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Abstracts

Maximilian Lanzinner: Arbeitsfelder und Forschungsfragen zum Immerwährenden Reichstag, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 2.

1. Der periodische und der Immerwährende Reichstag wurden stets getrennt analysiert. Eine durchgehend diachrone Perspektive könnte sich folgende Arbeitsfelder vornehmen: - die Kommunikations- und Informationsstrukturen; - die Wirksamkeit der Reichstage für die Sicherheit nach außen; - Rolle und Typus des Gesandten beim Reichstag. 2. Trotz der intensiven Ständeforschung vergangener Jahrzehnte können wir den Reichstag nur unzureichend europäisch vergleichend bewerten. Nötig ist über den normativ-institutionellen Ansatz hinaus der Vergleich der politischen Kontexte, der Denkweisen, der Traditionsbildung, des Verfahrens und der Entscheidungsprozesse. 3. Das europäische Mächtesystem ist sehr gut untersucht, nicht jedoch die Funktion des Immerwährenden Reichstags innerhalb des Systems. Dazu bieten die Verhandlungen beim Immerwährenden Reichstag noch reichlich Erkenntnispotential. 4. Regensburg war ein kümmerliches Theatrum für das Ringen um symbolisches Kapital, obgleich ein aufwendiges Zeremoniell, scheinbar nicht endende Notifikationsrituale, Sessionsproteste und Etikette das Verhandeln der Gesandten prägten. Die Analyse müsste die Zeitabschnitte beachten. Denn der Immerwährende Reichstag durchlief wechselnde Phasen, die wir nicht hinreichend kennen.

 

Karl Härter: Der Immerwährende Reichstag (1663-1806) in der historischen Forschung, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 2.

Die Forschung hat sich zwar dem Immerwährenden Reichstag verstärkt zugewandt, ist aber durch heterogene Ansätze, Ergebnisse und Bewertungen gekennzeichnet, welche die Fülle des Quellenmaterials, die Komplexität der Institution und die potenziellen Zugänge widerspiegeln. Der Aufsatz unternimmt daher den Versuch, diese systematisch zusammenzufassen, Ansätze und Ergebnisse zu präsentieren sowie Desiderata und Forschungsperspektiven zu benennen. Dargestellt werden die Befunde der frühen Dissertationen zur Reichstagstätigkeit während spezifischer Phasen der politischen Ereignisgeschichte, gefolgt von den Arbeiten zur Reichstagsverfassung und zu den jeweiligen Akteuren, insbesondere den Reichstagsgesandten. Ein letzter Schwerpunkt befasst sich mit der Reichsgesetzgebung und den Verhandlungsthemen, dem Verfahren, mit Zeremoniell und symbolischer Repräsentation sowie mit Kommunikation, Medien und Reichstagsöffentlichkeit – Felder, auf denen die jüngere Forschung neue Ansätze entwickelt und beachtliche Fortschritte erzielt hat, aber auch zur kritischen Stellungnahme herausfordert. Insgesamt ist die Forschung durch einen zu engen Blickwinkel auf den Reichstag als "Spiegel" der politischen Ereignisgeschichte sowie auf die Beschlüsse bzw. normativen Endprodukte gekennzeichnet. Die Quellenbasis beschränkt sich meist auf die Aktenüberlieferung eines einzelnen Akteurs. Zudem fehlt es an einer umfassenderen Interaktions- und Funktionsperspektive, welche die Tagungspraxis, das Zusammenspiel mit anderen Reichsinstitutionen, Patronage, Klientel- und Netzwerkbildung mit einbezieht und den Reichstag auch in seiner Eigenschaft als reichsweites Informations- und Kommunikationssystem erkennt. Dieserart könnte der Immerwährende Reichstag stärker vergleichend als eigenständiger Akteur und als komplexer Interaktionsraum im Mehrebenensystem des Alten Reiches sowie grenzübergreifend als Element der politischen Kultur des frühneuzeitlichen Europa erforscht werden.

 

Susanne Friedrich: Der Kurier des Kardinals. Kommunikation als Perspektive auf den Immerwährenden Reichstag, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 2.

Im Zentrum des Artikels stehen Briefe, die Prinzipalkommissar Johann Philipp von Lamberg am 22. März 1703 versandte, die aber durch Bayern abgefangen wurden. Sie bilden die Basis für fünf kommunikationshistorische Betrachtungen des Reichstagsgeschehens, die zugleich das analytische Potential dieser Perspektivierung beleuchten. Dabei zeigt sich zum einen die eminente Bedeutung einer intakten Kommunikationsinfrastruktur für das Funktionieren des Reichstags. Durch die Fokussierung auf Kommunikation als konstituierende wie charakterisierende Basis von Beziehungen werden zum anderen soziale und emotionale Aspekte sichtbar. Es treten die reichstagsinternen Kommunikationsstrukturen und Parteibildungen ebenso hervor, wie das Korrespondenznetz Lambergs und das komplizierte Verhältnis der kaiserlichen Gesandten untereinander sowie zum Kaiser. Deutlich werden dabei konfligierende Interessen und Handlungserwartungen, welche die Kommunikation und Performanz der Gesandten beeinflussten und somit auf die Reichstagspolitik zurückwirkten.

 

André Krischer: Reichsstädte und Reichstag im 18. Jahrhundert. Überlegungen zu Reichspolitik und Politik im Alten Reich anhand Bremer und Hamburger Praktiken, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 2.

Im "kurzen" 18. Jahrhundert, zwischen dem Frieden von Utrecht und dem Ausbruch der Französischen Revolution, hat der Immerwährende Reichstag für die Reichsstädte massiv an Bedeutung verloren. Schon Walter Fürnrohr hat festgestellt, dass nahezu alle städtischen Voten von Regensburger Ratsherren und nicht mehr von eigenen Gesandten geführt worden sind. Dieser Beitrag rekapituliert zunächst noch einmal die Gründe, die für das reichsstädtische Desinteresse am Reichstag ausschlaggebend waren. Im Anschluss daran geht es um Möglichkeiten, reichsstädtische Reichspolitik jenseits des Reichstags zu betreiben. Hier werden aus Bremer Perspektive mikropolitische Handlungsweisen in Wien, Schenkpraktiken und Gesandtschaften an die Höfe wichtiger Reichsfürsten dargestellt. Wichtiger als der Reichstag war für die Reichsstädte im 18. Jahrhundert der Kaiser, zu dem sie in einem Patronageverhältnis standen, das regelmäßig gepflegt werden musste. Im Grunde kann man für die Reichsstädte im 18. Jahrhundert einen Rückfall hinter die Prinzipien ihrer korporativen, auf den Reichstag ausgerichteten Politik seit dem späten 15. Jahrhundert diagnostizieren. Abschließend wird aufgrund dieser Befunde vorgeschlagen, anstatt von 'Reichspolitik' von 'Politik im Alten Reich' zu sprechen. Damit wird man dem Umstand besser gerecht, dass auf ganz verschiedenen Ebenen (Kaiserhof, Reichstag, Reichsgerichte, bilaterale Diplomatie, Korrespondenzen) Politik gemacht wurde sowie der Tatsache, dass dabei keine konsistente policy leitend war – auch wenn der Begriff "Reichspolitik" dies insinuieren mag –, sondern situative Interessen.

 

Michael Rohrschneider: Strukturgegebenheiten und Vernetzungen der Reichstagsgesandtschaften Franz' I. und Maria Theresias (1745-1763). Ein Problemaufriss, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 2.

Der Immerwährende Reichstag wurde vonseiten Österreichs um die Mitte des 18. Jahrhunderts gezielt als Kontaktbörse und Umschlagplatz für Ressourcen genutzt, um reichsständische Netzwerke zu bilden, die bei Bedarf zur Unterstützung der eigenen Außen- und Reichspolitik instrumentalisiert werden konnten. Handlungsketten nach dem Prinzip des "do ut des" bildeten in diesem Kontext ein nicht zu unterschätzendes Strukturprinzip, das gerade durch die zahlreichen Möglichkeiten des Kaisers geprägt wurde, Gunsterweise und Gnadenbezeugungen unterschiedlichster Art zu gewähren. Es besteht Anlass zu der Vermutung, dass der sich herausbildende österreichisch-preußische Dualismus nach 1740 derartige Prozesse forcierte. Allerdings erschwerten die phasenweise auftretende mangelnde Koordination zwischen den drei Regensburger Gesandtschaften Franz' I. und Maria Theresias sowie die Differenzen zwischen den einzelnen Komitialgesandten eine homogene Reichstagspolitik des Wiener Hofes.

 

Lupold von Lehsten: Möglichkeiten und Grenzen prosopografischer Forschungen zum Immerwährenden Reichstag im 18. Jahrhundert, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 2.

Die Reichstagsgesandten-Forschung steht im Kontext der personengeschichtlichen Forschung, der Landesgeschichte, der Diplomatiegeschichte, der Forschungen zum Alten Reich. Vor diesem Bezugsrahmen werden die Quellen zur Biographie, Personengeschichte und Prosopographie der Gesandten zum Immerwährenden Reichstag in Regensburg vorgestellt. Neben deren hinterlassenen persönlichen Zeugnissen, Grabsteinen, Stammbüchern, Nachlässen usw., veränderte sich im 18. Jahrhundert das Personalschrifttum (Leichenpredigten et cetera). Es entstanden erste zeitgenössische Gesandten-Biographien. Auch die gedruckten Gesandtenverzeichnisse unterlagen einer wesentlichen Entwicklung. Als dritte Quellengruppe kommen die Gesandtschaftsakten selbst in Betracht. Diese zeigen einen deutlichen Wandel des Verhältnisses zwischen Fürst und Gesandtem. Vielfach musste der Gesandte den Spielraum für eigenständiges Handeln und eigenständige Politik, auch für gesellschaftliche und familiäre Bereiche, neu definieren. Die Grenzen der persönlichen Handlungsspielräume der Gesandten im 18. Jahrhundert werden anhand der Veränderung der ständischen Herkunft, der Qualifikation, der Professionalisierung der Gesandtentätigkeit, an Karrierebrüchen und alternativen Biographien von Gesandten, denen der Auftrag entzogen wurde, deutlich. Für die Gesamtgruppe der Gesandten stellt sich damit allerdings auch die Frage der Vergleichbarkeit ihrer Biographien in den verschiedenen Kollegien und Ständen. Jene Gesandten, die eine längere Zeitspanne oder gar ihre gesamte Karriere am Reichstag verbrachten, werden als einflussreiche Gruppe des "Reichspersonals" definiert. Aus den aufgezeigten Möglichkeiten und Grenzen prosopographischer Forschungen zum Immerwährenden Reichstag ergeben sich Perspektiven eines 'Gesandtenlexikons' bzw. einer korrespondierenden biographischen Datenbank.

 

Guido Braun: Der Immerwährende Reichstag aus französischer Sicht in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 2.

Der Reichstag galt in Frankreich als eine der wichtigsten Reichsinstitutionen. Ludwig XV. war dort bis 1750 fast ständig vertreten. Dennoch konnte Regensburg für ihn nicht mehr die Schlüsselstellung erlangen, die es unter Ludwig XIV. gehabt hatte, besonders wegen des sehr hoch veranschlagten kaiserlichen Einflusses. Abgesehen vom Intermezzo des wittelsbachischen Kaisertums behielt die französische Reichstagspolitik bis zu den 1750er Jahren eine antihabsburgische Note. Als Emanation der Stände sah man im Reichstag einen Gegenpol zum Kaiser. Eine wichtige Zäsur bildete der aufkommende österreichisch-preußische Dualismus. Da die Franzosen nicht über Sitz und Stimme verfügten, bestanden ihre Interventionsmöglichkeiten im Wesentlichen in informeller Einflussnahme. Eine Kernaufgabe stellte die Informationsakquise dar. Dem Reichstagszeremoniell wurde eine besondere Aufmerksamkeit zuteil, Streitigkeiten darüber versuchte die französische Politik jedoch seit den 1720er Jahren zu vermeiden.

 

Sven Externbrink: Nach der "diplomatischen Revolution". Funktion und Aufgaben der französischen Reichstagsgesandtschaft, in: zeitenblicke 11 (2012), Nr. 2.

Die Präsenz Frankreichs am Immerwährenden Reichstag in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert ist bislang kaum monographisch erforscht worden. Ausgangspunkt der Beschäftigung ist daher immer noch die Studie Bertrand Auerbachs von 1912. In der Mitte des 18. Jahrhunderts blickte die französische Diplomatie auf eine rund hundertjährige Tradition der Präsenz an den Reichstagen bzw. am Immerwährenden Reichstag zurück. Mit der 'diplomatischen Revolution' begann die letzte Phase französischer Reichspolitik im Ancien Régime. Auch der Reichstag wurde in den 'Generationswechsel' unter den französischen Diplomaten einbezogen, der um 1750 einsetzte und zum Abtreten der letzten, noch zur Zeit Ludwigs XIV. 'sozialisierten' Diplomaten führte. Seit 1756 findet man hier? zum Teil enge Vertraute der Choiseuls. Der Marquis de Bombelles, in Regensburg 1775 bis 1787, hat ein Tagebuch hinterlassen, das Einblicke in das Gesandtenleben in der Spätphase des Reiches ermöglicht. Die wichtigste Aufgabe der Gesandten bestand besonders nach 1756 darin, vor allem die protestantischen Reichsstände davon zu überzeugen, dass die Allianz mit Österreich keine Gefahr für ihre Freiheit darstellte. Nach 1763 wurde es am Reichstag ruhiger, aber dennoch haben die französischen Gesandten ihren Beitrag zum "maintien de la paix en Allemagne" geleistet.

Erstellt von: RedaktionZB
Zuletzt verändert: 2013-01-29 06:19 PM