem zur Konferenz erschienenen Sammelband neben der imperialen Ideologie als wichtigste Faktoren zur Stabilisierung der Macht in den Kontinentalimperien die imperiale Bürokratie und die Grenzlandpolitik aus. Alfred Rieber: Sravnivaja kontintental’nye imperii, in: Miller: Rossijskaja Imperija (wie Anm. 45), 33-70. Andere, für den Vergleich geeignete Aspekte finden sich auch bei Jürgen Osterhammel: Expansion und Imperium (wie Anm. 31), hier: 387 f.

[53] Gerasimov u.a.: Novaja Imperskaja Istorija (wie Anm. 11), hier: 24-26.

[54] Zur russischen Weltumseglerei siehe eine der ersten Publikationen, die die imperiale Beziehungsgeschichte zum Thema machen Ilia Vinkovetskii: Circumnavigation, Empire, Modernity, Race. The Impact of Round-The-World-Voyages on Russia's Imperial Consciousness, in: Ab Imperio 1-2 (2001), 191-210.

[55] Die internationale Konferenz zum Thema "Imperium inter pares. Reflections on Imperial Identity and Interimperial Transfers in the Russian Empire (1700-1917)", die Martin Aust, Aleksej Miller und Ricarda Vulpius in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Institut Moskau im September 2008 durchführen, greift genau dieses Forschungsdesiderat auf.

[56] Alexander Demandt (Hg.): Das Ende der Weltreiche: Von den Persern bis zur Sowjetunion, München 1997; Richard Lorenz (Hg.): Das Verdämmern der Macht: Vom Untergang großer Reiche, Frankfurt a.M. 2000; Emil Brix / Klaus Koch / Elisabeth Vyslonzil: The Decline of Empires, Wien 2001; Alexander J. Motyl: Imperial Ends: The Decay, Collapse, and Revival of Empires, New York 2001.

[57] Paul Kennedy: Why Did the British Empire Last so Long?, in: ders.: Strategy and Diplomacy 1870-1945. Eight Studies, London 1983, 199-218.

Empfohlene Zitierweise:

Ricarda Vulpius : Das Imperium als Thema der Russischen Geschichte , in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2, [24.12.2007], URL: https://www.zeitenblicke.de/2007/2/vulpius/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-12382

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