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Historiker/innen schreiben umfangreiche Werke, reden über Theorien, die ihre Darstellungen zusammenhalten, viel auch über Begriffe und Methoden, die Einsichten ermöglichen oder verbauen. Über das Schreiben als Grundlage des Erkenntnisprozesses schweigen sie zumeist. Dieses ist als Herzstück unserer Wissenschaftspraxis vorgegeben und wird doch zu selten thematisiert. Erst wenn wir an unseren Schreibtischen sitzen, merken wir, wie sehr uns ein Sprechen darüber fehlt.

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So gingen auch diesem Themenheft mit Gesprächen über Schreiben als wissenschaftliche Praxis zahlreiche 'Gespräche' in elektronischer Form voraus, in denen wir uns über das ob und das wie, den richtigen Modus für das, was uns vorschwebte, zu verständigen suchten. "Ich bin sehr skeptisch," hieß es in einer E-Mail vom 16. Februar 2009, "ob wir per Interview Erkenntnisse über Schreibpraktiken erhalten. Müsste die Selbstreflexivität da nicht erst einmal unser Handeln einschließen? Konkret und allen Positivismus beiseite lassend: Was erfahren wir durch den Filter einer Gesprächspraktik über Schreibepraktiken?" Eine ganze Menge, wie wir im Laufe der Arbeit herausfanden.

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Der Schriftsteller, Regisseur und Journalist Georg Stefan Troller, der etwa 2.000 Interviews geführt hat und für seine dezidiert subjektive Befragungsweise bekannt ist, stellte jüngst fest, das Verhältnis zwischen dem Befragten und dem Fragenden könne das zweier Gleichgesinnter, aber auch eines zweier Kontrahenten sein: Eines "Täters", dessen Aufgabe es sei, einem Gegenüber möglichst wahre, auch überraschende, verräterische Auskünfte über sich zu entlocken, und eines "Opfers", das darum ringe, nur solche Geständnisse herzugeben, die es selbst an die Öffentlichkeit tragen wolle. [1] Mit dieser Deutung mochten wir uns weniger anfreunden. Hingegen hofften wir, unsere Befragten mit Aspekten ihres eigenen Schreibens zu konfrontieren, die sie so vielleicht noch nie selbst ausformuliert hatten. Am Ende eines jeden Interviews sollte sich idealerweise auf beiden Seiten das Gefühl einstellen, etwas über das eigene Schreiben und das wissenschaftliche Schreiben an sich erfahren zu haben.

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Erklärtes Ziel unserer Gespräche war, den Schritten von der Lektüre des Quellenmaterials zur ersten Notation, von der Notation zur Niederschrift, der Niederschrift zur Geschichte dialogisch nachzugehen. Nicht zuletzt sind wir der Überzeugung, dass sich auch in der Geschichtswissenschaft neue Erkenntniswege beschreiten lassen. Auch das Interview kann ein solcher sein.

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Herzlich danken möchten wir allen Beteiligten dieses Projektes, den Fragenden und Antwortenden für Elan, Engagement und Esprit, Julia Herzberg für den Zauber, den sie dieser Unternehmung verliehen hat, und schließlich den Verantwortlichen der zeitenblicke, vor allem Gudrun Gersmann und Michael Kaiser, die unsere Idee mit motivierender Begeisterung unterstützt und unsere Texte mit Bedacht redigiert haben.

Münster, Bielefeld, Gießen und Bochum, im April 2010

Alexander Kraus, Frank Wolff, Birte Kohtz & Walter Sperling



[1] Georg Stefan Troller: Die Kunst des Interviews, in: Lettre International, Nr. 82, 2008, im Auszug auch unter: http://www.lettre.de/archiv/82_Troller.html <28.4.2010>.

Empfohlene Zitierweise:

Alexander Kraus / Frank Wolff / Birte Kohtz / Walter Sperling : Editorial , in: zeitenblicke 9, Nr. 2, [27.08.2010], URL: https://www.zeitenblicke.de/2010/2/editorial/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-25895

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