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Maike Sach: "Die Zeichnungen von M. Le Prince sind noch das Beste an Eurem Buch." Zur Rolle von Buchillustrationen bei der Vermittlung mentaler Bilder am Beispiel des "Soupé russe" aus der "Voyage en Sibérie" des Abbé Chappe d'Auteroche, in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 2.

In frühneuzeitlichen Reiseberichten finden sich neben den Schilderungen fremder Völker, ihrer Sitten und Gebräuche immer wieder Kupferstiche, die das Geschilderte nach den zeitgenössischen künstlerischen (und wissenschaftlichen) Standards dokumentieren sowie möglichst unmittelbar vermitteln sollten. Die Text-Bild-Relation lässt sich dabei nicht nur als einfache Visualisierung einer Textpassage beschreiben: Illustrationen können die dort entworfenen mentalen Bilder unterstützen und verstärken. Diese besondere Rolle von Abbildungen, die sich eben nicht auf den attraktiven Buchschmuck reduzieren lässt, soll am Beispiel der Illustration einer häuslichen Szene aus dem Expeditionsbericht Voyage en Sibérie des Abbé Chappe d'Auteroche näher untersucht werden. Dieser Kupferstich gehört zu einer Gruppe von Abbildungen, auf die auch Chappe d'Auteroches schärfste Kritikerin, Katharina II., in ihrem Antidote, ihrer empörten Gegendarstellung, eingegangen ist und damit exemplarisch für die Wahrnehmung durch eine gebildete Zeitgenossin steht.

 

Gertrud Pickhan: "Über der ewigen Ruhe." Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte einer russischen Stimmungslandschaft, in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 2.

Isaak Levitans Gemälde Über der ewigen Ruhe ist ein Musterbeispiel für seine "Stimmungslandschaften", deren Rezeption durch Zeitgenossen und Nachwelt Aufschluss gibt über Kontinuität und Wandel der Wahrnehmungen und Zuschreibungen. Die nationale Codierung der russischen Landschaft begann im 19. Jahrhundert und setzt sich bis in die Gegenwart fort. Gleichzeitig erzeugte das Gemälde "Über der ewigen Ruhe" Empfindungen und Stimmungen, die mit einem Nachdenken über existenzielle Fragen des menschlichen Lebens einhergingen. In der offiziellen Levitan-Rezeption in der Sowjetunion war dafür jedoch kaum Platz. "Über der ewigen Ruhe" wurde im Sinne des Sozrealismus als Ausdruck einer Kritik an den Zuständen im späten Zarenreich umgedeutet, während gleichzeitig die nationale Aufladung der Landschaft beibehalten wurde. Erst in der Phase der Perestrojka wurden Wahrnehmungsmuster der vorrevolutionären Zeit, in denen das Memento Mori-Motiv im Vordergrund stand, wieder aufgenommen und beispielsweise in einem Rocksong einem Millionenpublikum nahe gebracht.

 

Anna Baumgartner: Ein polnischer Nationalmaler am preußischen Hof. Wojciech Kossak und sein wiederentdecktes Gemälde "Schlacht bei Zorndorf" (1899), in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 2.

Thema meines Beitrages ist der Berlinaufenthalt des polnischen Nationalmalers Wojciech Kossak, der von 1895 bis 1902 in der preußischen Hauptstadt weilte und für Kaiser Wilhelm II. Schlachtendarstellungen schuf. Dies wurde Kossak in Polen stark angelastet und führte zu einer politischen Rezeption seiner Zeit in Berlin. Durchgesetzt hat sich bis heute die These, Kossak habe nur Niederlagen Preußens gemalt. Anhand der Analyse des Gemäldes Schlacht bei Zorndorf (1899), das eine Episode aus dem Siebenjährigen Krieg darstellt, 2004 restauriert wurde und sich heute in der E.ON edis AG Potsdam als Leihgabe des Potsdam-Museums befindet, möchte ich erstmals bildimmanent nach der Funktion und Wirkung von Kossaks Arbeiten für eine preußische Malerei fragen. Diese wird unter anderem durch die kompositorische Struktur, die Auseinandersetzung des Malers mit der preußischen Überlieferung der Schlacht sowie durch die verwendete Symbolik deutlich. Bei meinen Erörterungen dienen mir – neben dem Gemälde – die von Kossak aus Berlin geschriebenen Briefe sowie seine 1912 verfassten Erinnerungen als Quellen.

 

Jens Jäger: Globalisierte Bilder – Postkarten und Fotografie. Überlegungen zur medialen Verklammerung von "Ost" und "West", in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 2.

Der Beitrag widmet sich dem Austausch von Bildpostkarten um 1900 und diskutiert einige methodische Fragen. Exemplarisch wird so die sich globalisierende Bilderwelt greifbar; es wird deutlich, wie diese auf die Vorstellungswelten fremder Gegenden eingewirkt hat. Durch die formalen und ästhetischen Aspekte gerade bezüglich fotografisch illustrierter Ansichtskarten ergab sich eine homogenisierende Weltsicht, die zwar Abweichung und Exotismus zuließ, gleichwohl aber der Fremde ein europäisch-abendländisches Muster unterlegte. Dies band die abgebildeten Orte (scheinbar) in die eigene Lebenswelt ein, wie im vorliegenden Fall Reval (heute: Tallinn), ließ sie ebenso erreichbar wie verständlich wirken und versah sie mit Funktionsprinzipien, die mit den heimatlichen in Einklang standen.

 

Andreas Renner: Im Bild des Feindes. Oder wie für General Stessel' der russisch-japanische Krieg verloren ging, in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 2.

Im russisch-japanischen Krieg stellte die Einnahme der südmandschurischen Festung Port Arthur durch japanische Truppen im Januar 1905 einen Wendepunkt dar. Das gilt nicht nur für den militärischen Verlauf, sondern auch für den Krieg als einen Medienkrieg, in dem die Fotografie erstmals als Leitmedium diente. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht die Analyse und Interpretation einer japanischen Aufnahme von der Kapitulation Port Arthurs. Sie zeigt den japanischen Eroberer Nogi und seinen russischen Widersacher General Stessel' in überraschender Einmütigkeit. Welche Geschichte machte diese Fotografie sichtbar, wie wurde sie rezipiert, wie ordnete sie sich in die damalige japanische Propagandastrategie ein, das ostasiatische Inselreich als fortschrittlich, zivilisiert und als ebenbürtige Großmacht zu präsentieren? Wie ging das Zarenreich mit dieser medialen Herausforderung um? Mit Bezug auf die untersuchte Fotografie lautet die Antwort, dass Stessel' im Nachkriegsrussland zu einem Anti-Helden und Sündenbock für die Niederlage gestempelt wurde. Der ehemalige General wurde schließlich Anfang 1908 wegen Amtsanmaßung und Unfähigkeit zum Tode verurteilt.

 

Ute Caumanns: Der Teufel in Rot. Trockij und die Ikonographie des "jüdischen Bolschewismus" im polnisch-sowjetischen Krieg, 1919/20, in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 2.

Es sind bildliche Darstellungen wie die des roten 'Judenteufels' Trockij, die am Anfang einer komplexen Wirkungsgeschichte des Konstrukts vom "jüdischen Bolschewismus" stehen. Die Oktoberrevolution sei eine jüdische, ihre eigentlichen Drahtzieher "die Juden": Dies war die verschwörungstheoretische Botschaft, die zunächst "weiße" konterrevolutionäre Kreise in Russland vertraten und die dann nach Westen ausstrahlte, insbesondere in die noch junge Polnische Republik. Der Artikel untersucht die visuelle Propaganda des "jüdischen Bolschewismus" anhand der ikonographischen Verarbeitung Lev Trockijs. Im Kontext des polnisch-sowjetischen Krieges 1919/20 erfuhr diese ihre eigentliche Dynamik. Die Bilder, die damals entstanden, machten das Konstrukt emotional erfahrbar, indem sie den Gegner entweder dämonisierten oder der Lächerlichkeit preisgaben. Sie verdichteten auf einen – leicht erinnerbaren – Punkt und schrieben so visuelle Konventionen des "jüdischen Bolschewismus" fest.

 

Heidrun Hamersky : Subversive Bildstrategien: Ivan Kyncls Gerichts- und Gefängnisfotografien aus der Tschechoslowakei der 1970er Jahre im Kontext der Illustrierten Stern, in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 2.

Ivan Kyncl (1953-2004) gilt als "Fotograf der Charta 77". Seit 1977 dokumentierte er den Alltag der Prager Dissidenten und veröffentlichte seine Fotografien bis zu seiner Emigration 1980 unter Pseudonym in westlichen Medien. Seinen besonderen Status erhält das Werk im Kontext der tschechoslowakischen politischen Opposition vor allem durch ein Konvolut von Fotografien, die staatlicherseits praktizierte Gewalt gegenüber politisch Andersdenkenden sichtbar machen. Am Beispiel seiner Gerichts- und Gefängnisfotografien, die in der Illustrierten Stern veröffentlicht wurden, setzt sich der vorliegende Beitrag mit dem politisch subversiven Potenzial von Kyncls fotografischer Praxis auseinander. Seine Bilder sind Konstrukte, die aufgrund von ungewöhnlichen Motiven und mithilfe ihrer medialen Verbreitung bis heute unsere Vorstellungen von der Charta 77 und ihren Akteuren prägen. Ihre visuelle Wirkung besteht in der Akzentuierung der Machtverhältnisse, die jedoch über die reine Dokumentation konkreter Personen und Ereignisse hinausweisen.

 

Regine Schiermeyer: Gold für den "fotoclub ferrum". Die Erfolge der Betriebsfotogruppe "fotoclub ferrum" bei den Arbeiterfestspielen in der DDR, in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 2.

Der "fotoclub ferrum" war eine der bekanntesten und erfolgreichsten Amateurfotogruppen in der DDR. Insbesondere ihre Bilder aus der Produktion sowie Arbeiterporträts erhielten zahlreiche Auszeichnungen und wurden in Veröffentlichungen und Ausstellungen präsentiert. Dazu mussten Motive und Bildsprache der Amateurfotografen den staatlichen Vorgaben entsprechen. Denn Staat und Partei erhofften sich von der Amateurfotografie einen Beitrag zur "sozialistischen Bewusstseinsbildung". Besonders gefragt waren heroisch anmutende, "typische" Arbeiterdarstellungen, die das Selbstverständnis des Arbeiterstaats visualisieren sollten. Der "fotoclub ferrum" bediente diese Erwartungen mit seinen Arbeiterbildern weitgehend. In den Augen der Funktionäre entsprachen nicht nur die Bilder der Gruppe den Anforderungen; mit seinem stark ausgeprägten Leistungsprinzip galt der "fotoclub ferrum" auch organisatorisch als vorbildlich.

Erstellt von: RedaktionZB
Zuletzt verändert: 2011-12-21 05:04 PM