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Die Erforschung des Immerwährenden Reichstags hat in den letzten beiden Jahrzehnten substanzielle Fortschritte gemacht. Vor dem Hintergrund der Neubewertung des Alten Reiches durch die jüngere Forschung, die im Unterschied zu der an macht-, national- und anstaltsstaatlichen Vorstellungen orientierten Historiographie älterer Prägung zu einem deutlich positiveren Urteil über dessen politische Strukturen gelangt ist, [2] wird inzwischen auch die rechts- und friedenswahrende Kraft des Immerwährenden Reichstags in ihrer vollen Tragweite erkannt. Wichtige Impulse gingen dabei insbesondere von den in den frühen 1990er Jahren erschienenen Monographien Anton Schindlings [3] und Karl Härters [4] aus, die tiefe Einblicke in die politischen Mechanismen dieser Institution ermöglichen.

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Erfreulicherweise ist die Forschung seitdem sehr darum bemüht, die Verdikte früherer Zeiten zu korrigieren und die Bedeutung des Geschehens in Regensburg angemessen einzuordnen. Gerade in den letzten Jahren haben sich dabei in vielerlei Hinsicht Forschungsansätze ergeben, die ein "neues" Bild des "alten" Reichstags [5] zeichnen. Hierzu trugen zum Beispiel Einflüsse der kulturalistischen Wende bei, [6] aber auch kommunikationsgeschichtliche [7] und prosopographische [8] Ansätze sowie Untersuchungen zu den beiden konfessionellen Corpora [9] oder auch Fragen nach der internationalen Wahrnehmung des Reichstagsgeschehens. [10]

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Dies alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einschlägige Forschung noch deutliche Defizite aufweist. Denn für viele Fragen zum Reichstag im 18. Jahrhundert ist man nach wie vor auf die älteren monographischen Darstellungen aus der Schule des Bonner Historikers Max Braubach angewiesen, die ungeachtet ihrer Verdienste angesichts der veränderten Erkenntnisziele der jüngeren Forschung nicht mehr ausreichen. [11]

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Diesem Umstand Rechnung tragend wollte der am 23. September 2011 in Salzburg veranstaltete Workshop "Der Immerwährende Reichstag im 18. Jahrhundert: Bilanz, Neuansätze und Perspektiven der Forschung", dessen Beiträge hier präsentiert werden, in dreierlei Hinsicht Akzente setzen: Zum einen ging es darum, zu einer kritischen Bilanz und Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung zu gelangen; zum anderen sollten die Ergebnisse und innovativen Neuansätze aus jüngerer Zeit diskutiert werden; und zum dritten galt es, Perspektiven künftiger Forschung aufzuzeigen. [12]

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Entstanden ist der Workshop im Kontext eines an der Universität Salzburg angesiedelten Forschungsprojekts, das der österreichische Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziert und das von Michael Rohrschneider bearbeitet wird. [13] Einerseits konnten Referenten gewonnen werden, die durch ihre einschlägigen Arbeiten zu Themen des nicht-permanenten und des Immerwährenden Reichstags die diesbezügliche Forschung seit längerer Zeit prägen (Maximilian Lanzinner und Karl Härter). Darüber hinaus trugen Historikerinnen und Historiker vor, deren Arbeiten aus jüngerer Zeit zum Immerwährenden Reichstag durch jeweils eine spezifische methodische bzw. inhaltliche Herangehensweise geprägt sind. Susanne Friedrich hat bei ihrer Dissertation zum Reichstag um 1700 einen kommunikationsgeschichtlichen Ansatz gewählt. André Krischer hat mit seiner Dissertation zu den Reichsstädten einen Beitrag vorgelegt, der stark an kulturalistische Ansätze anknüpft. Michael Rohrschneider arbeitet zurzeit an Fragen nach Parteibildung und Klientelpolitik Österreichs und Preußens am Immerwährenden Reichstag um 1750. Lupold von Lehsten hat mit seiner Dissertation einen explizit prosopographischen Ansatz verfolgt. Guido Braun und Sven Externbrink haben als ausgewiesene Frankreich-Experten in ihren Arbeiten intensiv die deutsch-französische Perspektive beleuchtet.

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Dass damit die Bandbreite möglicher Forschungen zum Immerwährenden Reichstag keinesfalls in Gänze erfasst wird, muss angesichts des überbordenden Quellenmaterials kaum eigens erwähnt werden; einige wichtige Perspektiven zukünftiger Forschungen werden in den einzelnen Beiträgen aufgezeigt. Immerhin kann der Salzburger Workshop für sich in Anspruch nehmen, zum ersten Mal den Immerwährenden Reichstag als Hauptgegenstand einer Tagung in den Fokus der Forschung gerückt zu haben. Zu hoffen ist, dass die folgenden Beiträge zugleich Anreize bieten, diese lange Jahre von der Forschung vernachlässigte, gleichwohl wichtige Institution des Alten Reiches zukünftig noch schärfer zu profilieren.

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Mein Dank gebührt dem FWF, der Universität Salzburg und deren Fachbereich Geschichte, ohne deren finanzielles Engagement der Salzburger Workshop nicht hätte stattfinden können. Besonderer Dank gilt dem Bearbeiter des Forschungsprojekts, zugleich Organisator der Tagung und Herausgeber dieses Sammelwerks. Auch den Herausgebern und dem Redaktionsteam der zeitenblicke sei an dieser Stelle ganz herzlich für die Möglichkeit, die Tagungsbeiträge an dieser Stelle zu publizieren, und für ihre redaktionelle Sorgfalt gedankt.

Autor:

Prof. Dr. Arno Strohmeyer
Universität Salzburg
Fachbereich Geschichte
Rudolfskai 42
A-5020 Salzburg
arno.strohmeyer@sbg.ac.at



[1] Der den folgenden Beiträgen vorausgegangene Salzburger Workshop vom 23. September 2011 wurde vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) gefördert / The research was funded by the Austrian Science Fund (FWF): P21601-G18 "Klientelpolitik und Patronageverhältnisse am Immerwährenden Reichstag: Österreich und Preußen (1740-1763) / Clientele Policy and Patronage Relations at the Everlasting Imperial Diet: Austria and Prussia (1740-1763)".

[2] Aus der Fülle an Literatur zu diesem Themenkomplex sei an dieser Stelle lediglich auf drei Publikationen jüngeren Datums verwiesen: Jason Philip Coy / Benjamin Marschke / David Warren Sabean (Hg.): The Holy Roman Empire, Reconsidered (= Spektrum: Publications of the German Studies Association 1), New York / Oxford 2010; Robert John Weston Evans / Michael Schaich / Peter H. Wilson (Hg.): The Holy Roman Empire 1495-1806 (= Studies of the German Historical Institute London), Oxford u.a. 2011; Joachim Whaley: Germany and the Holy Roman Empire. Vol. 1: From Maximilian I to the Peace of Westphalia 1493-1648; Vol. II: From the Peace of Westphalia to the Dissolution of the Reich 1648-1806, Oxford u.a. 2012.

[3] Vgl. Anton Schindling: Die Anfänge des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Ständevertretung und Staatskunst nach dem Westfälischen Frieden (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte 143. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 11), Mainz 1991.

[4] Karl Härter: Reichstag und Revolution 1789-1806. Die Auseinandersetzung des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Alte Reich (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 46), Göttingen 1992.

[5] In Anlehnung an Anton Schindling: Kaiser, Reich und Reichsverfassung 1648-1806. Das neue Bild vom Alten Reich, in: Olaf Asbach / Klaus Malettke / Sven Externbrink (Hg.): Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des französischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert (= Historische Forschungen 70), Berlin 2001, 25-54.

[6] Vgl. aus jüngerer Zeit insbesondere Barbara Stollberg-Rilinger: Die Symbolik der Reichstage – Überlegungen zu einer Perspektivenumkehr, in: Maximilian Lanzinner / Arno Strohmeyer (Hg.): Der Reichstag 1486-1613: Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 73), Göttingen 2006, 77-93; dies.: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008; André Krischer: Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit (= Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2006; ders.: Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit. Das Beispiel der Städtekurie und ihres politischen Verfahrens, in: Jörg Peltzer / Gerald Schwedler / Paul Töbelsmann (Hg.): Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter (= Mittelalter-Forschungen 27), Ostfildern 2009, 181-205; vgl. darüber hinaus die in Anmerkung 9 genannten Arbeiten von Andreas Kalipke.

[7] Vgl. vor allem Susanne Friedrich: Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700 (= Colloquia Augustana 23), Berlin 2007.

[8] Vgl. Lupold von Lehsten: Die hessischen Reichstagsgesandten im 17. und 18. Jahrhundert. 2 Bde. (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 137), Darmstadt / Marburg 2003.

[9] Vgl. insbesondere Karl Härter: Das Corpus Catholicorum und die korporative Reichspolitik der geistlichen Reichsstände zwischen Westfälischem Frieden und Reichsende (1663-1803), in: Bettina Braun / Mareike Menne / Michael Ströhmer (Hg.): Geistliche Fürsten und Geistliche Staaten in der Spätphase des Alten Reiches, Epfendorf am Neckar 2008, 61-102; Andreas Kalipke: "Weitläufftigkeiten" und "Bedencklichkeiten" – die Behandlung konfessioneller Konflikte im Corpus Evangelicorum, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), 405-447; ders.: Verfahren – Macht – Entscheidung. Die Behandlung konfessioneller Streitigkeiten durch das Corpus Evangelicorum im 18. Jahrhundert aus verfahrensgeschichtlicher Perspektive, in: Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.): Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne (= Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 44), Berlin 2010, 475-517; ders.: The Corpus Evangelicorum. A Culturalist Perspective on its Procedure in the Eigtheenth-Century Holy Roman Empire, in: Coy / Marschke / Sabean: The Holy Roman Empire (wie Anm. 2), 229-247; Peter Brachwitz / Edith Koller: Resonanz auf Pluralisierung. Das Corpus Evangelicorum als Autorität in konfessionellen Konflikten, in: Jan-Dirk Müller / Wulf Oesterreicher / Friedrich Vollhardt (Hg.): Pluralisierungen. Konzepte zur Erfassung der Frühen Neuzeit (= Pluralisierung & Autorität 21), Berlin / New York 2010, 119-146.

[10] Vgl. Jörg Ulbert: Der Reichstag im Spiegel französischer Gesandtenberichte (1715-1723), in: Asbach / Malettke / Externbrink: Altes Reich (wie Anm. 5), 145-169; Sven Externbrink: Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006; Heinrich Rubner: Die französische Gesandtschaft am Regensburger Reichstag (1663-1702), in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 147 (2007), 165-204; Ernst Schütz: Die Gesandtschaft Großbritanniens am Immerwährenden Reichstag zu Regensburg und am kur(pfalz-)bayerischen Hof zu München 1683-1806 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 154), München 2007; Guido Braun: La connaissance du Saint-Empire en France du baroque aux Lumières (1643–1756) (= Pariser Historische Studien 91), München 2010.

[11] Eine Auswahl: Friedrich Meisenburg: Der Deutsche Reichstag während des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740-1748), Diss. phil. Bonn, Dillingen 1931; Max Koch: Der Deutsche Reichstag während des Siebenjährigen Krieges 1756-1763, Diss. phil. (maschinenschriftlich), Bonn 1950; Theo Rohr: Der Deutsche Reichstag vom Hubertusburger Frieden bis zum bayerischen Erbfolgekrieg (1763-1778), Diss. phil., Bonn 1968.

[12] Vgl. den Tagungsbericht von Stephanie Kaiser: Der Immerwährende Reichstag im 18. Jahrhundert. Bilanz, Neuansätze und Perspektiven der Forschung. 23.09.2011, Salzburg, in: H-Soz-u-Kult, 09.11.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3882> <19.04.2012>.

[13] Vgl. Anm. 1.

Empfohlene Zitierweise:

Arno Strohmeyer : Einführung , in: zeitenblicke 11, Nr. 2, [30.01.2013], URL: https://www.zeitenblicke.de/2012/2/Einfuehrung/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-35450

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